Читать книгу Ein Plus für die Demokratie - Thomas Pfisterer - Страница 5
2 Kurzfassung
ОглавлениеDas Volk und die Stände haben die Weiterführung des bilateralen Weges überwiegend bestätigt. Diese Entscheide sind ernst zu nehmen. Sie enthalten zwei Dimensionen.
Erstens die Weiterführung des bilateralen Weges: Die Debatte rund um den Entwurf eines Rahmenabkommens 2018 hat sich weithin auf die Fragen zur Binnenmarktbeteiligung und zur dynamischen Rechtsübernahme beschränkt. Dabei liegt nicht einmal ein fertiger Vertragstext vor. Namentlich fehlen offizielle Kommentare aus dem Bundesrat.
Zweitens die Gewährleistung des Einflusses von Volk und Ständen: Die grundsätzliche Diskussion um die Rolle der Demokratie im Verhältnis der Schweiz zur EU ist bisher zu kurz gekommen.
Die vorliegende Schrift widmet sich allgemein dem Umgang mit der Demokratie in Verträgen zur Beteiligung der Schweiz am EU-Binnenmarkt. Ihr Thema ist nicht, ob dem Entwurf zum Rahmenabkommen 2018 zuzustimmen oder ob er abzulehnen sei. Die direkte Demokratie ist erst recht bei anspruchsvollen Gegenständen auf einen intensiven Austausch unter den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Behörden mit den Bürgerinnen und Bürgern angewiesen, so auch hier über die Mitsprache von Parlament und Volk bei der Binnenmarktbeteiligung. Es sei versucht, zu dieser Demokratie-Debatte sachliche Beiträge zu leisten.
Um der eiligen Leserschaft einen Überblick zu geben, seien im Folgenden die wichtigsten Erkenntnisse der Betrachtung zusammengefasst.
Die Frage nach dem demokratischen Minimalstandard Schweiz – EU:
Welche Anforderungen sind aus der Sicht der schweizerischen Demokratie an die Verträge Schweiz-EU zu stellen? Wie können sich die demokratischen Institutionen der Schweiz bestmöglich in die Anwendung von Binnenmarktabkommen einbringen?
Der Entwurf zum Rahmenabkommen 2018 ist für Marktzugangsabkommen der erste einschlägige Fall. Darum eignet er sich, die Demokratieproblematik allgemein zu untersuchen. Es gilt zu prüfen, welchen minimalen Standard an Demokratie das Rahmenabkommen bietet. Wie sollen allgemein die Rollen von Parlament und Volk zu den Verträgen Schweiz – EU ausgestaltet werden?
Was im Entwurf zum Rahmenabkommen 2018 «zur Binnenmarktbeteiligung steht»:
Das Rahmenabkommen sichert der Schweiz im beschränkten Bereich von (bewusst nur) fünf Marktzugangsabkommen den Binnenmarktzugang. Das Rahmenabkommen kommt zum Zug, wenn die EU Neuerungen und damit Rechtsübernahmen für die Schweiz zur Personenfreizügigkeit, zum Land- und Luftverkehr, zum Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, zu den Konformitätsbewertungen oder allenfalls zu vereinbarten künftigen Abkommen wie im Strombereich vorschlägt, vorsieht oder diskutiert. Die einschlägigen Regeln des Binnenmarkts der EU entwickeln sich dynamisch weiter. Das Rahmenabkommen hat den Anspruch, die Weiterentwicklung von EU-Recht mit der Eigenständigkeit der Schweiz in Einklang zu bringen.
Gemäss Rahmenabkommen soll die Schweiz mit der EU eine dynamische Rechtsübernahme mit dem Grundsatz der Weiterentwicklung vereinbaren, umgesetzt in einer Pflicht zur zeitgerechten Übernahme der einschlägigen EU-Rechtsakte in die entsprechenden Abkommen. Rechtsübernahmen dürften meist problemlos sein. Wenn sie problematisch sind, darf die Schweiz eine Übernahme neuen EU-Rechts ausnahmsweise ablehnen, auch durch ein Parlaments- oder ein Volks-Nein. Allerdings muss sie dann die vereinbarten Folgen hinnehmen. Darum wird die Schweiz im Rahmen der vertraglichen Regelung die Nach- und Vorteile vorher abwägen. Es handelt sich um keine automatische Rechtsübernahme.
Sollte die Schweiz den Vertrag nicht erfüllen oder erfüllen wollen, kommt es zuerst zu einem obligatorischen, möglichst unpolitischen, rechtlichen Streitbeilegungsverfahren, in dem «eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden» ist. Konkret bedeutet das schwergewichtig Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU.
Kommt es in diesen Verhandlungen nicht sach- und zeitgerecht zu einer Einigung, kommen u.U. die im Rahmenabkommen vorgesehenen Folgen zum Zug (Schiedsgericht, in gewissen Fällen der Europäische Gerichtshof (EuGH), Ausgleichsmassnahmen usw.). Die EU darf den Vertrag nicht einseitig beenden wie bei der Anwendung von Schengen.
Wie sich die Schweiz gemäss Entwurf zum Rahmenabkommen «die Demokratie sichert»:
Der Schlüssel zur Demokratie liegt in der Aufwertung des Parlaments. Sie soll echte Volksentscheide ermöglichen.
Das Parlament stellt die Weiche. Es darf Rechtsübernahmen ablehnen. Sein Entscheid dazu ist endgültig; vorbehalten ist ein Streitbeilegungsverfahren. Heisst das Parlament eine Rechtsübernahme gut, ist das Referendum zum entsprechenden Staatvertrag zulässig. Kommt ein Referendum zustande, entscheiden die Stimmberechtigten über die Weiterführung des bilateralen Weges. Sie haben das letzte Wort. Lehnen sie die Rechtsübernahme ab, muss die Schweiz die Folgen tragen, die sie im Rahmenabkommen mit der EU vereinbart hat.
Mit dem Rahmenabkommen werden die Einflussmöglichkeiten der Schweiz gegenüber der EU gestärkt. Die Schweiz kann erstens am EU-Gesetzgebungsverfahren teilnehmen (mitwirken) und so ihre Interessen wahrnehmen. Die Teilnahme soll die Rechtsübernahmepflicht wettmachen und erlaubt es, schweizerische Anliegen einzubringen. Zweitens sind im Entwurf zum Rahmenabkommen die demokratischen Rollen von Parlament und Volk (Referendum) zu Rechtsübernahmen vorbehalten. Eine automatische Rechtsübernahme ist ausgeschlossen.
Das Schweizer Parlament hat keine Befugnisse unmittelbar auf EU-Ebene. Aber: Es kann seine Rolle in der Aussenpolitik landesintern wesentlich stärken, wie es die Bundesverfassung ermöglicht. Parlament und Bundesrat können durch ein gutes intensives Zusammenwirken insgesamt gewinnen. Dazu kann der Parlamentseinfluss in die Vorbereitung verlegt werden: in eine Mittlerrolle, durch Mitwirkung und durch Begleitung des Bundesrats in EU-Verfahren.
Das Parlament wird damit stärker zum Mittler zwischen Bundesrat und Volk, zwischen Vorbereitung und Entscheid. Es engagiert sich dafür, dass alle Inhalte und Entscheide der direkten Demokratie genügen, d.h. sowohl vor dem Rahmenabkommen und wie vor dem Volk standhalten.
Das Parlament hat gegenüber dem Bundesrat breite Mitwirkungsbefugnisse, namentlich hinsichtlich Information, Konsultation, Empfehlungen und parlamentarischen Vorstössen; das ist meist politische Teilnahme, ohne Weisungsbefugnis an den Bundesrat.
Das Parlament darf indirekt, auf dem Weg über den Bundesrat, die Teilnahme der Schweiz an der Erarbeitung der EU-Rechtsakte (Information, Einfluss in den EU-Organen) und an den Verhandlungen mit der EU (Beschluss des sektoriellen Ausschusses oder Staatvertrag) beeinflussen. Das gilt auch betreffend Anpassungen der Rechtsübernahmen in diesem Beschluss oder Staatsvertrag.
Als bedeutende Ergänzung vermittelt der Gemischte parlamentarische Ausschuss und überhaupt die interparlamentarische Zusammenarbeit unmittelbare Verbindungen zum EU-Parlament und zu den nationalen Parlamenten der EU- sowie der EWR/EFTA-Staaten.
Die Bundesversammlung hat durch ihre Kommissionen als Arbeitsparlament zusätzliche Chancen im Zusammenwirken mit dem Bundesrat. Die Kommissionen tragen eigenständig (Inhalte, Zeitplan usw.) zur Erarbeitung von vertragskonformen (in der EU konsensorientierten, akzeptablen) und (schweizintern) mehrheitsfähigen, womöglich konkordanten Lösungen bei. Sie besorgen zugleich begleitende Regierungskontrolle.
Die Kommissionen begleiten den Bundesrat in den EU-Verfahren, zuerst bei der Vorbereitung im EU-Gesetzgebungsverfahren, dann bei den Verhandlungen im sektoriellen Ausschuss um einen einvernehmlichen Beschluss oder über einen Staatsvertrag.
Die Kommissionen bieten die Zusammenarbeit mit den Kantonen an und nutzen sie.
Die Rechtsübernahme muss als Teil der Gesetzgebung in den schweizerischen Medien und Öffentlichkeit behandelt werden, und zwar schon die Phase des EU-Gesetzgebungsverfahrens. Ratsam sind Anpassungen der Kommissionsvertraulichkeit, z.B. eine Veröffentlichung der Stellungnahmen an den Bundesrat.
Die stärkere Mitwirkung des Parlaments, vorab der Kommissionen, verursacht Mehrarbeit. Deshalb sind Organisation und Ressourcen zu überprüfen.
Die Einrichtung einer neuen Europa-Kommission beider Räte (mit Vertretungen aller Fraktionen) ist unter Berücksichtigung der damit verbundenen Vor- und Nachteile abzuwägen. Sie widmet sich der Mitwirkung in EU-Verfahren, nicht der Vorberatung der Genehmigungsentscheide des Parlaments. Hier sollten die Sachkommissionen zuständig bleiben.
Zum Minimalstandard an Demokratie gehört:
Die Souveränität oder das letzte Wort zur Weiterführung des bilateralen Weges muss in der Hand des Volkes liegen. Das Parlament darf Rechtsübernahmen letztlich nur ablehnen, mehr nicht. Heisst das Parlament die Weiterführung gut, so kann das Referendum ergriffen werden. Kommt es zustande, so ist das Volk für den konkreten Entscheid über die Weiterführung des bilateralen Weges verantwortlich. Dabei sollen die Stimmberechtigten nicht nur über Ja oder Nein entscheiden müssen. Bundesrat und Parlament hätten zusammenzuwirken und gemeinsam alles zu unternehmen, damit die Stimmberechtigten inhaltlich entscheiden können. Sie müssen darüber befinden können, ob das Ergebnis mit ihrem Willen zur Weiterführung des bilateralen Weges z.B. durch Rechtsübernahmen zum Landverkehr oder zur Personenfreizügigkeit übereinstimmt, und ob sich dafür eine Mehrheit findet, also ob der Volkswille dahinter steht. Die Demokratie darf nicht inhaltslos oder ausgehöhlt werden. Verweigert das Volk die Rechtsübernahme, so hätte die Schweiz die im Rahmenabkommen vereinbarten Folgen zu tragen.
Der Vertrag mit der EU darf die Demokratie nicht übergehen oder überspielen. Der Entwurf zum Rahmenabkommen tut dies nicht, auch nicht durch das Streitbeilegungsverfahren. Die Schweiz müsste selbst ein Urteil des Schiedsgerichts (allenfalls mit einem Zwischenentscheid des EuGH) nicht unbesehen umsetzen. Die EU dürfte allein mit den im Rahmenabkommen enthaltenen verhältnismässigen Ausgleichsmassnahmen antworten. Sie wären vor einem Schiedsgericht prüfbar. Es müsste verhandelt werden. Der EuGH entscheidet nicht darüber, ob die Schweiz einer Rechtsübernahme zuzustimmen habe. Weder die EU noch das Schiedsgericht oder der EuGH dürfen eine automatische Rechtsübernahme, eine Vertragsbeendigung oder beliebige Sanktionen anordnen. Der EuGH würde nur die Befugnisse erhalten, die ihm das Rahmenabkommen erteilen würde. Er wirkt in einem Zwischenverfahren. Er legt bloss EU-Recht aus. Die Anwendung auf den konkreten Fall obliegt dem Schiedsgericht.
Zusammengefasst kann man die vorläufige Schlussfolgerung ziehen, dass das Parlament nach dem Entwurf zum Rahmenabkommen wegen der dynamischen Rechtsübernahme Chancen zu mehr Einfluss hat, als es dies bei den Bilateralen meist gewohnt ist. Bisher schaut das Parlament weithin zu. Der Einfluss des Volkes (Referendum) ist klein. Was aus einem Vertrag mit der EU gemacht wird, hängt wesentlich vom politischen Willen und vom Engagement des Parlaments ab.