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1.5 Wie ist Bildung zur Selbstbestimmung in einer fremdbestimmten Institution möglich?

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Schule als Spielball öffentlicher Interessen

Schulen müssen auf alles Mögliche reagieren – den sozialen und kulturellen Wandel, technologische Umbrüche, das Auf und Ab der nationalen Wirtschaft. Kaum eine Institution muss sich so häufig neu erfinden wie die Schule. Da sie den Staat auch einiges kosten, bieten Schulen zudem eine offene Flanke für periodische Sparmaßnahmen. Schulen sind so wenig perfekt, wie menschliche Institutionen es eben sind. Als Austragungsort permanenter bildungspolitischer Auseinandersetzungen, Experimentierfeld für Reformen und als Spielwiese wissenschaftlicher Beforschung ist die Schule eine dauerhafte Baustelle. Die Folge sind Provisorien, Improvisationen, Unwägbarkeiten. Stress und Unruhe beherrschen den schulischen Alltag.

Der Dauerbeschuss, unter dem Lehrkräfte heute stehen, geht nicht spurlos an ihnen vorbei. Da auch die Schülerinnen und Schüler tendenziell nicht pflegeleichter werden, ist Burnout weit verbreitet. Bauer schätzt aufgrund eigener Forschungen, „dass zwanzig Prozent der diensttuenden Lehrkräfte an stressbedingten Gesundheitsstörungen leiden, die nach Art und Umfang medizinisch relevant und eigentlich behandlungsbedürftig sind“ (BAUER 2008, S. 52).

Zu den größten Herausforderungen, die der Schule zu schaffen machen, gehört der Umstand, dass sie wie kaum eine andere Institution zum Spielball gegensätzlicher öffentlicher Interessen geworden ist. Bildung in einem emphatischen Sinn zu fördern wird dadurch erheblich erschwert – nicht nur, weil Schule sich dauernden Änderungen und Reformen unterziehen muss und von der Erfüllung ihrer Hauptaufgabe abgelenkt wird, sondern auch, und vor allem, weil echte Bildung ein Selbstzweck ist, der unter Bedingungen permanenter Fremdbestimmung verkümmert.

Fremdbestimmung als Vorbild für Selbstbestimmung?

Der Bildungsphilosoph Marian Heitger kommentiert: „Eine Pädagogik, die sich nicht besinnungslos einem unreflektierten Schicksal unterwirft, muss sich die Frage nach Recht und Grenze ihrer eigenen Instrumentalisierung stellen.“ „Man ist erstaunt, wieviel an Regelungen dem Lehrer in ministeriellen Veröffentlichungen zugemutet wird.“ Und: „Für die zu fordernde Pädagogik der Selbstbestimmung verbietet sich jede Art der Bevormundung der Lehrer“ (HEITGER 2004, S. 204, S. 214).

Schule lässt sich zweifellos reformieren. Es gibt dazu viele Möglichkeiten, viele Ideen. Echte Verbesserungen lassen sich aber nur erzielen, wenn Schule die nötigen Freiräume erhält, um andere Lehr- und Unterrichtsformen auszuprobieren. Können nur Jüngere von Älteren etwas lernen? Ist das Umgekehrte unmöglich? Kann man nur in Gruppen von Gleichaltrigen, in Gruppen von zwischen 15 und 30 Schülern lernen? Und nur im Alter zwischen 7 und 17 Jahren, nur an Wochentagen, zwischen 07 und 17 Uhr? In Lektionen von genau 45 bis 50 Minuten, gleichgültig, ob die Lernenden 7 oder 17 oder – an der Universität – 27 Jahre alt sind?

Thesen von Sir Ken Robinson:

• Grundausstattung für Unterricht: Jemand lehrt und jemand lernt. Alles Übrige (Gebäude, räumliche Anordnung, zeitlicher Rhythmus, Lehrmittel, Anzahl Lernende usw.) ist Beiwerk. Analog beim Theater: Zur Grundausstattung gehören Schauspieler und Publikum. Alles Weitere (Bühnenbild, Beleuchtung, Regisseur, Requisiten, Theaterdirektor) ist Beiwerk.

• Jede Lerngemeinschaft ist eine Vielfalt von Individuen; Bildungssysteme sind aber auf Konformität ausgerichtet.

• Kinder sind begierig zu lernen, sie lernen spontan, wenn das Mikroklima der Lernumgebung stimmt. Dieses leidet, wenn Lernen forciert und von oben kontrolliert wird.

• Lernkontrollen durch Tests sind auf Konformität ausgerichtet und werden den individuellen Begabungen und Interessen der Kinder nicht gerecht.

• Bildungs-Arrangements, die sich einmal bewährt haben, gelten als sakrosankt und unabänderlich. Das macht ein Bildungssystem unflexibel. Jede Generation muss die Demokratie für sich neu erfinden (John Dewey).

• Unser Schulsystem stammt aus der Zeit der industriellen Revolution und erinnert an eine Maschine. Lerngemeinschaften sind aber Organismen. Sie benötigen für ihr Gedeihen ein günstiges Klima. Dieses lässt sich nicht verordnen. Lerngemeinschaften sollten die Freiheit zu Initiativen haben, die ihr „Mikroklima“ optimieren helfen.

• Größtes Handicap der Bildung: die von der Politik festgesetzten Bildungsstrategien und ministeriellen Verordnungen. Bildung kann nicht von oben („top down“) geplant, sie muss von der Basis her („bottom up“) aufgebaut werden. „Rock’n’ Roll was not a government plan!“

Ethik und Erziehung

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