Читать книгу Das große Geheimnis - Thomas Pfanner - Страница 8
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»Hallo, Schmicki. Alles fit im Schritt?«
»Nicht, dass dich das wirklich interessieren würde«, brummte der Angesprochene und schloss hinter ihr die Tür. Er hatte sich daran gewöhnt, dass sie ihn öfters einmal besuchte, vordergründig, um Weizenbier einer winzigen Privatbrauerei mit ihm zu trinken, an das weit und breit nur er herankam. In Wahrheit verging kein Besuch, ohne dass sie ihn nicht um einen Gefallen gebeten hätte. Er nahm es hin, seit den Anfängen vor ein paar Jahren empfand er mehr und mehr eine innige Freundschaft zu ihr. Er mochte angenehme, ungekünstelte Menschen um sich herum, in seinem Beruf fand sich diese Spezies gemeinhin überhaupt nicht.
Also saßen sie auf seinem großen Sofa, dem einzigen normalen Möbelstück seiner Wohnung, tranken Weizenbier und redeten über Gott und die Welt. Sie betrachtete beiläufig seine hochtechnisierte Ausstattung im Stile der Kommandobrücke eines Kriegsschiffs. Im Gegenzug musterte er ungeniert die langen runden Schenkel, die aus ihrem Minirock wuchsen. Dann kam sie zur Sache: »Sag mal, Alter, hast du nicht Lust, deine Höllenmaschine anzuschmeißen und mir ein wenig zur Hand zu gehen?«
Er betrachtete sie über den Rand seines Glases hinweg an und meinte, nur halb im Scherz: »Handelt es wieder um ein Problem der böseren Kategorie? Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich vor zwei Jahren ganz plötzlich umziehen musste, unmittelbar nach einem winzigen Gefallen, den ich dir getan hatte.«
Leichthin erwiderte sie: »Ich glaube kaum, dass dein Umzug sehr viel mit dem Gefallen zu tun hatte. Eher mit dem Umstand, ausnahmsweise an einen besseren Hacker geraten zu sein. Davon mal ab: Diesmal ist es nur ein winziger Auftrag, ganz ungefährlich und für ein Ass wie dich ein Klacks.«
Missmutig starrte er sie an: »Es beginnt immer damit, dass einer denkt, es wäre ein Klacks. Du musst schon etwas genauer werden.«
»Mann, Schmicki, heute zickst du aber rum. Lange keinen Sex mehr gehabt, wie?«
Er grummelte säuerlich: »Du ahnst ja gar nicht, wie lange. Rede nicht um den heißen Brei, die Karten auf den Tisch.«
»Na schön. Ich soll ein Mädchen suchen, das seit drei Jahren verschwunden ist. Komische Sache, wenn man bedenkt, dass sie zwölf war, als sie die Platte putzte, jetzt müsste sie fünfzehn sein.«
Schmicki setzte sich auf und sah sie auf einmal sehr wachsam an: »Wo ist das Problem? Dies ist Deutschland, hier verschwinden Kinder nicht so einfach. Und was genau soll ich dabei machen?«
Katja Preuß beugte sich vor, ignorierte seinen Blick in ihren V-Ausschnitt und meinte mit der für sie typischen Mischung aus Konzentration und Sarkasmus: »Legenden, mein Schönster, alles Legenden. Jeden Tag verschwinden Mädchen dieses Alters in diesem unserem Lande und nur ganz selten tauchen sie wieder auf, dann allerdings mausetot. Nein, die Sache ist ganz profan, eigentlich. Es geht wohl um die übliche Sache: Ein Kind wird Waise, der Staat oder irgendwelche Verwandtschaft nimmt sich der Sache an und das Ding ist gegessen. Anderer Name, andere Stadt, unauffindbar weg! Und da dachte ich an dich und deinen tollen PC. Vielleicht könntest du etwas finden?«
Bedächtig schenkte er sich Bier nach und warf ihr einen kritischen Blick zu: »Katja, ich fürchte, du erzählst mal wieder nur die Hälfte, und zwar die harmlosere Hälfte. Bis hierhin handelt es sich doch um Routinearbeit. Eine Tonne Akten durchgewälzt und du hast das Kind gefunden. Hacker wie ich finden gut versteckte Geheimnisse, aber nicht den blauen Golf auf einem Riesenparkplatz, auf dem nur solche Kisten stehen. Also: wo ist der Haken?«
»Der Name ist der Haken. Er ist so verdammt häufig, dass mein Problem nicht darin besteht, dieses Mädchen zu finden. Es besteht darin, dass ich Dutzende gefunden habe und nebenbei nicht sicher bin, ob ich schon alle mit diesem Namen zusammen habe.«
»Aha. Und wie lautet dieser Name? Schmitz? Dann kann ich dir auch nicht helfen. Halb Köln heißt Schmitz. Oder Meyer? Gibt es auch tausendfach. Ich bin Hacker, kein Gott, der mit dem goldenen Finger auf das Ziel zeigen kann.«
»Nicht direkt, nein. Aber eine goldene Tastatur hast du vielleicht schon. Außerdem kann ich dich beruhigen, so schlimm wird es nicht. Der Name ist Bauer, Maria Bauer. Was ist?«
In dem Versuch, sein Glas auszutrinken, hielt Schmickler abrupt inne, die Augen quollen hervor und er machte ein gurgelndes Geräusch. Sogleich hatte er sich wieder im Griff, setzte das Glas hart ab, hustete und schlug sich vor die Brust. Sie betrachtete ihn ziemlich erstaunt und wartete ab, bis er sich erholt hatte.
»Mein lieber Scholli, du hast dich ja noch nie an Bier verschluckt, und dann gleich so heftig. Wirst du langsam alt, oder liegt es an mir?«
Er rollte mir den Augen und erwiderte, immer noch von kurzen Husten-Attacken unterbrochen: »Vielen Dank auch für die Hilfe. Ich verrecke hier und eine in Erster Hilfe voll ausgebildete Ex-Polizistin hockt apathisch auf dem Sofa und tut so, als säße sie im Theater. Und nein, ich werde nicht alt. Solche Missgeschicke passieren, wenn man Damen gegenübersitzt, die keinen BH tragen, obwohl es dringend nötig wäre.«
Nur halb im Spaß fragte Preuß spitz: »Soll das heißen, dass sie hängen?«
»Nein, das soll heißen, dass sie groß sind und aus diesem merkwürdigen Oberteil quellen, wenn du dich nach vorne beugst. Also gut, zum Thema: Wie heißt dieses Mädchen noch mal?«
Ihm kam es sehr gelegen, sie auf diese Weise abzulenken. Er hoffte nur, dass sie keinen Verdacht schöpfte.
»Bauer, Schmicki, wie der Mann, der auf dem Feld nebenan die Zuckerrüben aus der Erde rupft. Maria, wie die Frau, die das Kind bekam, ohne den Kerl an sich ran zu lassen.«
Wegen seiner Bemerkung schien sie immer noch etwas pikiert zu sein, was ihn aber nicht weiter bekümmerte. Solche Anfälle von Verletztheit leistete sie sich fast regelmäßig, allerdings dauerte es nie länger als drei Minuten, bis sie darüber hinweg war. Insofern hielt er das Ganze für Schauspielerei. Im Augenblick kam ihm ihre Attitüde mehr als gelegen, da er annahm, dass sie ihn nicht so genau beobachtete, solange sie vorgab, beleidigt zu sein.
»Mhm, das ist wirklich ein häufiger Name. Na schön, ich werde mich umhören.«
Erstaunt richtete sie sich auf: »Wie: Du wirst dich umhören? Du bist doch gar kein Sozial-Fuzzi, du bist ein Computer-Mensch. Willst du mich veräppeln?«
»Klar, ich bin ein Computer-Mensch, homo Nachtschicht, habe auch nie was anderes behauptet. Wenn ich sage, ich höre mich um, bedeutet das, dass ich mich im Internet umhöre. Mein Gott, das ist doch klar, oder?«
Nachlässig zupfte sie ihr Oberteil zurecht, wenn auch in die falsche Richtung.
»Nicht wirklich, aber egal. Bleibt noch die Frage, warum du nicht sofort an diese graue Kiste da hinten springst und loslegst?«
Er wand sich sichtlich. »Geht nicht. Kaputt. Morgen früh kommen die Ersatzteile. Tut mir leid, heute Abend kann ich nichts machen.«
Sie fixierte ihn prüfend und ging im Geiste alles durch, was sie über ihn wusste.
»Herzchen, ich muss mich wirklich wundern. In all den Jahren ist so was noch nicht passiert. Wenn ich richtig rechne, hattest du nie weniger als drei Maschinen gleichzeitig im Netz. Und die sollen alle gleichzeitig den Löffel abgegeben haben?«
»In der Tat. Liegt am Netz. Äh, am Stromnetz. Kurzschluss, Überspannung, alles Netzteile in den PCs hinüber. Da kann ich wirklich nichts machen.«
Katja Preuß kam zu dem Schluss, dass Schmickis Erklärungsversuche nicht die erwartete Glaubwürdigkeit besaßen, zumal er mehr und mehr ins Schwitzen geriet. Andererseits fiel ihr absolut kein Grund ein, der einen alten Freund bei dieser läppischen Sache in Bedrängnis bringen konnte. Ein fünfzehnjähriges Mädchen zu suchen, war nun wirklich nicht der Angst einflößende Mammutfall. Vielleicht wurde er ja wirklich alt.
Sie beschloss, die Frage auf sich beruhen zu lassen, unterhielt sich noch eine Weile mit ihm und kündigte schließlich ihren nächsten Besuch für übermorgen an. Schmickler atmete sichtlich auf, als er endlich die Tür hinter ihr schließen und zum Handy greifen konnte.
7
Kritisch distanziert betrachtete Frau Eusterholz ihren Besucher. Aus Prinzip fand sie kleine, dicke, schwitzende Männer unmöglich. Dieser hier war auch noch ihr Vorgesetzter und obendrein unangemeldet in ihr Büro gekommen. Zuerst hatte sie das Schauspiel noch amüsiert verfolgt, wie er auf Plattfüßen wankend hereinkam und umständlich auf dem Sessel vor dem Schreibtisch Platz nahm. Noch mehr erstaunte sie immer wieder seine Stimme, die ungewöhnlich hell klang. Dazu ließen sich seine Bemühungen, ein fortwährendes Stottern zu unterdrücken, nicht verheimlichen: »Frau Eusterholz, wie läuft der Laden? Macht sich der neue Erzieher gut?«
»Ja, sicher, die Kids lieben ihn.«
Unverhohlen belustigt erkannte sie, dass ihre Art bei ihm nicht ankam. Offenbar reagierte der Mann sehr sensibel auf Menschen, die ihm nicht den nötigen Respekt entgegenbrachten. Leichte rötliche Flecken bildeten sich an seinem Hals, als er ungnädig erwiderte: »Vielleicht sind Sie nicht auf dem neuesten Stand. Die Mutter des Schülers Sägebrecht hat sich bei mir persönlich über den Burg beklagt. Sie erklärt, dass er ihren Sohn tätlich bedroht hat. Das ist Ihnen wohl entgangen, wie?«
Sie hasste es, von Eltern auf diese Weise übergangen zu werden, auch wegen der Art und Weise, wie ihre Vorgesetzten ihr das für gewöhnlich aufs Brot schmierten. Dies wollte sie jedoch nicht offenbaren, also blieb sie äußerlich gelassen: »Wenn ich den Namen Sägebrecht schon höre, kriege ich das Zucken. Ich bin schon lange der Meinung, dass der nicht hierher gehört. Ständig gibt es Ärger, weil er Mädchen anbaggert.«
Die Flecken wurden dunkler.
»Frau Eusterholz, Sie nehmen den Vorwurf allzu leicht. Gefährlich leicht. Hier geht es nicht um die pubertären Phobien irgendwelcher Teenager, sondern um den Vorwurf der Körperverletzung und Nötigung gegenüber einem Schutzbefohlenen. Wie also stehen Sie dazu?«
Die pubertären Teenager gehören auch zu deinen Schutzbefohlenen, du Schleimscheißer, dachte sie und spürte eine kleine Wut in sich hochsteigen. Sie kannte ihn gut genug, um einen offenen Streit zu vermeiden, blieb also ruhig und locker. Damit traf sie ihn wesentlich härter. Auf der Palme, auf die er sie treiben wollte, würde er allein sitzen.
»Herr Weberecht, das ist ganz einfach. Ich werde mich an objektive Fakten halten. Zuerst einmal: Wann war das, wo war das und wer war Zeuge?«
Sie schenkte ihm ein blitzendes künstliches Lächeln und widmete sich ihrer Kaffeetasse. Zwischen den Flecken verschwand die letzte blasse Stelle.
»Frau Eusterholz, ich bin der Vorsitzende des Verwaltungsrates des Christophorus-Kollegs, eine katholische Einrichtung zur Vorbereitung der uns anvertrauten Jugendlichen auf ein gottgefälliges Leben. Ich verlange, dass Sie mir in sachlicher Weise antworten und dass Sie Herrn Burg zur Rechenschaft ziehen. Sonst werde ich das tun und dies wird sich in Ihrer Personalakte deutlich niederschlagen, sehr deutlich.«
Die Wut stieg auf. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie zwar auch während der scharfen Rede ihres Vorgesetzten genüsslich an ihrer Tasse genuckelt, ihm hingegen die ganze Zeit gar keinen Kaffee angeboten hatte. Sie hatte nicht daran gedacht und nun würde sie es erst recht nicht mehr tun. Diese Vorstellung amüsierte und besänftigte sie ein wenig und so stellte sie die Tasse weg, beugte sich vor und gab ihm die Antwort, die er verdiente: »Herr Weberecht, ob wir hier katholisch sind oder nicht: Die Jugendlichen haben da einen Kack dran. Die interessieren sich für das, was manche Leute gelebtes Christentum nennen. Um es mit einem Wort zu sagen: Die messen uns daran, ob wir gerecht sind. Wenn ich hingehe und die Autorität eines Erziehers nachhaltig untergrabe, indem ich den Rachegefühlen einer Mutter blindlings nachgebe, dann werden alle anderen das als nicht gerecht ansehen. Und sie werden damit Recht haben. Dies ist nun mal ein Rechtsstaat, und gerade ich als Hausleitung einer katholischen Einrichtung habe eine Vorbildfunktion. Deshalb werde ich zuerst einmal die Fakten prüfen und danach die Beteiligten befragen. Es wäre daher sehr freundlich, wenn Sie mir erzählen würden, was Sie wissen. Wer hat was gesehen, wann und wo ist es geschehen, welche Verletzungen gab es?«
Nun begann Weberecht doch ansatzweise zu stottern.
»Das wird noch ein Nachspiel haben. Ich werde mich selbst um die Sache kümmern.«
Nun wurde sie doch sauer. Vor allem wollte sie ihn nicht so einfach aufstehen und gehen lassen.
»Sie wissen also nichts über die näheren Umstände. Frau Doktor Sägebrecht ist Chefärztin, ihr wird es doch leichtfallen, Beweise vorzulegen.«
Barsch erwiderte Weberecht: »Das wird sie nicht. Das muss sie auch nicht. Das Wort einer anerkannten Persönlichkeit unserer Gemeinde genügt mir.«
»Rechtstaatlich gesehen ist das reichlich dünn. Wenn eine Superärztin keine Verletzungen gutachterlich belegen kann, dann wird es auch keine Körperverletzung gegeben haben.«
Weberecht marschierte auf seinen Plattfüßen bis zu Tür und riss sie ungehalten auf. »Wenn es notwendig ist, dann wird Frau Doktor Sägebracht ein solches Gutachten vorlegen. Und ob das reicht oder nicht, entscheide ich.«
Mit diesen Worten warf er die Tür zu und ließ eine mächtig verärgerte Schulleiterin zurück.
»Ich habe also fünf Jahre studiert und weitere zehn Jahre Erfolge in der Pädagogik erzielt, Veröffentlichungen verfasst, Preise eingeheimst, damit mir ein autoritärer Frauenhasser ans Bein pinkelt? Warum haue ich dem nicht einfach die Kaffeekanne auf den Kopf?«, fragte sie ihren Schreibtisch. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Natürlich war ihr bewusst, dass man mit Weberecht nicht wirklich reden konnte. Wenn sie es vermocht hätte, ein wenig Unterwürfigkeit zu zeigen, alles wäre in Ordnung gewesen. Aber genau das konnte sie nicht. Genau das brachte ihr immer wieder Ärger ein.