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Über Anschan ging die Sonne auf. Der Palast des Königs lag auf einer Anhöhe und das erste wärmende Licht des Tages ließ ihn in all seiner Pracht erstrahlen. Für die Bewohner war dies seit Alters her Zeichen und Sinnbild für die Macht des Herrschers, der über sein Volk wacht und von der ewigen Sonne beschienen den Schutz der Götter erhielt.

Dies war so seit Anbeginn der Zeit und wird auch bis zum Ende aller Zeiten so sein. Seit Jahrtausenden wohnten Menschen in dieser Stadt und nichts lag näher, als diesen von den Göttern auserwählten Ort zur Hauptstadt zu machen.

Kambyses regierte das Königreich Anschan seit vielen Jahren. In seine Rolle als Vasall des Königs der Meder hatte er sich eingefunden. Schließlich war er nach außen hin selbständiger König, was natürlich entsprechende Ehre und Privilegien mit sich brachte. Andererseits genoss er als Mitglied der Konföderation der Meder auch deren Schutz. Auch wenn er als Perser die Meder eigentlich eher mied, war dies ein nicht zu unterschätzender, ja geradezu lebensnotwendiger Vorteil. Schließlich arrangierte man sich bereits seit vielen Jahren mit dieser Situation. Schon, als sein Großvater Teispes die Stadt Anschan eroberte und diese somit persisch wurde, gelang es nicht wirklich, die Oberherrschaft der Meder abzuschütteln, ebenso wenig wie seinem Vater Kyros. Jedoch hielten sich die Bemühungen, an diesem Zustand dauerhaft etwas zu ändern, auch in Grenzen.

Kambyses hatte eine kurze Nacht hinter sich, als die ersten Sonnenstrahlen in sein Schlafgemach fielen. Pochende Schmerzen ließen seinen Kopf im Rhythmus seines Herzschlags erbeben. Was war nur geschehen? Mühsam und unter Schmerzen versuchte er, sich umzudrehen, um den Sonnenstrahlen in seinem Gesicht zu entkommen. Vergeblich. Die Sonne von Anschan konnte auch Fluch sein. „Hee“, rief er stöhnend und unter Aufbringung aller Kräfte. „Hee, ihr Taugenichtse! Wo seid ihr?“ Die Tür zu seinem Schlafgemach öffnete sich augenblicklich und zwei seiner Diener stürzten herein. „Wieso sind die Vorhänge nicht geschlossen… oh, mein Kopf“, stöhnte er in sein Kissen. „Du hast es uns in der Nacht verboten“, rechtfertigte sich einer der Diener. „Du wolltest die frische Nachtluft genießen und hast uns weggeschickt.“ - „Was? Kann mich nicht erinnern…“ – „Und deine Kleider durften wir dir auch nicht ausziehen!“ – „Was??“ Erst jetzt bemerkte Kambyses, dass er noch sein festliches Gewand am Leib trug - zumindest Teile davon. Was hatte das zu bedeuten? Er versuchte sich zu erinnern, aber in seinem Kopf drehte sich alles.

„Lasst mich in Ruhe. Verschwindet – und zieht die Vorhänge zu… ich muss erst wieder klar denken können.“ Die Diener taten, wie Ihnen geheißen und verließen das Schlafgemach des Königs. Sie wussten, dass es keinen Zweck hatte, mit ihm in diesem Zustand sprechen zu wollen. Obwohl sie ihn daran erinnern mussten, dass sich für heute hoher Besuch angekündigt hatte.

Es war durchaus nicht ungewöhnlich, dass im Palast ausschweifende Feste gefeiert wurden. Kambyses war bekannt dafür, kein Kind von Traurigkeit zu sein. Die Tafeln waren immer reich gedeckt und der Wein floss in Strömen. Zu seinen Gästen zählten zumeist Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, hochrangige Beamte und Staatsbedienstete, Adlige und die Oberschicht der Gesellschaft aus Anschan. Man war stolz, zu einem Fest im Königspalast eingeladen worden zu sein. Zeigte dies doch, dass man gesellschaftlich anerkannt und etabliert war. Die Chancen auf eine Einladung stiegen zudem beachtlich, wenn man noch eine unverheiratete Tochter hatte. Dass der König bislang ebenfalls noch unverheiratet war machte ihn natürlich zu einem äußerst begehrten Objekt in der Damenwelt. Wer würde sich nicht gern „Königin von Anschan“ nennen? Also fieberte man förmlich dem nächsten Fest beim König entgegen, in der Hoffnung auf eine der begehrten Einladungen – und tat zwischenzeitlich alles, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. So schadete es sicher nicht, dem König von Zeit zu Zeit eine kostenlose Lieferung seines Lieblingsweins zukommen zu lassen, edle Gewürze oder Tee, gerne auch Seidenstoffe, aus denen sich beispielsweise Vorhänge fertigen lassen. Alles mit untertänigsten Grüßen von Familie soundso.

Doch in der Umgebung des Königs hat man noch keine Favoritin ausgemacht. Schon wird gemunkelt, er hätte gar kein Interesse an einer Hochzeit, gefiele ihm doch die Situation ganz gut, von zahlreichen heiratswilligen Damen hofiert zu werden. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass aus seiner Sicht einfach noch nicht die Richtige dabei war. Seine Zukünftige sollte tunlichst aus einem seinem Stand entsprechend gleichwertigem oder sogar höherem Haus kommen. Und dies war in Anschan naturgemäß schwierig.

Kambyses lag noch eine ganze Weile auf seiner Schlafstatt. So langsam kam die Erinnerung an das fröhliche Fest des vergangenen Abends zurück. Man hatte sich wohl prächtig amüsiert, viel gegessen und getrunken, es gab Musik und die Gäste schienen ebenfalls vergnügt gewesen zu sein – zumindest soweit er das zu beurteilen in der Lage war. Doch die Tatsache, dass er sich jetzt hier – und dies hatte er explizit überprüft - alleine befand, sagte etwas darüber aus, ob eine Dame anwesend war, die bezüglich seiner Heiratsabsichten in die engere Wahl gekommen wäre.

Nachdem er sich stöhnend und schnaubend aus dem Bett geschält, die Morgentoilette so gut es ging erledigt sowie seine Kleider gesucht, gefunden und angezogen hatte, war er wieder einigermaßen klar bei Sinnen. Hier machte sich durchaus der Trainingseffekt bemerkbar, der sich nach all den Festen bei ihm eingestellt hatte.

Er rief nach seinen Dienern, verlangte ein Frühstück und dass sein Gemach in Ordnung gebracht würde und startete in den Tag.

Als der König nun wieder ansprechbar war, trat sein Erster Diener zu ihm und erinnerte ihn an die Angelegenheiten, die heute anstanden. „Mein König“, begann er vorsichtig, die Stimmung des Königs prüfend. Als Kambyses zu ihm aufschaute, fuhr er fort. „Mein König, für heute hat sich der persönliche Vertraute von Astyages angesagt. Er ist noch auf dem Weg von Ekbatana hierher und wird um die Mittagsstunde hier sein.“ – „Weiß man inzwischen, was Harpagos will?“, fragte der König. Er war über den bevorstehenden Besuch durch einen Boten vorab informiert, jedoch nicht über dessen Begehr. Es hieß nur, er wolle mit dem König persönlich sprechen. „Nein, mein König. Es kam keine weitere Nachricht.“ – „Nun denn“, entgegnete Kambyses voller Tatendrang. „Bereitet ihm einen würdigen Empfang, es soll ihm an nichts mangeln, hörst du? Wir wollen bei Astyages doch im besten Licht erscheinen. Sagt mir Bescheid, sobald er mit seinem Gefolge angekommen ist und führt ihn dann zu mir.“ - „Ja, mein König“, entgegnete der Erste Diener und entfernte sich ehrerbietig.

„Harpagos, wie schön dich zu sehen!“ Kambyses begrüßte den Gesandten des Mederkönigs wie einen guten alten Bekannten. Tatsächlich kannten sich die beiden bereits von mehreren Zusammenkünften der Konföderation. Kambyses hatte sich dabei stets loyal gegenüber Astyages verhalten. Die beiden Könige schätzten sich und respektierten einander. Es bestand durchaus ein gewisses Vertrauensverhältnis, wobei natürlich jeder auch immer die Interessen seines eigenen Landes im Blick hatte. Harpagos teilte die Einschätzung seines Königs in Bezug auf Kambyses, auch er hielt ihn – im Gegensatz zu anderen Stammesfürsten des Mederreichs – für vertrauenswürdig. Und er hatte bekanntlich eine gute Menschenkenntnis.

„Kambyses, es ist mir eine große Freude und Ehre, von dir empfangen zu werden. Möge Ahura Mazda seine schützenden Hände immer über dir halten.“

Die beiden umarmten sich voller Freude. „Harpagos, sag, hast du schon gegessen? Hat man dich gut versorgt?“ – „Ja, deine Küche hat nichts von ihrem Ruf eingebüßt. Es war außerordentlich schmackhaft. Wir haben uns – unter uns gesagt – die Bäuche vollgeschlagen, fast war es zu viel des Guten.“ Kambyses lachte. „So soll es sein. Es freut mich, wenn es euch schmeckt. Hattest du eine angenehme Reise?“ Kambyses und Harpagos unterhielten sich eine Weile über Allgemeines und tauschten Neuigkeiten aus, über die politische Lage aber auch über Persönliches. „Und was macht die Liebe?“, fragte Harpagos wie beiläufig. „Gibt es Neuigkeiten zu berichten?“ - „Ach“, seufzte Kambyses. „Ich glaube, ich werde eines Tages als einsamer Junggeselle sterben. Es gibt so viele hübsche Mädchen in Anschan, aber keine will so recht zu mir passen. Was ich auch anstelle, keine schafft es, mich wahrhaft einzunehmen. Vielleicht bin ich zu wählerisch, aber die Mutter meiner Kinder soll etwas ganz Besonderes sein. Schließlich soll sie mir ja einen Thronfolger schenken, der dieser Aufgabe eines Tages auch gewachsen ist. Und eine solche ist mir bislang noch nicht begegnet.“ Kambyses wirkte in diesem Moment fast etwas niedergeschlagen, sodass Harpagos den Moment für gekommen ansah. „Kambyses“, begann Harpagos beinahe verschwörerisch, „was würdest du sagen, wenn ich die Lösung für dein Problem hätte?“ Kambyses sah ihn fragend an. „Was meinst du?“ – „Nun, wie du weißt komme ich ja im Auftrag von Astyages“, fuhr Harpagos fort. „Und wie du auch weißt, hat Astyages eine Tochter - .“ Harpagos machte eine gedankenvolle Pause, um Kambyses die Möglichkeit zum Nachdenken zu geben. „Ja? Und?“ - „Eine sehr hübsche Tochter. Mandane.“ Pause. „Ja?? Und??“ Kambyses stand auf dem Schlauch. Er wusste nicht, was Harpagos sagen wollte. Womöglich hatte er die vergangene Nacht doch noch nicht ganz verkraftet. „Mein Gott“, entfuhr es Harpagos, „du bist doch sonst nicht so schwer von Begriff. Astyages sucht einen Mann für Mandane! Und er denkt dabei an dich!“ Pause. In Kambyses‘ Kopf drehte sich erneut alles. Er verstand nicht, was das zu bedeuten hatte. Er starrte Harpagos nur mit offenem Mund an. „Wie?!? Was?... Wie, Mann für Mandane… Du meinst, er will mir Mandane zur Frau geben?“, stammelte Kambyses. „Er hat’s kapiert“, sagte Harpagos wie zu einer unsichtbaren Person.

Kambyses versuchte, seine Gedanken zu sortieren. „Ja, ich kenne Mandane von meinen Besuchen in Ekbatana. Das ist aber nun auch schon ein paar Jahre her. Da war sie aber fast noch ein Kind.“ Kambyses versuchte, sie sich vorzustellen. „Sie war ein aufgewecktes Mädchen. Sehr wissbegierig und klug. Ich erinnere mich gut. Und in der Tat, sie war schon damals auffallend hübsch.“ – „Ja. Und in der Zwischenzeit ist sie zu einer jungen Frau herangewachsen und im heiratsfähigen Alter“, fügte Harpagos hinzu. „Meinst du aber nicht, dass ich bereits zu alt für sie bin?“, gab Kambyses zu bedenken, „Ich könnte ja fast ihr Vater sein.“ „Nein, keineswegs!“, entgegnete Harpagos. „Du bist auf dem Höhepunkt deiner Schaffenskraft und sie ist die Frau, die dir einen Nachfolger schenken kann. Und außerdem bedenke: sie ist die Tochter des Astyages. Du würdest dadurch beträchtlich an Macht und Ansehen dazugewinnen. Schließlich ist Astyages nicht irgendjemand. Er ist der König der Meder, er herrscht über viele Stämme. Du bist – mit Verlaub, ohne dir zu nahe treten zu wollen – König von Anschan.“

Da war sie wieder. Diese unvergleichliche Fähigkeit des Harpagos, Menschen zu überzeugen und zu motivieren. Er traf Kambyses an genau der richtigen Stelle: an seiner Ehre. In der Tat gefiel ihm dieser Gedanke, Astyages zum Schwiegervater zu haben. Böte ihm das doch ungeahnte Möglichkeiten. Die Aussicht, diesen vielleicht eines Tages auf dem Thron zu beerben. Seine Stellung innerhalb der Konföderation würde deutlich herausgehobener sein. Zudem eine schöne Frau an seiner Seite. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr gefiel ihm diese Vorstellung. Ein Lächeln zog über sein Gesicht. Harpagos, der ihn die ganze Zeit beobachtete, spürte förmlich die Gedanken, die Kambyses durch den Kopf gingen. Und er lächelte ebenfalls.

Kyros und das große Land

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