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1.2 Diskursanalyse in der Linguistik
ОглавлениеBindestrich-Linguistik
In der Linguistik werden jene Teilbereiche, die sich mit Phänomenen beschäftigen, die im Grenzgebiet von Linguistik und anderen Disziplinen anzusiedeln sind, gerne als „Bindestrich-Linguistik“ bezeichnet. Bekannte Beispiele sind die Sozio-Linguistik, die sich mit den vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Sprache und Gesellschaft beschäftigt, die Psycho-Linguistik, die auf Erkenntnissen der Psychologie und der Linguistik aufbaut oder auch die Polito-Linguistik, die das Verhältnis von Sprache und Politik auszuloten versucht. Auch andere Teilgebiete der Linguistik führen ihre Untersuchungsobjekte bereits im Namen: Während sich die Text-Linguistik dem Aufbau, der Struktur sowie der Klassifikation von Texten widmet, geht es der Gesprächs-Analyse um die Regularitäten, die in natürlichen Gesprächen von den Gesprächsteilnehmern üblicherweise (unbewusst) befolgt werden. Versuchte man jedoch in einem Satz anzugeben, was das Untersuchungsobjekt der Diskurs-Linguistik sei, dann führte dies unweigerlich zu Schwierigkeiten. Dies liegt einerseits daran, dass der Diskursbegriff nach wie vor wenig einheitlich verwendet wird. Und dies gilt nicht nur inter-, sondern auch innerdisziplinär. Darüber hinaus vertreten diejenigen, die den Diskursbegriff verwenden, durchaus unterschiedliche Auffassungen darüber, wie ein Diskurs mit linguistischen Mitteln zu analysieren sei.
Diskursanalyse als Gesprächsanalyse
Erschwert wird die Situation durch die Tatsache, dass der Terminus Diskursanalyse auch innerhalb der Linguistik für verschiedene Forschungsgebiete verwendet wird. So findet sich für die Erforschung der Regularitäten, die in Gesprächen herrschen, eine Fülle von Bezeichnungen, neben Konversationsanalyse und Gesprächsanalyse eben auch Diskursanalyse: „Was sich unter wechselndem Namen kundgibt, stellt eine Rezeption der amerikanischen ‚conversational analysis‘ dar oder ist doch wesentlich durch diese angeregt“ (Henne/Rehbock 2001: 1). Dies ist ein anderes linguistisches Forschungsgebiet, das sich vornehmlich mit natürlichen Gesprächen beschäftigt und andere Fragestellungen an sein Material heranträgt als die in dieser Einführung zur Diskussion stehende Diskursanalyse.
Diskurs als neues Forschungsparadigma
Unabhängig von dieser Begriffsvielfalt mutet es erstaunlich an, dass nicht nur innerhalb der Linguistik Diskursanalysen „in“ sind und zu einem neuen Forschungsparadigma geworden sind. Ein nur flüchtiger Blick in Verlagsprospekte mit linguistischen Neuerscheinungen kann dies eindrucksvoll bestätigen. Auch in der Lehre und bei studentischen Arbeiten haben linguistische Diskursanalysen eine gewisse Prominenz gewonnen. So schreiben Spitzmüller und Warnke in ihrer Einführung (2011: 1), Diskurs habe sich „zum beliebten Thema sprachwissenschaftlicher Qualifikationsschriften (Bachelor-, Magister-, Master-, Doktor- und Habilitationsarbeiten) sowie auch universitärer Seminare und Vorlesungen“ entwickelt.
Diese Entwicklung ist relativ neu. Noch vor etwa 20 Jahren begegnete Autoren, die für eine diskursanalytische Vorgehensweise in der Linguistik argumentierten, große Skepsis, wenn nicht gar Unverständnis. Dass die Diskursanalyse in der Linguistik einen solch prominenten Status gewinnen würde, war also keineswegs abzusehen.