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II. Freund und Feind auf Position

Schmickler schaute durch den Türspion, erkannte die Gestalt, atmete tief durch und öffnete unter Herzklopfen die gepanzerte Tür. Dann starrte er den Mann eine Weile an, bevor er brüchig hervorbrachte: »Herr! Was tut Ihr hier?«

Der andere gab freundlich zurück: »Darauf warten, dass Ihr mich herein lasst, Jacques. Wie sieht es aus, besteht Hoffnung, dass Ihr mich hereinbittet?«

Mit frischer Röte im Gesicht machte Schmickler Platz. Der Mann betrat die Wohnung, stellte sich in die Mitte dessen, was bei anderen Menschen Wohnzimmer genannt wurde, und betrachtete jedes Detail eingehend. Sein unfreiwilliger Gastgeber stand daneben und fühlte sich wie ein Lehrling bei der Prüfung. Endlich fiel der Groschen, er bot seinem Gast einen Platz an und bewirtete ihn. Ernst betrachtete dieser das ihm dargebotene Weizenbier, nahm bedächtig einen Schluck, lehnte sich sodann zurück und musterte Schmickler.

»Setzt Euch, Jacques, Ihr wirkt recht unselbständig, wie Ihr da steht, mit Händen, die miteinander ringen.«

»Ich, äh, ich hatte nicht damit gerechnet, dass so schnell jemand käme, und dann auch noch Ihr.«

Der Gast lächelte versonnen.

»Diese Wirkung auf andere Menschen scheint mir anzuhaften. Jeder ist erstaunt, mich zu sehen. Gleichwohl ist einem jeden bekannt, dass ich existiere. Sei’s drum. Würdet Ihr Euren Verstand gebrauchen, wäre Euch bewusst, dass die Sache, die Ihr gemeldet habt, von erheblicher Wichtigkeit ist. Also bitte: Erzählt es noch einmal.«

Schmickler tat dies ausführlich, gab dabei die Dialoge gelegentlich wörtlich wieder, während sein Gast aufmerksam zuhörte. Nachdem er alles erzählt hatte, begannen die Fragen.

»Ihr haltet die Frau für ehrbar?«

»Ja, da bin ich mir sicher. Sie war früher bei der Kripo, sie hat Mörder gejagt. Dabei offenbarte sie eine Geradlinigkeit und Intelligenz, die ihr eine stabile Erfolgsquote sicherte. Ihr ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit hat ihr viele Feinde eingebracht, so dass sie schließlich kündigte. Nun ist sie eine sehr gute Detektivin.«

Der Mann schmunzelte: »Ihr sprecht, als wolltet Ihr eine Bewerbung unterstützen. Sagt mir also, warum sie gerade diesen Auftrag angenommen hat.«

»Geldnot und Instinkt. Aufgrund ihrer Einstellung arbeitet sie nicht für jeden, so dass sie gerade Geld nötig hat. Also hat sie diesen Auftrag angenommen.«

Der Besucher runzelte die Stirn und warf mit mildem Tadel ein: »Ihr beschreibt ein Paradox. Eine Frau, die nicht für Männer arbeitet, was sie nach einer Weile dazu nötigt, für Männer zu arbeiten. Das erinnert doch sehr an die Geschichte von dem Mädchen, das eigentlich Jungfrau bleiben wollte.«

Schmickler wand sich, schnell versuchte er seine Aussage zu präzisieren.

»Nein, Herr, so ist es nicht. Ihr vergesst den Instinkt, ich meine, ich vergaß, von dem beeindruckenden Instinkt dieser Frau zu erzählen. Wie sie sagte, habe sie den Auftrag angenommen, weil ihr Instinkt sie gewarnt habe. Sie hatte das Gefühl, dass eine, mit Verlaub, große Sauerei hinter dieser Sache stecken könnte. Das ist es.«

Der Gast schüttelte erneut den Kopf und bohrte weiter: »Also ein anderes Paradox. Eine Frau nimmt einen Auftrag an, um Gutes zu tun, weil sie Böses ahnt. Wie kann man zu den Guten gehören, wenn man für den Bösen arbeitet?«

»Herr, ich kenne sie. Sie ein guter Mensch, ein wertvoller Mensch, einer von denen, wie man sie selten findet. Sie gehört nicht zu den Bösen.«

Der Gast machte eine beruhigende Geste, da Schmickler offensichtlich im Begriff war, seine Fassung zu verlieren.

»Setzt Euch wieder, Jacques, ich habe nichts gegen Eure Freundin. Das ist sie doch, nicht wahr? Ihr könnt beruhigt sein, ich habe bereits Erkundigungen von anderer Seite eingezogen. Mir ging es darum, zu erfahren, wie es um Euch bestellt ist. Ich darf doch annehmen, dass Euer Gelübde Euch weiterhin bindet? Gut. Also bringen wir es auf den Punkt: Ihr seid der Auffassung, dass diese Frau nicht in Gefahr ist, dem Feind anheim zu fallen?«

Schmickler schüttelte energisch den Kopf, erleichtert darüber, die Prüfung bestanden zu haben. »Ganz sicher, Katja, ich meine Frau Preuß, ist absolut unbestechlich und durch nichts zu verführen.«

Einen Augenblick lang hatte es den Anschein, als wollte der Besucher lachen, doch die Mundwinkel wurden auf ihrem Weg zu den Ohren abgebremst und an die alte Position zurückgebracht. Ruhig fuhr er fort: »Ihr könnt die Dame nennen, wie es Euch beliebt. Wir sind unter uns, Jacques, auch wenn da draußen die Welt dem Wahnsinn verfällt, ist zwischen uns alles beim Alten. Nun also zu Eurer Freundin. Ihr haltet sie andererseits für klug genug, in nicht allzu ferner Zeit den Auftrag erfolgreich ausführen zu können?«

»Ja, das allein war mein Beweggrund, Nachricht zu geben. Viele haben sich an diese Suche gewagt, Katja ist in wenigen Tagen bereits sehr weit gekommen. Ich bin sicher, dass sie bald auch den Rest herausfinden wird.«

Sein Gast klemmte den rechten Arm unter die linke Achsel und stützte den Kopf auf den linken Arm. In dieser Haltung dachte er eine Weile nach, bis er schließlich seine Entscheidung bekannt gab.

»Nun, es sieht doch so aus, dass wir zwar unseren Feind kennen, nicht aber die Gesichter, hinter denen er sich hier vor Ort verbirgt. Wenn Eure Prognose zutrifft und diese Frau ohnehin bis zu unserem Mündel vordringt, dann sollten wir diesen Umstand für uns nutzen.«

Schmickler machte ein fragendes Gesicht.

»Wie könnte es ein Vorteil für uns sein, dass der Feind uns nahe kommt? Das ist doch sehr gefährlich.«

»Taktik, Jacques, das ist Taktik. In der Vergangenheit litten wir unter dem Nachteil der Dunkelheit. Der Feind befand sich fast immer im Dunkeln, aus dem er unerwartet hervorzustoßen vermochte. Zwar traf dies auch auf uns zu, doch wir befinden uns in der Position des Verteidigers, was in dieser Konstellation ein Nachteil ist. Von daher sehe ich hier eine Chance, Licht auf unseren Feind zu werfen und dadurch einen Schlag zu führen, der uns eine längere Zeitspanne der Ruhe bringen sollte. Nun, Ihr versichert, dass diese Frau nicht weiß, dass sie benutzt wird. Ergo wird es keinen Unterschied machen, unwissentlich in doppelter Weise benutzt zu werden.«

Schmickler zeigte sich endgültig konsterniert: »Wie meint Ihr, Herr? Ich verstehe nicht.«

»Nun, wir werden die Frau ebenfalls benutzen. Ihr werdet sie ebenfalls benutzen.«

»Das müsst Ihr mir erklären, Herr?«

Der Gast schmunzelte. »Da Ihr es nicht versteht, besteht die berechtigte Hoffnung, dass es der Feind ebenfalls nicht versteht. Es ist ganz simpel: Ihr werdet mit dieser Frau zusammenarbeiten. Ihr helft dieser Frau Preuß und lasst zu, dass sie unser Mündel findet.«

»Nein!« Schmickler stöhnte entsetzt auf. Das hatte er ganz und gar nicht erwartet.

»Eben doch. Zweierlei Nutzen: Ad eins werdet Ihr wissen, ab wann der Feind zuschlagen wird. Ad zwei werdet Ihr gleichzeitig über diese Frau näher an den Feind herankommen. Fangt als Beispiel damit an, den Auftraggeber für dieses Unterfangen zu eruieren.«

Jetzt verstand Schmickler. Ein erleichtertes Lächeln geisterte über seine Züge, um sogleich weiteren Sorgen Platz zu machen.

»Aber das wird Katja in Gefahr bringen. Außerdem, sie ist wirklich sehr klug. Vielleicht wird sie mir gar nichts sagen.«

Sein Gast schüttelte nachsichtig den Kopf.

»Ihr zeigt die Ehrenhaftigkeit eines Ritters, Jacques. Lediglich an Klugheit bezüglich des Lebens mangelt es Euch. Ihr solltet etwas mehr am Leben teilhaben, nicht nur diese Maschinen bedienen, Tag und Nacht. Eure Freundin ist zweifellos in Gefahr, ganz ohne unser Zutun. Wenn ich recht verstehe, ahnt sie dies auch. Die Gefahr steigert sich durch unsere Taktik mitnichten. Im Gegenteil eröffnet uns dieses Vorgehen die Möglichkeit, sie auch unter unseren Schutz zu bringen. Euer zweiter Einwand scheint mir allerdings berechtigt zu sein. Von daher werde ich mich ebenfalls einschalten.«

Schmicklers fragender Blick wurde ignoriert, zu fragen traute er sich nicht. Sein Gast betrachtete die Unterredung als beendet und erhob sich.

»Nun gut, Ihr wisst, was zu tun ist, Jacques. Unterrichtet uns weiter vom Fortschritt Eurer Bemühungen. Gehabt Euch wohl.«

Er fasste Schmickler fest an die Schulter, nickte ihm aufmunternd zu und verließ ihn. Ratlos starrte Schmickler noch einige Zeit die Tür an, bevor er sich kopfschüttelnd seiner Arbeit zuwandte: »Man kann nicht behaupten, dass es langweilig wäre dieser Tage. Was für eine Last. Das wird nicht einfach, bei Jesus, das wird nicht einfach.«

Das große Geheimnis

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