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Tschad - Faille Leclerc, Oktober 1970

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Steht man auf dem Em-Koussi, dem höchsten Berg des Tschad im Südosten des Tibesti-Gebirges hoch oben im Norden des Landes, dann hat man, an einem schönen Tag, einen herrlichen Ausblick auf den Pass von Zouar. Zouar ist eine kleine Militärgarnison der Armée nationale tchadienne (ANT) unweit der Grenze zum Niger. Die Garnison besteht aus einem winzigen Außenposten, einer vier Kilometer entfernten Landepiste und einigen windschiefen Baracken. Die Landschaft rundherum ist rüde. Schroff abfallende Felsen, schwindelerregende Höhenzüge, tiefe, von Felsvorsprüngen verdeckte Täler, in die nie das Licht der Sonne fiel, wechseln sich ab mit schwarzen Vulkansimsen, hohen Plateaus, Sandsteintürmen, steilen Klippen und salzpfefferfarbenen Natronlöchern. Der Pass, auch „Faille Leclerc“ genannt, ist ein Durchlass, eingekeilt zwischen zwei emporragenden Felsen. Nur dieser Pass gibt den Weg in den Nordwesten des Landes frei. Wer in diese Gegend kommt, der hat etwas zu verbergen. Sicher war es die Mordlust, die eine Bande Toubous hierher verschlug. Seit Monaten schon verübten sie Anschläge auf die ANT. Erst dieser Tage hatte die reguläre Armee bei einem Hinterhalt elf Männer verloren. Die Soldaten wagten sich kaum mehr aus der Kaserne, verrammelten nachts Türen und Fenster und beteten, bald von hier verschwinden zu können. Am 22. Oktober rührte die französische Armee endlich die Kriegstrommeln. Die Operation Picardie-2 wurde in aller Eile beschlossen. Unverzüglich sollten Soldaten nach Zouar verlegen. Doch nicht irgendwelche Soldaten, sondern die Paras Legion. Capitaine Wabinskis Männer, um genauer zu sein. In einer in dieser Form noch nie durchgeführten Sturmlandung per Flugzeug sollte Wabinski den Militärposten aus der Umklammerung der Rebellen befreien. Eine nach der anderen hoben mehrere Nord Noratlas in Abéché ab. Sie flogen die fast 900 Kilometer im taktischen Tiefflug Richtung Zouar und landeten im Intervall auf der staubigen Piste. Die einzelnen Maschinen rollten noch, als die Legionäre, aufgeteilt in Kampfgruppen, die Waffe in der Hand und das schwere Gepäck auf dem Rücken heraussprangen und gefechtsmäßig den ihnen zugewiesenen Zielen entgegeneilten. Kaum hatte eine Maschine sich ihrer Last entledigt, hob sie bereits wieder ab, sodass die nächste anlanden konnte. Das perfekt getimte Spiel wiederholte sich so lange, bis die Kampfzüge Polge, Kreher und Brasseur am Boden und die Kompanie Wabinski komplett war.


In Windeseile und ohne auf Widerstand der Rebellen zu stoßen, wurde der Flughafen gesichert. Daraufhin stießen die Legionäre nach Zouar vor, wo sie von den Soldaten der ANT frenetisch als Befreier empfangen wurden. Im Nu wurde auch die Straße nach Faya-Largeau gesichert. Die für die Operation notwendige Militärkolonne konnte nun getrost auf dem Landweg nachrücken. Was die Legionäre nicht wussten, war, dass sie beobachtet wurden. Die Rebellen der zweiten Armee lagen rundherum auf den Bergkämmen und ließen sich keine ihrer Bewegungen entgehen. Es waren Toubou. Niemand wünschte sich einen Toubou als Gegner! Diese Krieger der Nord-Armee waren zähe Hunde. Sie kamen wochenlang mit einer Handvoll Datteln und etwas Kamelmilch aus und überwanden dabei Strecken, die in den Ohren eines Europäers höchst unwahrscheinlich klangen. Das Gewehr schien eine Verlängerung ihrer Arme zu sein, so zielsicher und behände gingen sie damit um. Der schlimmsten Folter begegneten sie mit Hochmut. Mit einem Hochmut, der die Franzosen in den Wahnsinn trieb. Und nun saßen sie da oben in ihren schattenverhangenen Grotten im Pass von Zouar und warteten mit brennender Ungeduld auf die Legionäre.

Bis jetzt ging alles glatt. Die Kompanie Wabinski musste keinen einzigen Schuss abgeben, weil der Gegner sich nicht gezeigt hatte. Solange man sie nicht in ihren Grotten behelligte, war ihnen scheinbar alles gleichgültig. So einfach konnte Krieg sein. Der zweite Teil der Operation sollte bald schon beginnen, doch wie der aussah, wusste im Augenblick nur Chef de Bataillon Dominique, der Mann also, der die Operation Picardie-2 leitete.

»Ich möchte, dass Sie Ihre Kompanie nach Einbruch der Dunkelheit durch den Pass von Zouar führen!«

Endlich war es heraus.

Wabinski hielt die Luft an. »Na, wenn’s weiter nichts ist!« Es klang ironisch, was dem Kommandanten Dominique nicht entging. Er quittierte es mit einem Lächeln und sprach weiter.

»Vermeiden Sie jeglichen Kontakt. Schleichen Sie sich an den Toubous vorbei und errichten Sie in seinem Rücken eine Art Auffanglinie. Wir greifen sie dann von hier aus an. Ihr Auftrag ist es, zu verhindern, dass die Toubous nach Libyen flüchten.«

»Verstanden, mon commandant«, nickte Wabinski, dessen Gesicht eine reglose Maske war. Er wusste, was dieser Befehl bedeutete. Zahlenmäßig waren die Toubous ihm weit überlegen, ihre Positionen vortrefflich gewählt. In Unterzahl dagegen anzurennen konnte keinem Chef behagen. Sollten die Toubous Wind davon bekommen, dass die Legionäre in den Pass stiegen, war der Auftrag ein Himmelfahrtskommando.

»Ach ja. Ich gebe Ihnen einen Zug der lokalen Armee mit«, schloss Dominique ab. »Es sind Soldaten aus der Region. Sie kennen den Pass wie ihre eigene Hosentasche. Im Morgengrauen müssen Sie und Ihre Legionäre Stellung bezogen haben, und nun gehen Sie. Viel Soldatenglück!«

Noch in der gleichen Nacht verließen die Späher der ANT ihre Positionen und verschwanden wie Schatten im Pass. Die Legionäre, Mörser und schwere MGs auf ihren Schultern, folgten ihnen völlig lautlos und klar zum Gefecht. Rauchen und Licht waren verboten. Alle Quellen, die auch nur das geringste Geräusch verursachen konnten, wie gegeneinanderschlagende Essgeschirre oder klappernde Bajonette, wurden mit Lappen und Tüchern umwickelt. Wabinski wollte nichts dem Zufall überlassen. Alles, was er wollte, war kämpfen, aber zu seinen Bedingungen.

Im Pass war es still. Dunkel, kalt und still!

»Hier möchte ich nicht begraben liegen!« Es war Leutnant Polge. Er hatte sich neben Capitaine Wabinski niedergelassen und starrte regungslos in den dunklen Pass hinunter. Irgendetwas lauerte da vorne, doch er konnte das unbestimmte Gefühl, das ihn überkam, nicht mit Worten beschreiben.

»Ich weiß, was Sie meinen«, kam Wabinski ihm zuvor. »Aber was immer auch im Pass auf uns wartet, wir kriegen es bald raus. Sagen Sie Ihren Männern, sie sollen ab jetzt doppelte Wachsamkeit walten lassen.«

Der Leutnant nickte und verschwand. Einer nach dem anderen durchquerten die Kampfzüge vom Feind unbemerkt die tiefe Schlucht und gingen nördlich des Passes in Stellung. Gerade noch müde und verschwitzt, kroch nun die eisige Kälte in die Knochen der Legionäre. Sie waren plötzlich hellwach, doch der Abschnitt schien ruhig. Der erste Schuss fiel genau in dem Augenblick, in dem die ersten Sonnenstrahlen an ihren Kampfuniformen leckten. Sergent-chef Himmer vom Zug Polge bäumte sich auf und fluchte lautlos. Blut strömte aus einer hässlichen Wunde an seinem Arm und tropfte zu Boden.

Die Toubous waren erwacht!

Es gab kein Geschrei. Nur ihre Schüsse fielen mit einer erschreckenden Präzision. Sie nahmen sich alle Zeit der Welt, bevor sie am Abzug drückten, auch weil sie wussten, dass Munition etwas sehr Wertvolles war. Das galt besonders hier oben in den Bergen. Ihr privilegiertes Ziel waren die Gruppen- und Zugführer, die Funker, die MG-Schützen und Sanitäter. Obwohl die Legionäre das Feuer sofort erwiderten, gab es innerhalb der ersten Minuten bereits einige Verletzte in ihren Reihen. Capitaine Wabinski sah auf die Uhr. Vergeblich warteten er und seine Männer auf eine Fallschirmjägerkompanie der ANT. Diese sollte mit Hubschraubern anlanden und den Toubous in den Rücken fallen, damit die Legionäre bei erstem Tageslicht ihre Manöver durchführen konnten.

Als die Hubschrauber zu hören waren, fluchte Wabinski.

»Die Piloten müssen besoffen sein!«

Der Legionär, der neben ihm lag, konnte sich ein Lachen gerade noch so verkneifen.

»Klingt, als landen sie in Mongo«, sagte er und streckte mit einem schnellen Schuss einen unvorsichtig gewordenen Toubou nieder.

»Einer weniger, mon Capitaine.«

»Tot? «

»Kopfschuss«, bestätigte der Legionär.

Die Kompanie der ANT wurde viel zu weit vom Ziel entfernt angelandet. Es war absehbar, dass sie, der Sonne auf Gedeih und Verderb ausgesetzt, den ganzen Tag benötigen würde, um im schwierigen Gelände ihre geplante Ausgangsstellung zu beziehen. Den Legionären gelang es unterdessen nicht, die Toubous, die aus Grotten heraus das gesamte Gelände kontrollierten, zu übertölpeln. Ihre Lage wurde immer prekärer. Das änderte sich auch nicht, als die Toubous die Grotten verließen, um sich auf einem benachbarten Plateau in eine bessere Position zu bringen. Den Legionären wurden Munition und Wasser knapp. Die Sonne trug das ihre dazu bei, dass die Moral ihre ersten Kämpfe focht. Bevor die Nacht hereinbrach, heckte Capitaine Wabinski einen verwegenen Plan aus. Die Züge Polge und Brasseur sollten zurück in den Pass eilen, die Hänge auf der Südseite erklimmen und die Wüstenkrieger damit aus der Reserve locken. Es begann zu dunkeln, als der Zug Brasseur sich sammelte.

»Wir lassen alles zurück, was schwer ist und uns hinderlich sein kann!«

Leutnant Brasseur sah seine Legionäre der Reihe nach an. »Wer ein Handicap hat oder verletzt ist, bleibt hier.« Sein Blick blieb auf Hamann hängen. Der Deutsche wäre längst schon Unteroffizier, hätte er seinen Vorgesetzten gegenüber nicht immer so eine vorlaute Klappe.

»Wolltest du uns was sagen, Hamann?«

»Nun ja, wenn Sie mich schon fragen, mon lieutenant. Ich hab Durchfall, und zwar im Fünf-Minuten-Takt. Wenn mir das im Pass passiert, dann gute Nacht. Die Toubous riechen die Kacke auf einen Kilometer. Unser Auftrag wäre verpatzt.«

Die Legionäre, die um den Leutnant herumsaßen, grinsten.

»Guter Versuch«, antwortete der Leutnant. »Aber du kommst mit. Wenn das hier fertig ist, besorgen wir dir Windeln, sonst noch was?«

Hamann schüttelte den Kopf. Er hatte soeben eine Wette verloren. Kurz vor Mitternacht war er der Erste, der den Pass betrat. Ihn einmal durchquert, kletterten die Legionäre den steilen Südhang hoch und warteten, bis das erste Tageslicht ihnen eine bessere Sicht erlaubte.

Caporal Hamann, der ganz vorne lag, sah den Feind zuerst. Sofort legte er den Finger an seinen Mund und ballte die erhobene Faust. Es dauerte keine dreißig Sekunden, bis auch der letzte Schütze begriff, was vor sich ging. Vor ihren Augen, nur hundert Meter entfernt, lagen die Scharfschützen der Toubous. Sie hatten nichts bemerkt, starrten angestrengt in die entgegengesetzte Richtung.

»Wie hat der Alte das nur gerochen?«

»Schnauze, Hamann. Von links nach rechts nimmt jeder einen ins Visier, Feuer frei auf mein Kommando!«

Nach der ersten Salve gingen die Legionäre zum Angriff auf den völlig überraschten Feind über. Die Rebellen fielen, tot oder verwundet. Obwohl das Manöver aus der Luft von einer H-34 Pirate, ausgestattet mit einer Bordkanone 20 mm, unterstützt wurde, hatten auch die beiden Legionärs-Züge Verluste. Dauriac und Escobar sowie der Sergent-chef Kuckelkorn wurden im Feindfeuer schwer verletzt. Ludwig Kuckelkorn war ein erfahrener Kommando-Soldat, der erst im Jahr 1967 seinen Freifallerlehrgang absolviert hatte. Hier verwundet zu werden und seine Kameraden alleine weiterkämpfen zu lassen, schmeckte ihm gar nicht. Tags darauf wurden die letzten Feindelemente in den Grotten bei Goubone in unmittelbarer Nähe von Bardai aufgespürt, doch ihnen gelang die Flucht. Dabei ließen sie wichtige Dokumente und einen Teil ihrer schweren Waffen zurück. Danach herrschte einige Zeit lang Stille am Pass. Im November 1970 kam es zu einem letzten Einsatz. In der Region um Fada ereigneten sich teilweise schwere Gefechte, bei denen zwei Legionäre ihr Leben ließen. Zwölf Legionäre wurden verletzt. Die Gefechte bei Fada setzten den vorläufigen Schlusspunkt hinter die Abenteuer des 2. REP im Tschad. Das Regiment hatte insgesamt sieben Tote zu beklagen. Etwa hundert Legionäre wurden während des Einsatzes evakuiert. Entweder waren sie verletzt oder sie hatten sich eine im Land grassierende Virushepatitis eingefangen. Am 20. Dezember 1970 bestiegen die Paras die Maschinen, die sie nach Korsika, in ihre schöne Garnison in der Balagne zurückbrachten: Auftrag ausgeführt!


Rückkehr des 2. REP in den Tschad, im Dezember des Jahres 1990. Lybische Gefangene werden abtransportiert.

Die Fallschirmjäger der Fremdenlegion

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