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Der Austausch der üblichen Höflichkeitsrituale dauerte nicht lange. Börner war viel zu überrascht, und Bremminger wusste, dass er irgendwann eine plausible Erklärung für seinen Besuch geben musste und genau das nicht konnte. Außerdem war auch er überrascht. Börner hatte sich in den letzten Jahren sehr verändert.

Noch immer hatte er ihn in Erinnerung, wie der jeden Tag ins Büro gekommen war. Meistens zwar mit einer ziemlichen Fahne, aber letztlich doch wie ein lieber kleiner Junge, den man einfach gern haben und dem man helfen musste. Und selbst bei dieser unseligen Sache vor fast vier Jahren, als sich Börner in den Fall Neubauer eingemischt hatte und dabei fast draufgegangen war, hatte ihn gerade Börners offensichtliche Hilflosigkeit sofort dazu gebracht, alles für den Jungen zu tun. Alles.

Und nun gab es diesen Jungen nicht mehr.

"Du hast dich sehr verändert", sagte Bremminger.

"Du dich gar nicht."

"Doch", rief Bremminger mit aufgesetzter Fröhlichkeit. "Seit gestern bin ich Hauptkommissar a.D." Er betonte a.D.

"Glückwunsch!", sagte Börner und hängte seine Jacke zurück an die Garderobe. "Oder was sagt man in solchen Fällen?"

"Weiß ich auch noch nicht", gab Bremminger zu. "Vielleicht eher Beileid."

Dann forderte Börner ihn auf abzulegen und bat ihn ins Wohnzimmer. "Nimm doch Platz."

Noch einmal verschafften ihnen die üblichen Phrasen und Rituale eine kurze Verschnaufpause: "Kann ich dir etwas anbieten? Und entschuldige bitte, dass die Wohnung so unaufgeräumt ist." Dann nahm Bremminger ein Bier, sagte, dass es bei ihm zu Hause auch oft so aussehe, Börner glaubte das natürlich nicht, sammelte scheinbar wahllos im Zimmer verstreute Gegenstände und warf sie kurzerhand durch die Schlafzimmertür auf sein Bett.

"Lange nicht gesehen", sagte er dann, nur um etwas zu sagen, und fand seine Bemerkung selber wenig geistreich, während Bremminger es schaffte, unverschämt lange mit dem Öffnen seiner Bierflasche beschäftigt zu sein.

"Es war nicht meine Schuld," antwortete Bremminger. "Du hast damals nicht mehr mit mir reden wollen."

Das stimmte allerdings. Er hatte es damals abgelehnt, noch einmal mit Bremminger zu sprechen. "Es tut mir leid", sagte er leise und wusste sofort, dass das höchstens die halbe Wahrheit war.

Mit Interesse hatte er zugesehen, wie Bremminger das ganze Glas mit einem Zug geleert hatte und es nun wieder füllte. Schon als Bremminger zur Türe herein gekommen war, hatte er dessen Alkoholfahne bemerkt. Nicht besonders stark. Wahrscheinlich war es ihm überhaupt nur aufgefallen, weil er Bremminger noch nie hatte trinken sehen. Ohne zu fragen stellte er eine neue Flasche neben Bremminger auf den Tisch.

"Tut es dir wirklich leid?"

"Nein", sagte Börner, und obschon ihn die Frage überrascht hatte, klang seine Stimme entschieden.

"Warum sagst du es dann?"

"Man sagt es halt."

Bremminger lachte plötzlich los. "Ach Richard, lass uns doch jetzt diesen ganzen Unsinn vergessen." Wieder trank er sein Glas mit einem Zug leer. "Ich habe heute Abend meinen Ausstand gegeben und etwas getrunken. Aber ich bin schließlich von meiner eigenen Feier weggegangen, weil du nicht da warst."

Und dann herrschte plötzlich eine Stille, die immer unerträglicher wurde, bis sie endlich ein Thema gefunden hatten, über das sie miteinander reden konnten. Sie sprachen plötzlich von früher, als wäre Börner immer noch Beamter der Gelsenkirchener Kripo. Dann nahm auch Börner noch ein Bier, Bremminger traute sich sogar ein paar Korn zu, weil er doch heute den ersten Tag als Pensionär erlebte. Zwischenzeitlich hatte Börner im Kursbuch nahchgesehen: Es fuhr noch ein Zug um 23 Uhr 17, und das war mittlerweile zu knapp; dann fuhr noch ein Zug um eine Minute nach Mitternacht, und da der ohnehin erst um kurz nach halb eins in Dortmund eintreffen würde, zog Börner es vor, vorsichtshalber seine Alkoholbestände zu überprüfen. Er kehrte zufrieden ins Wohnzimmer zurück. Was das anbelangte, konnte es ein langer Abend werden.

Dann war endlich Schalke 04 Thema. Nun waren die Schalker also sogar in der 2.Liga schon auf dem vorletzten Platz gelandet! Und natürlich würden sie auch in Osnabrück morgen die Hucke vollkriegen! Nachdem sie Schalke 04 schließlich in sämtlichen Höhen und Tiefen durchdiskutiert und dabei noch einige Flaschen Bier vernichtet hatten, wiederholte Bremminger plötzlich sein aufrichtiges Bedauern darüber, dass Börner nicht zu seiner Abschiedsfeier erschienen war.

"Ich war doch gar nicht eingeladen. Und selbst wenn du mich eingeladen hättest, dann wäre ich nicht gekommen."

Für einen Augenblick befürchtete Börner, die Endgültigkeit dieser Aussage könnte Bremminger verletzt haben; aber der schien das Spiel nun auf die Spitze treiben zu wollen. "Ja sicher warst du eingeladen!", rief er, und seine Stimme sollte wohl Erstaunen darüber zum Ausdruck bringen, dass jemand eine Selbstverständlichkeit anzweifeln konnte. Börner sah Bremminger direkt an, aber nun gab selbst ihr kurzer Blickkontakt keinen Hinweis mehr darauf, dass Bremminger log. Und plötzlich spürte Börner, wie die Wut ganz langsam in ihm hochkroch.

"Ich habe dem Hebemann gesagt, er soll allen Bescheid sagen."

"Dem Hebemann?" fragte Börner und sah Bremminger höhnisch grinsend an.

"Hat er dir etwa nichts gesagt?"

"Hast du das etwa erwartet?"

"Ja sicher", sagte Bremminger schnell und wich Börners Blick aus.

Es war nun ganz offensichtlich, dass Bremminger nicht die Wahrheit sagte; vor allem wusste er, dass Börner sein Theaterspiel längst durchschaut hatte. Börner war bemüht, die Peinlichkeit der Situation zu beenden, und deshalb sagte er einfach die Wahrheit. "Ich will dir sagen, weshalb Hebemann mich nicht eingeladen hat. Milewski wird ihn ganz einfach vor die Alternative gestellt haben: Entweder der Börner oder ich. Ist doch ganz klar."

"Ach was! Das siehst du wirklich ganz falsch."

"Das sehe ich ganz richtig." Börner musste sich zusammenreißen. "Aber ich habe doch auch gar nichts dagegen, dass Milewski so denkt und Hebemann tut, was der will. Ich arbeite schließlich nicht mehr bei euch."

Als Bremminger dann noch einen Versuch unternehmen wollte, Börners Behauptungen als bedauerliches Missverständnis vom Tisch zu wischen, ging plötzlich alles ganz schnell. Börner lief in den Korridor, und als er zurückkam, knallte er den Telefonapparat vor Bremminger auf den Tisch. "In welcher Kneipe ward ihr?"

Bremminger war so überrascht, dass er spontan den Namen nannte, und in ein paar Sekunden hatte Börner die Rufnummer im Telefonbuch gefunden. Dann sah er auf seine Armbanduhr. "Es ist jetzt kurz vor elf. Die sitzen natürlich noch da und lassen sich auf deine Kosten voll laufen. Du rufst jetzt den Hebemann an, tust so, als wenn du zu Hause wärst, und dann fragst du, warum er mich nicht eingeladen hat."

Bremminger sah Börner entgeistert an. "Du bist ja völlig verrückt!", meinte er schließlich und schob das Telefon ärgerlich zur Seite.

"Wenn du jetzt nicht anrufst, Günter, dann wäre es besser, du wärst heute Abend gar nicht erst gekommen.“ Börner nahm den Hörer ab und wählte die Nummer. "Und wie ich dich kenne, willst du es doch selber auch genau wissen." Deutlich war das gleichmäßige Tuten des Apparates zu hören. Fassungslos nahm Bremminger den Hörer.

Hebemann war tatsächlich noch da, und plötzlich war Bremmingers Fassungslosigkeit verflogen. Er bedankte sich bei dem Kollegen, weil der alles so toll arrangiert hatte, bat noch einmal um Verständnis dafür, dass er selber schon so früh habe gehen müssen; es sei aber in der letzten Zeit alles einfach zuviel gewesen für ihn, schließlich sei er nicht mehr der Jüngste. Und dann stellte er die Frage nach Börner.

Je mehr sich Hebemanns Antwort ganz offensichtlich in die Länge zog, um so deutlicher konnte Börner die Veränderung in Bremmingers Gesicht sehen. Ohne noch ein Wort zu sagen, legte Bremminger schließlich den Hörer auf. "Es tut mir leid", sagte er leise.

"Es braucht dir nicht leid zu tun. Ich habe doch gesagt, ich wäre ohnehin nicht gekommen."

Bremminger nickte langsam und wirkte plötzlich sehr müde. "Ja eben. Das habe ich auch gewusst."

Nach diesem Vorfall wollte ihnen eine Rückkehr zu unverfänglichen Themen nicht mehr gelingen, und nur wenig später wollte Bremminger nach Hause. Börner half ihm in den Mantel und fragte, ob er ein Taxi rufen solle. Bremminger lehnte ab. "Lass mal, ich muss noch einen Augenblick an die frische Luft."

"Hast du etwas dagegen, wenn ich dich noch ein Stück begleite?"

Bremminger hatte nichts dagegen; aber es war Börner nicht entgangen, dass Bremminger eine ganze Weile mit der Antwort gezögert hatte. "Wie geht es Milewski denn eigentlich?", fragte er, als sie die Wohnung verlassen wollten.

"Ich glaube, ganz gut. Seine Frau ist schwanger. Siebter Monat."

"Ach, Ingrid ist mal wieder schwanger?"

Bremminger blieb in der geöffneten Tür stehen und sah Börner überrascht an. "Wieso denn wieder schwanger? Ist doch das erste Kind."

"Ach nur so", sagte Börner schnell und zog die Wohnungstür zu. "Es war dumm von mir. Vergiss es!"

Dann verließen sie das Haus.

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