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3. Annäherung

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Es ist noch Nachmittag als ich von der Uni nach Hause fahre. Dort angekommen stecke ich den Kopf in Valeries Zimmer herein. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch und malt irgendwelche Formeln aufs Papier. Ich habe von dem technischen Kram nicht viel Ahnung, weiß aber immerhin so viel, um zu sehen, dass es um Mähdrescher geht. Warum man damit aber Studenten belästigen muss, weiß ich nicht, für mich ist nur wichtig, dass die Dinger funktionieren. Weinlese kann man damit eh nicht machen, dazu stehen die Weinstöcke normalerweise an zu steilen Hängen und Trauben sind zu empfindlich. Es geht eben nichts über die gute, alte Handarbeit.

«Hey, Val. Ich mache mich nur kurz frisch, dann können wir los. Brauchst du noch lange?»

«Ewig, irgendetwas stimmt an der Berechnung nicht. Also kann ich das Zeug genauso gut in die Schublade legen und darauf hoffen, dass mir eine Erleuchtung kommt, wenn ich mich mit angenehmen Dingen beschäftige. Ich bin also startbereit.»

Schnell verschwinde ich im Badezimmer. Die Geschäfte schließen relativ früh und ich habe keine Ahnung, wie lange wir brauchen werden, bis ich eine passende Abendgarderobe finde. Gott sei Dank habe ich eine recht durchschnittliche Größe, so dass praktisch jedes Bekleidungsgeschäft passende Angebote hat. Aber Val hat wohl einen speziellen Laden im Sinn, also kann ich mich überraschen lassen.

Innerhalb einer halben Stunde sind wir unterwegs und Valerie führt mich geradewegs in ein Spezialgeschäft für Hochzeitsmode und Festkleidung. Ich kann mir schon denken, warum sie von diesem Geschäft so begeistert ist. Jedes Mal, wenn sie ein Date hat, das nicht bei der ersten Gelegenheit in die Hose geht, träumt sie von der großen Hochzeit. Damit hat sie auch schon den einen oder anderen Kandidaten in die Flucht getrieben. So ein langes Verhältnis wie zwischen Pierre und mir würde für Valerie nicht in Frage kommen. Pierre hat mir zwar auch schon einen Heiratsantrag gemacht, aber ich finde unsere Beziehung eigentlich ganz gut so, wie sie ist, selbst wenn ich mir ein Leben ohne Pierre nicht mehr vorstellen kann.

Da ich gar nicht so genau weiß, was man auf einem Empfang mit Frack-Zwang so anzieht, lasse ich mich von der Verkäuferin beraten. Es dauert gut eine Stunde, bis ich endlich etwas anprobiere, was mich begeistert. Ein schulterfreies Abendkleid in rot und blau gehalten, ohne zu viele Verzierungen, das aber an mir herabfällt wie ein Wasserfall. Schulterfrei muss es sein, damit mein Hals frei liegt, schließlich gehe ich auf eine Vampirparty. Es passt mir auch gut in der Oberweite und bringt diese ausgezeichnet zur Geltung. Früher habe ich gedacht, ich hätte zu viel davon, aber seid Pierre ein spezielles Interesse daran entwickelt hat, bin ich eigentlich ganz zufrieden mit dem, was die Natur mir geschenkt hat.

Valerie umkurvt mich, als wäre sie die Brautmutter und ich die Braut. Immerhin geht sie nicht so weit, dass sie mir ein Hochzeitskleid andreht, aber man merkt, dass sie in ihrem Element ist. Das Abendkleid findet ihre Zustimmung und so erspare ich mir die Mühe, noch ein anderes Geschäft aufzusuchen. Aber das Kleid ist nicht alles, was ich brauche, dazu wähle Ich ein Jäckchen und eine passende Handtasche. Damit habe ich mein Budget für private Ausgaben des nächsten halben Jahres aufgebraucht. Großvater bezahlt mir zwar einen durchaus angemessenen Unterhalt, aber richtig viel Geld ist das nicht. Ich kann nur hoffen, dass mein Auto nicht zusammenbricht, sonstige große Ausgaben stehen dann nicht an. Als wir das Geschäft schließlich verlassen, ist es bereits kurz vor Geschäftsschluss. Ich hatte Valerie ja versprochen, mit ihr auszugehen, also müssen wir uns jetzt mal langsam Gedanken darüber machen, wohin es gehen soll.

«Und Val, wie gehen wir jetzt vor?»

«Wir fahren nach Hause, laden die Sachen ab und machen uns fein. Ich schlage vor, wir gehen ins la pêche.»

Das la pêche ist ein Club, der hauptsächlich von Studenten frequentiert wird und ganz ordentliche Cocktails zu annehmbaren Preisen anbietet. Nur sollte man dort nicht zu früh erscheinen, die meisten Studenten sind ziemliche Nachtschwärmer.

«Ist mir recht. So habe ich wenigstens die Chance, auch noch ein wenig Badezimmer Zeit abzubekommen.»

«Nun hab dich doch nicht so. Du musst ja auch keinen Mann mehr an Land ziehen, also genügen dir doch wohl ein paar Minuten.»

«Gib mir eine halbe Stunde. Schließlich wollen wir keinen Kandidaten abschrecken, der eigentlich auf dich fliegt, aber von dem stinkenden, hässlichen Häufchen neben dir abgestoßen wird.»

Dazu sagt Valerie nichts mehr, auch wenn sie irgendetwas davon murmelt, dass eine halbe Stunde doch dasselbe wäre wie ein paar Minuten.


Ich bekomme schließlich fünfundzwanzig Minuten, was mehr ist, als ich erwartet hatte. Als wir das la pêche betreten ist es etwa halb zehn Uhr abends, früh genug, um noch einen Platz an den Tischen zu bekommen, aber spät genug, so dass bereits viele Leute da sind. Die Musik umhüllt uns, so dass eine Unterhaltung sehr anstrengend ist, aber dazu geht man ja auch nicht in einen Club. Wir bestellen uns Cocktails, Valerie einen mit russischem Wodka, ich alkoholfrei, und betrachten die Menschen, die hier abfeiern. Natürlich achten wir dabei mehr auf die männlichen Exemplare, von denen einige sehr wohlgebaute zu sehen sind. Nur die meisten haben bereits eine weibliche Begleitung, so dass wir geduldig ausharren müssen, ob sich noch der eine oder andere Fang für Valerie ergibt.

Ich will Valerie gerade auf eine Gruppe nett aussehender Kerle aufmerksam machen, als ihre Augen aufleuchten und sich auf etwas hinter mir richten. Ich drehe mich um. Vor uns steht Jerome, mit einem Drink in der Hand und einem etwas zu selbstgefälligem Lächeln auf den Lippen.

«Oh, hallo Mädels.»

Wegen der Musik ist eine Unterhaltung wirklich schwierig, aber Jerome hat so eine Stimme, die man selbst bei dem Lärm hört. Nicht durchdringend, aber Aufmerksamkeit heischend.

«Hallo Jerome», antworte ich.

Valerie zieht die Augenbrauen hoch.

«Ihr kennt euch?»

«Ja, das ist Jerome Merdrignac, ein neuer Kommilitone, der heute zu unserer Gruppe gestoßen ist. Jerome, das ist Valerie Gascon, meine Mitbewohnerin.»

«Hi, Trish, hi Valerie. Nett, euch hier zu treffen. Was dagegen, wenn ich mich zu euch geselle?»

Ich zögere einen Moment, aber Valerie nimmt mir die Entscheidung ab.

«Natürlich nicht. Bist du neu in der Stadt?»

Jerome zwängt sich auf einen Hocker neben uns und stellt sein Glas auf den Tisch.

«Ja, ich bin seit etwa zwei Wochen hier vor Ort. Ich bekam diesen Club empfohlen, also dachte ich, dass ich den mal ausprobieren sollte.»

Dann richtet er seine Aufmerksamkeit auf mich. Sein Lächeln ist irgendwie nicht zu deuten. Schon möglich, dass er es freundlich meint, aber etwas ist darin, was ich nicht verstehe.

«Du hättest ruhig sagen können, dass du heute hier bist, Trish.»

«Das wusste ich ja nicht, wir haben uns erst gegen Abend entschlossen, hierher zu kommen.»

«Und Valerie ist deine Verabredung?»

«So schwer es dir auch fallen wird, das zu verstehen, manchmal treffen sich Freundinnen einfach so ohne Männer.»

«Wie langweilig. Was machen denn zwei Single-Frauen in diesem Club, wenn sie nicht darauf aus sind, einen netten Mann kennenzulernen?»

Endlich habe ich die Chance, ihm das zu sagen, was ich schon heute Nachmittag hätte sagen sollen.

«Nicht zwei, Jerome. Ich bin in festen Händen, mein Freund heißt Pierre.»

Jeromes Lächeln vertieft sich. Die Information scheint ihn weder zu verblüffen, noch abzuschrecken.

«So, so. War ja klar, dass eine Frau wie du schon jemand an der Hand hat. Wo ist denn dein toller Freund?»

«In Lorgues, wo ich zuhause bin.»

«Das heißt, du bist hier ganz allein in der Stadt? Wie traurig. Aber keine Angst, die Rettung ist nah. Könnte ich dich vielleicht zu einem Tanz auffordern?»


Jerome lächelt mich völlig arglos an, er scheint gar nicht zu merken, wie plump ich seinen Annäherungsversuch empfinde. Er sieht ja durchaus gut aus, aber er scheint zu denken, dass eine Wochenendbeziehung bedeutet, dass man sich unter der Woche nach einer Alternative umsieht. Nun, er wird lernen müssen, dass nicht alle Frauen so sind, wie er denkt. Weil ich das Gefühl habe, dass subtil nicht so seine Art ist, entschließe ich mich dazu, deutlich zu werden.

«Nein.»

Wieder stört ihn meine Ablehnung nicht im Geringsten.

«Aber ich tanze gut.»

«Mein Freund tanzt besser.»

Zwischen Pierre und mir hat es gefunkt, als Pierre mich damals zu einem Dorffest ausgeführt hat. Pierre ist der beste Tänzer, den ich je kennen gelernt habe, was eigentlich auch kein Wunder ist. Denn als Vampir hat er viel bessere Sinne und kann sich mit geschlossenen Augen geschmeidiger bewegen als ein Mensch bei hellem Licht. Das merkt man an seinem Gang, das merke ich im Bett, das sieht man an seiner ganzen Art, sich seiner Umwelt zu stellen und eben auch beim Tanz. Da kann dieser Jerome mit Sicherheit nicht gegen ankommen.

«Na, wenn das nicht mal eine Herausforderung ist. Komm, wir starten gleich mit einem Vergleichstest.»

Es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte aufgestöhnt. Der ist ja hartnäckiger als eine Fliege. Hilfesuchend wende ich mich an Valerie, die unsere Unterhaltung mit gerunzelter Stirn verfolgt hat. Ich kann es Valeries Gesicht ansehen, dass sie sich darüber ärgert, dass sich Jerome zuerst an mich heranmacht. Aber das ist ja nicht meine Schuld, ich muss jetzt nur noch dafür sorgen, dass Jeromes Bemühungen in eine etwas aussichtsreichere Richtung gelenkt werden.

«Nee, lass mal, Vergleichstest sind nicht so mein Ding. Aber Valerie hier ist sehr erfahren, was Tanzen angeht. Wie wäre es, wenn sie mal schaut, ob hinter deinen Behauptungen auch etwas steckt.»

«Klar. Ich teste für mein Leben gern. Wie wäre es, Jerome?» meint Valerie, die ihre Chance gekommen sieht.

Jeromes Gesicht zeigt keinerlei Reaktion, also weiß ich nicht, was in ihm vorgeht. Aber er kann jetzt nicht mehr raus aus der Nummer. Die beiden stehen auf, um zur Tanzfläche zu gehen, wobei ich sie neugierig beobachte. Seine Behauptung, er sei ein guter Tänzer, kann ich nur bestätigen. Er bewegt sich mit einer Selbstsicherheit und Eleganz, die darauf hindeutet, dass er genau weiß, wo er sich zu jedem Zeitpunkt befindet. Ich kann Valerie ansehen, wie beeindruckt sie ist, und auch ich wäre es, wenn ich nicht wüsste, dass Pierre trotzdem besser ist.

Sieht so aus, als hätte Valerie damit ihre Ablenkung für diesen Abend gefunden. Wie ich sie kenne, wird sie in Windeseile für Jerome entflammen. Aber ich befürchte, dass das eher an den recht niedrigen Standards liegt, die Valerie vorgibt. Ich hatte schon mehrere heiße Diskussionsrunden mit ihr, in denen ich sie gefragt habe, warum sie denn nicht strenger ist mit den Kerlen, mit denen sie ein Date vereinbart. Sie sehnt sich nach einem Mann, der sie liebt, der häuslich ist, bereit, das Leben mit ihr zu gestalten und eine Vorliebe für das Landleben besitzt. Mit anderen Worten, eher niemand, den man in einem Club einer Großstadt findet

Aber auf der anderen Seite soll dieser Jemand auch gut aussehend, interessant, geheimnisvoll und lebenslustig sein. Was die Zahl der möglichen Bewerber ziemlich reduziert. Das ist sich auch Valerie bewusst und sie löst dieses Problem, indem sie erst einmal keinerlei Bedingungen stellt. Was dazu führt, dass sie sich ständig eine blutige Nase holt.

Ich bin mir nicht sicher, was ich von Jerome halten soll. Er hat eindeutig zuerst ein Auge in meine Richtung geworfen und sieht Valerie eher als Ersatz. Wenn das so bleibt, wäre es nicht fair Valerie gegenüber, sie hat jemand verdient, der nur sie im Blick hat. Damit scheidet Jerome als ernsthafter Kandidat definitiv aus. Aber vielleicht sieht er in mir auch nur seine Mama oder so und bemerkt bald, wie liebenswert Valerie tatsächlich ist. Dann könnte es vielleicht doch noch klappen. Aber ich glaube irgendwie nicht daran, weswegen ich mir vornehme, auf dem Weg nach Hause mit Valerie darüber zu reden.


Als die beiden von der Tanzfläche wiederkommen, leuchten Valeries Augen begeistert und sie ist ganz außer Atem, während Jerome keinerlei Anzeichen zeigt, dass er sich angestrengt hat. Ich nicke ihm anerkennend zu.

«Nicht schlecht. Du tanzt fast so gut wie Pierre.»

«Fast? Das wage ich aber zu bezweifeln. Ich tanze besser, wetten?»

«Ich wette nicht. Machst du Tanzen als Sportart?»

«Nein, das mache ich nur ab und zu als Freizeitbeschäftigung.»

«Ehrlich Trish. Ich kenne niemanden, der so gut tanzt, wie Jerome», mischt sich Valerie ein.

«Das liegt nur daran, weil ich Pierre nicht verleihe und du daher noch nie mit ihm getanzt hast.»

«Siehst du, Trish. Nur du hast den direkten Vergleich. Was zögerst du, wage doch ein Tänzchen mit mir.» mischt sich Jerome wieder dazwischen.

Diesmal stöhne ich wirklich auf.

«Da gibt es nichts zu wagen und die Antwort ist nein.»

«Ich glaube, du bist dir gar nicht sicher, sonst würdest du doch auf die Wette eingehen, oder?»

«Na klar. Und dann behauptest du auch noch, im Bett besser zu sein und ich sollte auch da einen Vergleich wagen.»

«Jetzt, wo du es erwähnst.», sagt Jerome gedehnt.

Ich verdrehe die Augen, der Kerl ist wirklich von sich selbst überzeugt.

«Erzähl lieber mal ein wenig von dir. Wie bist du denn nach Bordeaux und zu deinem Studium gekommen?»

«Da gibt es nicht viel zu erzählen. In meiner Heimat ist nicht viel los, die Aussichten für junge Leute sind schlecht und man muss Teil der Seilschaften sein, um etwas erreichen zu können. Doch da die von den Alten kontrolliert werden, bin ich weggegangen. Zuerst habe ich in verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben gejobbt, zuletzt auf einem Weingut. Das hat dann mein Interesse am Weinbau geweckt, also habe ich mich in Bordeaux eingeschrieben.»

«Ist doch klasse, wenn man einfach so seinen Interessen nachgehen kann.»

«Ja, es ist schon gut, wenn man frei ist. Aber was macht denn dein Pierre, Student ist der doch nicht, oder?»

«Nein, er ist Weinhändler in meinem Heimatdorf?»

«Weinhändler? Dann ist er sicherlich dick, hat eine rote Nase und ist sein eigener, bester Kunde.»

«Er ist schlank, athletisch und hat ebenmäßige Haut, du Blödmann.»

Jerome grinst mich schelmisch an.

«Noch, liebe Trish, noch. Aber Weinhändler sind immer dick und haben immer eine rote Nase. Das bringt der Beruf mit sich. Bei anderen Berufen sind die Aussichten wesentlich besser. Nimm mich zum Beispiel…»

Ich unterbreche ihn, bevor er beginnen kann, seine Vorzüge aufzuzählen, was vermutlich nicht vor morgen früh enden würde. Abrupt stehe ich auf.

«Ich hole mir noch einen Cocktail, will noch wer was?»

Ich sehe Valerie an, dass sie froh ist für diese Unterbrechung, vermutlich wurmt es sie, dass sich Jerome nur für mich zu interessieren scheint. Ich brauche auf jeden Fall etwas Ruhe, hoffentlich schafft es Valerie, Jeromes Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Valerie bestellt auch einen Cocktail und so ziehe ich los, uns noch Getränke zu besorgen.


Als ich mit den Gläsern wiederkomme, hat es Valerie geschafft, Jerome in ein Gespräch zu verwickeln. Ihre Taktik ist es, einfach von sich zu erzählen und Jerome hört ihr anscheinend tatsächlich zu. Da ich Vals Lebensgeschichte bereits kenne, konzentriere ich mich darauf, Jerome zu beobachten. Schnell bemerke ich, dass er ein sehr aufmerksamer Mensch ist. Ständig sind seine Augen in Bewegung, aber er hört auch zu, denn er reagiert durchaus angemessen, wenn Valerie mal nachfragt, ob er noch dabei ist. Ich bin davon überzeugt, dass ihm nichts entgeht. Ob er vielleicht gar nicht so harmlos ist, wie er erscheint? Ein solches Verhalten haben meist Menschen, die verfolgt werden oder vor Entdeckung Angst haben.

Irgendwie macht diese Beobachtung Jerome interessanter. Ihn scheint ein Geheimnis zu umgeben, obwohl ich nicht sicher bin, ob ich mir all das nicht vielleicht nur einbilde. Nun ja, letztlich ist es auch egal, er sucht vermutlich einfach Anschluss und lernt hoffentlich schnell, dass ich nicht gewillt bin, mich auf irgendwelche Affären einzulassen. Vielleicht findet er ja Interesse an Valerie, aber ich habe das Gefühl, dass er ihr nur aus Höflichkeit zuhört. Das wäre natürlich keine so gute Voraussetzung für eine Beziehung.

Nachdem Valerie ihr Leben in Grundzügen ausgebreitet hat, versuche ich, noch ein paar Details aus Jeromes Leben zu erfahren. Aber er scheint sich entschlossen zu haben, nichts mehr von sich preiszugeben. Stattdessen kontert er mit Fragen nach mir, so dass ich auch einiges über mich erzähle, wobei ich natürlich die Besonderheiten weglasse, die die Tatsache mit sich bringt, dass Pierre kein Mensch ist. Die Zeit vergeht wie im Flug, zumal Jerome seine Aufmerksamkeit zwischen Valerie und mir aufteilt. Dadurch fühle ich mich nicht so bedrängt und Val hat keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Vielleicht ist Jerome ja doch ein ganz netter Kerl.

Als es Zeit ist, nach Hause zu gehen, bietet Jerome uns noch an, uns nach Hause zu bringen, aber da wir mit meinem Auto hier sind, kann ich mit gutem Gewissen ablehnen. Schließlich verabschiedet er uns mit der Bitte um den Austausch der Handy Nummern, dem Valerie bereitwillig zustimmt. Jerome kommt in meinem Handy gleich auf die Freundesliste, schließlich ist er bereits Teil unserer Studentengruppe und ich vermute, dass er sich weiterhin an Emile und seine Frauenbande halten wird. Auf dem Weg nach Hause taste ich mich dann vorsichtig an Valerie heran.

«Nun, willst du die Bekanntschaft mit Jerome vertiefen?»

«Er scheint ja ganz nett zu sein und er hat Interesse an mir.»

«Meinst du wirklich? Hoffentlich ist sein Interesse an dir auch echt.»

Valerie schaut mich skeptisch an.

«Ich denke schon, oder?»

«Ich bin nicht sicher. Er hat erst angefangen, sich mit dir zu unterhalten, als ich die Cocktails holen gegangen bin.»

«Stimmt schon, er hat zuerst nur dich beachtet. Aber da wusste er noch nicht, dass du in festen Händen bist.»

«Ich bin nur nicht sicher, ob es Jerome um dich geht. Willst du wirklich mit jemanden anbändeln, dem du eigentlich egal bist?»

«Vielleicht entwickelt sich sein Interesse ja noch, wenn wir uns erst einmal besser kennenlernen.»

Ich weiß es besser als daraufhin noch mehr in Valerie zu drängen. Wenn ich jetzt versuche, ihr Jerome auszureden, wird sie ernsthaft ärgerlich werden und ich erreiche nur das Gegenteil. Es ist besser, ich warte mit meinen Einwänden, bis ich Jerome besser kenne. Dann kann es zwar sein, dass Val in Liebeskummer versinkt, aber davor kann ich sie beim besten Willen nicht bewahren.


Als ich mich am anderen Tag mit meinen Freunden zum Mittagessen treffe, ist Jerome nicht dabei. Ich frage Emile nach ihm, aber der zuckt nur mit den Schultern. Offensichtlich ist Jerome bisher nicht aufgetaucht. Doch nach etwa einer Viertelstunde erscheint er plötzlich, wieder mit einem Kaltgetränk in der Hand.

«Hallo Leute. Entschuldigt, dass ich so spät da bin, ich war noch mit einem Bekannten essen. Aber ich dachte mir, besser spät als gar nicht.»

Wir murmeln alle ein hallo und Jerome setzt sich zu uns. Dann zwinkert er mir zu.

«Na, bist du gut nach Hause gekommen?»

Kala hat die Bemerkung gehört und bekommt sofort spitze Ohren.

«Ihr seid gestern zusammen aus gewesen?»

«Nicht direkt», erläutere ich. «Ich habe Valerie in das la pêche begleitet und dort haben wir Jerome getroffen. Und dann sind wir ihn den ganzen Abend nicht mehr losgeworden.»

Kala lacht.

«Oha, ist unser Jerome so anhänglich?»

Jerome lächelt lediglich.

«Komm schon, Trish. Ohne mich wäret ihr doch vor Langeweile gestorben. Stell dir vor, Kala. Trish hat sich den ganzen Abend geweigert, mit mir zu tanzen.»

«Oje. Wie willst du denn feststellen, ob dein Pierre etwas taugt, wenn du nicht ab und zu eine Alternative ausprobierst.»

Ich stöhne auf.

«Jetzt fange du nicht auch noch damit an. Sicherlich hast du deinen Ratschlag schon hundertfach an alternativen Freundinnen getestet, oder?»

Hier mischt sich Francine kauend ein.

«Wenn sie das täte, dann würde ich ihr ihre wunderschönen Augen auskratzen. Ohne die würde sie keine Frau auch nur mit dem Hintern ansehen.»

Kala zieht eine Schnute.

«Was? Bei Frauen stellst du dich so an, aber wenn ich Männern hinterherlaufe, dann ist das ok?»

«Klar, weil ich weiß, dass du es bei denen nicht ernst meinst.»

Ich wende mich schulterzuckend an Jerome.

«Du siehst Jerome. Du brauchst dich lediglich in eine Frau verwandeln zu lassen, dann hast du auch Chancen bei Kala.»

«Nein, lass mal. Ich gefalle mir als Mann ganz gut. Ich bin sicher, dass ich dich noch von meinen Qualitäten überzeugen kann.»

Offensichtlich ist sein Interesse an Valerie doch nur vorgeschoben, das kann ja heiter werden. Ich verdrehe die Augen.

«Sag mal Emile. Ignorieren alle Kerle das Besetzt Zeichen, selbst wenn man es ihnen mit Wucht vor die Nase knallt?»

Emile wirft einen Seitenblick auf Jerome, der so etwas wie Bewunderung enthält.

«Nein, nicht alle. Aber die mit einem guten Selbstbewusstsein schon.»

Jerome schaut mich mit einem durchdringenden Blick an, in seinen Augen glitzert etwas wie wenn ein Jäger seine Beute betrachtet. Ich habe das dumpfe Gefühl, als würde ihn meine Zurückweisung eher anspornen als abschrecken.

«Was ist das denn für ein Freund, der dich den ganzen Tag hier alleine lässt? Lasse dich doch einfach mal auf mich ein, dann wirst du sehen, dass du bei mir viel glücklicher wirst.»

«Sorry, mein Lieber. Du bist einfach nicht mein Typ. Ich werde Pierre Bescheid sagen, dass du dringend eine Abreibung brauchst, um deine Grenzen kennen zu lernen.»

«Ich bin auch ziemlich stark.»

«Mit jemand wie dir wird Pierre im Schlaf fertig.»

«Wir können ja wetten.»


Langsam wird mir diese Anmache von Jerome zu dumm. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal eines Mannes mit Händen und Füßen erwehren müsste. Also seufze ich nur tief.

«Es ist ja ganz nett, dass du dich für unwiderstehlich hältst, aber investiere deine Energien bitte bei jemand anderem.»

Damit wende ich mich demonstrativ Madelaine zu und ignoriere Jerome schlicht und einfach. Gott sei Dank scheint er die Botschaft zumindest momentan begriffen zu haben, denn er sagt nichts mehr, seine Blicke verraten aber, dass er seine Versuche nicht so bald einstellen wird. Die Unterhaltung wendet sich anderen Themen zu und so bleiben mir weitere Annäherungsversuche von Jerome erspart.

Vermutlich werde ich Pierre wirklich bitten müssen, ihm zu zeigen, dass das mit dem Besetzt Zeichen ernst gemeint ist, Es wurmt mich eigentlich, diese Botschaft nicht selbst anbringen zu können, aber Jerome scheint einer von den Männern zu sein, die denken, dass Frauen das Gegenteil von dem meinen, was sie sagen. Dass das gleichzeitig eine der Gründe wäre, nicht mit ihm anzubandeln, selbst wenn ich frei wäre, macht die Sache nur schlimmer.

Ich kann nur hoffen, dass auch Valerie bald einsieht, dass der nichts für sie ist. Valerie liebt es, umworben zu werden und freut sich, wenn sich ein Mann um sie bemüht. Aber wenn Jerome nur Augen für mich hat, wäre jede Bemühung seinerseits in ihre Richtung vermutlich nur gespielt. Das hat Valerie nicht verdient und wäre auch nicht fair ihr gegenüber. Eigentlich schade, denn ich habe nicht das Gefühl, als wäre ich etwas Besonderes und Valeries Art ist viel lebendiger und fröhlicher als meine. In gewisser Weise tut mir Jerome leid. Er ist neu in der Stadt und sucht Anschluss, so weit ist das alles ja verständlich. Dass er aber nicht einsehen kann, dass er keinerlei Chance bei mir hat, ist ein echter Charakterfehler.

Der Nachmittag vergeht, ohne dass ich Jerome noch einmal begegne. Ich bin allerdings auch früh zuhause und konzentriere mich auf eine Hausarbeit, die ich in der nächsten Woche abgeben muss. Valerie ist dagegen bis abends in einem Seminar, so dass ich sie nicht mehr zu sehen bekomme, bis ich zu meinem Selbstverteidigungskurs aufbreche.

Ich war in der Schule in Sport nicht die Schlechteste gewesen und ich reite ja auch immer noch ganz gerne. Aber seit ich die übernatürliche Welt kennengelernt habe, ist in mir der Wunsch gewachsen, mich im Notfall auch selbst verteidigen zu können. Ich glaube der Auslöser war damals der Moment, als ich vollkommen hilflos Gregori gegenübergestanden bin, ohne die Möglichkeit zu fliehen, ohne die Möglichkeit zu kämpfen. Wäre da nicht Tante Anna wie aus dem Nichts aufgetaucht, hätte ich mich diesem bösartigem Vampir nur ergeben können. Wer weiß, ob ich das überlebt hätte.

Nun ist gegen Vampire eigentlich kein Kraut gewachsen. Sie sind schneller als ich mit einem Auto fahren könnte, also ist weglaufen keine Option. Sie sind stärker als ein Dutzend Männer, also hat man kaum eine Möglichkeit, sie zu überwältigen. Die einzige Möglichkeit ist, sie zu überraschen. Dazu muss man aber Bewegungsabläufe einstudieren, so dass man sie ausführen kann, ohne zu denken. Genau dafür dient mir mein Kurs in Selbstverteidigung und ich lerne vor allem Techniken, mit denen man die Stärke eines Gegners gegen diesen selbst richten kann.


Nach dem Kurs bin ich ziemlich müde und geschlaucht. Das Training hat ganz schön Kraft und Energie gekostet. Daher ist alles, was ich will, etwas zu trinken und dann ins Bett. Aber als ich in die Küche komme, sitzt Valerie dort mit einer geöffneten Weinflasche vor sich, andächtig an ihrem Glas nippend, die Augen in die Ferne gerichtet. Sie winkt mir zu.

«Hi, Trish. Willst du auch ein Glas?»

Ich schaue auf das Etikett, ein sehr guter französischer Merlot aus dem Bestand, den sich Valerie zugelegt hat.

«Da sage ich nicht nein. Ich hoffe, den hast du bei Pierre gekauft.»

«Nee, in dem Supermarkt nebenan.»

«Na, wenn du Geld zu verschenken hast.»

«Hey, das war ein Sonderangebot, da kommen selbst eure Preise nicht mit.»

Ich seufze. Der Weinhandel, den Pierre aufgezogen hat, beginnt langsam anzulaufen und sich selbst zu tragen, aber es fällt ihm immer noch schwer, mit den Preisen zu konkurrieren, den große Handelsketten anbieten können. Pierre hat in seinem früheren Leben ein Vermögen verdient, aber ein Großteil davon in sein jetziges Geschäft investiert. Es wird also langsam Zeit, dass sich seine Investition auszahlt.

«Na gut, du bist entschuldigt, wenn du mit mir teilst.»

Valerie stellt mir ein Glas hin, füllt es mit dem Wein und ich nehme das Glas auf, um es mit meinen Händen zu wärmen. Während ich darauf warte, dass sich das Bouquet entfaltet, schaut mich Valerie nachdenklich an.

«Dieser Jerome ist wirklich ein interessanter Typ.»

Ich stöhne auf.

«Weißt du. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass er nichts für dich ist.»

«Wieso das denn?»

«Na ja, heute Mittag hat er sich wieder heftig an mich rangemacht. Ich musste ihn fast verprügeln, damit er mal Ruhe gibt. Aber er hält sich für unwiderstehlich. Ich vermute, dass ich ihn so bald nicht loswerde. Wenn er dermaßen auf mich fixiert ist, dann ist es für dich reine Zeitverschwendung, ihm schöne Augen zu machen.»

«Das heißt, du trittst ihn mir ab?»

«Wenn du an ihm interessiert bist, nur zu. Aber du solltest dich nicht an jemand verschwenden, der nicht in der Lage ist, dich zu sehen.»

«Übertreib mal nicht, ich kann es ja einfach ausprobieren.»

«Nur dass deine Proben immer in Liebeskummer ausarten.»

«Irgendwann muss ich doch mal an den Richtigen geraten. Du hast ja gut reden mit deinem Pierre.»

Dazu sage ich nichts mehr. Weitere Diskussionen erübrigen sich, bis ich besser über Jerome Bescheid weiß. Ich fürchte nur, dass Valerie irgendwann in einer Art Torschlusspanik den Falschen vor den Traualtar schleppt und dann wirklich unglücklich wird. Sie hat schon Recht. Meine erste wirkliche Liebe war Pierre und er ist und bleibt der Einzige. Ich habe dazu nichts getan, außer mich im richtigen Moment für Pierre entschieden zu haben. Unsere Beziehung hatte auf der Kippe gestanden und Pierre hatte mir angeboten, entweder zu gehen oder ihm zu vertrauen.

Ich habe ihm vertraut und das bis heute nicht nur nicht bereut, sondern immer wieder staunend wahrgenommen, welch seltsame Wege das Schicksal einschlagen kann. Durch Pierre habe ich nicht nur die übernatürliche Welt kennengelernt, sondern auch erfahren, dass meine Tante die Anführerin aller Vampire außerhalb von Europa ist. Ohne diese eine Entscheidung in diesem einen Augenblick, als ich die ganze Tragweite weder übersehen noch überhaupt erahnen konnte, wäre mein Leben in vollkommen andere Bahnen geraten. Nun vielleicht ist das ja bei Valerie und Jerome ähnlich. Ich weiß es nicht, also sage ich nichts dazu. Aber glauben kann ich das irgendwie nicht.

Während wir unseren Wein trinken, plaudern wir über andere Dinge. Ich werde morgen ganz normal nach der einen Uni Veranstaltung nach Hause fahren und Valerie wird das diesmal auch tun. Sie hängt eigentlich sehr an ihrer Familie, aber das heißt nicht, dass man unbedingt jedes Wochenende zu ihr fahren muss. Bei mir ist das wegen Pierre etwas anders. Ich belasse es bei dem einem Glas Wein, denn der Alkohol macht mich zusätzlich müde und der Tag war schon anstrengend genug gewesen. Also wünsche ich Valerie noch eine gute Nacht und verziehe mich in mein Bett.

Blutgefährtin 2

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