Читать книгу Kurvenwasser - Thomas Mader - Страница 8

Оглавление

PROLOG


Reflex. Diese endlose Warteschleife irritierend gleicher Räume

Dampf quoll wie eine Sturmfront aus der Duschkabine, tanzte bis in den Schlafraum, regnete Pfützen auf den Boden und durchdrang das Insektengitter vor dem Fenster. Von der Straße her musste es wirken, als hätten ein Dutzend Köche ihre Töpfe im Stich gelassen. Zacharias hatte lange geduscht und runzelte, die Straße war ihm fremd.

Eine Weile stand er triefend da und starrte den fliehenden Wassermolekülen hinterher. Obwohl, nein … Moleküle kann man nicht sehen – die Luft ist schon übersättigt – erst wenn sie sich zu Tropfen binden.

Mit einer matten Geste wischte er über den Spiegelschrank und dann über den Wandspiegel, der gegenüber hing. Und als könnten sie nichts mit ihm anfangen, warfen die Spiegel sein Bild sich gegenseitig zu, so dass es vielfach gedoppelt im Raum hängen blieb; niemals angekommen, eine endlose Warteschlange, die sich ihm entgegenstellte. Aber da war kein Drängen. Er registrierte, dass seine Anderen vollkommen teilnahmslos und leergeduscht dastanden. Ohne Antwort, ohne Fragen.

Er drehte den Kopf ein wenig. Das schmale Gesicht, gerade zwanzig, umhangen von nass-schlappen Dreadlocks, und darin kein Ausdruck. Es kniff die Brauen zusammen, blies die Wangen auf und entließ seine Luft mit einem Plopp. Versuchte zu lächeln, zu vorsichtig. Die Anderen machten seine Grimassen mit, tatsächlich: sie reagierten; aber nur gleichgültig, noch nicht einmal widerwillig.

Wie sollte das wohl werden, ein ganzes Jahr in einem fremden Land mit diesen distanzierten Figuren? … Dabei hätte es genug Gründe gegeben für Euphorie und Angst, wenigstens für einen kleinen Weltschmerz. So hatte er sich das gedacht. Aber jetzt, da es soweit war, da er endlich seine Suche, seinen Rausch, sein Exerzitium aufnehmen konnte – nun war sein Feuer ganz erloschen, im heißen Wasser sanft ersoffen.

Nicht einmal das kleinste schlechte Gewissen konnte Zacharias aufbringen nach seiner halbstündigen Duschorgie, obwohl ihn Zuhause gerade solche kleinen Verschwendungen anwiderten: Die allgegenwärtige Plastiktüte. Das Autofahren, obwohl er gerne Auto fuhr. Und die viel zu lange Zeit, die er mit Fernsehen verbrachte: Das Auto explodiert. Tennis. Das Auto explodiert. Tennis, ja sogar Tennis. Bumm Bumm! … bis zu einem Punkt, wo sich die Farben zu Blutorangenbrei mischen, ein flimmernder Strudel, der alles einzusaugen sucht, in dem Zacharias selbst so gern ertrinkt; bumm bumm, denn im Zweifel explodiert sowieso immer alles; ein Zucken und Blitzen noch durch die geschlossenen Augen hindurch bis in den Schlaf.

Vor allem ärgerte er sich über sich selbst, weil er zu schwach war, selbst das Geringste zu ändern: den eigenen Konsum. Aber so viele Ameisen nagen an der Konsequenz, und woher die Energie nehmen? Gefangen zwischen den Wänden seiner Duschkabine – ein sicherer Ort –, im Alltag einer Gesellschaft, die zwar keinen Sinn verspricht, aber immerzu drängt, man müsse sich seinen Teil sichern, die Wunder dieser Welt einverleiben. Und die Welt überschlägt sich und schlägt um sich, vielleicht aus Angst gefressen zu werden. Eine schrittweise Lösung, nein, die war nicht vorstellbar … man musste ausbrechen. Aber konnte man das überhaupt? Oder war das nur eine andere, radikalere Art, sich die Welt anzueignen? … Vielleicht wollte er genau das.

Der Sprung war groß gewesen, es schien, als habe er sich übernommen, den Lebenshunger gewalttätig aus dem Körper geduscht. Seine ungerichtete Wut hatte sich gelöst und war den Abfluss hinunter gegurgelt. Aber auch von der wilden Lust aufs Reisen, von seinen abenteuerlichen, humanistischen, sexuellen Fieberträumen war nichts geblieben. Natürlich: die lange Reise … Aber dieses Gefühl der Sinnlosigkeit war etwas Größeres als Müdigkeit. Es entwertete die Anstrengung, die hinter seinem Aufbruch stand … Die Gleichgültigkeit hatte sein Luftschloss durchdrungen wie Feuchtigkeit, erodiert und eingeebnet, vom Fundament seines Verlangens bis zu den Zinnen seiner Zweifel. Oder hatte sich dieses Eigenheim überhaupt erst aus dem Nebel selbst erhoben und war nun in ihn zurückgekehrt? Jedenfalls: Wozu zwischen gut und schlecht unterscheiden? Wozu eine Meinung haben?

Als der Dampf sich aus dem Badezimmer verzogen hatte, begann Zacharias zu frieren. Er stand noch immer zwischen den Spiegeln – um ihn das Echo ihrer Reflektionen – und sah keinen Anfang und kein Ende in dieser endlosen Warteschleife irritierend gleicher Räume. Er ist mittendrin, schon immer mittendrin, und es muss einfach weitergehen, auch ohne Sinn. Aus Reflex also macht er einen Schritt und befindet sich prompt im nächsten Badezimmer. Ein weiterer Schritt und ein neuer gleichgültiger Raum. Dann ein etwas wütender Schritt nach vorn, und schließlich rennt er, rennt und rennt; rennt Quecksilberwellenringe werfend, mal im Uhrzeigersinn, mal entgegen … dreht und reckt sich, bis er merkt, dass er durch seinen Blickwinkel den Verlauf dieses Tunnels ohne Wände beeinflussen kann. Und je höher der Standpunkt, desto weiter krümmt sich der Tunnel nach unten, so dass sich eine Rutschbahn bildet, auf der Zacharias stolpernd hinunterschlittert, sich sogar fallen lassen kann, durch tausender Augen Blicke, bis an den Anfang des Tages.

Kurvenwasser

Подняться наверх