Читать книгу Der Mann im Mond - Thomas Plörer - Страница 8

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Katharine wachte auf, als die ersten Sonnenstrahlen durch das große Dachfenster fielen und ihr Gesicht erreichten. Draußen war es noch dämmrig, aber es deutete alles darauf hin, dass es ein schöner Tag werden würde. Es war der Morgen des 1. Novembers. Die Sonne hatte viel von ihrer Kraft verloren, aber hier oben reichte es immer noch aus, um mit einem Pullover bekleidet draußen zu frühstücken. Das war für diese Jahreszeit in dieser Gegend nicht ungewöhnlich, zumal bereits die letzten Wochen sehr warm gewesen waren. Der Winter würde das Gebiet bald in Beschlag nehmen – und die Winter waren hier oben sehr lang und sehr einsam. Katharine hatte, bevor sie ihre alte Wohnung übergeben hatten, noch etwas im Internet recherchiert und sich vor allem über das Wetter und die Leute informiert. Sie war eigentlich jemand, der gerne am Strand spazieren ging und bis spät abends in kurzen Oberteilen und Shorts bei einem Glas Wein auf der Terrasse saß. Zumindest konnte sie davon ausgehen, dass sie hier oben nur an wenigen Wochen im Jahr die Gelegenheit dazu bekommen würde. Der Winter konnte hier oben ein halbes Jahr lang dauern, manchmal von Ende Oktober bis weit in den April hinein. Schwere Schneestürme waren keine Seltenheit, oft fiel der Strom aus, vom Telefon ganz zu schweigen. Tagelang oder gar wochenlang ohne Kontakt zur Außenwelt zu verbringen war etwas, woran sie im Augenblick keinen Gedanken verschwenden wollte. Irgendwie würden sie das schaffen, daran hatte sie keine Zweifel. Sie war hier mit den Menschen, die sie um sich haben wollte, und würde die neue Herausforderung, die sie sich hier stellen musste, gerne annehmen. Es war nicht für Ewig, da war sie sich sicher. Herb wusste davon vielleicht noch nichts, aber ihr Entschluss, das Hotel nach der Saison zu verkaufen, stand fest. Nicht, dass sie mit dem Stress nicht klarkommen würde oder sie Angst hatte, dass der Job ihr keinen Spaß bereiten würde. Aber irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie in ihrem Leben noch so viele andere Abenteuer vor sich hatte, die sie von hier aus nicht angehen konnte. Sie konnte es nicht so recht beschreiben, aber schon zu dem Zeitpunkt, als sie die Verträge von Anderson unterschrieben hatten, war für sie festgestanden, hier ein schönes und sicherlich spannendes Jahr zu verbringen und dann das Geld zu nehmen und sich irgendwo ein Leben mit ihrer Familie aufzubauen, das ihnen nicht so viel vorschrieb, wie es hier mit dem Hotel der Fall war.

Herb grunzte neben ihr und drehte sich auf die Seite. Er schlief noch tief und fest. Sie war sich sicher, dass er das noch für mindestens eine Stunde tun würde, ehe auch er von seiner inneren Uhr geweckt werden würde. Sie streichelte ihm sanft über den Hinterkopf und schwang sich dann elegant und leise aus dem Bett. Sie trug einen weißen Satinschlafanzug, den sie von Herb im letzten Jahr zu Weihnachten bekommen hatte. Sarah hatte ihm damals beim Einkaufen geholfen und ihre Tochter hatte wieder einmal einen super Geschmack bewiesen. Aber klar, dachte sie sich mit einem Lächeln, schließlich war sie bei ihr in der Lehre gewesen, nicht wahr?

Sie schlüpfte in ihre rosa Hausschuhe und ging die eine Stufe, die das Bett erhöht im Raum stand, hinunter. Die Tür zum Wohnzimmer war nur angelehnt und lies sich ohne Geräusche öffnen und wieder schließen. Auch ins Wohnzimmer (oder vielmehr Halle!) fiel das Licht durch die großen Balkontüren und natürlich die riesige Kuppel herein und tauchte alles in ein angenehmes, warmes Licht. Die Schatten waren noch lang, aber sie wurden mit jeder Sekunde kleiner. Sie durchquerte den Raum, umlief dabei die zahlreichen Umzugskartons, die überall standen, und nahm sich in der Küche ein Glas aus einem der Körbe, in denen sie ihr Geschirr transportiert hatten. Es war unnötig gewesen, es mitzunehmen, weil die Küche voll ausgestattet war mit einem vollständigen Set für mindestens zwanzig Personen, aber sie hatten nicht alles wegwerfen wollen, was sie an ihr altes Leben erinnerte. Irgendwie brauchte man noch etwas, was einem bei den ganzen neuen Eindrücken noch am Boden hielt und einem aufzeigte, woher man eigentlich kam.

Sie trank ein Glas Leitungswasser. Der Hahn spuckte einige Augenblicke lang nur Luft und einige Tropfen dunklen Wassers aus, aber dann war die Leitung wieder frei. Sie nahm einen Schluck und schlenderte mit dem Glas in der Hand zurück in die Mitte des Raumes, direkt unter die Kuppel. Die Fenster mussten frisch geputzt sein, denn sie konnte keinen einzigen Fleck darauf erkennen, ebenso wie die ganze Wohnung wohl noch einmal von Grund auf gesäubert worden war. Sie waren gestern Abend in eine Wohnung gekommen, die mehr einem Hotelzimmer glich. Die Betten waren bezogen gewesen, frische Handtücher und Bademäntel in den Badezimmern gehangen. Sogar eine Flasche Champagner war in der Küche kaltgestellt gewesen, recht kitschig in einem Eimer voll Eis und einer kleinen Karte, auf der „Herzlich Willkommen!“ stand. Anderson hatte gesagt, dass dies eine kleine Aufmerksamkeit des Personals gewesen war, die wohl allesamt ziemlich nervös waren wegen den neuen Besitzern des Hotels.

„Sie wissen nicht, was ihnen bevorsteht. Manche haben Angst um ihre Jobs, andere hoffen einfach nur, dass Sie sie ihrer Arbeit einfach weiter nachkommen lassen.“

„Na, die Ängste werden wir ihnen schnell nehmen, nicht wahr Schatz?“

„Sicher“, hatte Katharine geantwortet und ihrem Mann einen dicken Kuss aufgedrückt.

Und auch jetzt, nachdem sie nach einer kurzen, aber ungemein entspannenden Nacht, den nächsten Tag in Angriff nehmen konnte, hatte sich ihre Meinung nicht geändert. Sie hatten nicht vor hier einen großen Umbruch anzufangen. Das Hotel lief gut, das hatte ihnen Anderson mehrmals bestätigt und ihnen auch die passenden Unterlagen dazu geliefert. Die Umsätze stiegen kontinuierlich von Jahr zu Jahr, ebenso die Personalzahlen. Sie wusste es nicht auswendig, aber während der Wintermonate, wo hier so gut wie keine Gäste waren, arbeiteten etwa sieben oder acht Leute hier oben, mit ihnen beiden jetzt eingerechnet waren sie also weniger als zehn Personen. Für ein Hotel in dieser Größe war das genau richtig befand sie, warum also etwas ändern? Jeder hatte seine Aufgaben und Pflichten – jeder machte das, was er konnte, scheinbar sehr gut. Sie war kein Mensch, der einfach in ein funktionierendes System eingriff und alles umkrempelte. Eigentlich wollte sie sich in dieses System einfügen, zumindest für das eine Jahr.

Und sie hatte vor, damit so schnell wie möglich anzufangen. Sie wollte einen Blick auf die Armbanduhr werfen, aber natürlich hatte sie die vor dem zu Bett gehen ja abgelegt. Wie spät konnte es sein? Sieben Uhr? Halb acht? Im Hotel war sicherlich schon Betrieb.

Leise schlich sie zurück ins Schlafzimmer. Herb lag auf dem Bauch und schnaufte selig ruhig vor sich hin. Er hatte seinen Kopf unter dem Kopfkissen begraben, so wie er es immer tat, wenn er tief und fest schlief. Nur sein linker Fuß hing unter der Decke hervor. Über die Zehenspitzen war noch der Socken gestülpt, den er gestern Abend nicht mehr ganz abgestreift hatte.

Katharine zog sich leise an, warf ihrem Mann einen liebevollen Blick zu und ging wieder aus dem Schlafzimmer heraus. Dieses Mal schloss sie die Tür, um ihn nicht doch durch ein unabsichtliches Geräusch zu wecken. Sie durchquerte das Wohnzimmer und ging in das Badezimmer. Die Fließen waren strahlend weiß, die zwei Waschbecken und die Badewanne glänzten um die Wette. Die Spiegel waren an den Ecken abgerundet und rund herum mit kleinen Lampen besetzt. Als Frau lernte man bald, so etwas zu schätzen. Es gab nichts fürchterlicheres, als sich im Zwielicht zu schminken und nicht zu bemerken, wenn man im ganzen Gesicht schwarz und rot angemalt war und mehr Ähnlichkeit mit einer Straßenhure hatte als mit einer anständigen Frau.

Im Bad brauchte sie nicht einmal zehn Minuten. Zähne putzen, Gesicht mit Wasser waschen und die Haare etwas hoch stecken. Etwas Feuchtigkeitscreme und der Tag konnte beginnen. Innerlich war sie stolz darauf im Bad weniger Zeit zu brauchen als Herb oder Peter. Herb schlief oft noch einmal ein, wenn er morgens auf der Toilette saß und Peter stylte seine Haare mindestens genau so lange wie Sarah.

Als sie jetzt wieder ins Wohnzimmer zurück kam war der Morgen wirklich angekommen. Die Schatten waren verschwunden und das ganze Tageslicht fiel mit all seiner Pracht herein. Sie öffnete eines der Fenster und atmete hörbar die klare Bergluft ein. Es war kühl draußen, aber die Sonne hatte noch eine ungewöhnlich große Kraft. Es wehte ein leichter Wind von Westen her der die Bäume sanft aus der Nacht weckte. Hier oben waren noch überraschend viele Blätter an den Ästen, aber das würde sich wahrscheinlich bald ändern. Es brauchte nur einen einzigen Sturm und es wäre vorbei mit der bunten Schönheit.

Einige Augenblicke blieb sie stehen und ließ sich die Sonne auf das Gesicht scheinen. Dann trat sie zurück, blockierte das Fenster mit einem herumstehenden Schuhkarton und ging in den Flur. Wie durch ein Wunder fand sie ihre Schuhe unter all den anderen, zog sie an, packte ihre kleine Handtasche, überlegte es sich doch wieder anders und stellte sie zurück, und ging aus der Haustür. Sie war nicht abgeschlossen und innerlich bestrafte sie sich selbst für diese Unachtsamkeit. Auch wenn sie hier nicht mehr in einer Stadt wohnten, wo die Kriminellen hinter der nächsten Hausecke warteten, so waren sie trotzdem nicht im Märchenland, wo es keine Verbrechen gab. Das hatte ihre Mutter schon immer zu ihr gesagt und es hatte sich tief in ihr Wesen eingebrannt.

Hinter dem Eingang, wo die Sonne noch nicht hinkam, war es etwas kühler. Sie atmete durch den Mund aus und konnte ihren eigenen Atem als kleine Wolke vor ihr aufsteigen sehen. Auf dem Geländer und den Stufen hatte sich etwas Reif gebildet und sie vermied es, das feuchte Holz anzufassen. Auf dem Parkplatz traf sie eine junge Frau, etwas jünger als sie. Sie hatte einen bunten Rucksack auf dem Rücken und eine große Sonnenbrille auf der Nase. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und schaute in Richtung Eingang, als würde sie auf jemanden warten.

„Guten Morgen“, grüßte Katharine, als sie an ihr vorbei ging.

„Guten Morgen“, antwortete die Frau freundlich. Ihre Stimme war sehr hoch und Katharine stufte ihre Altersschätzung noch einmal um fünf Jahre herunter. Die Frau war vielleicht höchstens dreißig Jahre alt – oder hatte sich sehr gut gehalten. So etwas sollte es geben – auch ihr sagte man das ja nach, obwohl sie das nicht verstehen konnte.

„Machen sie einen Ausflug?“

Die junge Frau nickte. „Das hatten wir vor. Aber so wie es aussieht hat meine Familie mich vergessen. Und da heißt es immer, wir Frauen brauche so lange im Bad!“

Katharine musste lachen. „Mir ist heute Morgen schon derselbe Gedanke durch den Kopf gegangen.“

Sie hörte, wie die Tür geöffnet wurde. Dann stürmte ein kleines, dick eingepacktes Mädchen heraus. Sie war vielleicht sieben Jahre alt und trug eine dicke Jacke, die ihre Arme so dick einpackte, dass sie diese nicht einmal an den Körper anlegen konnte. Außerdem hatte sie eine dieser lustigen Mützen auf den Kopf, die ausschauten wie ein Elch und die bis weit über die Ohren hinunter hingen. Kurz darauf kam ein Mann aus der Tür. Er trug eine elegante Wildlederjacke und nur ein Stirnband, mit dem er auch seine, für sein Alter übermäßig große, Glatze bedeckte. Er trug eine Brille mit dicken Gläsern, hinter denen er ihr einen freundlichen Blick zu warf.

„Guten Tag, junge Frau. Sie sind aber luftig angezogen.“

„Oh, nein, nein. Ich gehe nicht wandern. Ich wollte frühstücken.“

Der Mann kam einen Schritt näher und reichte ihr die Hand. Das Mädchen war mittlerweile bei seiner Mutter angekommen und klammerte sich lachend an ihr Bein.

„Ich bin Edward Freemantle. Meine Frau haben sie ja schon kennengelernt.“

„Woher wissen sie das?“

Er lächelte peinlich berührt. „Hab‘ sie von drinnen beobachtet als ich auf meinen kleinen Engel gewartet habe. Nehmen Sie’s mir nicht übel.“

„Auf keinen Fall!“ Sie schüttelte ihm die Hand. „Ich bin Katharine Morrison, aber sie können mich Kathy nennen.“

„Hallo, Kathy.“

Jetzt kamen auch seine Frau und seine kleine Tochter zu ihnen. Sie stellten sich als Kelly und Sue vor. Sie machten jetzt schon zum zweiten Mal hier Urlaub und es war wieder traumhaft schön. Edward war Informatiker bei einer großen Firma, dessen Namen Katharine allerdings noch nie gehört hatte. Er verbrachte hier oben immer seinen Jahresurlaub und hängte dann noch einige Wochen dran, um in Ruhe seine Projekte ausarbeiten zu können. Dann allerdings auf Firmenkosten, wie er lächelnd feststellte.

„Sagen Sie, Kathy, wenn Sie etwas frühstücken wollen, was machen Sie dann hier draußen? Soweit ich weiß haben alle Zimmer eine Tür im Hotel?“

„Das stimmt, aber wir wohnen nicht im Hotel.“ Sie zeigte nach oben, wo man nur den Ansatz der Dachterrasse erahnen konnte. „Und von dort oben gibt es keine Treppe im Inneren des Hauses. Nur diese wunderschöne Außentreppe, auch wenn ich noch nicht weiß, wie wir die bei Schneefall ohne Schaden hinunterkommen sollen.“

„Ist das dort oben nicht die Wohnung des Besitzers?“, fragte Kelly. Im nächsten Moment wurde ihr bewusst, was sie gesagt hatte, und man konnte förmlich sehen, wie ihr Blick sich aufhellte. „Sind Sie hier die Chefin?“

„Kelly!“, stöhnte Edward, aber Katharine winkte lächelnd ab.

„Ich hoffe, das macht jetzt keinen Unterschied, aber ja. Wir haben das Hotel vom Onkel meines Mannes geerbt. Wir sind gestern eingezogen.“

Kelly puffte ihren Mann in die Seite. „Und ich hab dir noch gesagt dass das hier ein Möbelwagen war, richtig?“

Edward verdrehte die Augen und nickte.

„Ja, das war eine ganz schöne Schlepperei kann ich Ihnen sagen. Zum Glück ist jetzt alles drinnen, aber fragen Sie nicht, wie es da jetzt aussieht.“

„So ein Umzug ist eine ganz schöne Quälerei. Wir sind vor fünf Jahren in ein kleines Haus gezogen. Man möchte ja glauben, dass beim Umzug von einer Wohnung in ein Haus genügend Platz für alle Sachen ist, aber lassen Sie sich eines gesagt sein: wer immer das behauptet ist noch nie selbst umgezogen.“

„Zumindest nicht, wenn er eine Frau mit vierzig Paar Schuhen dabei hatte“, merkte Edward leise an Katharine gewandt an, aber natürlich hörte Kelly ihn und puffte ihn in die Seite. Katharine konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

„Mama!“, sagte Sue und zupfte an der Jacke ihrer Mutter. „Gehen wir jetzt endlich?“

„Ja, gleich mein Schatz. Jetzt sei nicht unhöflich!“

Sue versteckte den Kopf hinter der Jacke ihrer Mama und stöhnte hörbar. Ihre ganze Körperhaltung verriet nur eines: ich will hier weg von den langweiligen Erwachsenen.

„Schon in Ordnung“, sagte Katharine an Kelly gewandt. „Hier draußen wird es auch langsam frisch. Die Sonne braucht noch etwas Zeit befürchte ich.“

„Sie sollten wirklich nach drinnen gehen, sonst erkälten Sie sich noch. Der Wetterbericht hat für kommende Woche ziemlich viel Schnee vorausgesagt, da kann es schon sein, dass sie einige Tage nicht in die Stadt können um einen Arzt aufzusuchen.“

„Kommt so etwas öfter vor?“, fragte Katharine überrascht. „Ich dachte eigentlich, dass die Straßen hier oben nach wenigen Stunden wieder frei sein müssten. Als wir unten im nächsten Ort waren – wie heißt er doch gleich?“

„Shawnmille.“

„Ja richtig, danke. Als wir in Shawnmille waren sind wir an den Gebäuden der Feuerwehr vorbei gekommen. Da standen einige riesige Fahrzeuge und Schneepflüge auf dem Parkplatz. Die sind wohl gerade Wetterfest gemacht worden - oder was auch immer – aber die haben bei mir schon den Eindruck hinterlassen, dass die überall hin kommen könnten wenn sie wollten.“

Edward schüttelte den Kopf. „Das hier oben ist kein Pass. Die Straße führt zu diesem Hotel und weiter oben noch zu einem weiteren, etwas kleineren Hotel und der großen Aussichtsterrasse auf der Spitze dieses Hügels. Wenn hier viel Schnee fällt sitzen zu dieser Jahreszeit vielleicht zwanzig oder dreißig Touristen hier oben fest. Nicht genug für die Stadtverwaltung fürchte ich. Zumindest die ersten Tage brauchen Sie dann nicht mit Hilfe zu rechnen.“

„Aber natürlich wissen wir nicht, was passiert, wenn hier mal ein richtiger Schneesturm aufzieht, verstehen Sie? Im Hotel hängt eine eingerahmte Zeitung an der Rezeption. Da ist ein interessanter Artikel darin, irgendwann vor dreißig Jahren oder so geschrieben. Da gab es mal so einen Schneesturm hier und hier war alles so eingeschneit dass sie mit der Nationalgarde angerückt sind, um die Leute irgendwie wieder nach unten zu bringen.“

„Mit der Nationalgarde?“

Kelly nickte. „Lesen Sie ihn sich mal durch, genau weiß ich es jetzt auch nicht mehr. Aber damals sind wohl auch zwei oder drei Leute gestorben weil Lawinen abgegangen sind.“

„Mein Gott!“

Edward hob beruhigend die Hand. „Aber darüber sollten wir jetzt nicht nachdenken. Seitdem hat sich hier einiges geändert: es wurden Bäume gepflanzt, Lawinenschutzwälle aufgezogen und so weiter. Damit so etwas wieder passiert muss schon vieles zusammenkommen, glauben Sie mir. Mit zu vielen Gedanken kann man sich kaputt machen. Ich weiß, wovon ich rede.“ Er lächelte. „Und jetzt sollten wir wirklich gehen, sie zittern ja schon vor Kälte.“

Katharine betrachtete überrascht ihre Hände und musste feststellen, dass Edward recht hatte. Sie waren auch schon ganz rot und lila angelaufen.

„Trinken Sie den Tee des Hauses. Ich habe keine Ahnung, was da alles drinnen ist, aber der wärmt Sie mit Sicherheit wieder auf.“

Katharine nickte. „Danke, das werde ich tun. Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Ausflug. Kommen Sie Gesund wieder zurück.“

Edward warf einen Blick auf den strahlend blauen Himmel. „Bei diesem Wetter kommen wir höchstens mit Sonnenbrand zurück. Bis später!“

Sie verabschiedeten sich. Sue war die Freude deutlich anzumerken, denn sie lief sofort einige Meter voraus und sprang glücklich in der Luft. Vielleicht sang sie auch etwas dazu, aber das konnte Katharine nicht mehr genau hören. Sie schaute den dreien noch kurz hinterher, schob dann ihre Hände in die Hostentaschen und ging schnellen Schrittes zum Eingang.

Die schwere, hölzerne Eingangstür war mit einem Keil bereits blockiert und stand weit offen, aber die Glastür dahinter war geschlossen. Katharine drückte sie auf und sofort blies ihr ein Schwall warmer, gut riechender Luft entgegen. Sie merkte augenblicklich, wie ihre Wangen und ihre Ohren zu glühen begannen und konnte nur hoffen, dass sie nicht allzu rot anlief. Sie wollte nicht ausschauen wie ein betrunkener Weihnachtsmann aus der Coca Cola Werbung wenn sie sich zum ersten Mal ihren Mitarbeitern vorstellte.

Der Empfang befand sich zu ihrer rechten Seite. Der Tresen war aus schwerem Holz, das mit kleinen Schnitzereien verziert war. Er hatte einen leichten, rötlichen Ton in sich und passte damit perfekt zu der eher dunklen Innenausstattung, die sie sonst noch so sehen konnte. Im Wartebereich waren schwere Holzstühle, Tische und Kommoden im selben Farbton, allesamt reichhaltig verziert und mit Sicherheit so wertvoll wie Katharine’s komplette Wohnungsausstattung – inklusive Elektrogeräten und Bargeldvorräten. Der Wartebereich, der etwas abgeschottet vom Rest lag und durch einige große Pflanzenstöcke etwas vom direkten Blick verborgen blieb, war mit hellem Teppichboden verkleidet, was den Raum durch die Möbel nicht düster wirken lies. Durch die makellos geputzten Fensterscheiben fiel das Tageslicht herein und tauchte alles in ein sanftes, warmes Licht.

Im Hintergrund konnte Katharine leise Musik spielen hören. Zum Glück war es keine Klassik oder ländliche Volksmusik. Es klang vielmehr nach einem Radiosender, der sich darauf spezialisiert zu haben schien, genau solche Hintergrundmusik für Hotels, Bars und weiß der Teufel was zu spielen. Nicht aufdringlich, aber auch nicht zu langweilig. Irgendwie klang es stimmig, fand sie.

Sie ging auf den Tresen zu. Dort lagen einige Prospekte zum Angebot des Hotels aus, aber auch Wanderwege, Touristenattraktionen in der Gegend und ein aktuelles Kino- und Theaterprogramm aus Shawnmille. Sie blätterte es kurz durch und bekam so gar nicht mit, wie eine Frau aus einem kleinen Kämmerchen, das seitlich hinter den Tresen lag, hervorkam. Die Frau beobachtete Katharine einige Augenblicke lang ehe sie das Wort ergriff.

„Guten Morgen. Kann ich Ihnen helfen?“

Katharine zuckte erschrocken zusammen. Die Frau hinter dem Tresen sah das und lächelte.

„Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken.“

„Kein Problem“, erwiderte Katharine und atmete tief durch. Ihr Puls raste und irgendwie hatte sie so das Gefühl, dass ihr Kopf jetzt noch ein wenig röter war als er es vorher ohnehin schon gewesen war. Es ging doch nichts über einen peinlichen ersten Moment! „Sie können nichts dafür, dass ich so schreckhaft bin.“

„Glauben sie mir: mir geht es nicht anders. Ich erschrecke abends schon mal vor meinem eigenen Spiegelbild in einem Glas.“

Katharine lachte und reichte der netten Frau die Hand. Sie trug einen dunklen Damenanzug, aber keine Krawatte. An ihrer Brust heftete ein kleiner Anstecker, mit ihrem Namen und der Berufsbezeichnung: Barbara Weber, Rezeptionistin.

„Katharine Morrison. Freut mich, Sie kennenzulernen.“

„Barbara Weber.“ Sie ergriff Katharines Hand und drückte sie fest und bestimmt. „Dann sind Sie also meine neue Chefin. Schön, dass ich Sie endlich mal persönlich kennenlerne.“

„Die Freude ist ganz meinerseits.“ Katharine lächelte schüchtern. „Ich muss zugeben, dass ich ganz schön nervös war. Und ehrlich gesagt bin ich es immer noch.“

Barbara nickte verständnisvoll. „Da geht es uns nicht anders, Miss Morrison. Wir sind alle schon ganz gespannt darauf, Sie und Ihre Familie kennenzulernen.“

„Bitte, nennen Sie mich Katharine. Wir sind ja jetzt praktisch ein Team, da sollten wir auf solche Förmlichkeiten verzichten. Natürlich nur, wenn es ihnen nichts ausmacht.“

„Gerne. Dann bin ich Barbara. Oder besser: nennen Sie mich Babs. Das machen hier irgendwie alle und es geht auch irgendwie leichter von den Lippen.“

„Okay, Babs. Sagen Sie, woher kommen Sie? Ihre Name klingt nicht wirklich amerikanisch.“

„Geboren bin ich in Mering, das liegt irgendwo in Deutschland. Aber meine Eltern sind ein halbes Jahr nach meiner Geburt mit mir in die USA ausgewandert, also habe ich eigentlich keine Erinnerung mehr an Deutschland. Der einzige Rest, der mich an meine Herkunft erinnert, ist der Name.“

„Aus Deutschland also. Und der Hausmeister, Jesse, kommt aus Belgien? Eine ganz schön internationale Truppe.“

„Warten Sie mal, bis Sie die anderen kennengelernt haben. Patricia kommt sogar aus Kalifornien!“

„Nein!“

„Doch!“

Die beiden Frauen lachten gemeinsam und für Katharine war klar, dass das Eis zwischen ihnen damit endgültig gebrochen war. Sie hatte ein gutes Gefühl bei Barbara. Babs.

„Sagen Sie, Katharine, wollen Sie nicht etwas frühstücken? Die ersten Gäste sind schon fertig, aber einige sind noch in ihren Zimmern, sie wären also mit Sicherheit nicht die letzte.“

„Gerne. Draußen hat mir schon jemand von dem Tee des Hauses erzählt. Den würde ich jetzt auf jeden Fall einmal testen.“

„Das lässt sich einrichten.“ Babs griff nach dem Telefon, das hinter dem Tresen und neben der übergroßen Tastatur für den Computer stand. Sie drückte auf eine Taste, wartete einen Augenblick und zwinkerte ihr kurz zu.

„Ich lasse Sie … hi Pati! Kannst du kurz bei mir vorbei kommen und jemanden abholen? … Nein … Komm doch einfach vorbei, dann wirst du es schon sehen! … Ja … Bis gleich!“

Sie legte den Hörer auf. „Patricia wird sie abholen und Ihnen alles zeigen. Sie war so nervös wie kein anderer hier und hat die letzten Tage kaum geschlafen.“

„Das Mädchen aus Kalifornien?“

Babs nickte. „Sie macht hier jetzt die zweite Saison mit. Sammelt Geld für das College. Ein wirklich goldiges Mädchen, aber ziemlich schüchtern.“

In diesem Moment bog ein junges Mädchen um die Ecke. Sie musste den Weg bis zur Rezeption gelaufen sein, denn ihre Haare waren ein wenig aus der Form geflogen und sie atmete tief ein und aus als sie das Tempo rechtzeitig zu drosseln versuchte. Natürlich merkten Katharine und Barbara beide, dass sie ihre Anspannung zu verbergen versuchte und warfen sich einen Blick zu, wie es meistens nur zwei gute Freundinnen oder Schwestern tun konnten. Jene Art von Blick, wo die andere genau wusste, was die eine jetzt dachte und sie sich beide in diesem Moment darüber im Klaren waren.

„Katharine, das ist Patricia Perry. Patricia, das ist Katharine Morrison.“

Sie reichten sich die Hände. Kathy stellte erstaunt fest, dass Patricia einen festen Händedruck hatte, auch wenn ihre Hände so kalt waren wie die eines Toten. Sie war überrascht, wie hübsch das Mädchen war. Sie hatte schulterlanges, rotes Haar und ganz zarte Haut. Ihre Augen schimmerten grün hinter ihren langen Wimpern hervor. Sie war fast so groß wie Kathy – und das gab es wirklich selten. Sie war gespannt, wie Sarah auf Patricia reagieren würde. Sarah war in der Gegenwart von hübschen Mädchen immer eine tickende Zeitbombe. Entweder, sie verstanden sich blendend und alles lief glatt, oder sie vermied es, mit ihnen zu sprechen und zeigte im richtigen Augenblick die Krallen.

„Freut mich, Sie kennen zu lernen, Miss Morrison.“

„Die Freude ist ganz meinerseits.“

„Pati: bringst du sie ins Esszimmer. Am besten ins Sonneneck wenn dort noch frei ist …“

„Hab ich extra frei gehalten“, unterbrach sie Patricia lächelnd.

„Gut“, sagte Barbara und nickte ihr zu. „Dann bring ihr alles, was sie haben will und nimm dir ruhig etwas mehr Zeit wenn sie fragen hat. Louise kann deine Tische wahrscheinlich ohne weiteres mitmachen.“

„Klar“, antwortete Patricia. „Kommen Sie mit – ich zeig Ihnen alles!“

Katharine verabschiedete sich von Barbara und folgte Patricia. Das junge Mädchen trug ebenfalls einen schwarzen Damenanzug, er wirkte bei ihr jedoch um einiges aufreizender als bei Barbara. Sie ging mit großen Schritten voran und führte sie durch einen schmalen Gang, an dem links und rechts in regelmäßigen Abständen Bilder an den Wänden hingen, die sehr nach moderner Kunst aussahen. Hier und da ein farbiger Strich auf einer weißen Leinwand – mehr war das nicht. Katharine hatte nie viel für diese Art von Gemälden übrig gehabt: ihr lagen eher die Malereien von Monet oder van Gogh.

Das Speisezimmer war etwas größer als ihr neues Wohnzimmer. Es war unterteilt in ein großes Buffet auf der rechten Seite, von wo aus eine Tür in einen weiteren Raum (wahrscheinlich die Küche) ging. Es war eine Schwingtür, die gerade noch etwas hin und her pendelte. Es roch gut nach frischen Kräutern und Kaffee, im Hintergrund spielte die gleiche Musik wie zuvor schon an der Rezeption. Der Boden war aus hellem Holz, das allerdings an manchen Stellen schon ziemlich abgelaufen war. Unter den Tischen lagen kleine Teppiche, die sich farblich gut mit den hellen Vorhängen vertrugen. Beim Blick aus dem Fenster konnte man in das Tal hinunter sehen. Auch sah man einen kleinen Teil des glitzernden Sees und den darauf fahrenden Booten, die klein wie Ameisen auf dem Wasser trieben und die leichten Brisen ausnutzten, die auch die Spitzen der Bäume leicht zum schaukeln brachte. Sie durchquerten den Raum, an dem an fünf Tischen gegessen wurde. Hinter ihnen kamen drei weitere Personen in den Raum, eine Frau und zwei Männer. Sie mussten nicht lange nach einem freien Tisch suchen und nahmen einfach den, der ihnen am nächsten stand. Patricia hingegen führte Katharine bis ganz ans andere Ende des Zimmers. Dort standen, hinter einigen kleinen Zierbäumchen, zwei weitere Tische, die direkt von der Sonne angestrahlt wurden. Die Tische waren vollständig eingedeckt mit blitzendem Besteck, großen Gläsern und einer Tasse, die den Aufdruck des Hotelnamens trug.

„Bitte, nehmen Sie Platz“, sagte Patricia freundlich und wies auf den freien Stuhl an der hinteren Seite. „Von dort haben Sie den besten Überblick auf das Zimmer und nach draußen.“

„Dankeschön“, erwiderte Katharine und setzte sich hin. Auf dem Stuhl lag ein weiches Sitzpolster und sie fühlte sich sofort wohl. Die Rückenlehnen waren warm von den Sonnenstrahlen und wärmten ihren immer noch etwas unterkühlten Körper schön auf.

„Was darf ich Ihnen zu trinken bringen? Einen Kaffee vielleicht?“

„Einen Tee. Zu dem wurde mir jetzt schon von zwei Personen geraten. Wissen Sie, was da drinnen ist?“

Patricia schüttelte den Kopf. „Das sagt Jim niemandem.“ Sie zögerte einen Augenblick. „Jim ist unser Koch. Sie haben ihn noch nicht zufällig kennengelernt, oder?“

Katharine verneinte.

„Ich werde Sie nachher mit ihm bekannt machen. Während des Frühstücks hat er einen ziemlich ruhigen Arbeitstag. Möchten Sie vielleicht Rührei und Speck? Das kann er Ihnen dann auch gleich persönlich vorbei bringen.“

„Gerne.“

Patricia nickte zufrieden. „Alles Weitere können Sie sich vom Buffet nehmen. Ich werde zusehen, dass ich Ms. Gallagher irgendwie zu fassen bekomme, damit Sie sie auch noch kennenlernen bevor sie sich daran macht, die Zimmer zu reinigen. Dann sehen Sie nämlich bis heute Abend nichts mehr von ihr.“

„Nur keine Umstände – ich bin noch lange genug da.“

Patricia nickte ihr zu und ging dann zum Buffet, verschwand dann dahinter und ging in die Küche. Katharine fasste sich auch ein Herz und ging ans Buffet. Eigentlich war sie niemand, der früh morgens schon so viel Essen konnte, aber irgendwie lachte sie heute alles an. Als sie wieder zurück an ihrem Tisch war hatte sie sich so viel aufgeladen, dass es ihr schon fast peinlich war. Patricia kam wieder zu ihr und stellte ihr eine Kanne Tee auf den Tisch.

„Jim kommt dann zu Ihnen“, sagte sie, während sie Katharine eine Tasse vollmachte.

„Danke. Patricia, das duftet ja hervorragend!“, rief Katharine erstaunt aus und fächerte sich den aufsteigenden Dampf zu. „Besser als jeder Kaffee.“

„Das können Sie laut sagen. Ich wüsste zu gerne, was er da rein tut. Aber das hütet er wie ein Staatsgeheimnis. Bei seinem Essen ist er genauso. Wenn hier viel los ist und Ms. Gallagher ihm in der Küche zur Hand geht, muss sie den Raum verlassen, wenn er seine Spezial-Saucen anrührt. Ist das zu fassen?“

„Es geht nichts über die Ehre eines Kochs, richtig?“

Patricia lächelte. „Darf ich Ihnen sonst noch etwas bringen?“

„Ich glaube, ich habe mich ohnehin etwas übernommen. Ansonsten werde ich mich bei Ihnen melden.“

„Wenn ich Ms. Gallagher gefunden habe komme ich noch einmal vorbei. Wenn sie meine Tische mit übernimmt leiste ich Ihnen gerne etwas Gesellschaft wenn es Sie nicht stört. Sie haben bestimmt eine Menge Fragen.“

„Sie nicht?“

Patricia errötete ein wenig. „Naja – vielleicht ein paar. Aber ich will nicht unhöflich sein.“

Katharine nahm ihre Hand und drückte sie sanft. „Machen wir einen Deal: ich darf Ihnen eine Frage stellen und Sie mir dafür eine andere. So lange, bis wir beide nichts mehr auf dem Herzen haben oder die Sonne untergeht.“

„Kling fair“, antwortete Patricia und man konnte förmlich sehen, wie sie begann, sich wohler zu fühlen. Katharine schätzte, dass es für sie besonders schwer gewesen sein musste, auf die neuen Chefs zu warten. Sie war jung und unerfahren und keineswegs so selbstbewusst wie es Barbara, Babs, zu sein schien.

Das Frühstück schmeckte hervorragend. Sicher – es war nichts Außergewöhnliches dabei (außer vielleicht den wirklich himmlischen Rühreiern), aber irgendwie kam es Katharine so vor, als hätte sie noch nie in ihrem Leben ein so gutes Frühstück gehabt. Vielleicht auch gerade deswegen, weil sie zum ersten Mal in den vergangenen fünfzehn, zwanzig Jahren keinerlei Sorgen mit in den Tag nahm. Es hatte Zeiten gegeben, gerade zwischen ihrer Schwangerschaft mit Peter und ihrer neuen Schwangerschaft mit Michael, da war sie in den Nächten von Albträumen geweckt worden. Die Angst, der ganzen Situation mit Ehemann, Kind und Arbeit nicht gewachsen zu sein, war allgegenwärtig. Sie hatte in dieser Zeit einiges an Gewicht verloren und war laut ihrem Frauenarzt kurz davor, die Kontrolle darüber zu verlieren. Herb war ständig in der Arbeit gewesen um irgendwie das nötige Geld für die kleine Familie herbei zu schaffen und tagsüber war sie oft einsam gewesen, obwohl der kleine Peter sie ziemlich viel beanspruchte. Laut ihrem Arzt glich es auch damals einem Wunder, dass sie das zweite Mal schwanger geworden war. Eigentlich, so Dr. Fieldman, war ihr Körper darauf ganz und gar nicht vorbereitet gewesen. Michael war ein Wunder – mehr noch, als ein Kind normalerweise ohnehin schon war. Sie hatte sich wieder gefangen, die Schwangerschaft ohne Zwischenfälle überstanden, einen gesunden Sohn bekommen und die Situation war wieder etwas besser geworden. Sarah war dann ein absolutes Wunschkind gewesen. Sie kam zwar drei Wochen zu früh auf die Welt, aber entwickelte sich schnell und war glücklicherweise auch kerngesund. Etwa ein Jahr nach der Geburt von Sarah war es nochmal schlimm um sie gestanden. Sie war mit dem ganzen Stress nicht mehr klar gekommen. Kinder, Job, Ehemann, Haushalt. Alles musste am Laufen gehalten werden. Doch Herb hatte ihr damals wieder aus dem Tief geholfen. Er hat damals, im Frühling des Jahres 1994, angefangen, nach der Arbeit mit ihr Joggen zu gehen. Er war ziemlich langsam gewesen und hatte sich dreimal am Ende übergeben, aber irgendwie hat er es durchgestanden. Obwohl sie während des Laufens nie viel miteinander gesprochen hatten, weil Herb sonst wahrscheinlich zusammengebrochen wäre, hat es ihr doch sehr geholfen, dass er sich die Zeit genommen hat um einfach bei ihr zu sein. Alleine seine Anwesenheit war für sie ein richtiger Segen gewesen und so war es schließlich im August so weit, dass es mit ihr wieder steil bergauf ging. Sie legte wieder etwas an Gewicht zu, schlief die Nächte wieder durch (zumindest, wenn die Kinder sie ließen) und hatte das Tief dann im Herbst endgültig überwunden.

Es musste fast eine halbe Stunde vergangen sein und der Raum leerte sich langsam. Katharine hatte einen hervorragenden Blick über den ganzen Raum und beobachtete die Gäste mit dem sicheren Gefühl, von den meisten in der Ecke gar nicht wahrgenommen zu werden. Einige Male tauchte der Koch hinter dem Tresen auf und stellte einige Teller mit Speck und Ei ab, drückte auf eine kleine Klingel und wartete, bis Patricia oder ihre Chefin, Louise, kamen, um sie den Gästen zu bringen. Der Koch, Jim, war ein großer, schwarzer Mann. Er war vielleicht vierzig, schätzte Katharine. Aber sicher konnte sie das nicht sagen. Es war ihr etwas peinlich und natürlich hätte sie es niemals offen zugegeben, aber mit dunkelhäutigen Menschen war es bei ihr genauso wie bei Asiaten – irgendwie schauten sie in ihren Augen alle ähnlich aus. Andererseits bewunderte sie diese Menschen dafür. Ihr Friseur, ein kleiner Chinese, war Mitte sechzig. Das hatte sie vor einem halben Jahr eher zufällig erfahren. Sie hatte ihn niemals älter als fünfzig geschätzt.

Jim trug eine ordentliche Kochuniform, aber keine Mütze. Er hatte kurze, schwarze Haare und große, strahlende Augen. Außerdem breite Schultern und, da war sie sich sicher, obwohl sie es nicht sehen konnte, bestimmt einen Waschbrettbauch, wie man ihn nur aus dem Fernseher kannte, wenn wieder Werbung für Deodorant für Männer lief. Er war ein attraktiver Mann – und kochen konnte er auch noch. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es wohl mit ihm zuhause wäre, als Patricia lächelnd auf sie zukam und sich zu ihr setzte.

„Hat es ihnen geschmeckt?“

„Traumhaft“, entgegnete ihr Katharine. „Der Koch verdient eine Auszeichnung.“

Patricia nickte. „Die hat er noch nicht bekommen. Aber die Reaktionen unserer Gäste sind eigentlich immer die gleichen. Ein toller Mann, nicht?“

Katharine warf ihr einen verdutzten Blick zu. „Ein toller Koch auf jeden Fall. Seine Leistung als Mann kann ich nicht beurteilen.“

Patricia wurde rot. „Oh, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich wollte nur …“

Katharine lachte und winkte ab. „Machen Sie sich keine Sorgen, ich hab‘ Sie schon verstanden.“ Sie trank den letzten Schluck ihres Tees. „Schmeckt wirklich gut. Ich wüsste zu gerne, was er da hinein tut.“

„Vielleicht haben Sie mehr Glück als wir.“ Ihre Augen blitzten, als sie das sagte. Katharine zwinkerte ihr über den Rand ihrer Tasse hinweg zu.

„Wo wohnen Sie, Patricia?“

„Hier im Hotel.“ Sie zeigte über die Schultern, nach Süden. „Die Angestellten haben hier ihre eigenen Räume. Nicht besonders groß, aber mit allem ausgestattet, was man braucht. Auf jeden Fall besser, als jeden Tag in die Stadt hinunter zu fahren. Im Winter würde das sowieso nicht gut gehen.“

„Wegen den starken Schneefällen?“

Patrica nickte. „Man weiß nie, wie lange man hier oben abgeschnitten ist. Manchmal dauert es zwei Tage, bis die Straßen wieder befahrbar sind. So lange könnten wir es uns nicht erlauben, hier zu fehlen. Im Winter wird hier jede Hand gebraucht, auch wenn hier dann weniger Gäste sind als in den Sommermonaten.“

„Zahlen Sie Miete?“

„Mr. Morrison hat das immer so gehandhabt, dass er uns im Monat zweihundert Dollar vom Gehalt abgezogen hat. Damit waren aber alle Kosten gedeckt – auch das Essen.“

„Ein fairer Preis.“

„Das ist noch harmlos ausgedrückt“, stieß sie hervor. „Ein Zimmer in Shawnmille würde mich mindestens das Dreifache kosten. Von den Lebenshaltungskosten ganz zu schweigen.“

„Ziemlich teuer für einen so kleinen Ort, nicht? Kann man hier in der Gegen Skifahren?“

„Es gibt einige Pisten, aber Shawnmille ist kein richtiger Wintersportort. Die Hotels sind im Sommer gut besucht, ab und an kommen Touristen auf der Durchfahrt hier vorbei und halten für eine Nacht, aber es ist nicht so, dass der Ort nur vom Tourismus überleben könnte.“

„Wie macht er es dann?“, fragte Katharine ehrlich interessiert.

„Bis vor einigen Jahren gab es hier in der Gegend eine große Miene. Aber fragen Sie mich bitte nicht, was die hier abgebaut haben. Da kann ich Ihnen leider überhaupt nicht helfen. Auf jeden Fall wurde diese Miene vor einigen Jahren geschlossen, weil sich das Geschäft nicht mehr gelohnt hat. Seitdem sind eine Menge Menschen von hier weggezogen, andere halten sich mit einem Job in Evernburg am Leben.“

„Hey, da sind wir durchgefahren als wir hier her gekommen sind. Ist gar nicht weit von hier!“

Patricia nickte. „Fünfzehn Meilen. Die stellen dort Sportgeräte aus Kunststoff her – Snowboards, Skier und so weiter. Wahrscheinlich arbeitet fast jeder fünfte aus Shawnmille dort; verdienen gutes Geld hab‘ ich gehört.“

Katharine schenkte sich aus der Teekanne nach. Es war gerade noch genug für eine halbe Tasse darin. Ein herrlicher Duft!

„Hier sind dann wohl auch nicht viele Touristen, die zum Skifahren gehen?“

„Ein paar machen Skitouren. Aber die starten meist gleich von hier aus oder einige hundert Meter weiter die Straße hoch, in der Nähe des Gipfels. Die nächsten Pisten sind einfach zu weit weg für einen gemütlichen Skiurlaub.“

„Und was für Gäste sind dann hier den Winter über? Ich meine, weil Sie vorhin gesagt haben, dass sie im Winter hier oben auch jede Hand brauchen können.“

„Rentner, arbeitswütige Karrieremenschen, Einzelgänger, Witwen und Waisen.“

Katharine schaute verwirrt auf. Patricia hielt ihrem Blicke einige Sekunden lang stand, dann breitete sich ein freches Lächeln auf ihrem Gesicht aus und sie winkte ab.

„Entschuldigen Sie, ich wollte …“

Katharine, die mittlerweile ebenfalls lächeln musste, fiel ihr ins Wort. „Patricia, bitte hören Sie auf sich dafür zu entschuldigen. Ich bin froh, wenn wir hier einen entspannten Umgang miteinander pflegen könnten. Einen Arsch als Chef hatte ich lange genug und Sie sollen nicht das gleiche Vergnügen haben.“

„Haben Sie gerade Arsch gesagt?“

Katharine nickte stolz und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Wenn Sie wüssten, was ich den noch alles nennen würde wenn er hier direkt vor mir stünde.“

„Ich glaube nicht, dass sie ein Arsch sind, Katharine.“

„Danke.“

„Wir hatten alle die Befürchtung, dass es von heute an vorbei sein würde mit der guten Stimmung im Team.“ Sie holte tief Luft. „Ich denke, dass sollten Sie vielleicht wissen.“

„Nochmal danke für die Info. Es ist Ihnen bestimmt schwer gefallen, auf diesen Tag zu warten, oder?“

„Ich hab‘ ziemlich schlecht geschlafen wenn Sie das damit meinen.“

Sie blieben einige Augenblicke sitzen und schauten aus dem Fenster. Die Sonne stieg jetzt höher und von den Bäumen rauchte die Kälte der Nacht in den Himmel davon. Am Himmel war keine einzige Wolke zu sehen und Katharine konnte die gute, frische Luft förmlich riechen, auch wenn das Fenster geschlossen war.

„Wollen Sie mir ein bisschen von den Leuten erzählen, die hier arbeiten? Jesse kenne ich ja schon, Barbara und Sie auch.“

„Sie haben Jesse schon kennengelernt? Wie war er?“

„Wie er war?“, fragte Katharine überrascht. Mit dieser Frage hatte sie nun überhaupt nicht gerechnet.

„Freundlich, mürrisch? Jesse hat viele Fassetten, das macht ihn zu einem besonderen Kandidaten hier oben. Gerade in den Wintermonaten, wenn er nicht jeden Tag den Rasen mähen kann, hat er manchmal ganz schöne Launen.“

Katharine überlegte kurz. Eigentlich war Jesse ihr ganz freundlich vorgekommen, auch wenn er am Anfang ein wenig wie ein Roboter auf sie gewirkt hatte. Steif und unbeholfen, aber irgendwann doch wieder menschlicher.

„Ich glaube, er hatte einen guten Tag.“

„Stellen Sie sich darauf ein, dass Sie ihn immer anders erleben werden. Mal ist er der freundlichste Mensch überhaupt: lacht, ist zuvorkommend, scherzt mit den Gästen. Aber es gibt so Tage, da redet er kein Wort, schaut nur unter seiner grauen Mütze hervor und nickt Ihnen mit etwas Glück gerade einmal zur Begrüßung zu. Manchmal erinnert er mich ein bisschen an eine Frau die gerade – naja, Sie wissen schon.“

Katharine nickte stumm.

„Seit einem Jahr hat er Hilfe bei der Arbeit. Der Junge heißt Jacky. Also eigentlich heißt er Jackson Andrews, aber Jesse nennt ihn immer Jacky. Und wir machen das jetzt genauso.“

„Jesse und Jacky?“

„Wie im Comic, oder? Sie müssten mal Jim hören wenn er über die beiden redet.“ Patricia schüttelte sich vor Lachen. „Daraus könnte man ein ganzes Bühnenprogramm machen sag‘ ich Ihnen.“

„Der Koch ist also auch noch ein Komiker?“

Patricias Lachen verstummte sofort. „Aber das ist nichts negatives, das müssen Sie mir glauben. Er ist sehr ernsthaft in dem was er tut. Nur ab und zu, wenn die beiden nicht in der Nähe sind, dann macht er ein paar Späße auf ihre Kosten.“ Sie lief wieder etwas rot an, als schäme sie sich dafür. Katharine empfand immer mehr Sympathien für das junge Mädchen.

„Er sorgt also für die gute Stimmung?“

„Meistens, ja.“ Sie zupfte sich eines ihrer langen Haare, das aus der Frisur gefallen war, mit den Fingerspitzen zurecht und riss es dann aus. Doch anstatt es auf den Boden zu werfen, wie Katharine es wahrscheinlich getan hätte, steckte sie es in eine ihrer Taschen an der Hose. Als sie Katharines erstaunten Blick bemerkte zuckte sie nur mit den Schultern.

„Das hab‘ ich mir so angewöhnt. Ms. Gallagher hat mir mal gesagt, dass ich mit großer Wahrscheinlichkeit immer die einzige hier oben sein werde, die rote Haare hat. Es gibt nämlich weltweit nicht so viele rothaarige Menschen, wissen Sie? Nur in Irland, aber das hat mir nur Jesse einmal so zugesteckt. Wahrscheinlich stimmt das nicht mal.“ Sie lachte schüchtern. „Auf jeden Fall hat sie gesagt, dass man hier rote Haare, ob auf dem Fußboden oder, noch schlimmer, auf den Betten oder den Tellern immer mir zuordnen würde. Viele Menschen sehen solche Kleinigkeiten immer ganz anders, wenn sie wissen, wer dafür verantwortlich ist.“

Katharine nickte. Auch wenn sie sich innerlich dachte, dass bei einem Mädchen von ihrer Schönheit mit Sicherheit niemand etwas sagen würde. Vielleicht noch die Leute, die die Sterne vergeben. Und auch nur dann, wenn der Tester eine Frau ist.

„Dann arbeiten Sie hier also jeden Tag? Ich meine: für ein Hotel dieser Größe sind hier wirklich nicht viele Angestellte. Und das sage ich, wo ich noch nie in meinem Leben ein Hotel geführt habe.“

„In den Sommermonaten, wenn hier wirklich viel los ist, haben wir einige Aushilfskräfte aus den umliegenden Städten. Manchmal drei, vier weitere Mädchen für den Service und die Zimmer. Aber jetzt, im späten Herbst und Winter, ist hier oben nicht wirklich viel los. Eigentlich immer weniger als zehn Gäste, von denen die meisten den ganzen Tag über weg sind. Wir machen den Frühdienst, dann die Zimmer bis Mittag, dann servieren wir Mittagessen und ab fünf Uhr abends dann noch Abendessen. Außerdem gibt es noch Kaffee und Kuchen, aber darum kümmert sich Jim alleine. Die Gäste müssen sich dann auch selbst bedienen, das funktioniert aber ganz gut. Um 9 Uhr ist dann eigentlich immer Schluss.“

„Klingt für mich nicht nach viel Freizeit.“

Patricia lachte. „Ich bin auch nicht hier um zu Faulenzen. Man kann ohne Auto ohnehin nichts machen. Zu Fuß nach Shawnmille gehen und was trinken oder einen Film anzuschauen ist einfach nicht drin. Außerdem “, fügte sie an, „ist die Bezahlung nicht schlecht.“

Katharine nickte und schaute aus dem Fenster. Die Sonnenstrahlen wärmten sie so stark, dass ihr fast schon ein wenig zu warm wurde. Erschrocken stellte sie fest, dass sie schon mindestens eine Stunde hier unten saß. Ob Herb oder eines der Kinder schon aufgewacht war?

Die Kinder wahrscheinlich nicht, aber Herb … Der hat bestimmt schon versucht, mich anzurufen und festgestellt, dass ich mein Telefon nicht dabei habe. Und jetzt sitzt er in Unterwäsche auf dem Sofa oder wieder im Bett und wartet darauf, dass ich zu ihm komme. Ihm würde nicht in den Sinn kommen, alleine hier runter zu kommen, dafür war er viel zu unbeholfen.

„Ich mag Sie, Patricia.“

„Bitte?“, stieß Patricia überrascht aus.

„Man sollte so etwas viel öfter gerade heraus sagen. Ich mag Sie und finde, das sollten Sie wissen. Das macht es für Sie leichter und das macht es für mich leichter.“

„Nun, äh, danke?“ Sie lief wieder so rot an dass ihr Gesicht die Farbe ihres Haares annahm. „Ich Sie auch, Katharine.“


„Wo warst du?“, fragte Herb. Er saß wirklich in Unterhosen da, allerdings weder auf dem Bett noch auf dem Sofa. Er saß auf einem der großen Hocker, die am Tresen der Küche standen. Er hatte sich, genauso wie Katharine, ein Glas Wasser eingeschenkt. Es war fast ganz leer. Neben ihm lag eine Zeitung, die er weiß Gott woher mitgebracht hatte. Seine haarige Brust hob und senkte sich langsam und sein Bauch, der schon mal größer gewesen war wie sie jetzt fand, hing ein klein wenig über den Bund der Unterhose. Er war sexy, aber auf eine ganz andere Art und Weise wie sie es war.

„Frühstücken“, antwortete sie und drückte ihm einen großen Schmatz auf den Mund. „Und ein bisschen die Leute kennenlernen.“

„Mhm“, grummelte Herb und leerte den restlichen Inhalt des Glases in einem Zug. „Hättest du nicht auf mich warten können?“

„Du hast so lieb geschlafen – wie könnte ich dich da wecken?“

Sie ging um den Tresen herum und lehnte sich an die Arbeitsplatte, dort wo die Spülmaschine untergebracht war. „Möchtest du auch runter gehen oder soll ich dir hier oben einen Kaffee machen?“

„Kaffee klingt gut“, antwortete er. „Aber ich glaube nicht, dass du hier irgendwas findest. Wir müssen einkaufen gehen. Und auspacken.“

„Wir müssen noch so einiges hier machen“, antwortete Katharine mit einem wehmütigen Blick auf die ganzen Kisten und Kartons, die im Wohnzimmer (im Saal!) schier jeden freien Zentimeter einnahmen. „Das wird schlimm.“

Herb zuckte mit den Schultern. „Egal. Wir haben ja Zeit – und hier gibt’s wirklich mehr als genug Raum, wo wir alles unterbringen können. Hoffentlich haben die beiden Möbelpacker gestern nicht doch etwas kaputt gemacht. In den Kisten lässt sich so etwas immer gut verbergen.“ Er überlegte kurz. „Außer dem alten Geschirr deiner Mutter. Das hätten sie von mir aus sogar überfahren können.“

„Herb!“, zischte Katharine und suchte nach etwas, was sie werfen konnte. Sie fand allerdings nur ihr Glas von vorhin wieder und entschied sich nach einer, auf jeden Fall spannenden, Sekunde dagegen. „Wir können es ja irgendwo hin räumen, wo du es nichts sehen musst.“

„Oder wir werfen es weg“, murmelte er so leise, dass er hoffte, Katharine hätte es nicht gehört. Sie hörte es trotzdem, vermied es aber, weiter in diese Richtung auf ihn einzugehen.

„Ich hab‘ ein paar von den Angestellten kennengelernt?“

„So?“, fragte Herb wenig interessiert und wollte noch einmal einen Schluck aus seinem Glas nehmen. Er merkte erst, dass es leer war, als er es schon an die Lippen gesetzt hatte. Für einen kurzen Moment hielt er inne und man konnte förmlich sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete. Eigentlich war es ihm peinlich, aber auf der anderen Seite hätte er wohl, im richtigen Augenblick natürlich, einen guten Witz darüber reißen können.

Leider verpasste er diesen Moment und Katharine musste sich stark zusammen nehmen, um nicht in schadenfrohes Gelächter auszubrechen. Ihr schelmisches Grinsen verbarg sie dadurch, dass sie sich umdrehte und wahllos in eine der Schubladen schaute. Sie fuhr absolut lautlos heraus und wackelte auch nicht in den Schienen so wie ihre alte Küche. Sie fragte sich, was man für eine Küche in dieser Größe und Qualität wohl zahlen musste. Bestimmt zwanzigtausend Dollar, wahrscheinlich sogar noch etwas mehr.

„Willst du mir nichts erzählen?“

Katharine schob die Schublade zurück. Sie fuhr lautlos zurück, stoppte dann kurz vor Schluss, nur um dann in Zeitlupe die letzten Handbreit zurück zu legen.

„Du hast dich nicht so interessiert angehört.“

„Ich bin müde“, meinte Herb trocken und gähnte. „Hab‘ ja noch keinen Kaffee getrunken.“

„Wir können gerne runter gehen.“

Er winkte ab und verzog das Gesicht. „Ich brauch unbedingt eine Dusche.“

„Und du musst dich rasieren. Und zum Haareschneiden wolltest du auch schon vor zwei Wochen gehen!“

„Gott im Himmel“, stöhnte Herb und verbarg das Gesicht in den Händen. Manchmal verfluchte er seine Ehe – aber das waren wenige Momente. Irgendwie mochte er solche Gespräche mit Katharine auch. Das hätte er aber niemals offen zugegeben.

„Unsere Rezeptionistin ist Deutsche. Sie heißt Barbara. Ich glaube, du wirst sie mögen. Eine freundliche Frau. Wirkt auf mich sehr ordentlich und akkurat.“

„Eine ordentliche Deutsche also?“ Herb hob überrascht eine Augenbrauche. Das andere Auge fiel ihm dabei immer unabsichtlich etwas zu und er hatte etwas Ähnlichkeit mit Columbo wenn er so schaute. „Sie fährt bestimmt einen BMW und brät hier die Schnitzel, richtig?“

„Du und deine Vorurteile“, stöhnte Katharine. „Wage es ja nicht, sie mit dem Hitlergruß zu begrüßen, sonst schläfst du auf dem Sofa“, sagte sie bestimmt und ohne jeden Anflug von Humor. Sie hatte ihre Gründe dafür: vor einigen Jahren hatte er, angetrunken und als Spaß gedacht, schon einmal auf einer ihrer Weihnachtsfeiern in der Arbeit einen deutschstämmigen Kollegen so angegangen. Die, die noch betrunkener waren als er, haben sich vor Lachen fast in die Hosen gemacht. Die anderen hatten peinlich berührt das Weite gesucht; sie eingeschlossen.

„Das würde ich niemals tun!“, antwortete er empört. Er hatte ihr später öfter beteuert, dass er sich an besagten Vorfall nicht erinnern kann, aber irgendwie vermutete Katharine, dass er ganz weit hinten in seinem klugen, kleinen Kopf ganz genau wusste, was damals passiert war. „Ich toleriere alle Völker unserer großen, schönen Welt. Spaghetti, Schlitzaugen, Nigger …“

„Herbert Morrison!“, rief Katharine böse. Diese Mal war sie mit der Hand schon am Glas und hatte den Arm zum Wurf hinter den Kopf genommen, ehe sie sich eines besseren besann. Scherben brachten ja bekanntlich kein Glück, zumindest keine Scherben aus Glas.

Herb duckte sich und lachte laut. Seine kräftige Stimme hallte von den Wänden wieder. Der Raum wirkte in dieser Hinsicht wie ein gut konzeptioniertes Theater, das den Ton von der Bühne überall hin verteilte.

„Schon gut, schon gut“, sagte er, schwer schnaufend, als er sich wieder etwas gefangen hatte. „Das ist aus einem Film, Schatz, nur aus einem Film! Du weißt, dass ich nicht so denke.“

Katharine verschränkte die Arme vor der Brust, das Glas hielt sie vorsichtshalber noch in der Hand. Man konnte ja nie wissen, wofür man es noch brauchen konnte. „Ich weiß nicht, was ich denken soll.“ Sie atmete tief durch. „Willst du jetzt noch mehr hören oder willst du weiter deine dummen Witze reißen?“ Sie war nicht wirklich böse auf Herb, aber ab und zu musste man versuchen, ihn etwas im Zaum zu halten, sonst drehte er irgendwann noch völlig durch.

Herb formte mit den Händen das Peace-Zeichen und setzte sich wieder hin. Seine Augen waren vom Lachen noch etwas gerötet und er rieb mit dem Zeigefinger der linken Hand vorsichtig darin herum.

Katharine erzählte ihm von Patricia und was sie von ihr alles erfahren hatte. Besonders, als sie den Teil mit dem guten Koch erzählte, hellte sich Herb’s Blick etwas auf und Katharine war sich sicher, dass er wahrscheinlich sehr bald eine Diät anfangen musste, um nicht vollkommen aus seinen Sachen heraus zu wachsen. Herb aß gerne und er aß viel. Seiner Figur hatte das aber bislang nur bedingt geschadet, was vor allem am Stress und den Sorgen lag vermutete Katharine. Jetzt, als frischgebackener Hotelbesitzer und Millionär (auch wenn er sich zumindest beim letzten Punkt noch nicht so ganz im Klaren war vermutete sie) konnte das ganz schnell schief gehen.

Es sollte ihre geringste Sorge werden.


Nach zwei Wochen und wechselhaftem Wetter, das langsam aber sicher den Winter ankündigte, hatten sich die Umzugskartons auf ein Minimum verringert. Die Schränke waren eingeräumt, persönliche Gegenstände verteilt. Bilder hingen an den Wänden – von Herb und Sarah vor den Toren von Disney-Land; von Peter bei einem Baseballspiel, wo er einen wahnsinnigen Homerun geschlagen hatte und den Ball, mit dem ihm das gelungen war, stolz in den Händen hielt. Katharine und Sarah bei ihrem Besuch letztes Jahr auf dem Hollywood-Boulevard vor einem Geschäft, wo die Handtaschen so viel kosteten, dass Herb zwei Jahre dafür hätte arbeiten müssen. Ein Foto von Michael mit geschminktem Gesicht, als er auf ein Rockkonzert mit seinen Freunden gegangen war; Herb und Katharine auf ihrer Hochzeit, er in einem billigen Anzug und sie in dem Hochzeitskleid ihrer Mutter, das für sie etwas umgenäht werden musste, weil sie viel größer und schlanker war; ein Bild von ihrer ersten Wohnung, als sie gerade mit Peter schwanger gewesen war: eine ziemlich kleine Bruchbude, aber nicht wesentlich schlechter als die letzte Wohnung, in der sie schließlich zu fünft gewohnt hatten. Die Leitungen auf den Wänden, Schimmel in den Ecken und einer fehlenden Fensterscheibe, die nur mit einem Stück Karton und etwas Klebeband geflickt worden war (Herb hatte in der ersten Nacht versprochen, sich darum zu kümmern und es schließlich nach einem Jahr immer noch nicht getan). Ganz am Ende des Flurs, neben der Tür zum Wohnzimmer, hing ein Foto, das sie vor einem dreiviertel Jahr gemacht hatten. Sie waren ins Einkaufszentrum gegangen, etwa drei Wochen vor Weihnachten, und hatten dort ein Familienfoto von sich machen lassen, weil es so etwas noch nicht von ihnen gab. Herb hatte einen scheußlichen Pullover an, mit großen Giraffen auf der Vorderseite; die Jungs trugen schicke Anzüge und Katharine und Sarah hatten sich in Kleider geworfen, die für die Jahreszeit eigentlich zu luftig gewesen waren. Sie hatten nur fünf Bilder machen lassen, aber gleich das erste war ein Treffer gewesen. Keine hatte die Augen zu, keiner ein dummes, unechtes Grinsen auf den Lippen. Sie wirkten einfach nur wie eine glückliche Familie. Katharine war sofort in das Foto verliebt gewesen, hatte einen großen, teuren Rahmen dafür gekauft und seitdem einen Platz in der Wohnung gesucht, wo man es gut sehen konnte. Früher hing es neben der Eingangstür, heute hatte sie sich dafür entschlossen, es dort hin zu hängen, wo es bei richtigem Wetter so hell angestrahlt wurde, dass der Rahmen leuchtete wie die Scheinwerfer in einem Footballstation bei Nacht.

Herb öffnete die Eingangstür und trat in den Gang. Draußen hatte es wieder zu regnen begonnen, aber es war nicht der Regen, der ihm Sorgen machte. Es war ein kalter Wind dazu gekommen. Noch kein Sturm, aber der Wetterbericht hatte nichts Gutes verlauten lassen. Irgendwas von Blizzard hatte er registriert, aber nicht genauer darauf geachtet. Zu viel war in den letzten Tagen zu erledigen gewesen. Selten hatte er mehr als sechs Stunden geschlafen, ehe der nächste Tag um fünf Uhr morgens mit voller Wucht auf ihn hereingestürzt kam. Am Anfang, die ersten vier Tage, hatte ihm das nichts ausgemacht, aber mittlerweile kam er buchstäblich auf dem Zahlfleisch daher. Wenn er geglaubt hatte, dass ein Hotelbetrieb nicht anstrengend wäre, so war er jetzt eines besseren belehrt worden.

Er hatte das ganze Team einen Tag nach Katharine kennengelernt. Er hatte auf ihr anraten eine gemeinsame Runde einberufen, um sich besser kennenzulernen und um sich abzustimmen. Der Abend war ganz gemütlich und nett geworden, dass musste er zugeben. Der Koch, Jim, hatte für sie alle Snacks zubereitet und den ganzen Abend über für gute Stimmung gesorgt. Sie hatten sich einander vorgestellt, sich erzählt, was sie hier so arbeiteten und wie sie den Tag verbrachten. Herb hatte stellvertretend für die ganze Familie gesprochen, auch wenn alle dabei gesessen hatten. Er hatte sich in jedem Satz zweimal versprochen und ungeschickt etwas Tee über sein Jackett gekippt, aber niemand hatte ihn deswegen ausgelacht oder die Augen verdreht. Ihm selbst war das nicht aufgefallen, aber Katharine hatte ihn später am Abend darauf angesprochen.

„Sie akzeptieren dich als ihren neuen Chef“, hatte sie gesagt und ihm einen Kuss auf die Wange gedrückt. „Das hast du gut gemacht.“

„Findest du?“, fragte Herb zweifelnd. Die Sache mit dem Tee ging ihm nicht aus dem Kopf und er wäre am liebsten im Boden versunken vor Scham.

„Klar“, flüsterte sie und küsste ihn nochmal. Dieses Mal auf den Hals. „Du hast einen starken Auftritt hingelegt.“ Ihre Hand, bislang auf seinem beachtlichen Brusthaar, strich ihm sanft über den Bauch und noch weiter. Herb schluckte, wollte noch etwas sagen, aber letztendlich hatten sie nur miteinander geschlafen und er war mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen eingeschlafen.

Er hängte seine durchnässte Jacke an den Kleiderbügel und zog seine Schuhe aus. Als er sah, wie seine Jacke auf den Boden tropfte und die Schuhe darunter erreichte, überlegte er es sich doch anders und packte sie wieder, um sie ins Bad zu hängen. Katharine würde es ihm danken.

Aus Michaels Zimmer drang laute Musik. Früher hätte er sich wahrscheinlich mit seinem Sohn darüber gestritten und schließlich damit gedroht, ihm die Sicherung raus zu drehen, aber hier war ihm das relativ egal. Die Gäste ihm Hotel konnten den Krach nicht hören, dafür sorgen die dicken Decken und Wände. Und er selbst hielt sich eigentlich die meiste Zeit in der Küche oder ihm Wohnzimmer auf. Da lagen so viele Meter dazwischen, dass ihn das auf vollkommen kalt ließ. Überhaupt hatte er das Gefühl, seitdem sie hier eingezogen waren, hatte sich sein Stresslevel auf ein normales Niveau gesenkt, vielleicht sogar noch ein bisschen mehr. Wenn er mit der Arbeit fertig war konnte er abschalten und die wenige freie Zeit, die er noch hatte, einfach genießen. Früher war ihm das nicht gelungen. Entweder er hatte Tabletten genommen oder, wie ihm immer noch schmerzlich bewusst wurde, einen Drink genommen. Nein, nie so viel, dass er die Kontrolle darüber verloren hätte, aber das sagten selbst die stärksten Alkoholiker von sich, oder? So fing es immer an.

Peter war auch schon wieder da. Seine Zimmertür stand offen. Er saß auf seinem Sofa und studierte einige Blätter. Neben ihm lagen mehrere Ordner, teils aufgeschlagen, teils geschlossen.

„Hey, Pete“, grüßte ihn Herb und steckte einen Kopf in das Zimmer. „Was treibst du da?“

Peter hob den Kopf und nickte ihm zu. „Die Unterlagen der letzten zwei Jahre. Buchhaltung, so wie du gesagt hast.“

„Spannend?“

„Wie die Bibel.“

Herb nickte. Peter hatte sich schon wieder von ihm abgewandt und las weiter. Er hatte einen Kugelschreiber hinter sein rechtes Ohr geklemmt und wirkte jetzt mehr denn je wie ein Streber. Anstatt noch etwas zu sagen, hob er nur die Hand und verschwand wieder. Irgendwie war er froh darum, dass seine Kinder die ihnen zugeteilten Arbeiten so pflichtbewusst erledigten, obwohl sie dafür weder bezahlt wurden noch irgendetwas anderes davon hatten – zumindest im Augenblick nicht. Als Ausgleich dafür, dass sie dieses Jahr nicht zu Schule gehen mussten, hatten sie sich dazu verpflichtet, Praktika im Hotel zu machen. Peter war in der Buchhaltung, die Herb übernommen hatte. Aufgrund seiner langen Erfahrung in diesem Bereich war er sich sicher, seinem Sohn so einiges beibringen zu können. Vielleicht half ihm das später, wenn er mal ein College besuchte. Nein, vielleicht war das falsche Wort: es half ihm sicher!

Sarah sollte mit Louise Gallagher und Patricia Perry arbeiten. Zimmer fertig machen, putzen, servieren, in der Küche aushelfen, Geschirr spülen, Gäste betreuen usw. Er wusste zwar noch nicht, für was seine Tochter das später mal brauche konnte, aber ein bisschen Lebenserfahrung war bestimmt nicht schlecht. Louise war eine strenge, aber freundliche Person. Bei ihr würde sie bestimmt lernen, was es hieß, diszipliniert und gründlich zu arbeiten. Und Patricia war ja ungefähr in ihrem Alter – vielleicht fand sie in ihr so etwas wie eine Freundin. Katharine hatte diesbezüglich einige Zweifel geäußert, aber Herb hoffte für alle Beteiligten, dass es sich zum Positiven entwickeln würde.

Herb öffnete die Tür zum Badezimmer immer noch ganz in Gedanken versunken. Vielleicht hätte er sonst den schmalen Lichtstreifen am Türspalt gesehen und vorher geklopft. So erwischte er jedoch einen der denkbar ungünstigsten Momente.

Die Tür schwang auf und noch ehe Herb realisier hatte, dass das Licht brannte, wurde er von einem quiekenden Schrei aus seinen Gedanken gerissen.

„Dad!“, schrie Sarah und packte sich ein Handtuch. Sie stand nackt vor dem Spiegel und hatte irgendetwas auf ihrem Gesicht, das Herb aber in seinem Schrecken nicht richtig identifizieren konnte. Später, wenn er mit einem mulmigen Gefühl an diesen Augenblick zurückdachte, glaubte er, dass es eine Gesichtsmaske gewesen war. So eine, wie sie Frauen eben auflegte, um ihrer Haut mehr Feuchtigkeit zu spenden, damit sie im Alter nicht aussahen wie ein durchgesessener Ledersitz in einem Oldtimer.

So sehr er sich in diesem Augenblick auch wünschte, nicht alles zu sehen, so wurde sein Wünschen doch nicht erhört. Wie bei einem Autounfall, wo man in den letzten Augenblicken alles noch viel genauer wahrnehmen konnte als sonst, konnte er jedes noch so kleine Detail sehen. Sarah hatte ein Bauchnabel-Piercing, mit einem hellblauen, glitzernden Anstecker darin. Auf ihrer linken Brust war ein Muttermal, an das er sich noch erinnern konnte, als er sie früher immer gebadet hatte. Nur war es mittlerweile eben nicht mehr auf der Brust eines kleinen Kindes, sondern auf der Brust einer bildschönen Teenagerin. Es sprang auf und ab, mehr als ihm in diesem Moment lieb war.

Sie erreichte ihn etwa in dem Moment, in dem sie es schaffte, zumindest das Handtuch vor die nackte Brust zu halten. Im selben Augenblick warf sie sich mit ihrem ganzen Körper gegen ihn und drängte ihn damit zurück durch die Tür. Immer noch völlig verblüfft und unter Schock stehend vergaß Herb, dass er eigentlich sein Gleichgewicht halten musste, weil das ja bekanntlich nicht von alleine passierte. So landete er jedoch unsanft auf dem Hintern und knallte mit dem Hinterkopf an die gegenüberliegende Wand. Seine Tochter schlug die Badezimmertür mit einem lauten Donnern zu und drehte den Schlüssel im Schloss.

„Dad!“, schrie sie durch die geschlossene Tür. „Spinnst du eigentlich?“

Herb, völlig unfähig etwas zu sagen, schüttelte nur den Kopf. Er tat weh, aber das war nicht so schlimm. Vielleicht würde der Schmerz die Erinnerung ja schneller löschen.

„Weißt du eigentlich, was eine geschlossene Tür bedeutet? Sie bedeutet: besetzt, nicht reinkommen! Und wenn du schon unbedingt da rein musst, dann klopf‘ doch wenigstens vorher an! Schau dir mal das Schild an.“

Er hob den Kopf und da war es: ein großes Schild aus Holz, aufgehängt an einem Haken, der in die Tür gedreht worden war.

Besetzt.

Ein einzelnes Wort, aber doch ziemlich einleuchtend. Wann hatten sie denn das da hin gehängt? Oder war ihm das nur noch nie aufgefallen? Schließlich benutzte er für Gewöhnlich das Bad am anderen Ende der Wohnung, weil es für ihn irgendwie so war, dass die Kinder ein Bad hatten und er und Katharine sich eines teilten. Das war so eine Art ungeschriebene Hausordnung gewesen, genauso wie sie niemals bei ihren Kindern in die Zimmer gingen, wenn die Türen nicht offen standen.

„Entschuldigung, Schatz“, stöhnte er und stemmte sich in die Höhe. Sein Kopf brummte wirklich mehr als ihm lieb war, aber sein Steißbein hatte auch ganz schön was abbekommen. Zum Glück hatte er einen weichen Bürosessel: braunes Leder, dick gepolstert. Da konnte er sich zumindest den Sitzkringel sparen, den er in seiner alten Arbeit mit Sicherheit gebraucht hätte. „Hab‘ nicht aufgepasst.“

„Hättest du aber sollen, verdammt nochmal!“, rief Sarah. An ihrer Stimme konnte er erkennen, dass sie den Tränen nahe war und er bekam noch mehr Schuldgefühle. Er musste an das Muttermal denken, das auf und ab gesprungen war – eine beträchtliche Strecke auf und abgesprungen war, und schüttelte sich. An seinen Armen konnte er eine Gänsehaut spüren.

„Es tut mir leid“, sagte er und hob seine durchnässte Jacke auf, die neben ihm auf dem Boden lag. Sie hatte bereits eine mittelgroße Pfütze auf dem Boden hinterlassen und er hoffte irgendwie, dass das Wasser auf dem Holzboden keine Flecken oder ähnliches Hinterlassen würde. Wahrscheinlich würde er es aufwischen müssen, aber das war ihm egal. Hauptsache auf andere Gedanken kommen.

Der Schlüssel in der Tür wurde abrupt gedreht und die Klinke energisch heruntergerissen. Sarah stand in der Tür und für einen schlimmen Augenblick, einen Moment in dem Herb das Herz ein weiteres Mal stehen blieb, glaubte er, sie hätte schon wieder nichts mehr an. Doch als seine Augen sich an das helle Licht gewöhnt hatten konnte er sehen, dass sie zumindest ein Handtuch umgebunden hatte. Außerdem fielen ihre Haare ihr jetzt über die Brust und nicht mehr über den Rücken, was so eine Art zweite Schutzschicht für ihn aufbaute. Innerlich atmete er durch, äußerlich wurde er vor Scham etwas rot.

„Das sollte es auch!“, stöhnte Sarah und schlug sich die Hand vors Gesicht. Das komische Zeug hatte sie wohl wieder abgewaschen, aber nicht besonders gründlich: an ihren Ohren und am Kinn hing noch etwas davon. Herb verbiss sich jeden Kommentar und versuchte, noch ein bisschen schuldbewusster zu schauen. „Oh Gott, davon krieg‘ ich bestimmt Albträume!“

„Ich auch“, murmelte Herb. Als er den abgrundtief bösen Blick seiner Tochter auf ihn gerichtet sah, zog er es vor, in den nächsten Stunden gar nichts mehr zu sagen. Ein Gefühl sagte ihm, dass er es nur noch schlimmer machen würde. So versuchte er, den schlimmen Moment einfach nur auszusitzen und hoffte, dass Sarah vor Wut schäumend in ihr Zimmer gehen würde und die Sache dann morgen beim Frühstück nicht mehr sein würde, als eine weitere kleine Kerbe in ihrem Bettpfosten, an die man sich irgendwann gar nicht mehr erinnern würde. Er selbst hingegen hatte da weniger Hoffnung: sein Gedächtnis war wie das eines Elefanten. Er wusste zum Beispiel immer noch, wie sein allererster Kinderarzt geheißen hatte und wie er ihn genannt hatte, als er ihm die erste richtige Spritze, damals noch in seinen Hintern, gegeben hatte. So etwas prägte die Seele eines kleinen Kindes, aber bei ihm war das noch heute ein traumatisches Erlebnis, an das er sich nur zu gut erinnern konnte.

„Ich geh‘ jetzt in mein Zimmer und werde die Tür schließen“, sagte Sarah schließlich. „Und wenn die Tür geschlossen ist, dann wirst du es nicht wagen, da hinein zu kommen, auch nicht, wenn das Haus brennt, ist das klar?“

Herb nickte.

„Und wenn du doch rein willst, dann klopfst du vorher so lange an, bis ich dich rein bitte.“

Herb nickte.

„Wenn du nichts hörst bleibst du draußen.“

Herb nickte.

„Und das bleibt unter uns, klar?“

Herb tat so, als würde er seinen Mund mit einem Schlüssel absperren und diesen dann über die Schulter werfen. Aber das war vielleicht bei kleinen Kindern lustig – er merkte sehr schnell, dass seine Tochter davon überhaupt nichts hielt und so nickte er nur ein weiteres mal.

Sarah schaute ihm noch einen unendlich langen Augenblick in die Augen, dann drehte sie sich um und stapfte in ihr Zimmer. Herb schaute ihr hinterher und bereute es eine Sekunde danach sofort wieder. Sarahs Handtuch war zu kurz und bedeckte nur drei-Viertel ihres Hintern. Der untere Teil wippte ihm fröhlich entgegen und zwar so lange, bis sie ihre Zimmertür öffnete und sie laut ins Schloss zurückfallen lies. Wieder spürte er eine Gänsehaut, dieses Mal am ganzen Körper. Er schüttelte sich und ging mit seiner Jacke ins Badezimmer. Dort hängte er sie in die Dusche, wo sofort das monotone Geräusch der Tropfen einsetzte, die auf der weißen Wanne aufschlugen und schon bald einen kleinen See gebildet hatten. Er beobachtete das Ganze für einige Sekunden, dann drehte er sich, starr wie ein Roboter, auf der Stelle herum und beschloss, sich in bequemere Sachen zu kleiden. Er trug keinen Anzug (davon hatte er ohnehin nicht genug), aber er trug ein weißes Hemd und eine dunkle Stoffhose, die so durchnässt war, dass man meinen konnte, er hätte sich in die Hosen gemacht. Das Hemd scheuerte unangenehm am Hals und schon den ganzen Tag freute er sich darauf, das Ding los zu werden und seinem armen Hals etwas Salbe zu können. Die Schürfwunde hatte etwas von einem Knutschfleck an sich, aber er wusste (oder hoffte es zumindest), dass Katharine den wahren Grund sofort erkennen würde. Sie war zum Glück nicht eifersüchtig, auch wenn sie manchmal allen Grund dazu hätte. Herb konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als er durch das Wohnzimmer ging und ins Schlafzimmer abbog und daran dachte, was für einen lüsternen Blick ihm heute eine Frau mittleren Alters zugeworfen hatte, als sie das Hotel verlassen hatte und er ihr, wie er sich für die Zukunft vorgenommen hatte, die Hand zum Abschied schüttelte und eine angenehme Heimreise wünschte.

„Hoffentlich können wir Sie bald wieder hier begrüßen!“, hatte er lächeln gesagt und es auch wirklich so gemeint. Er hatte nicht viel Ahnung von dem, wie man ein Hotel führen sollte, aber er versetzte sich gerne in das hinein, was er sich von einem Hotelchef wünschte, wenn er zu Gast war. Und da gehörte so ein wenig Aufmerksamkeit nun mal dazu.

„Wenn Sie dann auch wieder hier sind“, hatte sie geantwortet und ihm so tief in die Augen geschaut, dass sein Herz sofort höher geschlagen hatte. Sie war atemberaubend schön gewesen: langes, schwarzes Haar; grüne Augen und einen wahnsinnig sinnlichen Mund, der feucht glänzte. Sie war mit einem alten Mann da gewesen, der ohne weiteres ihr Vater hätte sein können, aber als er später im System nachgeschaut hatte, hatte er festgestellt, dass sie eine der drei Suiten belegt hatten, die es im Hotel gab. So etwas machte man nicht mit seinem Vater – zumindest nicht, wenn man klar bei Verstand war. Und sie hatte auf ihn den Eindruck gemacht, dass sie sehr wohl klar bei Verstand gewesen war.

„Auf jeden Fall“, war seine schlichte Antwort gewesen und er hatte sich aus dem sanften Griff der Frau befreit. Teils, weil er es nicht für angebracht hielt, mit einer verheirateten Frau so lange Körperkontakt zu halten. Aber zum Großteil natürlich wegen Katharine, die jeden Augenblick um die Ecke biegen konnte und ihn dann in dieser eindeutigen Situation auffinden würde, die nur wenig Raum für Fantasie lies. Außerdem gab es in einem so kleinen Hotel, das hatte er schon mitbekommen, immer eine Menge Gerede. Die Frauen in diesem Haus waren wie eine Schaar Enten, die schnatterten was das Zeug hielt. Auch wenn er Glück hatte, dass sie ihn alle zu mögen schienen, so konnte sich das Blatt doch jederzeit wenden. Und wenn er es sich mal mit den Frauen, insbesondere mit Babs oder Ms. Gallagher verscherzt hatte, würde hier jeder Tag so lang werden wie eine ganze Wochen es jetzt noch war.

Im Schlafzimmer brannte Licht, aber es war niemand da. Er konnte sich erinnern, dass die Badezimmertür verschlossen war, also vermutete er Katharine dort. Wahrscheinlich war sie gerade unter der Dusche.

Auch wenn ihn der Gedanke, zu ihr unter die Dusche zu springen, reizte, zog er es doch vor, sich einfach in seine bequeme Trainingshose zu schälen und dann ein wenig an den Töpfen zu spielen, die auf dem Herd standen und aus denen es überragend gut roch. Katharine war eine gute Köchin, auch wenn sie das nicht so gerne hörte, weil sie immer sagte, die einzig wahre Köchin war ihre Großmutter gewesen, von der sie leider nie genug gelernt hatte. Martha war gestorben, als Katharine fünfzehn gewesen war. Außerdem hatte er vorerst genug von verschlossenen Badezimmertüren.

Er schmiss seine Hose und sein Hemd in den Wäschesack. Besonders bei seinem Hemd bereitete ihm das eine Menge Freude. Er knüllte es zu einem kleinen Ball zusammen und warf es gegen den Schrank, von dem aus es an den Rand des Wäschesacks prallte und dann mit einem leisen Puff aus seinem Blickfeld verschwand. Katharine mochte es nicht, wenn er seine nassen Klamotten da hinein warf, weil sie dann immer zu stinken anfingen, aber das war ihm in diesem Augenblick herzlich egal. Im Spiegel betrachtete er seinen Hals und stellte überrascht fest, dass er nur eine leichte Rötung an der Stelle hatte, wo das verflixte Ding ihn den ganzen Tag geärgert hatte. Wahrscheinlich konnte er sich die Salbe dann sogar sparen.

Er suchte seine Trainingshose, fand sie auf seiner Kommode, zog sie an und gönnte sich im selben Atemzug auch noch ein paar neue Socken, weil seine eigenen ihm mittlerweile am Fuß klebten (ob sie auch draußen nass geworden waren oder nicht vermochte er nicht zu bestimmen). Als er damit fertig war fühlte er sich schon fast wieder wie ein neuer Mensch. Statt einem einfachen Shirt zog er sich einen viel zu großen Pullover an, den er einmal von seinen Kindern zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte, als Peter vielleicht zwölf Jahre alt gewesen war. Ein grauer Pullover mit einem weißen Querstreifen, der seine Figur nicht gerade zum besseren betonte, und eigentlich auch viel zu groß war, aber er war ein Geschenk und er hatte sich an das Ding gewöhnt. Es war bequem, und darauf kam es ihm an. Und er rieb vor allem nicht an seinem Hals!

Als er wieder raus ins Wohnzimmer ging war die Badezimmertüre offen und Katharine stand darin. Ein wenig wehmütig stellte er fest, dass sie vollkommen bekleidet war und ihre Haare trocken waren.

„Hi, Schatz!“, begrüßte er sie, während er die kleine Stufe vor der Schlafzimmertür nach unten stieg und das Wohnzimmer durchquerte. Der Regen prasselte laut gegen das Dachfenster und erzeugte ein gleichbleibendes Rauschen im Hintergrund, so ähnlich wie wenn bei einem Radiosender die Frequenz nicht ganz stimmte.

„Hey!“, rief sie zurück und lächelte ihm zu, als er ihr einen Kuss auf die Wange drückte. „Wie war dein Tag?“

Herb setzte sich auf einen der Hocker in der Küche und betrachtete, was da in den Töpfen so vor sich hin kochte. „Viel zu tun. Ich hab‘ Jesse angewiesen, die Schneefräse fertig zu machen. Der Wetterbericht meint, dass es sich nicht mal mehr um Tage, sondern um Stunden handeln wird, bis hier der erste Schnee runter kommt.“

„Und Ende der Woche soll es dann richtig unangenehm werden“, ergänzte Katharine. Sie lehnte sich gegenüber von ihm an die Arbeitsfläche neben der Spüle und trank aus einem Glas, das dort schon gestanden hatte. „Willst du auch was?“

„Was ist das?“

„Apfelsaft. Ein bisschen sauer, aber du kannst ihn ja mit Wasser mischen.“

Herb winkte ab. „So durstig bin ich nicht. Eher hungrig.“

Katharine lächelte. „Das will ich doch hoffen. Hier drinnen brodelt und gart ein Essen, das für zwanzig Personen reichen sollte. Frisches Gemüse, Nudeln, Rindfleisch – alles, was das Herz begehrt.“

Herb lief das Wasser im Mund zusammen. „Wann hast du Zeit gehabt, das alles zu kochen? Du warst doch bis vor zwei Stunden auch im Hotel.“

Katharine setzte ein freches Lächeln auf. „Planung ist schon die halbe Miete, mein dummer Ehemann. Wenn du deinen Tagesablauf besser planen würdest, dann hättest du auch mehr Freizeit.“

„Die müsste ich ja dann mit dir verbringen – nein, dann doch lieber in die Arbeit gehen.“

Katharine biss sich auf die Unterlippe und nickte ihm auffordernd zu. „Ganz schön frech. Du komm mir ins Bett.“

Herb spürte in Kribbeln in seinem Bauch und konnte es kaum mehr erwarten, dass sie ihre Drohung wahr machen würde. „Kann ich dir etwas helfen?“

Sie stieß sich von der Spüle ab und öffnete den Schrank, in dem sie ihr Geschirr aufbewahrten. Katharine hatte das Einrichten der Küche fast alleine übernommen, nur Michael hatte ihr geholfen. Er war auch derjenige, der noch am ehesten kochen konnte. Peter war dafür überhaupt nicht geschaffen und Sarah, auch wenn man es von einer Frau vielleicht erwarten mochte, hatte in ihrem Leben nur zweimal etwas für die ganze Familie gekocht, und gerade an das zweite Mal konnte sich Herb nur allzu gut erinnern. Er wusste nicht mehr genau, was es gewesen war, aber das hatte er damals auch nicht richtig mitbekommen. Es hatte auf jeden Fall geschmeckt wie ein Steinkohlebrikett. Nur die Soße war gut gewesen. Davon war zum Glück genug da gewesen, um das Brikett darin zu ertränken und aufzuweichen. Herb hatte es ohne mit der Wimper zu zucken gegessen, aber ihre herzlosen Brüder hatten es sie ganz deutlich spüren lassen, was sie von dieser Art Abendessen hielten.

„Deck den Tisch. Und wenn du damit fertig bist, kannst du die drei aus ihren Zimmern holen.“

Bei dem Gedanken, Sarah aus ihrem Zimmer zu holen, wurde ihm einen Moment lang schwarz vor Augen. Da würde er sich was überlegen müssen, keine Frage.


Das Abendessen war gut. Es war nicht hervorragend, aber das lag keineswegs am Essen. Sie unterhielten sich lebhaft und tauschten Befürchtungen und Fragen wegen des kommenden Wintereinbruchs aus, sprachen über dieses und jenes aus dem Hotel und lobten Katharine für das Essen. Allerdings war die Stimmung zwischen Herb und Sarah mehr als angespannt. Herb hoffte, dass Katharine das nicht merkte, aber dafür kannte er seine Frau schon zu lange und zu gut.

Später, als sie im Bett lagen und sie ihre Drohung von vorhin wahrgemacht hatte, kam sie darauf zu sprechen.

„Ist zwischen dir und Sarah etwas vorgefallen? Hab ihr euch gestritten?“

Herb, der auf dem Rücken lag und die Decke anstarrte, räusperte sich. „Nein, nicht das ich wüsste. Aber du kennst doch Teenager – du warst doch bestimmt auch so, oder?“

„Sarah ist aber nie so“, erwiderte Katharine, aber an ihrer Stimme erkannte Herb ganz deutlich, dass sie eigentlich zu müde war, um noch tiefer in dieses Thema einzusteigen. Sie hatte ihren Kopf auf seiner Schulter und kraulte ihm mit der rechten Hand sanft die Brust. „Sie war immer schon ein fröhliches Mädchen.“

„Vielleicht vermisst sie ihre Freundinnen“, mutmaßte Herb wider besseren Wissens.

„Die arme Sarah.“ Katharine holte tief Luft und stieß sie dann mit einem zufriedenen Laut wieder aus. „Hoffentlich kommt sie darüber hinweg. Ein Mädchen in ihrem Alter braucht eine beste Freundin. Was in dieser Zeit passiert, daran erinnert man sich sein ganzes Leben, weißt du? Vielleicht war es nicht die richtige Entscheidung, die Kinder mit hier her mitzunehmen.“

„Sie hatten die Wahl.“

„Ja schon, aber in dem Alter weiß man noch nicht, was es bedeutet, so lange aus seiner gewohnten Umgebung weg zu sein. Eigentlich lernt man das erst auf dem College. Naja, und da ist man dann ja auch nicht allein, oder?“

„Nicht lange.“ Herb döste weg und war froh darum. Das Gespräch hatte sich ganz schnell in eine Richtung entwickelt, mit der er leben konnte. Nicht, dass Katharine ihn jetzt für krank und pervers gehalten hätte, schließlich war das ein Unfall gewesen und er hatte mit Sicherheit mehr an der Sache zu knabbern als Sarah, aber es hätte doch einen Schatten auf ihn werfen können. Entweder, Katharine hätte ihn dann mit anderen Augen gesehen, oder, und das war die schlimmere Befürchtung, sie hätte ihn wochenlang damit aufgezogen.

„Gib ihnen einfach noch ein bisschen Zeit. Sagen wir, bis Januar. Nach Silvester können wir nochmal mit ihnen reden und dann entscheiden. Wenn sie dann nach Hause wollen müssen wir uns etwas überlegen.“

Katharine drehte den Kopf ein wenig und küsste ihn auf die Schulter. „Du bist ein guter Vater, weißt du das?“

An ihrer Stimme konnte Herb erkennen, dass es ihr genauso ging wie ihm. Das Land der Träume rief sie beide unerbittlich. Er wollte ihr noch etwas sagen, aber seine Lippen öffneten sich nicht mehr.

Sie schliefen zeitgleich aneinander gekuschelt ein.



Der Mann im Mond

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