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Wozu sind Methoden da?

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Methode: ein bewährter Weg

Eine plan- und ziellose Suche nach den Sinnpotentialen eines Textes ist selten von Erfolg gekrönt – man sollte über die Suche nach Sinn in einem Text gründlich nachdenken. Wer so seinen „Weg“ (griechisch: οδός, hodos) der Sinnsuche reflektiert, arbeitet bereits methodisch. Als Methode bezeichnet man also eine erprobte und reflektierte Vorgehensweise, gleichsam eine „Wegbeschreibung“, wie man etwas herausfindet.

Stichwort

Methode

„Methode, literaturwissenschaftliche (gr. méthodos: der Weg auf ein Ziel hin), allgemein] bezeichnet M[ethode] ein planvoll eingesetztes Mittel zur Realisierung eines Ziels bzw. ein systematisches Verfahren zur Lösung einer gestellten Aufgabe.“ (Winko, Simone: Art. Methode, literaturwissenschaftliche, in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, 5. Auflage 2013, 521).

Für die Exegese gibt es eine ganze Reihe von Methoden, um die Sinnpotentiale eines biblischen Textes herauszufinden und den Lektüreprozess zu reflektieren. Diese Methodenschritte stehen in einer bestimmten Reihenfolge, die sich aus nachstehenden Überlegungen ergibt.

Drei Intentionen

Da Texte keine beliebigen Zufallsprodukte sind, stecken in ihnen und im Umgang mit ihnen immer drei bestimmte Zielgerichtetheiten oder Intentionalitäten. (1) Zum einen verfolgt(e) der menschliche Autor des Textes eine bestimmte Absicht, die sich in seinem Werk niedergeschlagen hat (die intentio auctoris nach U. Eco). Waren im Laufe der Entstehungsgeschichte des Textes mehrere Verfasser, Abschreiber, Ergänzer und Redaktoren an der Produktion beteiligt, kann es sein, dass sich im Text mehrere Intentionen, vielleicht sogar in widersprüchlicher Weise, spiegeln. Die Suche nach der Absicht des oder der Autoren entspricht der Fragerichtung nach der Entstehungsgeschichte des Textes.

(2) Zum anderen aber kann eine Leserschaft in einem Text weit mehr an Sinn entdecken, als ein Autor hineingelegt hat. Der Text als gespeicherte Sprechhandlung wird zu einer eigenständigen Größe, zu einem ästhetischen Subjekt, zu einem Kunstwerk, das von seinem Urheber („Autor“) unabhängig ist (vgl. H. Utzschneider, Gottes Vorstellung, 73). Deswegen heißt Lesen auch, Vermutungen über Intentionen (Absichten) des vorliegenden Textes (intentio operis nach U. Eco) anzustellen. Grundlage dieser Vermutungen sind textinterne Merkmale, also Strategien im Text auf formaler und inhaltlicher Ebene, die eine bestimmte Deutung nahelegen bzw. die Leserschaft in eine bestimmte Richtung bewegen wollen.

(3) Und schließlich hat der Text nach seiner Fertigstellung im Laufe der Geschichte Wirkungen dahingehend entfaltet, dass Menschen ihn immer wieder aufgegriffen haben: sei es, dass sie ihn in neuen Texten zitiert oder auf ihn angespielt haben, sei es, dass sie ihn als Grundlage für Kunstwerke der Musik, der bildenden Kunst, der Lyrik, der Dramatik oder der Epik verwendet haben. Vergangene und heutige Leser verfolgen mit der Rezeption des Textes eine bestimmte Absicht (intentio lectoris nach U. Eco).

Stichwort

Intentionen und beteiligte Personen

intentio auctoris die Intention des Autors, der Autoren usw. Absichten der an der Textproduktion beteiligten Personen im Laufe der Textentstehung
intentio operis die Intention des Textes Textstrategien (Strukturen, Inhalte, Sprechakte usw.), die potentielle Rezipienten (auch: Modell-Leser) in eine bestimmte Richtung lenken wollen
intentio lectoris die Intention der Leserschaft Absichten von Leserinnen und Lesern im Rezeptionsprozess im Laufe der Wirkungsgeschichte des Textes

Vom Sicheren zum Unsicheren

Um für die Auslegung eine verlässliche Basis zu erhalten, ist es sinnvoll, vom Sichereren auszugehen und sich von da aus zur Untersuchung des Unsichereren vorzutasten. Mehr oder weniger sicher ist der vorliegende Text als gegebene Größe. Weitaus unsicherer sind die Mutmaßungen über seine Entstehungsgeschichte in immer fernerer Vergangenheit oder über die vielen verschiedenen Rezeptionsweisen, in die nicht immer nur die Intentionen von Text und Autor eingegangen sind, sondern auch die Interessen der Leserinnen und Leser. Sie haben mitunter den Text nicht nur interpretiert, sondern auch benutzt, gebraucht und vielleicht auch manchmal missbraucht.

Zitat

„Zwischen der geheimnisvollen Geschichte der Hervorbringung eines Textes und der unkontrollierbaren Abdrift seiner zukünftigen Interpretation ist der Text als Text eine beruhigende Gegenwart, ein Parameter, an den man sich halten kann“ (U. Eco, Grenzen, 168).

Abfolge der Methodenschritte

Aus diesen Überlegungen sowie im pragmatischen Blick auf die Zielgruppe des Lernbuchs ergeben sich eine Auswahl und eine logische Abfolge der Methodenschritte, die im Folgenden genauer dargelegt werden.

Herangehensweisen, die den Text in seiner vorliegenden Gestalt und seine mutmaßlichen Intentionen (auch: Sinnpotentiale) untersuchen, bilden in diesem Lernbuch den Schwerpunkt. Schwierigkeiten im Verstehen eines Textes können Ansatzpunkte für Vermutungen über eine komplexere Entstehungsgeschichte darstellen. Darüber hinaus feststellbare Voraussetzungen, die der Text hinsichtlich seiner kulturellen Enzyklopädie (sein geschichtliches Umfeld, politische und soziale Gegebenheiten, Wissensinhalte und -lücken usw.) von seiner Leserschaft abverlangt, verweisen darauf, dass die historische Rückfrage nach der Entstehungsgeschichte und der geschichtlichen Verankerung nicht vernachlässigt werden darf. Gleichwohl handelt es sich hier um fortgeschrittene Studien, die auf dem Niveau dieses Lernbuches nur durch den Verweis auf entsprechende Sekundärliteratur angedeutet werden können. – Die Wirkungsgeschichte bleibt in diesem Lernbuch ausgeklammert und sei nur als Option genannt.

Textsicherung

Fokussiert man auf der Basis der bisherigen Überlegungen den vorliegenden Text als Text, so ist dieser als Untersuchungsgegenstand zunächst zu sichern: Was ist die Grundlage der weiteren Arbeit? Zu dieser Textsicherung gehören mehrere Schritte, in denen der zu untersuchende Text genauer festgelegt und übersetzt bzw. eine vorhandene Übersetzung ausgewählt wird. Zudem werden die Textüberlieferung und die Kohärenz des Textes geprüft (Text- und Literarkritik).

Textindividualität

Ist man dann so weit, den aufbereiteten und übersetzten Text näher ins Auge zu fassen, so hat dieser zwei Aspekte: Struktur und Inhalt. Die Struktur als äußere Form steht klarer und zugänglicher vor dem Auge des Betrachters und ist damit das Sicherere als der in der Struktur ausgedrückte Inhalt. Nach dem Prinzip „vom Sichereren zum Unsichereren“ steht daher die Analyse des Aufbaus des Textes (Strukturanalyse) vor der Betrachtung seines Inhalts. Freilich handelt es sich um einen Untersuchungsgegenstand, bei dem Form und Inhalt zweifellos zusammenhängen. Doch durch die analytische Trennung der Beschreibung der Struktur (äußere Form) von der Beschreibung des Inhalts (Aussage-, Handlungs- und Wirkgehalt) und die Untersuchung in dieser Reihenfolge wird eine mögliche Gefahr verhindert: Man vermeidet so, dass voreilige Mutmaßungen über die „Aussage des Textes“ aus einer schnellen Erstlektüre, die möglicherweise noch von eigenen Leserinteressen (intentio lectoris) beeinflusst ist, alles Weitere überdecken und man dann nur das aus dem Text herausliest, was man immer schon wusste oder gern gelesen haben wollte.

Texttypik

Hat man bisher nur den einzelnen Text als solchen (als „Individuum“) betrachtet, so schließen sich weitere Schritte an, die über den Text hinausblicken: Was hat der Text mit anderen Texten im gleichen Überlieferungskontext „Bibel“ gemeinsam? Was ist also daran typisch (Texttypik)? Hat man das mit anderen Texten Gemeinsame erkannt, zeigt sich das Individuelle des Untersuchungstextes deutlicher. Außerdem lassen Gemeinsamkeiten mit anderen Texten Vermutungen über literarische und motivliche Abhängigkeiten und damit auch entstehungsgeschichtliche Zusammenhänge zu. Damit wird es möglich, den mutmaßlichen Platz des Textes in der Literargeschichte der Bibel zu bestimmen.

Kontextualisierung

Sodann ist auszuwerten, dass der zu analysierende Text schon sehr früh in einem größeren Umfeld überliefert wurde und heute in einem größeren Zusammenhang mit anderen Texten steht, den man landläufig „Bibel“ nennt: In welchen Kontext ist der Untersuchungstext eingebettet, welche intertextuellen Bezüge hat er zu anderen Texten, und was bedeutet das alles für das Verstehen des Textes, für seine Exegese? Abschließend bündelt eine zusammenfassende Interpretation die Essenz der verschiedenen Betrachtungen auf struktureller und inhaltlicher, auf individueller und typischer Ebene.

Stichwort

Methodenabfolge

Textsicherung der Text Festlegung des Untersuchungsgegenstandes, Übersetzung, Text- und Literarkritik
Textindividualität die äußere Form Strukturanalyse (Aufbau/Gliederung, Zusammenhänge von Abschnitten, Personen, Orte, Zeiten, Redeweisen usw.)
der Inhalt Inhaltsanalyse (Aussagegehalt, Sprechhandlungen, Pragmatik)
Texttypik typische Formen typische Inhalte diachrone Fragen Gattungen Motive und Themen Traditions-, Überlieferungs- und Redaktionskritik
Kontext Kontexteinbettung die unmittelbare Umgebung des Textes
Biblische Auslegung intertextuelle Vernetzungen und ihre Bedeutungen
Ergebnis zusammenfassende Interpretation Bündelung und Zusammenschau der wichtigsten Ergebnisse aus den Analysen

Die in dieser Übersicht genannten Methoden (Methodenschritte) werden in diesem Lernbuch besprochen – sie stellen aber das Spektrum der Bibelwissenschaft nicht erschöpfend dar. Es geht zunächst um einen pragmatischen Kompromiss für das Machbare innerhalb des Theologiestudiums und in der späteren Tätigkeit als Theologin/Theologe. Hier liegt aber auch die Basis, auf der jemand aufbauen kann, der die Bibelwissenschaft vertiefen möchte.

Methoden alttestamentlicher Exegese

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