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5. Der Empfang

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Es ist bereits halb drei Uhr nachmittags, als ich endlich zum Chateau aufbrechen kann. Obwohl ich nicht lange geschlafen habe, war der Vormittag gefüllt mit Aktivitäten wie Wäsche waschen, Großvater bei der Auswahl der zusätzlichen Arbeiter helfen, die wir für die Lese benötigen, das Lesen und Beantworten von Post und sogar einem kurzen Besuch bei Morelle, meinem Ex-Pferd. Früher habe ich regelmäßig geritten, wobei Morelle bei unseren Nachbarn untergestellt war. Aber seit Beginn meines Studiums hat es sich nicht mehr gelohnt, Morelle zu behalten. Also haben wir es an unsere Nachbarin verkauft, bei der Morelle sowieso zuhause war. Ich schaue nur regelmäßig vorbei, um mit der Nachbarin zu schwätzen und mich bei meinem ehemaligen Pferd in Erinnerung zu bringen.

Als ich im Chateau das Wohnzimmer betrete, sitzt Pierre gerade in einem der Sessel und telefoniert.

«… Glaubst du denn, dass diese Spannungen irgendetwas mit der heutigen Einladung zu tun haben?»

Interessiert setze ich mich neben ihn auf die Lehne des Sessels und lege meinen Arm um seine Schulter. Er lächelt mich an, formt mit seinem Mund lautlos das Wort „Anna“ und richtet seine Konzentration wieder auf das Gespräch. Offensichtlich ist Tante Anna am anderen Ende der Leitung.

«Gut, wenn Louis für unsere Sicherheit garantiert, dann mache ich mir keine Sorgen. Er ist erledigt, wenn uns etwas zustößt. Trish ist gerade gekommen, willst du sie noch sprechen? Ich rufe dich an, wenn der Empfang vorbei ist. Auf Wiederhören, Anna.»

Damit reicht mir Pierre das Telefon.

«Anna will noch mit dir sprechen.»

Ich übernehme den Hörer.

«Hallo Tante Anna.»

«Hallo Trish, mein Liebling. Wie geht es dir? Hast du doch noch Bedenken wegen des Empfangs bekommen?»

«Nein, alles in Ordnung. Ich habe mir ein tolles, neues Abendkleid gekauft und Pierre meint, das sähe hinreißend aus. Allerdings findet Pierre alles hinreißend, was ich anziehe.»

Tante Anna lacht.

«Er liebt dich eben. Freue dich darüber. Ich habe inzwischen ein paar Dinge erfahren, die offensichtlich dazu geführt haben, dass dieser Empfang stattfindet. Die alten Gefolgsleute von Steffan und Gregori versuchen wohl, wieder Einfluss zu bekommen.»

Von Steffan habe ich nur durch Erzählungen von Tante Anna gehört, er war mal der führende Vampir in Europa gewesen und hatte sich König genannt. Aber als er aktiv versuchte, die menschlichen Regierungen in Europa zu stürzen, um eine vampirische Revolution zu beginnen, hat ihn Vlad Dracul beseitigt. Gregori war einer seiner Anhänger gewesen und hat danach die Führung übernommen, zumindest in Frankreich.

«Geht es wieder darum, die Menschen zu unterdrücken?»

«Nein, zumindest nicht offiziell. Sie stören sich an mir. Ihre Handhabe scheint diesmal die europäische Unabhängigkeit zu sein. Sie versuchen, Louis dazu zu bringen, sich stärker gegen mich und meine Position auszusprechen.»

«Und warum dann der Empfang?»

«Louis scheint zu denken, dass wenn man sich kennt und miteinander redet, die Gegensätzlichkeiten überwunden werden können. Daher seid ihr auch dabei. Ihr seid meine Vertreter.»

«Wäre es nicht besser, so etwas wie eine Botschaft einzurichten?»

«Ich habe schon angefangen, darüber nachzudenken. Bisher waren Vampire ausschließlich auf sich oder ihren Clan konzentriert. Die Idee einer Nation oder gar einer internationalen Blockbildung ist ziemlich neu.»

«Und du bist sicher, dass wir das hinbekommen? Ich bin Weinbäuerin und Pierre ist Weinhändler. Wir sind keine Politiker. Ich will nicht irgendjemanden beleidigen, nur damit der einen Grund hat, einen Krieg vom Zaun zu brechen»

«Ich habe vollstes Vertrauen in euch, ihr bekommt das schon hin. Ich habe Louis gegenüber betont, dass eure Anwesenheit inoffiziell ist und von mir nur aus Höflichkeit akzeptiert wird. Das heißt aber auch, dass es seine Verantwortung ist, euch aus irgendwelchen peinlichen Situationen herauszuhalten.»

«Na gut, Tante Anna. Ich bin mal gespannt, was Louis heute Abend vorhat.»

«Ruft mich nach dem Empfang an und erzählt mir alles.»

«Machen wir. Schöne Grüße an Onkel Daniel und John-John.»

«Richte ich aus. Macht‘s gut Trish.»

«Bis später, Tante Anna.»


Ich lege auf und schaue Pierre an, der den Arm um mich gelegt hat.

«Was hältst du von der Sache?», frage ich ihn.

«Wenn Gregoris ehemalige Leute dahinter stecken, dann müssen wir auf eine Schweinerei gefasst sein. Auf der anderen Seite scheint Anna ja Louis auf unsere Seite gezogen zu haben, also können sie nicht offen gegen uns vorgehen. Der einzige Weg herauszufinden, was sie vorhaben, ist, dorthin zu gehen.»

Ich seufze tief.

«Könnt ihr Vampire nicht einfach mal eine Party feiern, um Spaß zu haben. Vielleicht zu Halloween oder so?»

Pierre grinst.

«Damals in dem Clan meines Meisters haben wir öfter einfach so eine Party gefeiert. Es waren dann so viele Menschen dabei, dass ich auch jemanden abbekommen habe, obwohl ich da das jüngste und schwächste Mitglied des Clans gewesen war.»

Ich muss die Augen verdrehen.

«Das war ja so was von klar. Wenn ihr keine Machtspielchen spielt, dann muss es natürlich eine Gruppensex Party sein. So etwas Normales, wie Musik hören, Champagner trinken und tanzen wäre ja viel zu einfach für die Herren der übernatürlichen Welt, nicht wahr.»

«So ist es.» Sanft gibt mir Pierre einen Kuss auf die Wange. «Komm, wir machen uns für den Abend zurecht.»

Da der Empfang eine solch offizielle Angelegenheit ist, bemühe ich mich sehr, mein Äußeres einigermaßen akzeptabel hinzubekommen. Das Problem dabei ist, dass ich nicht zu viele Kosmetika verwenden darf, denn obwohl Menschen den Eigengeruch von Kosmetik im Allgemeinen kaum wahrnehmen, so ist das bei den empfindlichen Nasen von Vampiren etwas anderes. Da ich außerdem davon ausgehen kann, dass einige alte Vampire anwesend sein werden, die es aus ihrer Zeit nicht gewohnt sind, dass Frauen sich schminken, muss ich hier vorsichtig sein.

Aber nur ungeschminkte Haut zeigen, will ich auch nicht. Vampire werden zwar im Verlauf der Zeit nicht unbedingt schöner, aber stärker. Und das bedeutet, dass gerade ältere Vampire beeindruckend wirken wegen all der Energie, die sie ausstrahlen. Als Mensch kann man da wenig entgegensetzen. Das einzige Plus, mit dem ich Eindruck schinden kann, ist meine Jugend. Solange meine Haut noch straff und mein Bindegewebe stark ist, kann ich sparsam mit den Hilfsmitteln der Kosmetikindustrie umgehen.

Pierre ist mir da leider keine Hilfe. Immer, wenn ich frage, ob etwas gut aussieht, gerät er ins Schwärmen und lobt mein Aussehen in höchsten Tönen. Wenn es dabei auch noch gelb in seinen Augen blitzt, weiß ich, dass er da eher von seinen Hormonen als von seinen Augen bestimmt wird. Eine kritische Freundin würde mir eigentlich mehr helfen können, nur habe ich nicht daran gedacht, Chloé oder Inès Bescheid zu geben.

Aber da ich mich als Mensch wenigstens im Spiegel sehen kann, gelingt es mir schließlich, mein Äußeres ganz passabel zu gestalten. Das Abendkleid sieht wirklich atemberaubend aus und ich bekomme auch meine Frisur passend hin. Pierre hat derweil seinen Frack angezogen und ich muss staunen, wie elegant und vornehm er darin aussieht.

Wir brechen nur ein wenig verspätet auf und nehmen natürlich Pierres Ferrari. Er hat auch ein normales Auto, aber der Ferrari wird immer dann benötigt, wenn es gilt, Eindruck zu schinden. Ich habe mir erklären lassen, dass es ein älteres Modell ist, natürlich in rot, ein Klassiker unter den Sportwagen. Nicht, dass ich mich viel dafür interessieren würde, aber Pierres Augen leuchten immer, wenn er anfängt, über Sportwagen zu fachsimpeln. Vielleicht trifft er auf dem Empfang ja jemanden, der sich auch dafür begeistert, dann ist die Unterhaltung für den Rest des Abends gesichert.


Der Empfang findet in Marseille statt und für die Fahrt dahin brauchen wir zwischen ein und zwei Stunden. Das Haus, in dem er stattfindet, ist in derselben Gegend, wie die schicksalhafte Party, die ich vor beinahe zwei Jahren mit Pierre besucht hatte. Pierre und ich waren damals ganz frisch zum Paar geworden und ich hatte gerade erst die übernatürliche Welt kennengelernt. Ich wollte alles wissen über meinen faszinierenden Geliebten und habe deshalb gegen den Willen von Pierre und Charles erreicht, dass ich zu der Party mitkommen konnte.

Beinahe hätte es in einer Tragödie geendet. Ich habe die Aufmerksamkeit von Gregori auf mich gezogen, er wollte mich einfach so zur Bluwirtin machen und mich vergewaltigen. Als ich mich zur Wehr setzte, kam es zum Kampf zwischen Pierre und Gregori, den Pierre verlor. Er wäre jetzt tot, wenn Louis nicht interveniert hätte. Danach hat Gregori uns zur Flucht getrieben und hätte uns gefangen, wenn Tante Anna ihn nicht getötet hätte. Das alles ist nur deswegen geschehen, weil ich ohne genug Wissen in diese fremde Welt gestolpert bin.

Jetzt bin ich nicht nur besser vorbereitet, jetzt weiß ich auch, dass die mächtigsten Vampire der Welt unsere Verbündeten sind. Deshalb habe ich keine Angst, dass sich die Geschehnisse wiederholen, aber mulmig ist mir doch. Nun, ich vermute, die beste Methode, die Erlebnisse von damals zu verarbeiten, ist, den Empfang ohne besondere Vorkommnisse hinter mich zu bringen.

Als Pierre in den Vorhof des Gebäudes einbiegt, in dem der Empfang stattfindet, ist alles hell erleuchtet und festlich geschmückt. Wir reihen uns ein in eine Schlange von vornehmen und repräsentativen Fahrzeugen. Vor dem Eingang stehen livrierte Diener bereit, um die Gäste zu begrüßen. Einer von ihnen öffnet die Beifahrertür und bietet mir eine Hand, damit ich mühelos aussteigen kann. Pierre steht bereits neben mir, als ich mich umsehe, um mich zu orientieren. Das Gebäude ist eine weitläufige Villa, stammt aber interessanterweise nicht aus der Zeit des französischen Adels, wie so viele Häuser, die von Vampiren bewohnt werden. Es scheint fast als wollte Louis ein Zeichen setzen, indem er den Empfang in einem modernen Anwesen stattfinden lässt. Ich ergreife Pierres Arm und wir wollen gerade zum Eingang gehen, da tritt jemand an uns heran. Ich habe sein Gesicht schon mal gesehen, wenn ich mich Recht erinnere, ist das einer der Offiziere von Louis.

«Monsieur Polignac, Mademoiselle Strong. Willkommen im Namen von Louis Gaultier. Ich habe Sie erwartet und soll Sie zu Louis bringen. Würden Sie mir bitte folgen.»

Pierre nickt, schaut mich aber mit hochgezogenen Augenbrauen an. Offensichtlich ist diese spezielle Behandlung eine Ehre, die er bislang noch nicht erlebt hat. Der Vampir führt uns durch den Haupteingang in einen Raum, der sich neben dem Saal befindet, in dem die meisten Gäste bereits versammelt sind. Ich vermute, dass der Raum eigentlich als Büro gedacht ist, aber aktuell ist er leer, lediglich am Rand stehen ein paar Tische mit weißen Tischdecken darauf.

In dem Raum erwarten uns drei Personen. Louis fällt sofort ins Auge, er ist schlank, hochgewachsen, mit schwarzen Haaren und einem leicht dunklen Teint. Er wurde vermutlich mit Anfang dreißig verwandelt und strahlt die Energie eines starken Vampirs aus. Das deutet darauf hin, dass er deutlich über einhundert Jahre alt ist, aber meines Wissens zählt er noch nicht zu den Uralten.

Neben ihm steht Madame Lorraine, eine alte, weißhaarige Frau, in etwa so alt, wie meine Großmutter jetzt wäre, wenn sie noch leben würde. Madame Lorraine ist der älteste Mensch, den ich kenne, der mit der Vampirgesellschaft verbunden ist. Sie hat ihren Vampir kennengelernt, als sie so jung war wie ich und ist seither mit ihm zusammen. Als sie zu alt wurde, um ihn zu nähren, hat sie ihm eine andere Frau gesucht, eine mütterliche Rolle eingenommen und übt mit ihrer Liebe und Erfahrung einen starken Einfluss auf ihren Vampir, auf Louis und die französischen Clans aus.

Ihr Vampir, Jean, ist der dritte in dieser Runde. Über ihn weiß ich wenig, außer dass er der erste Offizier und Stellvertreter von Louis ist. Da der Rang in der Vampirgesellschaft durch die Stärke des Vampirs festgelegt wird, ist er vermutlich auch älter als Pierre, aber er macht nicht den aggressiven Eindruck, den mächtige Vampire häufig hinterlassen. Vielleicht ist das seiner starken Verbindung mit einem Menschen zu verdanken, zumindest sieht das Madame Lorraine so. Da ich aber außer Pierre und Tante Anna noch keine Vampire näher kennen gelernt habe, konnte ich diese Theorie bisher nicht überprüfen.


Louis sieht uns entgegen, als wir von dem Vampir, der uns empfangen hat, in den Raum geführt werden. Wie es sich in dieser Gesellschaft geziemt, halte ich mich ein wenig hinter Pierre auf, er ist der Vampir, ich bin ihm als Mensch nur zugeordnet. Es kann zwar sein, dass Madame Lorraine erreicht, dass Menschen unter den Vampiren mehr Bedeutung gewinnen, aber ich will niemanden gegen uns aufbringen, nur weil ich weiß, dass Pierre mich als gleichgestellt sieht und auch so behandelt.

«Ah, da ist ja Pierre. Ich freue mich, dich hier begrüßen zu können.», sagt Louis mit höflicher Miene. Seine Stimme ist sanft, aber man merkt, dass er es gewohnt ist, Befehle zu geben und Gehorsam zu bekommen. Pierre verneigt sich leicht vor ihm und vor Jean, während ich so tue, als wäre ich nicht vorhanden. Pierre hat mir erklärt, dass Menschen nur dann reagieren sollen, wenn sie direkt angesprochen werden.

«Die Freude ist ganz meinerseits, Louis. Ich bedanke mich für diese Einladung.»

Erstaunlicherweise wendet sich Louis jetzt an mich.

«Ich freue mich auch, dass du dieser Einladung ebenfalls gefolgt bist, Trish. Deine Tante hat betont, dass du unter ihrem besonderen Schutz stehst und ich möchte versichern, dass dieser Schutz auch mein expliziter Wille ist. Solche Unhöflichkeiten, wie sie sich Gregori damals erlaubt hat, werde ich nicht dulden.»

Nun ja, das was Gregori sich erlaubt hat, war schon mehr als eine Unhöflichkeit, aber ich will zugestehen, dass das Verhalten von Louis bereits einen gewaltigen Fortschritt darstellt. Daher verneige ich mich ebenfalls vor ihm.

«Ich habe vollstes Vertrauen in ihren Schutz und bin deshalb der Einladung gerne gefolgt.»

Das Gesicht von Madame Lorraine hellt sich auf, offensichtlich habe ich die richtige Form der Erwiderung gefunden. Sie hat mich wohl noch als die sehr menschlich denkende und offensive Trish in Erinnerung, die damals Gregori gegen sich aufgebracht hat.

«Vielleicht habt ihr euch gewundert, warum ich diesen Empfang arrangiert habe.» setzt Louis fort. «Leider hat sich eine neue Gruppierung gebildet, die sich an der Anwesenheit eines nicht-europäischen Clans in Südfrankreich stört. Angeführt wird die Gruppe von Adélie Leblanc, die in der Nähe von Marseille beheimatet ist. Sie behauptet, dass damit ihr Einflussbereich durch die Auserwählte begrenzt wird.»

«Weder die Auserwählte noch ich haben ein Interesse an Einfluss auf die Gegend um Lorgues. Es war doch auch in der Vergangenheit kein Problem, wenn nicht-europäische Vampire Besitztümer in Europa hatten.», wendet Pierre ein.

«Das weiß ich sehr wohl, aber leider finden Adélies Argumente bei Einigen Gehör. Ich hoffe, durch dieses Treffen Verständnis füreinander aufbauen zu können. Ich wollte dich bitten, Pierre, dich in den Gesprächen offen zu zeigen und zu zeigen, dass die Auserwählte keinen Gebietsanspruch entwickeln möchte.»

«Das ist kein Problem, denn es entspricht der Wahrheit.»

«Gut. Es wäre sehr bedauerlich, wenn die guten Beziehungen zwischen der Auserwählten und den Vampiren in Europa durch Missverständnisse getrübt werden. Germaine, würdest du unsere Gäste bitte in den Saal begleiten, ich komme gleich nach.»

Madame Lorraine nickt, verbeugt sich vor Pierre und ergreift meine Hand.

«Selbstverständlich, Louis. Wenn du mir bitte folgen würdest, Pierre. Komm Trish.»


Sie führt uns aus dem Zimmer in einen Saal, in dem etwa fünfzig Personen versammelt sind. Stimmengewirr empfängt uns und das ist bereits ein Unterschied zu der Party, die Gregori damals gegeben hat. Vampire können sich über Gedanken verständigen und da bei Gregori Menschen keinen Wert hatten, hatten sich die Vampire hauptsächlich ohne Worte unterhalten. Ich weiß noch, wie ungewöhnlich still es mir damals vorgekommen war. Heute ist das anders. Wohl aus Höflichkeit gegenüber den Menschen scheinen sich alle hier über Worte zu verständigen und das macht sich bemerkbar. Kaum haben wir den Saal betreten, wendet sich Madame Lorraine an Pierre.

«Würdest du erlauben, dass ich Trish ein paar Augenblicke entführe, Pierre? Seit ich sie zuletzt gesprochen habe ist so viel passiert und ich bin neugierig.»

«Wenn es dir Recht ist, Trish, dann schaue ich mich ein wenig um und versuche etwas von dieser neuen Gruppe zu erfahren.»

«Solange du hier im Saal bleibst, habe ich nichts dagegen» erwidere ich.

Pierre nickt und wendet sich nach links, während Madame Lorraine mich zu einem Diener zieht, der Champagner auf eine Tablett anbietet. Ich nehme mir ein Glas, während mich Madame Lorraine mit ihrem scharfen Blick mustert.

«Du hast dich wirklich sehr gut entwickelt, Trish. Nicht nur, dass es Pierre prächtig geht, wie ich höre. Aber Nichte der Auserwählten, das ist schon ein Ding. Warum hast du mir damals nichts davon erzählt?»

«Weil ich es selbst nicht wusste, Madame Lorraine.»

«Komm, komm, ich bin Germaine. Du bist jetzt eine bedeutende Frau, Trish. Ich glaube mit Recht sagen zu können, dass du der wichtigste Mensch in der Vampirgesellschaft bist. Louis hätte dich sonst nicht so direkt angesprochen. Aber jetzt erzähl doch mal, was damals wirklich vorgefallen ist. Ich habe nur verschiedene Gerüchte und Berichte aus zweiter Hand gehört.»

Irgendwie ist es ein gutes Gefühl, von einer Person wie Madame Lorraine für so wichtig genommen zu werden, aber bevor ich erzählen kann, erscheint Louis, klopft mit einem Löffel gegen ein Glas und das Stimmengewirr erstirbt. Er hält eine kurze Ansprache, in der er wiederholt, wozu dieser Empfang dienen soll, stellt explizit Pierre als Vertreter der Auserwählten vor und wünscht allen Beteiligten viel Vergnügen und gute Gespräche. Ich bin froh, dass er mich nicht ebenfalls in den Vordergrund geschoben hat, bei so vielen mächtigen Vampiren wäre mir das unangenehm gewesen.

Als sich das Stimmengewirr wieder erhebt, wende ich mich Germaine zu und beginne, die Ereignisse von damals zu rekapitulieren. Germaine hört intensiv zu und stellt nur ab und zu eine Frage. Ich beende meinen Bericht meinerseits mit einer Frage.

«Was hat es denn mit dieser neuen Gruppe um Madame Leblanc auf sich? Was haben sie denn gegen Pierre?»

«Früher war Pierre unwichtig, ein Einzelgänger. Daher hat sich niemand darum geschert, wo er wohnt. Aber jetzt ist er Mitglied im Clan der Auserwählten und der Tod von Gregori hat gezeigt, wie stark deine Tante ist. Madame Leblanc benutzt diesen Umstand, um Einfluss zu gewinnen.»

«Also geht es ihr gar nicht um die Sache an sich, das ist alles nur vorgeschoben.»

«Möglich, aber sie vertritt ihren Standpunkt recht überzeugend. Daher ist sie auch zu einem Machtfaktor in der französischen Vampirgesellschaft geworden. So wie ich das einschätze, kann Louis gezwungen werden, deine Tante zu bitten, ihren Clan Standort hier in Frankreich aufzulösen.»

«Und was soll das heißen?»

«Eigentlich nur, dass Pierre nach San Diego oder wo immer deine Tante ihren Clan beheimaten will, hat umziehen müsste.»

Ich verziehe das Gesicht.

«Ich kann aber nicht nach San Diego umziehen, solange mein Großvater lebt.»

«Wo du wohnst ist gleichgültig. Es geht hier ausschließlich um Pierre.»

«Ich bin seine Blutgefährtin. Wo Pierre hingeht, werde ich auch hingehen.»

Germaine lächelt leicht.

«Das ehrt dich, Trish. Ich hoffe immer noch, dass es nicht so weit kommt. Komm, lass uns mit ein paar der anderen langjährigen Gefährten sprechen.»


Während ich mich von Germaine durch diesen Empfang führen lasse, stelle ich fest, dass trotz der Liberalisierung immer noch keine Gleichheit zwischen Vampiren und Menschen erreicht ist. Die jeweiligen Gruppen bleiben fast nur unter sich. Zwischen einer theoretischen Gleichheit und einer tatsächlich gelebten Gleichheit ist eben noch ein gewaltiger Unterschied. Bei manchen Vampiren kann ich spüren, wie sie mich scharf ins Auge fassen, vermutlich weil sie wissen, wer ich bin. Aber ich bemühe mich, meine Augen zu senken und niemanden zu provozieren.

Ich bekomme auch Madame Leblanc zu Gesicht, eine schlanke, ernst dreinblickende Vampirin, die einen gewissen Hochmut ausstrahlt. Sie redet gerade mit Pierre, allerdings ohne Worte zu benutzen. Das zeigt bereits, welche Einstellung sie hat. Ich will die Diskussion nicht schwierig machen, indem ich mich aufdränge, also wende ich mich wieder der Gruppe der langjährigen Blutgefährten zu.

Germaine ist dabei die weitaus älteste. Die meisten sind nur wenige Jahre älter als ich, manche sind so Mitte vierzig. Seit Gregori getötet wurde, ist auch die Gruppe der Menschen nicht mehr zweigeteilt. Bei jenem ersten Empfang damals musste man als Mensch aufpassen, nicht mit den falschen Gefährten zu reden, sonst konnte man der Spionage bezichtigt werden. Eigentlich ist die Situation in Frankreich durch den Tod von Gregori unter der Führung von Louis viel besser geworden.

Wir Menschen diskutieren ganz zwanglos verschiedene allgemeine Themen, nur menschliche Politik ist so gut wie nicht darunter. Eigentlich ist das komisch, denn wir sind ja Menschen, aber wenn man mit der übernatürlichen Welt verbunden ist, dann werden die Unterschiede zwischen menschlichen Gruppen irgendwie unbedeutend. Wieso sollte es denn wichtig sein, ob die Sozialisten oder die Konservativen im Elysee-Palast regieren, wenn wir wissen, dass die eigentlichen Herren dieser Welt die Vampire sind. Was interessieren uns die Gesetze zu Familienplanung, zur Arbeitslosigkeit oder zur Ausländerintegration, wenn wir sowieso keine Kinder bekommen können, von unseren Vampiren versorgt werden oder mit Werwölfen und Gestaltwandlern noch wesentlich fremdere Wesen kennen, als Afrikaner oder Asiaten.

Vampirische Politik wird allerdings auch nicht diskutiert, denn die ist Sache der Vampire. Nur Germaine hat hier einen Einfluss, der von Bedeutung ist. Aber ich habe das Gefühl, dass die meisten Menschen ihrer neuen Bedeutung in der Gesellschaft noch nicht trauen. Sie sind es nicht gewohnt, sich in die Angelegenheiten der Vampire zu mischen und haben es daher wohl verlernt, sich darum zu bemühen.

Etwas anderes, das ich feststellen kann, ist, dass meine Beziehung zu Pierre auch etwas Besonderes ist. Viele Blutgefährten sind ihren Partnern in Liebe zugetan, aber so gleichberechtigt, wie Pierre meine Wünsche berücksichtigt, macht das fast keiner der Vampire. Erst aus diesem Kontrast heraus kann ich ermessen, wie sehr Pierre mich achtet und liebt. Unwillkürlich setze ich mich von den Menschen ab und suche die Nähe von Pierre. Ich mische mich nicht in seine Gespräche ein, aber kaum stehe ich neben ihm, fühle ich seine Hand auf meiner Hüfte.

Ich weiß nicht genau, wieviel Zeit bereits vergangen ist, als Louis ein Zeichen gibt. Bei jeder Vampirparty ist der Programmpunkt „Festessen für die Vampire beginnt“ fest eingeplant. Da Vampire nur eines als Essen akzeptieren und das Trinken von Blut immer mit gewissen intimen Handlungen verbunden ist, ist dieser Programmpunkt ein wenig delikat. Aber wie in einer vornehmen Gesellschaft üblich, hat man für jeden Geschmack etwas vorgesehen. Da ich keinerlei Lust habe, an einer wilden Orgie teilzunehmen, ziehe ich mich mit Pierre in eines der bereitstehenden Zimmer zurück.

Blutgefährtin 2

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