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2. Der Neue
ОглавлениеIch werde wach, noch bevor mein Wecker klingelt. Ich liege in Pierres Armen und ich bin glücklich. In dem Dämmerzustand zwischen Schlafen und Wachen denke ich über mein Leben nach und stelle fest, dass es nicht besser sein kann. Ich studiere mein Wunschfach, ich lebe in einer der schönsten Gegenden der Welt, ich liebe den Mann, mit dem ich mein Leben verbringen will und kann mit ihm den grandiosesten Sex der Welt genießen. Dass Pierre nicht menschlich ist und ich auch noch die Nichte einer Königin der Vampire bin, macht die Sache eher besser. Es geht eben nichts über ein paar Geheimnisse, die das Leben interessant gestalten. Mit einem Schauder schmiege ich mich noch enger an Pierre. Es sollte verboten werden, so glücklich zu sein. Während ich langsam aus meinen Traumwelten auftauche, geht mein erster Blick zu Pierre. Er ist von meiner Unruhe auch aufgewacht und lächelt mich an. Ich lächle zurück.
«Guten Morgen.»
«Guten Morgen, Liebling» meint Pierre und gibt mir einen sanften Kuss.
«Geh du zuerst ins Bad, dann kann ich noch ein wenig warm werden.»
Pierre hebt die Augenbrauen. «Ich kenne da andere Methoden.»
«Nix da. Valerie ist bestimmt inzwischen zurück und ich will hier keine öffentliche Show abziehen.»
«Wie schade.»
Pierre schaut mich noch einen Moment mit glitzernden Augen an, aber als ich ihn mit einem strengen Blick zur Ordnung rufe, seufzt er und verschwindet im Bad. Ich wickle die Decke um mich und versuche, noch ein wenig Körperwärme aufzunehmen. Einer der wenigen Nachteile, einen Vampir zum Liebhaber zu haben, ist, dass sie normalerweise eine sehr niedrige Körpertemperatur haben und damit zum gemütlichen Kuscheln im Bett absolut nichts taugen. Außer man heizt sie durch intime Übungen auf, aber in einer kleinen Wohnung, wie dieser, bekommen alle Mitbewohner mit, was ab geht. Es besteht zwar eine geringe Chance, dass Valerie eine andere Schlafgelegenheit gefunden hat, aber ich will da kein Risiko eingehen.
Ich habe am frühen Vormittag eine Vorlesung, deshalb scheuche ich Pierre bald aus dem Bad heraus. Ich möchte mit ihm noch eine gemeinsame Zeit am Frühstückstisch verbringen.
«Mach schon einmal Kaffee», weise ich ihn an, bevor ich unter der Dusche verschwinde.
Kurze Zeit später steht eine dampfende Tasse Milchkaffee vor mir, Pierre trinkt seinen Kaffee schwarz und ich beschmiere ein Croissant mit Marmelade. Meine Gedanken eilen dem Tag und der Woche voraus.
«Die Party ist am Samstagabend, nicht wahr?», frage ich kauend.
Pierre nickt. «Ja, gegen 20 Uhr in Marseille. Es ist aber eine andere Adresse als vor eineinhalb Jahren.»
«Hast du eine Ahnung, was die Kleiderordnung angeht?»
«Abendgarderobe. Für mich heißt das Frack.»
Ich verziehe das Gesicht.
«Dann habe ich eh nichts anzuziehen. Du musst ohne mich gehen.»
Pierre lächelt und streichelt mir die Hände.
«Arme Trish. Geh doch einfach in Jeans und T-Shirt. Du siehst in allen Sachen toll aus.»
Typisch Mann, hat keinerlei Sinn, was Kleidung angeht. Ich versuche wieder, ihn streng anzusehen, aber so etwas prallt an Pierre immer ab, wie Wasser an einer Teflon Oberfläche. Ich verziehe das Gesicht.
«Da werde ich wohl oder übel shoppen gehen…»
Ich werde davon unterbrochen, dass Valerie aus ihrem Zimmer geschlichen kommt. Sie würdigt Pierre keines Blickes, schlurft zum Schrank, holt eine Tasse heraus, schüttet sich einen Kaffee ein und verschwindet wieder in ihrem Zimmer. Kein Wort, kein Blick, zerknittertes Gesicht. Bei mir gehen sofort alle Alarmglocken an. Schnell trinke ich meinen restlichen Milchkaffee aus und stehe auf.
«Los Pierre, du musst gehen. Ich rufe dich heute Abend an.»
Auf den fragenden Gesichtsausdruck hin setze ich hinzu.
«Krise. Ich muss mich jetzt um Val kümmern.»
Daraufhin stellt Pierre keine Fragen mehr, packt seine Sachen zusammen und gibt mir an der Haustür noch einen zärtlichen Kuss. Den kann ich aber gar nicht richtig würdigen, denn ich bin schon in Gedanken bei Valerie, irgendetwas mit ihrem Date muss gründlich schiefgelaufen sein. Vorsichtig klopfe ich an ihre Zimmertür.
«Val? Ich bin‘s, Trish. Darf ich reinkommen?»
Als keine Antwort ertönt, klopfe ich etwas deutlicher.
«Mach schon auf, Val. Ich will mir dir reden. Pierre ist weg.»
Das Knurren, das ich daraufhin von drinnen höre, interpretiere ich als Einladung und versuche deshalb, die Tür zu öffnen. Sie ist nicht abgeschlossen, also lasse ich mich ein. Valerie sitzt wie ein Häufchen Elend an den Rand ihres Bettes, der Kaffee steht auf ihrem Nachtschränkchen und sie sieht aus wie sieben Tage Regenwetter. Ich setze mich neben sie und nehme sie in den Arm. Dann sage ich einfach nichts. Valerie weint nicht, aber sie ist dicht dran. Ich warte ab, bis sie so weit ist. Schließlich verzieht sie das Gesicht.
«Ich will dich eigentlich hassen, Trish. Aber ich schaffe es einfach nicht.»
Diese Eröffnung hatte ich nicht erwartet, also warte ich weiter ab.
«Eigentlich bin ich nur neidisch. Du bist so glücklich mit deinem Pierre. Pierre hier, Pierre dort und wie der Kerl obendrein noch aussieht. Und dann ist er auch noch eine Granate im Bett. Wann hat mich das letzte Mal jemand in dieser Weise flach gelegt?»
Jetzt spüre ich, dass meine Ohren warm werden. Das ist gegen die Vereinbarung.
«Du hast doch nicht etwa gelauscht?»
Valerie lacht ohne Freude auf.
«Was heißt hier gelauscht? Ich hätte mir die Ohren verstopfen, die Decke über den Kopf ziehen und das Radio ganz laut machen müssen, um nichts mitzubekommen. Der Kerl hat dich ja ganz schön rangenommen.»
Hitze strömt durch mein Gesicht, aber sie ist mit Zorn gemischt.
«Das ist unfair, Val. Du wolltest mir vier Stunden geben.»
Valerie hebt beide Hände, lässt aber den Kopf weiter hängen.
«Schon gut, Trish. Entschuldige. Du hast Recht, ich hätte nicht lauschen sollen. Aber wohin hätte ich denn gehen können?»
«Was ist denn passiert?»
«Männer sind mir passiert. Ich war mit so einem Typen verabredet, den ich im Eissalon kennen gelernt habe. Italienischer Look, gut gebaut, charmant. Aber ich war zu früh dran und musste miterleben, wie er von seiner vorherigen Verabredung Abschied genommen hat.»
«Von seiner vorherigen Verabredung?»
«Ja, offensichtlich ist der Typ so gefragt, dass er die Damen in Schichten abarbeitet. Mit gründlicher Abschlussprüfung.»
«Abschlussprüfung?»
«Festsaugen in der Gesichtsregion und Abtasten, ob die Körbchengröße richtig eingestellt ist.»
«Scheiße.»
Mehr kann ich dazu wirklich nicht sagen. Ich bin zwar wütend, dass Valerie das Liebesspiel zwischen Pierre und mir mitbekommen hat und bin mehr als peinlich berührt, aber ich habe auch Mitleid mit ihr. Sie schafft es immer wieder, sich die Falschen rauszusuchen. Valerie zuckt hilflos mit den Schultern.
«Was hättest du denn in so einer Situation gemacht?»
«Vermutlich dem Kerl irgendwohin getreten, so dass er für einige Zeit das Interesse an Körbchengrößen verloren hätte.»
«Gewalt ist keine Lösung, Trish.»
«Stimmt, befriedigt aber ungemein.»
«Da hast du natürlich auch wieder Recht.»
Damit stockt die Unterhaltung, während Valerie ihren trüben Gedanken nachhängt.
«Mir ist natürlich nichts Besseres eingefallen, als den Typ anzuschreien und die Flucht zu ergreifen. Ich habe dann eine halbe Stunde in einer Bar abgehangen, aber dann hatte ich keine Lust mehr, in der Öffentlichkeit Trübsal zu blasen und bin nach Hause gegangen. Ich dachte, dass ich einfach ganz leise bin und du dann gar nicht merkst, dass ich da bin. Das war aber ein Fehler. Ich musste gar nicht leise sein, weil du so geschrien hast und ich wurde dadurch nur neidisch auf dich.»
Wieder wird mir ganz warm um die Ohren, Mann ist das peinlich.
«Ich hab gar nicht geschrien.»
«Ha, wenn ich das aufgenommen hätte, könnte ich jetzt ein Vermögen mit einer Sex Hotline verdienen. Aber natürlich habe ich nicht rechtzeitig daran gedacht.»
Jetzt platzt mir doch der Kragen. Ich packe Valerie an den Schultern und funkle sie böse an.
«Ich habe nicht geschrien.»
Valerie schaut nachdenklich zurück.
«Na gut, nicht geschrien. Aber ziemlich laut warst du schon.»
So langsam ist mir das zu dumm. Wenn Valerie nichts weiter will, als mir mein Liebesleben unter die Nase reiben, kann sie mit ihren Problemen bleiben, wo der Pfeffer wächst. Ich will gerade aufstehen, da hält mich Valerie zurück.
«Entschuldige, Trish. Ich gönn dir dein Glück ja. Ich wünschte nur, ich hätte auch jemanden wie Pierre.»
Sie sagt das so kleinlaut, dass sich mein Zorn im Nu verflüchtigt. Ich umarme sie wieder.
«Du wirst den Richtigen schon noch finden, Val. Denk nicht weiter an den Eisdielen Typen. Solche Kerle gibt es wie Sand am Meer. Pass auf, wir machen uns heute Abend einen Mädels Abend. Ich muss mir eine Abendgarderobe kaufen und du hilfst mir dabei, ok?»
«Eine Abendgarderobe?»
«Ja, Pierre und ich müssen zu einem vornehmen Treffen irgendwelcher Honoratioren gehen, irgendetwas wegen dem Weinhandel. Und ich habe nichts anzuziehen. Also muss ich mir vor dem Wochenende noch etwas besorgen.»
Valeries Miene hellt sich angesichts dieser Aussichten auf.
«Klar helfe ich dir. Und ich weiß auch schon genau, wo wir hingehen.»
Valerie kommt zwar aus einer sehr ländlichen Gegend, wohnt aber schon länger in Montpellier als ich. Sie kennt die Stadt auch besser, zumal ich bisher nur wenige Gelegenheiten hatte, die Einkaufsmeile hier zu erforschen. Deshalb bin ich auch froh, dass Valerie mir hilft und das nicht nur, weil ich sie damit von ihrem geplatzten Date ablenken kann.
Durch die aktive Krisendiplomatie ist es recht spät geworden, also muss ich mich sputen, um noch rechtzeitig zu meiner Vorlesung zu kommen. Valeries Wohnung liegt in den Außenbezirken von Montpellier, weswegen ich mein Auto nehme, um zur Uni zu fahren. Kurz nach meinem Schulabschluss habe ich den Führerschein gemacht und zu meinen bestandenen Prüfungen hat mir Großvater einen netten, kleinen Wagen geschenkt, einen knallroten C1, schon ein paar Jahre alt, aber noch gut in Schuss.
In Montpellier brauche ich den Wagen eigentlich kaum, denn man kommt ganz gut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln herum und ich habe ja auch noch mein Fahrrad, aber für die Fahrt nach Hause ist das Auto unumgänglich. Die Bahn nach Lorgues braucht Ewigkeiten, nicht zu reden von der unbequemen Verbindung. Ich müsste in Marseilles und Toulon umsteigen und wäre die dreifache Zeit unterwegs, die ich mit dem Auto benötige. So kann ich am Freitag direkt nach der letzten Veranstaltung an der Uni nach Hause aufbrechen und bei Pierre vorbeischauen, bevor ich zu Großvater auf unser Weingut fahre.
Ich erreiche die Uni gerade rechtzeitig, um zusammen mit dem Professor den Vorlesungssaal zu betreten. Dabei habe ich auch noch Glück gehabt, denn der Verkehr war nur mäßig und ich habe sofort einen Parkplatz gefunden. Daher habe ich zwar keine Zeit, meine Freunde aus dem Kurs zu begrüßen, aber ich bekomme einen Platz direkt neben Kala, der ich ein kurzes „Hallo“ zuwerfe, bevor ich hastig meine Unterlagen auspacke. Kala grinst mir zu.
«Na verschlafen?»
«Nee, Valerie hatte Probleme mit ihrem Date, die musste ich erst mit ihr ausdiskutieren.»
«Ich dachte, man müsste mit ihr erst diskutieren, wenn ein Date mal klappt.»
«Hey, der Typ hatte sich echt fies verhalten. Das kann einen schon ziemlich mitnehmen.»
«Ein Mann und verhält sich fies? Das musst du mir nachher näher erklären, so was kenne ich gar nicht.»
Jetzt müssen wir aber den Mund halten, denn der Professor schaut schon grimmig in unsere Richtung. Kala hat ja gut reden. Sie stammt aus Afrika, aus einer der ehemaligen französischen Kolonien, heißt Kala Tsotsi, ist schwarz wie die Nacht, von einer aufregenden exotischen Schönheit und steht nur auf Frauen. Regelmäßig versuchen Männer sich ihr zu nähern und sie macht sich einen Spaß daraus, ihnen erst Hoffnung zu machen, um sie dann abblitzen zu lassen. Ich habe zwar schon einige Male versucht, ihr klar zu machen, dass das nicht nett ist, aber sie sieht das natürlich ganz anders.
Sie stammt aus einer wohlhabenden, einflussreichen Familie und hatte eigentlich verheiratet werden sollen. Doch als sie sich standhaft weigerte, den über zwanzig Jahre älteren Mann zu heiraten und in ihrer Heimat einen mittleren Skandal verursachte, hat ihre Familie sie nach Frankreich geschickt, um sie aus dem Weg zu haben. Hier hat sie dann ihre Freiheit und ihre Vorliebe für Frauen entdeckt. Sie ist fest mit Francine Roux zusammen, die ebenfalls zu meinem Freundeskreis zählt. Madelaine Cazardieu und Emile Dupont komplettieren die Gruppe von Leuten, mit denen ich außer mit Valerie die meiste Zeit verbringe. Sie sind alle in meinem Semester, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten und wir gehen gewöhnlich miteinander Mittagessen. Valerie ist ab und zu dabei, aber sie ist mir ja einige Semester voraus und hat ihren eigenen Freundeskreis.
Krampfhaft bemühe ich mich, den anstehenden Empfang mit Louis oder die ungewollte Anwesenheit von Valerie gestern Abend aus meinen Gedanken zu verdrängen. Der Professor stellt in seiner Vorlesung ziemlich hohe Ansprüche an unsere Aufmerksamkeit, denn er ist zwar sehr kompetent, nimmt aber auch immer wieder an, dass wir ebenfalls solche Genies sind, wie er. Also verpackt er öfter wesentliche Informationen in unscheinbaren Nebensätzen, so dass man, wenn man nicht aufpasst, diese verpasst und den Stoff nicht mehr zusammenbekommt. Was sich ziemlich negativ auf Prüfungen auswirken kann, wie ich im ersten Semester feststellen musste.
Nach der Vorlesung habe ich noch ein Proseminar, während Kala zu einer Übung eilt, so dass ich ihr nichts Näheres über Valeries Date erzählen kann. Eigentlich bin ich darüber froh, denn es gehört sich nicht, über Valerie zu klatschen, wenn sie nicht dabei ist. Auch so etwas, wie eine Warnung vor dem Eisdielen Typen auszusprechen, ist ziemlich überflüssig, denn Kala und Francine sind fest miteinander liiert, Madelaine ist genauso wie ich in einer andauernden Beziehung und Emile steht als Mann eher auf Frauen und ist nicht in Gefahr durch irgendwelche Eisdielen Schönlinge verführt zu werden.
Nach dem Proseminar schlendere ich gemütlich zum parkähnlichen Innenhof der SupAgro. Das Hauptgebäude ist ein wunderschöner Altbau, ein ehemaliger Adelssitz, und wurde vom Departement vor einigen Jahren als Fachhochschule für Landwirtschaft ausgebaut. Ich finde es gut, eine solche auf Landwirtschaft spezialisierte Hochschule zu haben, denn die klassischen Universitäten vernachlässigen zu oft die Praxis und für die meisten Menschen im ländlichen Mittelfrankreich ist Praxisnähe viel wichtiger als weitreichende wissenschaftliche Kenntnisse.
Auch für mich ist diese Hochschule ideal. Alles, was ich will, ist, mir so viele Kenntnisse über Weinbau anzueignen, dass ich unser Weingut mit Aussicht auf Erfolg weiterführen kann, wenn Großvater nicht mehr ist. Auf der anderen Seite wollte ich nicht zu weit von Lorgues weg, sowohl wegen Pierre als auch wegen Großvater. Pierre muss mindestens einmal im Monat trinken, damit sein Vampir nicht die Kontrolle übernimmt und er anfängt, im Blutrausch Menschen umzubringen. Ich habe absolut etwas dagegen, dass sich Pierre sein Blut woanders holt, denn das Trinken ist in der Regel mit Sex verbunden und dafür bin ich schließlich zuständig.
Auf dem Innenhof sehe ich Kala, Francine und Madelaine schon schwätzend zusammen stehen. Ich begrüße sie mit einem lockeren „hey“ und stelle mich dazu. Wir warten noch auf Emile, um dann gemeinsam zur Kantine zu gehen. Kala ist natürlich diejenige, die das Gespräch führt. Sie erzählt von ihrem Übungsleiter, der wohl ein paar Augen auf ihre rassige Schönheit geworfen hat, aber noch nicht gemerkt hat, dass Kala von der anderen Fraktion ist.
Ich muss dabei über mich selber lächeln. Als ich erfahren hatte, dass Kala nichts mit Männern zu tun haben will, war ich erst etwas peinlich berührt, aber dann habe ich mir gedacht, dass jemand, der mit einem Vampir ins Bett geht und einige recht ungewöhnliche Gewohnheiten zu praktizieren pflegt, wohl besser nicht mit dem Finger auf andere zeigt. Inzwischen habe ich mich an die Beziehung zwischen Kala und Francine gewöhnt und muss sagen, dass sie gar nicht so viel anders ist als das, was ich zwischen normalen Paaren sehe.
Emile ist etwas spät dran, aber kurz bevor wir anfangen unruhig zu werden, ruft Madelaine aus.
«Da ist er ja.»
Ich drehe mich um und sehe, dass sich Emile in der Begleitung eines jungen Mannes nähert. Emile ist eher klein und kommt mir oft irgendwie zu jung vor. Kala, Francine, Madelaine und ich hatten uns im ersten Semester zusammengefunden, während Emile erst nachträglich zu uns gestoßen ist. Als einziger Mann unter vier Frauen hätte man meinen können, er würde sich wie ein Hahn im Hühnerstall aufführen, aber tatsächlich hat er nie den Versuch gemacht, mit einer von uns anzubändeln. Ich hatte immer das Gefühl, er würde sich in unserer Gesellschaft eher deshalb wohlfühlen, weil ihm das männliche Macho Gehabe abgeht.
Der Mann, der sich uns in seiner Gesellschaft jetzt nähert, macht einen etwas anderen Eindruck. Er ist schlank, hat eine athletische Figur, ist etwas größer als ich und von seinem Gesichtsschnitt her wohl spanischer oder südfranzösischer Herkunft. Sein Teint ist dunkel, wobei ich nicht zu sagen vermag, ob das angeboren ist oder von viel Aufenthalt in der Sonne herkommt. Da die meisten Studenten an der SupAgro viel mit landwirtschaftlichen Tätigkeiten zu tun haben, wäre das nichts Ungewöhnliches.
Der Unbekannte schaut uns mit einem scharfen Blick und einem leichten Lächeln entgegen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich dieses Lächeln mag, es schwankt zwischen einer gewissen Überheblichkeit und einem formalen Versuch, freundlich zu sein. Vielleicht irre ich mich ja, aber spontan gehört dieser Mann nicht zu den Leuten, denen ich meine Freundschaft und mein Vertrauen schenken würde. Aber eines ist sicher, er ist niemand, den man übersieht oder übersehen sollte. Dazu sieht er wirklich gut aus, sportlich, elegant und dynamisch. So wie er sich gibt, während er auf uns zugeht, weiß er das auch. Er ist sich seiner Erscheinung bewusst und genießt das.
Als die beiden uns erreichen, winkt Emile uns zu.
«Hallo Mädels. Entschuldigt, dass ich etwas zu spät komme. Ich war noch in ein Gespräch mit Jerome hier verwickelt. Das ist Jerome Merdrignac, ein neuer Student in Weinbau, den ich heute in meinem Kurs getroffen habe. Jerome, das sind Kala Tsotsi und Francine Roux, sie studieren Lebensmitteltechnik, Madelaine Cazardieu, Stadtentwicklung und Trish Strong, Weinbau.»
Oha, ein Neuer, der dasselbe studiert wie ich. Ich habe ihn allerdings bisher noch nicht in meinen auf Weinbau spezialisierten Kursen gesehen. Nun vielleicht besucht er ja die Anfängervorlesungen, die sind auf allgemeine Themen zugeschnitten, die Spezialisierung erfolgt erst ab dem dritten Semester. Wir nicken bei der Vorstellung Jerome jeweils zu, um ihn zu begrüßen, während Emile in seiner hektischen Art sofort weiterredet.
«Wir sind spät dran, lasst uns zur Kantine gehen. Jerome, kommst du mit?»
«Ich will zwar nichts essen, aber klar, ich komme gerne mit. Es ist schön, hier gleich neue Leute kennenzulernen.»
Jeromes Stimme ist irgendwie faszinierend. Nicht so laut und durchdringend, wie die von Emile, aber man hört jedes Wort und der Tonfall gebietet Aufmerksamkeit. Ich habe das Gefühl, dass Jerome gewohnt ist, im Mittelpunkt zu stehen. Daran ist sein extrem guter Körperbau bestimmt nicht unschuldig. Wäre ich nicht bis über beide Ohren in Pierre verliebt, würde ich Stielaugen bekommen. Aber gegen Pierre hat er keine Chance, Pierre ist viel schöner als alles, was ich sonst so gesehen habe.
Der Weg zur Kantine ist zu kurz, um den Neuen in irgendeiner Weise auszuhorchen, also weist Emile ihn nur kurz darauf hin, wo wir uns treffen und jeder macht sich auf den Weg, um sich etwas zu essen zu besorgen. Ich wähle das Standardgericht, Hühnchen Filet auf mediterranem Gemüse mit einem ordentlichen Nachtisch, dann mache ich mich auf zu unserem Treffpunkt. Dort warten schon Madelaine und Jerome. Madelaine hat wie normal lediglich einen Salat geholt, während Jerome nur ein kaltes Getränk in der Hand hält. Als ich die beiden erreiche, sehe ich einen freien Tisch in der Nähe.
«Lasst uns dort drüben hinsetzen», meine ich.
Wir setzen uns, gerade als Emile ankommt. Kala und Francine tauchen ebenfalls auf, so dass wir gemeinsam anfangen können zu essen. Nur Jerome nippt an seinem Getränk und scheint uns der Reihe nach durchzumustern. Sein Blick bleibt schnell an mir hängen, unter der scharfen Prüfung seiner Augen wird mir ungemütlich.
«Erzähl doch mal, Jerome. Wie kommst du denn so mitten im Semester hierher?» meine ich, um das Schweigen zu durchbrechen, das sich ausgebreitet hat.
«Ganz einfach. Eigentlich war ich bis vor kurzem in Bordeaux eingeschrieben, aber ich musste aus persönlichen Gründen hierher nach Montpellier kommen. Also habe ich versucht, mir meine Kurse anrechnen zu lassen und sehe zu, dass ich hier den Anschluss schaffe.»
«Geht das denn so einfach?»
«Nein, einfach nicht. Ich muss einiges nachholen, weil der Aufbau der Kurse hier anders ist als in Bordeaux. Gott sei Dank haben fast alle Professoren irgendwelche Skripte, auf die man sich stützen kann. Ist aber eine Menge Stoff, die ich lernen muss.»
«Das kann ich mir vorstellen. Und woher kommst du so?»
Jerome lächelt mit einem hintergründigen Lächeln, das mir komisch vorkommt. Er starrt mich immer noch intensiv an, so als wollte er sich jedes Detail meines Gesichtes einprägen.
«Ich bin gebürtig aus Spanien, genauer dem Baskenland, lebe aber schon länger in Frankreich. Zuerst habe ich mich etwas in der Gegend herumgetrieben und habe gejobbt. Dann habe ich Interesse an Weinbau entwickelt und mich in Bordeaux eingeschrieben. Und was ist mit dir? Trish Strong hört sich nicht gerade Französisch an.»
«Ich bin gebürtige Amerikanerin. Geboren und aufgewachsen in Kalifornien. Vor ein paar Jahren haben meine Großeltern hier in der Gegend ein Weingut geerbt und wir sind hierher gezogen. Seit einem Jahr habe ich auch die französische Staatsbürgerschaft.»
«Interessant. Und deine Eltern?»
«Sind beide tot.»
«Oh, das tut mir leid. Ein Unfall?»
«Eine Privatangelegenheit», erkläre ich mit Nachdruck.
Ich habe keine Lust, einem Fremden gegenüber meine Vergangenheit offen zu legen, auch wenn ich nichts zu verbergen habe. Mein Vater ist tatsächlich durch einen Unfall ums Leben gekommen, das war sogar noch bevor ich geboren wurde. Aber meine Mutter wurde ermordet, weil sie sich mit einer Bande von Kinderschändern eingelassen hatte, an die sie mich verkauft hatte. So etwas ist nichts, was man so ohne weiteres in der Öffentlichkeit preisgibt. Ohne meine Tante wäre ich jetzt vermutlich auch tot, sie war es gewesen, die mich zusammen mit Onkel Daniel vor der Bande beschützt und die Dreckskerle überführt hat.
Jerome scheint sich an meiner Zurückweisung aber nicht zu stören.
«Klar, verstehe schon. Hört sich an, als hättest du eine interessante Geschichte zu erzählen. Ich liebe Frauen mit Geheimnissen. Wir müssen uns unbedingt näher kennenlernen. Wie wäre es, wenn wir uns heute Abend treffen würden?»
Geschockt blicke ich Jerome an. Das war nicht gerade subtil, derart direkt hat mich noch nie jemand um ein Date gebeten. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Kala ein fettes Grinsen aufgesetzt hat, normalerweise ist sie es, die die als erstes im Mittelpunkt des männlichen Interesses steht. Schnell versuche ich, meine Verblüffung zu überwinden.
«Tut mir leid, heute Abend habe ich bereits eine Verabredung.»
«Zu schade. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wann hast du denn diese Woche mal Zeit?»
«Lass mal überlegen. Ja, genau, eigentlich habe ich gar keine Zeit, du wirst dich also gedulden müssen.»
«Und nächste Woche?»
Langsam fängt der Kerl an, mich zu nerven. Er scheint wie selbstverständlich davon auszugehen, dass ich nichts Besseres zu tun habe, als mich mit ihm zu treffen.
«Ich bin sicher, wir können in den nächsten Wochen einen gemeinsamen Termin finden. Wie wär es Leute, ist mal wieder ein Kinoabend dran?»
Darauf fährt Emile sofort ab, er ist ein absoluter Liebhaber von Kino- oder Filmeabenden. Leider ist sein Geschmack etwas einseitig.
«Ja, klasse Idee. Nächste Woche kommt die neueste Folge der Transformer Serie in die Kinos, da müssen wir unbedingt hin.»
Auf diese Bemerkung hin stöhnen Kala, Francine und Madelaine kollektiv auf. Ich finde solche Filme ja ganz lustig, also bin ich neutral. Nur bei Vampir Filmen bin ich eigen, die sind mir zu weit weg von der Realität. Aber mein Ablenkungsmanöver funktioniert. Jerome kommt nicht dazu, seine Idee, mich auszuführen, weiter zu verfolgen, da meine Freunde in eine hitzige Diskussion darüber einsteigen, welcher Film wohl geeignet ist. So verfliegt die Mittagspause im Nu und es ist Madelaine, die als erstes auf die Uhr blickt und zur Eile drängt.
«Ich muss los, Leute, meine Vorlesung beginnt in zehn Minuten.»
Ich habe noch eine Stunde mehr Zeit und will die Gelegenheit nutzen, mich in die Bibliothek zu setzen und ein paar Übungen nachzuarbeiten. Francine begleitet mich, denn sie hat am Nachmittag dieselbe Vorlesung. Also ziehen wir nach kurzer Zeit los. Jerome hat nichts mehr gesagt, aber ich spüre seinen Blick auf meinem Rücken, während Francine und ich in Richtung der Bibliothek gehen.