Читать книгу Der Dresche, die Krieg und der Pest - Thomas Häring - Страница 10
Lebenslaufverfolgungen
ОглавлениеIn der Kürze lag und liegt bekanntlich schon zu allen Zeiten die Würze und um dem auch gerecht zu werden, hier in aller Schnelle die zusammengefaßten Lebensläufe unserer Protagonisten. Beginnen wir an dieser Stelle besser mit dem unscheinbaren Manfred Dresche, bevor wir den versehentlich noch vergessen. Sein Vater hatte sein Leben sehr lange geprägt, einmal hatte Manni zurückgeschlagen, doch das hatte er bitter bereut. In der Schule war er ein unauffälliger Mitläufer gewesen, später hatte er sich als gesichtsloser Mitsäufer etabliert und alles in allem geschah in seinem ereignislosen Leben nicht viel. Er machte eine Lehre und fühlte dabei in sich eine tiefe innere Leere, die er einfach nicht zu füllen vermochte. Ältere Frauen warfen bald ein Auge auf ihn, denn er erweckte in ihnen den Mutterinstinkt. Seine allererste Freundin war weder klein noch schmächtig, sondern groß sowie fett und sie fühlte sich prächtig. Sie behandelte Manfred wie ihren Laufburschen, doch da sie ihn nicht schlug, fehlte ihm irgendwas. Nichtsdestotrotz hielt jene Beziehung einige Jahre lang, aber nach seiner Ausbildung hatte er gleich die Firma gewechselt und seine neue Chefin hatte sich unsterblich in ihn verliebt. Manni war ein Pragmatiker; wer ihn bezahlte, war rund um die Uhr sein Boß, so sah er das jedenfalls und deswegen trennte er sich von der Dicken und trieb es fortan mit seiner Vorgesetzten. Die wollte unbedingt ein Kind von ihm, allerdings hielt er sich selber noch für ein halbes Kind, weshalb er brav verhütete, damit es zu keinem Verkehrsunfall kommen konnte. Er war Sachbearbeiter, kein Dingficker wohlgemerkt und er war so durchschnittlich, daß er auch an seinem Arbeitsplatz weder angenehm noch unangenehm auffiel. Jener Manfred Dresche war ein stinknormaler Durchschnittstyp und nachdem seine Chefin das Interesse an ihm für immer verloren hatte, schlug er sich als Single durchs Kleinstadtleben. Na ja, zugegeben, in seinem Fall keine besonders glückliche Formulierung, denn ihn schlug ja niemand mehr und das vermißte er außerordentlich, auch wenn er sich dessen halt nicht bewußt war. Um seine nach wie vor vorhandenen Triebe zu befriedigen, besuchte er oft Bordelle, doch er merkte schnell, daß er dort nicht wirklich eine Auswahl hatte. Außerdem störte es ihn, daß man ihn in der Gegend schon kannte und er deshalb nicht unauffällig rumhuren konnte. Er stand nicht gern im Rampenlicht, am liebsten blieb er unbeobachtet und so kam es, daß er bald damit begann, einmal im Monat nach Hamburg zu reisen, um dort auf der Reeperbahn von St. Pauli die Puppen bis in die Puppen tanzen zu lassen.
Chantal hatte die Pubertät ausgiebig zelebriert und nach deren Ende fühlte sie sich doch ziemlich desillusioniert. Sollte es das wirklich schon gewesen sein? Die meisten Kerle hatten sich von ihr abgewandt, denn die wollten plötzlich eine richtige feste Freundin und das bedeutete natürlich auch, daß sie die Kriegerin fortan mieden, um ja keine Probleme mit ihrer neuen Alten zu bekommen. Aber die Zeit der Enthaltsamkeit fand zum Glück ein sehr schnelles Ende, denn auf einmal kamen die jungen Männer zwischen 20 und 40 auf unsere süße Schnuckimaus mit dem schwierigen Charakter zu, was bedeutete, daß es so fröhlich weiterging wie vorher. Geld hatte Frau Krieg mehr als genug, von daher brauchte sie nicht arbeiten und ihre Eltern waren so froh darüber, das junge Ding endlich aus dem Haus zu haben, daß sie ihr monatlich 10000 Euro überwiesen, mit denen sie gerade so über die Runden kam. Viele Männer verfielen ihr total, doch sie verliebte sich in keinen Einzigen von denen, da jene für sie nichts weiter als nur Kurzzeitbettgefährten waren, mit denen Frau ein bißchen Spaß haben konnte. Unzählige gebrochene Herzen blieben da verzweifelt am Wegesrand zurück, aber Chantal war das scheißegal, denn sie dachte oft nur an sich selbst und konzentrierte sich einzig und allein auf ihre eigenen Bedürfnisse. Irgendwann traf sie zufällig auf den Herrn Pfarrer, welcher ihr einen sehr tadelnden Blick zuwarf. "Was ist denn los, Herr Darfnicht?" fragte sie unschuldig. "Ich heiße Willnicht und das weißt Du ganz genau, Du verzogenes Luder. Ich weiß, daß es eigentlich keinen Sinn macht, Dir Hobbynutte ins Gewissen zu reden, Du Lolita für Arme, aber ich werde es jetzt trotzdem versuchen. Wie Du vielleicht weißt, kommen einige Leute zu mir zum Beichten, wenn auch leider in viel geringerer Anzahl als früher. Jedenfalls habe ich dabei Sachen erfahren, lauter Dinge, die ich eigentlich überhaupt nicht wissen will, aber darauf nehmen diese unverschämten Sünder ja bedauerlicherweise keine Rücksicht. Du hast schwere Schuld auf Dich geladen, unzählige Ehen zerstört, viele Beziehungen zerbrochen und jede Menge unglücklich verliebte junge Männer in den Freitod getrieben. Das muß nun endlich ein Ende haben. Ändere Dich oder zieh in eine Großstadt, wo Du noch viel mehr Opfer finden wirst und weitaus größeren Schaden anrichten kannst als hier!" verlangte der Geistliche. Da stürzte sie sich auf ihn, drückte ihm einen dicken Kuß auf die Wange, verzichtete ausnahmsweise darauf, ihren Schwanzgriff einzusetzen und verabschiedete sich daraufhin fröhlich. Chantal zog nach Hamburg und trieb fortan dort ihr Unwesen.
Ganz anders verlief das Leben von Frieder Pest. Er hatte tolle Noten, war ein Muster an Korrektheit sowie Freundlichkeit und seine Mitmenschen mochten ihn, auch wenn er immer etwas distanziert rüberkam. Auf das Gymnasium folgte ein Jurastudium an einer Universität und als die Bürgerliche Partei Deutschlands (BPD) mal bei ihm anklopfte, da überlegte er nicht lange und wurde Berufspolitiker. In seiner Karriere ging es sehr schnell bergauf. Zwar war er anfangs nur ein recht unbekannter Stadtrat und Ortsvorsitzender der hiesigen BPD, doch das änderte sich rasch. Frieder Pest kam gut an beim Wahlvolk und er war ein fleißiger sowie hartnäckiger Arbeiter, dem keine Überstunde zuviel war. Es dauerte nicht lange, bis auch sein Parteivorsitzender auf ihn aufmerksam wurde und der brachte ihn als Staatssekretär im Innenministerium in der Bundesregierung unter. Seine Eltern waren unheimlich stolz auf ihn, wenngleich ihnen sein echt raketenhafter Aufstieg irgendwie auch immer ein wenig unheimlich vorkam. Frieder Pest störte das aber kein bißchen, denn er blieb anständig, loyal und hilfsbereit, so daß es nicht lange dauerte, bis er sogar deutscher Verkehrsminister wurde. Privat lief natürlich auch alles, wie wohl nicht anders zu erwarten, hervorragend. Er hatte früh geheiratet und konnte mittlerweile eine Familie mit Frau sowie zwei Kindern sein eigen nennen. Ein Haus hatte er auch schon bauen lassen und so klappte alles ganz hervorragend. Als Verkehrsminister machte er sich allerdings erstmals so richtig unbeliebt, denn er veranlaßte, daß alle Autofahrer über 75 regelmäßig einen Fahrtest zu absolvieren hatten. "Das dient alles nur deren eigener Sicherheit sowie selbstverständlich auch jener der übrigen Verkehrsteilnehmer", pflegte er zu verkünden, wenn er darauf angesprochen wurde. Gegen jenes Totschlagargument, das zur Folge hatte, daß es weitaus weniger Tote auf den deutschen Straßen gab, konnte natürlich niemand ernsthaft etwas einwenden, aber die Alten haßten ihn trotzdem, oder vielleicht gerade auch genau deswegen. Die Boulevardpresse hatte ihn schnell zu ihrem Feindbild auserkoren und weil es halt nichts gab, was man ihm vorwerfen konnte, ließ man immer wieder sehr alte Mitbürger zu Wort kommen, die beim Fahrtest durchgefallen waren und denen man deswegen sofort den Führerschein abgenommen hatte. "Tut mir leid, Frieder, aber steter Tropfen höhlt den Stein", teilte ihm sein Parteivorsitzender und guter Freund eines Abends bei einem Glas Wasser in einer Berliner Eckkneipe mit. "Wie meinst Du das denn?" forschte der Pest. "Wir können Dich nicht länger im Amt halten. Die Boulevardpresse hat Dich auf dem Kieker und wenn Du nicht in Kürze zurücktrittst, dann werden wir die nächste Wahl garantiert verlieren." "Na ja, wenn das so ist, dann bin ich natürlich schon weg", äußerte sich Frieder lapidar und verabschiedete sich bereits am darauffolgenden Tag von seinen Mitarbeitern. Großes Erstaunen im ganzen Land folgte auf jenen an sich unfreiwilligen Rücktritt, doch fortan war Frieder Pest der mit Abstand beliebteste Politiker Deutschlands, weil er ganz offensichtlich kein bißchen an seinem Stuhl geklebt hatte. Allerdings verloren die Bürgerlichen die nächste Wahl und plötzlich überschlugen sich bei ihnen die Ereignisse, was sogleich dazu führte, daß Frieder Pest sehr schnell als neuer Hoffnungsträger zum Parteivorsitzenden der BPD gewählt wurde.