Читать книгу Blutgefährtin 2 - Thomas M Hoffmann - Страница 4
1. Die Einladung
ОглавлениеLaut klopfe ich an der Badezimmertür. Ich habe ja viel Geduld, aber so langsam ist die aufgebraucht. Valerie macht sich bereits seit über einer Stunde zurecht und scheint einfach nicht fertig werden zu wollen.
«Hey Val! Wie lange willst du noch machen? Beeil dich. Pierre ist in einer halben Stunde da.»
«Ja, ja. Bin sofort so weit», tönt es aus dem Bad.
Ungeduldig laufe ich vor der Tür hin und her. Pierre hat sich angekündigt und ich fühle mich von dem langen Tag an der Uni verschwitzt. Ich muss mich unbedingt frisch machen, es soll alles perfekt sein, wenn Pierre kommt. Wir sehen uns viel zu selten, seit ich angefangen habe, hier in Montpellier zu studieren. Aber heute hat er außerplanmäßig einen Besuch angekündigt und bleibt auch über Nacht. Ich will mit ihm frisch und gut aussehend einen romantischen Abend verbringen.
Pierre und ich haben uns vor etwa eineinhalb Jahren getroffen und ich war sofort hin und weg. Damals stand ich kurz vor meinem Schulabschluss und konnte eigentlich gar keine Beziehung gebrauchen. Gefunkt hat es dann trotzdem. Und zu erfahren, dass Pierre gar kein normaler Mensch ist, hat zwar einiges an Durcheinander erzeugt, hat uns aber am Ende nur noch stärker zusammengeschweißt. Ich war ziemlich verwirrt gewesen, als ich erfahren habe, dass es tatsächlich eine übernatürliche Parallelwelt gibt, Vampire, Gestaltwandler, Werwölfe und so weiter. Aber unsere Liebe hat uns alle Grenzen überwinden lassen.
Alle denken, Pierre wäre mein Freund, aber das Wort trifft nicht das, was unsere Gefühle füreinander ausmachen. Pierre ist mein Geliebter, mein Gefährte, der mein Herz und meine Seele besitzt. Eigentlich will ich jeden Tag, jeden Abend, jede Nacht mit ihm verbringen, aber weil ich lernen will, wie man Wein anbaut und ein Weingut betreibt, muss ich weit entfernt von ihm leben und studieren und kann meine Sehnsucht nur an den Wochenenden stillen. Das Studium hatte ich schon gewählt als ich noch auf der Schule war, Großvater hat ein Weingut und wir produzieren inzwischen ziemlich gute Weine.
Ich will das Weingut irgendwann übernehmen und auch wenn Großvater mir schon sehr viel gezeigt hat, so ist ein Studium doch der beste Weg, damit ich mir das Wissen aneignen kann, das ich dazu brauche. Dass Pierre obendrein auch noch einen Weinhandel hat, finde ich nur zu passend. Der einzige Nachteil dieses Weges ist es, dass ich aus Lorgues weg musste in das entfernte Montpellier. Deshalb sehe ich meinen Geliebten nur noch an den Wochenenden oder eben an den Gelegenheiten, an denen er mich besucht. So wie heute. Dann soll alles perfekt sein und das wird es auch, wenn ich endlich in dieses verdammte Bad hineinkomme.
Wann ist Valerie nur fertig? Ich hebe gerade meine Faust, um fest gegen die Tür zu hämmern, da geht sie auf und Valerie kommt heraus. Valerie ist meine Mitbewohnerin und studiert Agrartechnik an derselben Fachhochschule wie ich, der SupAgro in Montpellier. Als ich mir hier eine Unterkunft gesucht habe, hatte Valerie gerade ein Zimmer in ihrer Wohnung anzubieten und da wir uns auf Anhieb verstanden haben, bin ich eingezogen.
Valerie ist gut einen halben Kopf kleiner als ich, hat dunkelblondes, schulterlanges Haar und ein rundliches, freundliches Gesicht, das vor Energie und Lebensfreude nur so sprüht. Ihr Körperbau ist stämmig, so wie man es oft bei Menschen sieht, die aus der französischen Provinz stammen. Aber im Gegensatz zu dem, was sie immer behauptet, hat sie kaum ein Kilo zu viel, auch wenn sie nicht so mager ist, wie das heutzutage immer als schön angesehen wird. Sie hat sehr weibliche Rundungen und ist für ihre Größe eine gute Figur. Außerdem ist sie in ihrem Studium ein Ass. Sie hat den Bachelor schon fertig und macht gerade ihren Master.
Ihr einziges Problem sind die Männer. Ich habe noch niemals jemanden gesehen, der sich so nach einer festen Beziehung sehnt und gleichzeitig so viele Männer verschleißt, wie Valerie. Was auch der Grund ihres langen Badezimmeraufenthalts ist. Sie meint eben, dass sie hässlich ist und versucht mit allen Mitteln der Kosmetikindustrie dagegen anzukämpfen. Ich kann sie tausend Mal daran erinnern, dass sie sogar einmal einen Schönheitswettbewerb in ihrem Heimatdorf gewonnen hat und dass sie noch besser aussehen würde, wenn sie sich nicht so stark schminken würde. Aber sie ist der Ansicht, dass sie zu dick und zu hässlich ist, selbst wenn das gar nicht stimmt.
Ein Vorteil ihrer ewigen Jagd auf das andere Geschlecht ist, dass sie sofort eingewilligt hat, heute Abend auszugehen. Pierre und ich wollen unsere Zweisamkeit genießen und die Wohnung ist zu klein, um sich ungestört zurückziehen zu können. Ich habe das für Valerie auch schon so gemacht, wenn sie einen der Kandidaten zum Mr. Right zu Besuch hatte. Aber ich muss mich dranhalten. Pierre hat einen richtig schicken Ferrari und wenn die Straßen frei sind, kann er auch früher ankommen, als angekündigt. Also beeile ich mich.
Weil Valerie viel zu lange gebraucht hat, um sich zurecht zu machen, wähle ich das Kurzprogramm, waschen, statt duschen, die Haare nur auflockern, statt gründlich waschen. Ich bin gerade dabei, die Haare in Form zu bringen, als ich die Klingel höre. Mist, Pierre ist schon da. Schnell lege ich noch etwas Lippengloss auf, aber nicht zu viel, Pierre mag den Geruch intensiver Kosmetikbenutzung nicht. Dann werfe noch einen kurzen Blick in den Spiegel und verlasse das Bad.
Pierre steht wie ein griechischer Gott an die Tür zu unserem Wohn- und Esszimmer gelehnt und Valerie tanzt um ihn herum, wie um ein goldenes Kalb. Pierre sieht aber auch zu gut aus mit klassischen, alterslosen Gesichtszügen und weichen, kurzgeschnittenen, braunen Haaren. Er hat einen athletischen Körper, muskulös, aber keine übertriebenen Muskelberge, schlank, aber nicht zu schlank. Seine Haut ist glatt wie Marmor, ich liebe es, sie zu streicheln. Ich weiß, dass er sich fast immer kühl anfühlt, was ganz einfach daran liegt, dass er als Vampir eine niedrigere Körpertemperatur hat. Aber ich liebe es auch, wenn er glüht, wie ein Vulkan. Bei Vampiren kann das Sprichwort, dass man seinen Freund richtig heiß gemacht hat, durchaus wörtlich genommen werden. Seine Präsenz ist einmalig, er macht den Eindruck eines Raubtieres, was nicht verwunderlich ist, denn er ist ja auch eines. In seiner Nähe bekomme ich immer noch eine Gänsehaut und die Haare stehen mir zu Berge. Mit anderen Worten, ich liebe ihn.
Was aber nicht heißt, dass andere Frauen ihn auch lieben dürfen. Ich weiß zwar genau, dass Valerie viel zu großen Respekt vor einer festen Beziehung hat, als sich zwischen Pierre und mich zu drängen, aber sie kann es einfach nicht lassen, immer mal wieder die Verführerin zu spielen.
«Hey Val. Hör auf, meinen Freund so anzumachen», sage ich, während ich auf die beiden zugehe.
Valerie stoppt mitten im Schritt.
«Ich? Deinen Freund anmachen? So etwas würde mir nie im Leben einfallen.»
«Ach? Du bist in voller Kampfmontur, umkreist Pierre wie ein Planet seine Sonne und machst ihm so schöne Augen, als würdest du bei „der Bachelor“ teilnehmen.»
«Ich bin in voller Kampfmontur, weil ich gleich ausgehe, schon vergessen? Und Pierre ist nicht verheiratet, da kann ich doch schon mal für meinen Auftritt üben, nicht wahr?»
Valerie tritt einen Schritt näher an mich heran und schaut mir aus kurzer Entfernung in die Augen.
«Außerdem sollte es verboten werden, dass so schöne Männer nur eine einzige Frau haben. Wenn du nicht meine Freundin wärst, wäre ich praktisch verpflichtet, ihn dir auszuspannen.»
«Wenn du nicht meine Freundin wärst, wäre ich praktisch verpflichtet, dir die Augen auszukratzen», erwidere ich, ohne einen Zentimeter zurück zu weichen.
Pierre hat unseren Austausch mit dem verwirrten Ausdruck eines Mannes verfolgt, der keine Ahnung hat, was eigentlich vor sich geht.
«Aber, aber Mesdames. Ich bin sicher, wir können zu einer einvernehmlichen Lösung kommen», versucht er sich einzumischen. «Wie wäre es, wenn ich mich Montag, Mittwoch und Freitag um die eine kümmere und Dienstag, Donnerstag und Samstag um die andere? Dadurch hätte ich dann am Sonn...»
Weiter kommt er nicht, denn Valerie und ich drehen unsere Köpfe synchron zur Seite und starren ihn an. Für einen Augenblick sagt keiner etwas.
«Wo hast du den denn gefunden?» knurrt Valerie.
«Der ist mir zugelaufen» knurre ich zurück.
«Ist er denn schon stubenrein?»
«Eigentlich schon. Ziemlich pflegeleicht sogar. Einmal Füttern in der Woche reicht.»
«Was willst du für den haben?»
«Tut mir leid, unverkäufliches Musterexemplar.»
Wieder herrscht einen Augenblick Stille, während Pierre uns mit offenem Mund anstarrt. Dann richtet sich Valerie mit einem Ruck auf.
«Ich mach mich dann mal auf den Weg.»
Ich begleite Valerie noch zur Tür.
«Viel Spaß dir. Lass Pierre und mir vier Stunden, dann kannst du wiederkommen. Gute Jagd.»
«Viel Spaß ihr zwei Turteltäubchen.»
Ich schließe die Tür hinter Valerie, nehme einen kurzen Anlauf und springe Pierre mit voller Wucht in die Arme. Er enttäuscht mich nicht und fängt mich ohne Mühe auf, es ist eben von Vorteil, einen Freund zu haben, der übermenschliche Kräfte besitzt. Wir versinken in einem heißen Begrüßungskuss.
«Was war das denn gerade?» fragt Pierre, als wir uns wieder trennen.
Ich tippe mit meinem Zeigefinger gegen seine Nase.
«Verstehst du nicht. Männliche Gehirne sind für so etwas nicht konstruiert.»
Pierre schaut mich stirnrunzelnd an.
«So denkst du also von deinem Geliebten?»
«Klar, mein Geliebter muss ja auch nur mit den einfachen Dingen des Lebens zurechtkommen.»
«Und was sind einfache Dinge?»
Statt einer ausführlichen Erklärung, zeige ich ihm die einfachen Dinge, die ich meine. Unser Kuss wird intensiver, mein Unterleib verkrampft sich, mein Herzschlag geht schneller. Ich sehe Pierre normalerweise nur noch einmal in der Woche, wenn ich zum Wochenende nach Hause fahre. Da kann einen die Sehnsucht schon ziemlich quälen. Als wir uns lösen, blitzt Gelb in Pierres Augen und mein Herzschlag wird noch schneller. Ich liebe es, meinen Freund anzuheizen. Aber jetzt muss ich erst wieder für Kühlung sorgen, sonst vergesse ich mich. Das geht mir immer so, wenn ich mit Pierre zusammen bin, alle anderen Dinge werden unwichtig. Doch ich muss wissen, warum Pierre heute außerplanmäßig hier ist, also wackele ich vor Pierres Augen mit dem Zeigefinger.
«Na, na. Immer langsam. Gegessen wird später. Jetzt verrätst du mir zuerst, warum du heute hier bist.»
Pierre heuchelt Erstaunen.
«Ich bin selbstverständlich hier, weil ich eine solche Sehnsucht nach dir hatte.»
«Dein Tonfall als du dich angekündigt hattest, war aber nicht sehnsuchtsvoll, sondern nachdenklich und besorgt. Du kannst mir nichts vormachen, Pierre. Etwas Unangenehmes ist vorgefallen, nicht wahr?»
Pierre seufzt und stellt mich wieder auf meine Füße.
«Wie soll ich denn etwas vor dir verheimlichen, wenn du mich immer durchschaust? Können wir nicht erst ins Bett gehen?»
Ich gebe Pierre einen keuschen Kuss auf die Wange.
«Wenn wir jetzt ins Bett gehen, dann werden wir uns die ganzen vier Stunden lang lieben und ich bekomme weder etwas zum Abendessen, noch erfahre ich, worum es geht.»
Pierre schaut mich mit großen Augen an.
«Und? Wo ist das Problem?»
Ich blicke resigniert nach oben und ziehe Pierre hinter mir her in die Küche.
«Ich muss schließlich zwei Leute ernähren? Also mache ich mir jetzt Abendessen und du erzählst mir, was dich herführt. Kaffee?»
«Ja, gerne.»
Die Küche ist winzig, aber effektiv eingerichtet. Alles Wesentliche ist erreichbar, ohne sich von der Stelle zu rühren und trotzdem können sich zwei Leute dort hinsetzen und frühstücken. Vorausgesetzt sie brauchen nicht zu viel Platz zum Essen. Mit einem Handgriff stelle ich eine Tasse für Pierre in die Kaffeemaschine und mit einem Zweiten hole ich einen Beutel tiefgefrorenes Fleisch und Gemüse aus dem Eisfach. Die Pfanne steht schon auf dem Herd, also fange ich an, mir mein Abendessen zuzubereiten.
Als der Kaffee durch ist, langt sich Pierre seine Tasse und stellt eine andere Tasse hin, in die er vorher Milch getan hat. Das ist der Kaffee für mich, ich bedanke mich dafür mit einem Lächeln. Zuhause macht uns Charles unseren Kaffee und er macht das besser als jede Kaffeemaschine. Aber wenn wir unter uns sind, dann bereiten wir uns den Kaffee immer gegenseitig zu, ein kleines Ritual unter Liebenden.
Charles ist der Butler von Pierre und er kann hervorragend Kaffee kochen, genau genommen, kann er alles hervorragend kochen und backen. Aber nur ich weiß das wirklich zu würdigen, denn Pierre kann ja nur Getränke zu sich nehmen. Das hat zur Folge, dass Charles mich an den Wochenenden immer vollstopft als wäre ich eine Weihnachtsgans und ich muss tatsächlich unter der Woche aufpassen, dass ich nicht zunehme, obwohl ich zwei Leute ernähren muss. Mein Abendessen rührend schaue ich Pierre auffordernd an.
«Also?»
Pierre zieht ein Gesicht und langt in seine Tasche. Von dort zieht er einen Briefumschlag hervor.
«Das ist gestern gekommen, ich muss bis morgen geantwortet haben.»
Ein kalter Hauch zieht meinen Rücken herunter, meine gute Laune verabschiedet sich ins Nichts. Diese Art von Briefumschlag kommt mir bekannt vor. Vor etwa eineinhalb Jahren hat so ein Briefumschlag fast dazu geführt, dass Pierre getötet und ich vergewaltigt worden wäre. Ich atme tief ein, wische mir die Hände an einem Tuch ab und nehme den Briefumschlag in die Hand.
Er ist adressiert an Pierre, geschrieben mit einer eleganten, geschwungenen Handschrift in schwarzer Tinte. Als ich die Karte aus dem Umschlag nehme, sehe ich alle meine Befürchtungen bewahrheitet. Es ist die Einladung zu einem Empfang, den Louis, der Führer der französischen Vampire, veranstaltet. Genau ein solches Treffen hatte vor eineinhalb Jahren stattgefunden, nur zu der Zeit von Gregori Sokolov organisiert, der damals der Führer der französischen Vampire gewesen war. Ich hatte Pierre und seine Art gerade erst kennen gelernt und hatte gemeint, ich müsse an so einem Treffen unbedingt dabei sein. Meine Unkenntnis der vampirischen Welt hat dann Pierre und mich in höchste Gefahr gebracht.
Doch in einem Detail unterscheidet sich diese Einladung von der Einladung vor eineinhalb Jahren. Gregori hatte selbstverständlich nur Pierre eingeladen, denn Menschen hatten für ihn nicht gezählt. Zu dieser Zeit war Pierre auch noch clanlos gewesen. Doch auf dieser Einladung sind zwei Namen genannt. Pierre Polignac und Trish Strong, Angehörige des Clans der Auserwählten.
Streng genommen gehöre ich nicht zum Clan der Auserwählten, der Königin aller nicht-europäischen Vampire, denn ich bin nur ein Mensch. Als Blutgefährtin von Pierre bin ich für die meisten Vampire lediglich Beiwerk. Aber die Auserwählte ist meine Tante Anna und als Nichte der Vampirkönigin habe ich schon einen besonderen Status. Zwar erkennen die europäischen Vampire Tante Anna nicht als ihre Herrscherin an, aber dass die Einladung mich explizit erwähnt, macht mir sofort klar, dass ich einen richtig guten Grund haben muss, wenn ich da nicht hingehen will.
Mit steinernem Gesicht stecke ich die Karte wieder in den Umschlag, gebe ihn an Pierre zurück und rühre mein Essen weiter, das jetzt fast fertig gegart ist.
«Müssen wir da hin?»
Pierre steckt den Umschlag wieder in seine Tasche.
«Das genau ist die Frage, weswegen ich hierhergekommen bin. Die Sache steckt leider voller politischer Falltüren.»
Mein Essen ist fertig und ich schnappe mir zwei Teller. Dann fülle ich den Inhalt der Pfanne auf den einen Teller, von dort wiederum auf den zweiten Teller, schließlich stelle ich den ersten in die Spüle. Valerie weiß nichts von Pierres Art und es wäre komisch, wenn ich meinen Freund zum Abendessen da habe und nur ein Teller schmutzig ist. Ich hole mir eine Gabel, setze mich zu Pierre und fange an zu essen.
«Erklär!»
«Eigentlich sollten wir nicht zu so einem Empfang eingeladen werden. Die Auserwählte gehört nicht zu den europäischen Vampiren, also wir auch nicht. Solange die Versammlung eine europäische Angelegenheit ist, haben wir dort nichts zu suchen.»
Pierre seufzt.
«Dass wir trotzdem eingeladen sind, bedeutet, dass es eine internationale Angelegenheit ist. Wir sind die Vertreter der Auserwählten und da Anna die Führerin aller Vampire außerhalb von Europa ist, sind wir damit die Vertreter aller außereuropäischen Vampire. Eine Ablehnung würde einen Affront bedeuten.»
Ich verziehe das Gesicht.
«Hat Tante Anna nicht einen offiziellen Botschafter für so etwas?»
«Leider nein. Ich habe mit Anna gesprochen und sie hat gemeint, dass sie bisher nicht daran gedacht hat, so etwas einzurichten. Sie hatte mehr als genug damit zu tun, ihre eigene Führerschaft zu festigen.»
Tante Anna ist eine ziemlich junge Vampirin. Sie wurde erst vor etwa acht Jahren verwandelt und normalerweise ist man als junger Vampir sehr schwach, zumindest im Vergleich zu den alten Vampiren. Doch Tante Anna ist etwas Besonderes. Sie ist die Auserwählte. Bereits seit dem Tag ihrer Verwandlung verfügte sie über Kräfte und Macht, die eigentlich nur einem alten Vampir zusteht. Doch sie musste kämpfen, um als Auserwählte anerkannt zu werden. Zuerst vor dem Rat der dreizehn Stämme, die nicht alle gewillt waren, sie zu akzeptieren. Und danach mit zahlreichen heimlichen oder direkten Versuchen, sie zu beeinflussen, zu beseitigen oder sonst wie ihre Macht zu mindern. Von all dem habe ich erst vor eineinhalb Jahren erfahren, als ich über Pierre die Welt der Vampire kennengelernt habe. Eigentlich will ich mich aus der vampirischen Politik heraushalten, mir genügt Pierre und seine Liebe. Aber offensichtlich gelingt das nicht immer.
«Was sagt Tante Anna zu der Einladung?»
«Sie wollte zuerst mit dir sprechen. Wir sollen sie anrufen, wenn ich dir die Situation erklärt habe.»
«Na gut. Lass mich zuerst zu Ende essen.»
Pierre streichelt mir mit einer Hand über das Gesicht und lächelt mir aufmunternd zu. Er kennt mich eben sehr gut. Diese Einladung hat mir meine Laune verdorben. Die Geschehnisse vor eineinhalb Jahren liegen mir immer noch auf der Seele, es hätte damals nicht viel gefehlt und alles hätte in einer Katastrophe geendet. Nur dem Eingreifen von Tante Anna war es zu verdanken gewesen, dass Gregori besiegt wurde und Pierre und ich nach Hause zurückkehren konnten. Langsam beende ich mein Essen, Pierre sieht mir schweigend zu und nippt währenddessen an seinem Kaffee. Als ich fertig bin, stelle ich den Teller in die Spüle und atme einmal tief durch.
«Also los.»
Ich fische mein Smartphone aus der Tasche, um die Nummer von Tante Anna zu wählen. Ein kurzer Blick auf die Uhr sagt mir, dass in Kalifornien jetzt früher Vormittag sein müsste, also eine ideale Zeit zu telefonieren. Die Chance, dass Tante Anna gerade mit etwas anderem beschäftigt ist, wie zum Beispiel einen Kautionsflüchtling jagen oder einem bösen Vampir den Kopf abreißen, sind relativ gering. Schon nach kurzem Klingeln meldet sich Tanta Anna.
«Hallo Trish, mein Schatz.»
«Guten Tag Tante Anna. Wie geht’s dir?»
«Abgesehen davon, dass Daniel im Monument Valley bei John-John ist und ich hier in San Diego, ganz gut. Das Wetter ist warm, es sind gerade keine Verbrecher zu fangen und aus der Vampirwelt gibt es keine beunruhigenden Nachrichten. Und was machen deine Studien?»
«Viel Arbeit, aber langsam wird es interessant. Jetzt im dritten Semester habe ich endlich einige Fächer zum Weinbau, Geschichte, Pflanzmethoden, Rebsorten usw. Am Ende des Semesters soll ich dann ein Praktikum auf einem Weingut machen, ich hab da auch schon eines im Sinn.»
Tante Anna lacht.
«Du meinst, Dad wird dir ein Praktikum anbieten? Sieh nur zu, dass er dir auch etwas dafür bezahlt.»
«Das ist gar nicht so sicher. Großvater hat so merkwürdige Andeutungen gemacht, ich solle doch einmal ein anderes Weingut kennen lernen und so. Ich habe aber gar keine Lust, ihn noch mehr alleine zu lassen.»
«Na ja, ganz Unrecht hat Dad nicht, aber ich verstehe dich natürlich auch. Ich bin froh, dass du ein Auge auf ihn hast.»
«Pierre ist heute gekommen und hat mir die Einladung gezeigt. Was hältst du davon.»
Tante Anna schweigt einen Moment.
«Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Louis hätte auch offiziell nachfragen können, ob wir so etwas wie Botschaften einrichten sollen. Vielleicht sieht er euch aber auch bereits als Vertreter der nicht-europäischen Vampire und fühlt sich deshalb verpflichtet, euch einzuladen. Der einzige Weg, diese Fragen zu beantworten, wäre, dorthin zu gehen. Aber wenn du nicht gehen willst, denke ich mir eine Ausrede aus, damit wir ablehnen können.»
«Pierre meint, das wäre ein Affront gegen die europäischen Vampire.»
«Es würde die Beziehungen nicht verbessern. Aber das ist mir egal. Wenn du dich unwohl fühlst, dorthin zu gehen, sagen wir ab.»
«Besteht denn eine Gefahr?»
Tante Anna zögert.
«Die Fraktion, die mit einer Übernahme der Macht der Vampire liebäugelt, hat durch den Tod von Steffan und Gregori starke Rückschläge erlitten. Louis verfolgt eine sehr mäßigende Politik und hat auch schon Menschen in seinem Beraterstab integriert. Dazu weiß jeder, dass Pierre und du unter meinem Schutz stehen. Würde jemand euch angreifen, hätte das gravierende Konsequenzen. Insofern sehe ich keine Gefahr für euch. Nur deshalb habe ich Pierre gebeten, mit dir zu reden.»
Jetzt überlege ich. Auf der einen Seite verkrampft sich mein Magen, wenn ich an so etwas wie einen Empfang bei Vampiren denke, auf der anderen Seite wäre das die Gelegenheit, die Menschen wiederzutreffen, die ich schon bei meinem ersten Treffen kennengelernt hatte. Außerdem will ich nicht, dass Tante Anna Probleme bekommt, nur weil ich zu feige bin, einer Einladung zu folgen.
«Na gut, Tante Anna. Ich gehe hin.»
«Bist du dir sicher, Trish? Ich will wirklich nicht, dass du dich zu etwas zwingst.»
«Ja, ich bin sicher. Ich bin schließlich die Nichte der Auserwählten. Da kann ich mich nicht ewig verkriechen. Und es wäre schon wichtig, herauszubekommen, warum Louis uns einlädt.»
«Ich danke dir, mein Schatz. Lass uns in engem Kontakt bleiben, wenn ihr dorthin aufbrecht.»
«Klar, geht in Ordnung.»
«Gib mir Pierre noch einmal. Ich wünsch euch einen schönen Abend.»
«Auf Wiederhören Tante Anna. Gib Onkel Daniel und John John einen Kuss von mir.»
Ich reiche das Telefon an Pierre weiter und versuche zu ergründen, was mir so auf den Magen schlägt. Tante Anna hat ja Recht. Wer mich angreift, würde sie angreifen und das wäre für praktisch jeden Vampir der Welt das Todesurteil. Eine Wiederholung der Ereignisse vor eineinhalb Jahren ist sehr unwahrscheinlich.
Also sollte ich mich eher auf dieses Treffen freuen. Ich werde Madame Lorraine wiedertreffen, die mir damals sehr tiefe Einblicke in das Verhältnis von Vampiren mit ihren menschlichen Gefährten gegeben hat. Ich würde mich auch gar nicht wundern, wenn Madame Lorraine zu den menschlichen Mitgliedern des Beraterstabes von Louis gehört. Sie ist seit fast fünfzig Jahren mit ihrem Vampir zusammen und übt sehr viel Einfluss aus.
Ich bin so in meinen Gedanken versunken, dass ich gar nicht merke, dass Pierre die Unterhaltung mit Tante Anna beendet und mein Smartphone auf den Tisch gelegt hat. Er beobachtet mich und ich merke das erst, als er mit seinen Fingern sanft über meine gerunzelte Stirn streicht.
«Zeit sich angenehmeren Dingen zuzuwenden.»
Ich strecke Pierre die Zunge heraus.
«Du hast die blöde Einladung mitgebracht und verhindert, dass wir erst einmal miteinander ins Bett gehen. Jetzt habe ich keine Lust mehr.»
Pierre hebt erstaunt die Augenbrauen.
«Wenn ich mich recht erinnere, hast du dieses „erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ aufgebracht.»
«Schon möglich, aber du hast einfach auf mich gehört.»
Bevor ich irgendeine Bewegung machen kann, ist Pierre aufgesprungen und hat mich in den Arm genommen.
«Ich glaube mein männliches Gehirn ist gerade wieder überfordert», flüstert er mir ins Ohr, dass mir ein Schauder über den Rücken läuft. «Das lässt sich nur dadurch beheben, dass ich mich den Dingen zuwende, von denen ich etwas verstehe.»
Und damit küsst er mich, dass ich mich beinahe verliere. Aber so einfach lasse ich mir meinen Frust nicht nehmen. Ich schiebe ihn von mir.
«Du glaubst wohl mit ein paar Küssen kannst du mich vergessen lassen, dass ich auf eine Vampir Party gehen muss, was?»
Pierre kommt wieder näher.
«Ja.»
Beleidigt wende ich mich ab, aber damit mache ich einen Fehler. Pierre umfängt mich und küsst mir sanft erst auf den Nacken und dann in die Halsbeuge. Das ist ganz in der Nähe der Stelle, an der meine Schlagader verläuft, also der Stelle, die mir die intensivsten Liebesgefühle beschert. Feuer rieselt meinen Rücken herunter, meine Brustwarzen richten sich auf. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Den übermenschlichen Sinnen von Pierre bleibt das nicht verborgen.
«Siehst du? Es gibt viel angenehmere Dinge als über eine Party nachzudenken», flüstert er mir ins Ohr.
Seine Hand streichelt sanft über meine Brüste, die Berührung lässt meine Gefühle explodieren. Mit Mühe kann ich ein Stöhnen unterdrücken, der Kerl ist sowieso schon sehr von sich überzeugt, da muss er nicht auch noch merken, wie wirksam seine Verführungskünste sind. Am besten ist, ich spiele auf cool und weise ihn zurück.
«Finger weg von meinem T-Shirt, du Lüstling» flüstere ich zurück, aber meine Stimme klingt rau und heiser.
«Aber ich will ja gar nichts von deinem T-Shirt» raunt mir Pierre zu, dreht mich in seinen Armen und zieht mir dabei gleichzeitig das T-Shirt über den Kopf, bevor ich mich wehren kann.
Versunken in einem Kuss mit Pierre, habe ich plötzlich vergessen, warum ich mich gegen Pierre wehre. Die ganze Woche schon musste ich alleine schlafen und mehr als einmal ist es vorgekommen, dass ich von seinen zärtlichen Umarmungen geträumt habe, nur um dann zu merken, dass der Platz im Bett neben mir leer ist. Sehnsucht und Lust packen mich, ich küsse Pierre mit all der Hitze, die ich in mir fühle. Nach kurzer Zeit bin ich atemlos, ich stehe regelrecht in Flammen. Aber Pierre hat meine Hitze aufgenommen, seine Haut fühlt sich jetzt glühend an und er gibt mir zehnfach zurück, was ich ihm vorher gegeben habe. Für einen Moment setzt mein Denken einfach aus.
Als ich wieder etwas wahrnehmen kann, stelle ich fest, dass mich Pierre irgendwie in mein Zimmer gebracht hat. Jetzt will ich mehr, deshalb fange ich an, an Pierres Hemd zu zerren. Nichts soll mich mehr von seinem wunderbaren Körper trennen. Nach kurzer Zeit liegen unsere Sachen verstreut auf dem Boden und Pierre umfängt mich von allen Seiten. Seine Liebkosungen treiben mich immer tiefer in einen Strudel der Gefühle hinein, dann sehe ich, wie sich sein Gesicht verwandelt, wie der Vampir zum Vorschein kommt. Willig biete ich ihm meine Kehle dar und als sich seine Zähne in meine Haut graben, lasse ich mich von dem Orkan aus Lust und Leidenschaft mitreißen.