Читать книгу Blutgefährtin 2 - Thomas M Hoffmann - Страница 7
4. Zuhause
ОглавлениеEigentlich hatte ich ja geplant, meine Kurse und Vorlesungen so zu legen, dass ich den Freitag frei bekomme, aber leider ist mir das nicht gelungen. Einer von den etwas merkwürdigeren Professoren wollte seine Vorlesung nur am Freitag halten und es besteht Anwesenheitspflicht. Aber wenigstens ist sie noch vor der Mittagszeit beendet. Ich habe es mir deshalb zur Angewohnheit gemacht, meine Sachen für das Wochenende gepackt ins Auto zu legen, um dann direkt nach Hause fahren zu können.
Nach Hause ist für mich inzwischen nicht mehr eindeutig. Offiziell wohne ich noch bei Großvater auf dem Weingut und dort schlafe ich auch meistens. Aber nach Hause bedeutet für mich auch das Herrenhaus von Pierre. Ich übernachte dort, wenn es sich einrichten lässt. Großvater hat sich zwar inzwischen daran gewöhnt, dass Pierre mein Freund ist, aber er hat eine reichlich konservative Einstellung, weswegen er es nicht gut aufnimmt, wenn er mitbekommt, dass ich mit Pierre ins Bett gehe.
Ich könnte der ganzen Diskussion entgehen, wenn ich Pierre einfach heiraten würde, einen Antrag dafür hat er mir schon gemacht, als wir gerade einen Tag zusammen waren. Pierre ist mittlerweile fast neunzig Jahre alt, er stammt aus einer Zeit, wo es selbstverständlich war, dass man heiratet, wenn man es ernst miteinander meint. Aber als unsere Beziehung frisch war, dachte ich noch ganz in den Bahnen der Jugendlichen von heute, deshalb habe ich mich dagegen gesträubt, so schnell eine Ehe einzugehen. Ich hatte irgendwie das Gefühl, das sei zu schnell für eine Entscheidung, die ein Leben lang halten soll.
Nun bin ich schon eineinhalb Jahre mit Pierre zusammen, immer noch so glücklich, wie am ersten Tag und fange an zu sehen, dass eine Entscheidung für eine Ehe immer ein Sprung ins Dunkel ist, egal, ob man sie schnell trifft oder ob man es sich lange überlegt. Was weiß ich schon, was die Zukunft bringt. Pierre ist in unserer Beziehung der Starke, derjenige, der Erfahrung hat, der die Dinge in die Wege leitet. Aber er hat mir die Freiheit gelassen, meinen Weg einzuschlagen, zu studieren, alleine in einer Stadt zu leben, in der auch Vampire zu Hause sind.
Gerade der letzte Punkt hat Pierre einige Sorgen gemacht. Als wir zu Beginn unserer Beziehung mit Gregori konfrontiert waren, konnten wir nur deswegen unbeschadet aus der Sache herauskommen, weil Pierre in Tante Annas Clan eingetreten ist. Damit gehört er faktisch einem nicht-europäischen Clan an, auch wenn er von Geburt und vom Herzen her immer ein Franzose war. Die Vampire hier in Montpellier gehören zu den europäischen Clans, die ein Mitglied des Clans der Auserwählten nicht dauerhaft in ihrer Stadt dulden würden.
Aber genau genommen bin ich ja kein Vampir, ich bin als Pierres Blutgefährtin mit ihm nur assoziiert. Solange ich keinen Kontakt zu den hiesigen Vampiren pflege oder mich sonst wie in die vampirischen Angelegenheiten mische, sollte es keine Probleme geben. Also hat mich Pierre nur auf die Orte aufmerksam gemacht, an denen Vampire sich treffen und ich habe ihm versprochen, diese Orte zu meiden. Nur auf diese Weise konnte ich Pierres Zustimmung erhalten, meinen Traum vom Studium in Erfüllung gehen zu lassen.
Mit der Zeit hat sich dann ein Gleichgewicht eingestellt zwischen Studium, Pierre, mir und Großvater. Ich möchte Großvater auf keinen Fall alleine lassen, denn ich bin für ihn verantwortlich, seit Großmutter vor ein paar Jahren an Krebs gestorben ist. Tante Anna ist zwar seine Tochter, aber als Vampirin muss sie sich von ihm distanziert halten, zumal sie als Auserwählte sehr viele Verpflichtungen hat. Also bin ich die einzige Verwandte, die er noch hat und ich möchte bei ihm bleiben, bis er Großmutter hinterhergeht.
Zu den Dingen, die sich zu einer Gewohnheit entwickelt haben, gehört, dass ich am Freitag zuerst zu Pierre fahre. Der Butler von Pierre, Charles, kocht nicht nur für sein Leben gern, sondern auch noch ganz hervorragend. Nur ist diese Kunst an Pierre völlig verschwendet, denn Vampire können keine feste Nahrung zu sich nehmen. Also mache ich Charles geradewegs eine Freude, wenn ich bei ihm esse und ich sehe immer zu, dass ich rechtzeitig genug in Lourges bin, um bei Pierre Mittag essen zu können.
Daher rufe ich kurz bei ihm an, nachdem die Vorlesung beendet ist, und mache mich auf den Weg. Wenn die Straßen frei sind, kann ich in zweieinhalb Stunden in Lorgues sein. Zunächst ist mir das Glück nicht hold, denn die Ausfallstraßen um Montpellier sind ziemlich verstopft, aber kaum habe ich den Großstadtbereich hinter mir, geht es zügig voran. So erreiche ich das Chateau de Marroniers mit nur zehn Minuten Verspätung.
Ich stelle den Wagen in der Kastanienreihe vor der Mauer ab, die sich um das Chateau herumzieht, schließlich will ich nachher noch zum Weingut fahren. Dann nehme ich den Beutel mit meiner neuen Abendgarderobe auf, die will ich morgen hier anziehen, wenn wir uns für den Empfang fertig machen müssen. Natürlich habe ich einen Schlüssel für den Eingang, aber Charles hat mich gehört, denn er steht in der Tür, als ich mich dem Haupthaus nähere.
«Guten Tag Mademoiselle. Willkommen im Chateau.»
Charles ist ein älterer Herr, Mitte fünfzig und schon über zwanzig Jahre im Dienst von Pierre. Eigentlich war er mal Vampirjäger und hatte Pierre töten wollen, aber Pierre konnte ihn stoppen und davon überzeugen, dass nicht alle Vampire Monster sind. Als Konsequenz ist Charles dann zu Pierres Butler geworden. Mit seiner sanften und freundlichen Art habe ich ihn auch sofort in mein Herz geschlossen und bin froh, dass er da ist und ein Auge auf Pierre hat, während ich in Montpellier bin. Seit den Ereignissen um Gregori ist er allerdings deutlich langsamer geworden. Er wurde damals von Gregoris Leuten überfallen und schwer verletzt und hat Monate gebraucht, um wieder einigermaßen gesund zu werden. Auch er wäre jetzt tot, wenn ihm Tante Anna nicht das Leben gerettet hätte.
Ich lächele ihn an.
«Danke Charles. Ist Pierre da?»
«Ja, Monsieur ist im Büro. Kann ich ihnen die Kleidung abnehmen.»
«Ja, gerne. Bitte bringen Sie sie nach oben. Das ist meine neue Abendgarderobe für morgen.»
Ich könnte die Sachen natürlich auch selbst nach oben bringen, aber ich würde Charles damit tödlich beleidigen. Er nimmt seine Rolle als Butler sehr ernst und duldet keine modernen Anwandlungen, auch nicht von mir. Dasselbe gilt für die Sprache, mit der man miteinander redet. Charles ist für mich eigentlich wie ein Freund oder gar ein Vertrauter, ähnlich wie Catherine, unsere Haushälterin, die nach dem Tod von Großmutter eine mütterliche Rolle mir gegenüber übernommen hat. Das heißt aber nicht, dass man mit Charles auch vertraut reden sollte. Also habe ich mich daran gewöhnt, mich von Charles bedienen zu lassen und benutze diese alten Sprachformen, auf die er so viel Wert legt.
«Sehr wohl Mademoiselle. Das Essen ist in einer Viertelstunde fertig.»
«Danke, Charles.»
Während Charles die Treppe nach oben nimmt, gehe ich zum Büro, das im hinteren Teil des Herrenhauses liegt. Ich hatte am Anfang nicht verstanden, wieso Pierre ein so riesiges Haus benötigt, das er alleine mit Charles bewohnt, aber inzwischen ist mir klar geworden, dass alle Vampire gerne in großen Anwesen wohnen. Die Anzahl der Menschen, die um die übernatürliche Welt wissen, ist klein und zu enger Kontakt mit den Nachbarn wäre nicht gut, weil die Eigenheiten des Vampirdaseins schnell auffallen würden.
Also bleiben Vampire gerne unter sich, höchstens begleitet von den engsten menschlichen Vertrauten oder Dienern. Ich habe das Glück, von Pierre als gleichberechtigte Gefährtin angesehen zu werden, häufig genug ist die Beziehung eines Vampirs zu seinem Blutwirt eher die eines Herrn zu seinem Sklaven. Aber deshalb liebe ich Pierre auch so. So gerne ich das genieße, was er im Bett zu bieten hat, das allein wäre für mich niemals Grund genug, bei ihm zu bleiben. Doch Pierre und mich verbindet mehr, das habe ich schon gespürt, als ich noch gar nicht wusste, was Pierre ist.
Als ich das Büro betrete, sitzt Pierre am Computer und geht eine Liste durch. Er hat mich selbstverständlich schon gehört, blickt aber weiter konzentriert auf den Bildschirm. Ich umarme ihn von hinten und flüstere in sein Ohr.
«Hey du Monster. Hast du schon genug von mir, dass diese blöde Liste wichtiger ist als ich?»
Mit einer schnellen Bewegung wirbelt Pierre mich herum, so dass ich mit einem quiekenden Laut auf seinen Schoß plumpse. Dann verschließt er meinen Mund mit einem Kuss und die Welt verschwindet in einem Wirbelsturm von Hitze und Feuer. Die Augen von Pierre blitzen gelb als wir uns irgendwann wieder voneinander lösen.
«Nichts ist wichtiger als du.» flüstert Pierre und ich höre ein Begehren in seiner Stimme, das wiederspiegelt, was ich selbst empfinde. Sanft streichele ich über sein wunderschönes Gesicht.
«Willst du zuerst etwas essen?»
Mein Puls rast, im Moment wäre es mir vollkommen egal, wenn Charles alles, was er für mich vorbereitet hat, wieder abräumen müsste, nur weil seine Herrschaften nicht besseres zu tun haben, als übereinander herzufallen, wie die Karnickel. Pierre lächelt schelmisch.
«Und ich müsste tagelang den vorwurfsvollen Blick von Charles ertragen? Nein, Mademoiselle Strong, wir benehmen uns sittsam.»
«Deine Küsse sind aber nicht sittsam.»
Pierre beugt sich zu meinem Ohr.
«Das, was ich im Sinn habe, ist auch nicht sittsam. Aber verrate es niemanden.»
«Nur wenn du mir nachher ausführlich zeigst, was du so im Sinn hast.»
«Versprochen.»
Einen Moment verharren wir Stirn gegen Stirn. Mein Gott, wie ich diesen Mann liebe. Manchmal kann ich mein Glück gar nicht fassen. Ich will, dass das niemals endet, auch wenn ich weiß, dass eine Zeit kommen wird, in der sich die Dinge ändern werden. Mit einem Ruck durchbreche ich diesen magischen Moment.
«Was schaust du dir denn da an?»
«Die Verkaufsstatistiken der letzten Monate. Wir müssen Weine nachbestellen und ich will wissen, was am besten gegangen ist.»
Pierres Weinhandel konzentriert sich auf den Verkauf über das Internet und ich hatte nicht geglaubt, dass das funktionieren würde. Aber bereits jetzt, kaum zwei Jahre nach dem Start des Shops, trägt sich das Geschäft und Pierre beginnt schwarze Zahlen zu schreiben. Ich vermute, dass wir schon bald Leute einstellen müssen, um die Arbeit bewältigen zu können. Aber so war Pierre schon immer, ein Geschäftsmann mit einem Riecher für den Markt. Schon bevor er hierhergekommen ist, hatte er verschiedene Firmen aufgebaut und Arbeitsplätze geschaffen. Da er aber als Vampir nicht altert, musste er diese Geschäfte irgendwann abgeben und neu anfangen.
Zum Glück.
Denn so konnte ich ihn kennenlernen und so wurde ich seine Gefährtin. Das heißt nun nicht, dass ich nicht auch eigene Ziele hätte. Irgendwann will ich das Weingut von Großvater übernehmen und wäre dann der ideale Handelspartner für Pierre. Aber bevor ich das kann, muss ich eben noch einiges lernen, daher bin ich in Montpellier, obwohl ich viel lieber bei Pierre und Großvater sein würde.
Ich sehe Pierre dabei zu, wie er die Liste durchgeht und sich dabei Notizen macht, welche Weine er ordern will. Großvaters beste Lage ist auch dabei, was mich froh stimmt, denn es zeigt, dass sich seine Arbeit und Mühe langsam bezahlt macht. Eigentlich war Großvater ja in der Bankbranche tätig gewesen und hatte mit Großmutter in San Diego gelebt. Doch kurz nachdem sie mich aufgenommen hatten, weil meine Mutter ermordet worden war, haben wir unverhofft dieses Weingut geerbt, von einem Verwandten, den wir niemals gekannt hatten.
Sie haben sich dann mit Weinbau ein neues Leben aufgebaut und ich bin froh darüber. San Diego hält so viele düstere Erinnerungen für mich, dass auch ich hier neu anfangen konnte. Ich konnte glücklich sein. Dann ist Großmutter gestorben und das Leben wurde trauriger, aber Großvater und ich haben uns gegenseitig geholfen. Jetzt habe ich zusätzlich Pierre, was mein Glück vollkommen macht, auch wenn ich Großvater gegenüber seine Natur verheimlichen muss.
Dass Tante Anna ebenfalls eine Vampirin ist, zumal die Auserwählte und Onkel Daniel ein führender Gestaltwandler, macht meine Familienverhältnisse zwar noch komplizierter, aber auch interessanter. Wer möchte schon langweilige Verwandte haben, die nichts Besseres zu berichten haben, als wo sie letzte Woche im Urlaub gewesen sind? Onkel Daniel ist Wissensbewahrer und wenn ich das richtig verstanden habe, sammelt er Bücher und Unterlagen der übernatürlichen Welt. Ich finde das zwar eine recht trockene und langweilige Tätigkeit, aber sie macht verständlich, warum Onkel Daniel so gut erklären kann. Er war mal ein Lehrer von mir gewesen, bevor er Tante Anna geheiratet hat und er war ein guter Lehrer.
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen als Charles hereinkommt und mitteilt, dass das Essen fertig ist. Erwartungsvoll gehe ich ins Esszimmer, denn langsam habe ich Hunger. Ich hatte heute Morgen aus gutem Grund kaum etwas gefrühstückt. Nachdem ich mich gesetzt habe, serviert Charles gleich den ersten Gang, eine Hühnerboullion mit Croutons.
«Heute gibt es Lammrücken mit grünen Bohnen auf kleinen Kartoffeln, Mademoiselle. Ist das Recht?», fragt Charles.
«Natürlich, Charles. Hört sich gut an.», erwidere ich.
«Was darf ich ihnen zum Trinken anbieten?»
«Einen Rotwein bitte. Aber nur ein Glas, ich will nachher noch zum Weingut fahren.»
Ich beende gerade meinen ersten Gang, als Pierre hereinkommt und sich zu mir setzt. Er hat auch einen Rotwein in der Hand und wir prosten uns zu.
«Wie war deine Restwoche, Schatz?»
«Viel Arbeit, der Professor in Pflanzenkunde hat uns mit Pflanzenkrankheiten geradezu eingedeckt. Es geht das Gerücht, dass er in den Prüfungen alle, aber auch alle abfragt und man muss sie alle beherrschen, um zu bestehen. Das heißt für mich pauken bis die Augen glühen.»
Pierre lächelt verschmitzt und gibt mir einen Kuss.
«Ich dachte, du magst glühende Augen.»
Ich muss kichern.
«Aber nicht, wenn es meine sind.»
«Und was war mit Valerie los gewesen?»
Ich warte mit meiner Antwort, weil Charles meinen Teller abräumt und den zweiten Gang serviert. Dann gebe ich kauend eine Zusammenfassung der Geschehnisse des Abends. Pierre scheint gar nichts dabei zu finden, dass Valerie uns zugehört hat.
«Sie hat es sich ja selbst zu zuschreiben. Sie wusste doch, was wir vorhatten.»
«Zwischen wissen und zuhören besteht aber ein gewaltiger Unterschied.»
«Vielleicht bekommt sie ja Lust mitzumachen.»
Mir bleibt fast das Essen im Hals stecken. Ich will gerade in die Luft gehen, da bemerke ich das Glitzern in Pierres Augen. Grimmig ziehe ich ihm einen mit der Gabel über.
«Du elendes Ferkel. Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mich nicht immer aufziehen sollst.»
Pierre reibt sich grinsend die Stelle, auf die ich ihn geschlagen habe. Ich beende meinen Gang, während ich auf Rache sinne. Pierre kennt mich inzwischen sehr genau und macht sich immer wieder lustig über meine sehr traditionellen Vorstellungen von Liebe und Treue. Eigentlich hat er genau dieselbe Einstellung, aber als Vampir und mit seiner Lebenserfahrung hat er natürlich schon alles Mögliche erlebt. Ihn kann kaum noch etwas schockieren, ganz im Gegenteil zu mir.
Nur mit reiner Willenskraft schaffe ich es, eine zweite Portion des Nachtischs abzulehnen, den mir Charles aufdrängen will. Satt und beinahe zufrieden lehne ich mich in meinem Sitz zurück. Pierre beugt sich vor und streichelt meine Hände, während wir entspannt plaudernd unseren Rotwein austrinken. Schließlich beende ich mein Glas mit einem entschlossenen Schluck.
«Charles hat meine Abendgarderobe für morgen nach oben gebracht. Möchtest du mal sehen?»
«Klar.»
Zusammen stehen wir auf und gehen nach oben. Pierres Schlafzimmer ist geräumig, wie fast alle Räume in dem Chateau und sehr gemütlich eingerichtet. Das Doppelbett ist so groß, dass außer Pierre und mir leicht eine dritte Person darin schlafen könnte, was mich wieder an meine noch unerfüllte Rache erinnert. Es gibt sogar einen großen Spiegel, obwohl Pierre sich darin gar nicht sehen kann. Er hat mir mal erzählt, dass der Spiegel noch ein Überbleibsel aus der Zeit ist, als er mit Mireille, seiner ersten Frau, verheiratet gewesen war. Sie ist vor fast acht Jahren bei einem Autounfall gestorben und Pierre hat noch um sie getrauert, als wir zusammengekommen sind. Ich war es, der ihn dann ins Leben zurückgeholt hat. Jetzt benutze ich den Spiegel für mich und überlege dabei immer, was Mireille wohl angezogen hat. Ich will keine Kopie von ihr sein, ich bin schließlich ich, aber sie kannte Pierre viel länger und besser als ich. Also wusste sie wohl auch, was ihm gefällt und genau das möchte ich auch für Pierre tun. Als ich das Abendkleid erblicke, das gut verpackt an unserem Kleiderschrank hängt, fällt mir eine Rache für Pierres Streich von eben ein. Wir haben das Schlafzimmer betreten, also stoße ich die Tür zu.
«Willst du mal sehen, wie es aussieht?» frage ich unschuldig.
«Natürlich will ich das» erwidert Pierre und lächelt erwartungsfroh.
«Gut, aber du sollst mir beim Anziehen nicht zuschauen. Augen zu und nicht pfuschen.»
Gutmütig lässt sich Pierre auf das Spiel ein und nachdem ich geprüft habe, dass er tatsächlich nicht schaut, ziehe ich mich bis auf den Slip aus. Ich mache dann zwar die Folienhülle des Abendkleides auf und hole es heraus, aber ich ziehe es nicht an. Stattdessen hänge ich das Kleid in den Schrank und greife nach zwei Sommersachen, die ich hier aufbewahre, weil sie zu gewagt sind, um sie anzuziehen, wenn Großvater zusieht.
Zuerst ziehe ich den ledernen Minirock an, so ein Minirock der Marke „eine Nummer kleiner wäre nackt“. Er ist so eng und knapp, dass sich mein Po ziemlich deutlich darunter abzeichnet und mein recht knapp geschnittener Slip verschwindet gerade so eben unter dem Rand des Rocks. Insgesamt enthüllt dieser Minirock wesentlich mehr als er verhüllt. Über den Rock ziehe ich ein T-Shirt, das so hergestellt ist, dass es löchrig und zerrissen aussieht. Die Löcher sitzen an strategisch geschickten Stellen, damit es den Anschein hat, als würde jeden Augenblick mein Busen herausfallen, während tatsächlich alle wesentlichen Teile bedeckt sind. Eigentlich hatte ich mir gedacht, zu dem T-Shirt einen engen BH anzuziehen, aber angesichts der Situation spare ich mir den.
Früher hätte ich solche aufreizende Kleidung niemals angezogen. Aber seitdem ich mit Pierre zusammen bin, habe ich öfter das Bedürfnis, sexy und begehrenswert auszusehen. Diese Sachen hatte ich mir gegen Ende der letzten Semesterferien gekauft, als ich mir mit Chloé und Inès, meinen alten Schulfreundinnen, einen Mädels Abend gemacht hatte. Kann auch durchaus sein, dass ich zu dem Zeitpunkt schon ein wenig angeheitert war. Seitdem habe ich es aber nicht gewagt, damit in die Öffentlichkeit zu gehen.
«Du kannst jetzt schauen», sage ich und stelle mich in Pose.
Lächelnd macht Pierre die Augen auf. Doch als er mich sieht, fällt ihm das Lächeln aus dem Gesicht, als hätte es ihm jemand mit einem Besen weggefegt. Stattdessen werden seine Augen so groß, wie Suppentassen, und sein Gesicht zeigt einen Ausdruck des Entsetzens.
«Du kannst doch unmöglich so angezogen zu einer…»
Pierre stockt, weil ich ein Grinsen nicht verhindern kann. Ich brauche einen Moment, um mich zu fangen und eine Schnute zu ziehen.
«Gefällt dir etwa meine Abendgarderobe nicht?», frage ich so süß und unschuldig wie möglich.
Aber Pierre hat schon gemerkt, was Sache ist. Er schaut mich mit gelb blitzenden, zusammengekniffenen Augen an.
«Du ungehöriges Biest. Wenn du damit zu einer Party gehst, müsste ich sämtliche Männer ermorden, die dich lüstern anstarren und das würden alle sein, denen wir begegnen.»
Ich trete an Pierre heran und schmiege mich in seine Arme.
«Ich möchte doch nur, dass du beneidet wirst.»
«Sie würden alle vor Neid vergehen.», flüstert Pierre und streicht mir mit seinen Händen über das T-Shirt, dass mir ganz heiß wird. «Das Shirt ist ja schon kaputt, es wird also nichts ausmachen, wenn ich es dir vom Leib reiße.» raunt mir Pierre ins Ohr.
«Untersteh dich, du glaubst gar nicht, wie teuer diese Löcher waren.» gebe ich mit rauer Stimme zurück.
Also findet Pierre einen anderen Weg, um mich meines T-Shirts zu berauben. Er drängt mich gegen den Kleiderschrank und bedeckt meine Brüste mit Küssen. Die Wellen des Begehrens, die er damit in mir erzeugt, machen mich schwindlig. Ich presse mich gegen seinen nun gar nicht mehr kalten Körper und alles, woran ich noch denken kann, ist, wie ich es schaffe, Pierre ohne Kleidung vor mich zu bekommen.
Pierre kann das echte Abendkleid dann doch noch am späten Nachmittag begutachten, allerdings ist es so spät geworden, dass ich es nicht mehr vorführen kann. Aber was er sieht, findet seine Zustimmung. Schnell mache ich mich fertig, um zum Weingut zu fahren.
«Ich komme morgen am frühen Nachmittag vorbei, um mich hier zurecht zu machen.» meine ich, bevor ich losziehe.
«Ist in Ordnung. Was willst du deinem Großvater sagen, wohin wir gehen?»
«Du bist doch Mitglied in diesem Verband der südfranzösischen Weinhändler. Wir sagen einfach, dass die den Empfang organisieren. Netzwerkbildung und so.»
«Ja, das ist gut. Der Empfang beginnt um sieben Uhr abends, wir sollten hier also gegen halb sechs starten.»
«Dann werde ich gegen zwei da sein.»
Pierre gibt mir einen sanften Abschiedskuss und ich fahre los. Großvaters Weingut liegt etwas außerhalb von Lorgues, aber mit dem Auto ist das lediglich eine Fahrt von ein paar Minuten. Als ich in den Vorhof einbiege, fällt mir wieder diese wunderschöne und wild romantische Bauweise des Gebäudes auf. Erst seit ich nicht mehr täglich hier bin, weiß ich das zu würdigen.
Soviel ich weiß, ist das Hauptgebäude mindestens 200 Jahre alt, wurde aber von den Vorbesitzern immer wieder restauriert, so dass es heute innen sehr modern eingerichtet ist. Nur bei der Fassade wurde der ursprüngliche Stil beibehalten, die Wände sind mit wildem Wein bedeckt und die Fensterläden sind rot gestrichen. Als wir vor nunmehr fast acht Jahren hier eingezogen sind, mussten wir fast nichts modernisieren, lediglich die üblichen Innenarbeiten waren zu machen. Sollte ich das Weingut dereinst einmal übernehmen, will ich auf jeden Fall dafür sorgen, dass diese Mischung von außen alt und innen modern so bleibt. Dieses Haus ist mein wirkliches Zuhause, der Ort, an dem ich glücklich war und bin.
Ich stelle meine Sachen zunächst im Flur ab und gehe in Richtung Wohnzimmer und Küche, um Catherine und Großvater zu begrüßen. Großvater kommt mir am Eingang zum Wohnzimmer schon entgegen. Seine Haare sind mittlerweile schlohweiß und sein Gang bedächtig. Eigentlich ist Großvater noch nicht so alt, aber seit dem Tod von Großmutter ist er sichtbar älter und fragiler geworden. Ich hatte sogar darüber nachgedacht, meine Pläne mit dem Studium zu verschieben, um bei ihm bleiben zu können, aber das hat Großvater nicht zugelassen.
«Hallo Großvater» sage ich, umarme ihn und gebe ihm zwei dicke Küsse auf seine rauen Wangen.
«Hallo Trish, mein Schatz» erwidert er und drückt mich. «Wie war die Fahrt?»
«Vor Montpellier gab es ein paar Staus, aber der Rest der Strecke war frei.»
«Hast du bei Pierre zu Mittag gegessen?»
«Ja, habe ich. Schöne Grüße von ihm.»
«Danke. Komm rein, ich spreche gerade mit Jules über die kommende Lese.»
Jules ist unser Knecht und hat sich in den letzten Jahren zur rechten Hand von Großvater entwickelt. Er führt die körperlich anstrengenden Tätigkeiten durch, die Großvater nicht mehr schafft, und leitet die Mitarbeiter und Saisonarbeiter an, die wir benötigen, um den Betrieb am Laufen zu halten. Gerade die Zeit der Weinlese, die vor der Tür steht, ist besonders stressig. Früher habe ich nach Kräften mitgeholfen, aber seit ich studiere, ist das auch weniger geworden. Großvater konzentriert sich mehr auf die Büroarbeit und den finanziellen Kram.
Ich folge Großvater ins Wohnzimmer, begrüße Jules und gehe dann in die Küche, wo Catherine bereits vor sich hin werkelt. Sie scheint mich gar nicht zu bemerken, so konzentriert schneidet sie Gemüse. Aber ich bin sicher, dass sie mich gehört hat, also umarme ich sie einfach von hinten.
«Hallo Catherine. Wie viel Zeit habe ich noch bis zum Abendessen?»
Catherine dreht sich zu mir und drückt mich kurz, wobei sie darauf achtet, mich nicht mit ihren nassen Händen zu berühren.
«Hallo Trish. Es wird etwas später werden, noch so etwa eine Stunde. Ich weiß doch, dass du dich immer bei diesem Butler vollstopfst.»
Ich muss grinsen, denn eigentlich findet Catherine Charles sehr nett. Aber in punkto Kochkunst hat sich zwischen den beiden eine Art Wettbewerb entwickelt, weil Catherine nicht verwinden kann, dass ein Mann besser kocht als sie. Das Opfer bin allerdings ich, weil ich die besten Gerichte von zwei Seiten angeboten bekomme, was meiner Figur nicht unbedingt gut tut.
«Heute war ich tapfer. Ich habe keine zweite Portion Nachtisch genommen.»
Darauf zieht Catherine lediglich die Augenbrauen hoch. Ich überlasse ihr die Küche, bringe meine Sachen auf mein Zimmer rauf und gebe die Schmutzwäsche in den dafür bereitstehenden Korb, um sie zum Ende des Wochenendes sauber wieder mitnehmen zu können. Der Rest ist schnell ausgepackt. Danach gehe ich ins Wohnzimmer, um Jules und Großvater bei der Planung der Weinlese zu helfen.