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2. Alternative Anknüpfung

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a) Alternative Anknüpfung bedeutet die Bereitstellung mehrerer auf gleicher Stufe stehender Anknüpfungskriterien, unter denen das Gesetz keinen Vorrang bestimmt. Die berufenen Rechtsordnungen kommen wahlweise zur Anwendung, auch wenn die Anknüpfungskriterien für mehrere Alternativen erfüllt sind.

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aa) Diese Regelungsmethode wird eingesetzt, um ein materielles Ergebnis zu begünstigen, das abstrakt wünschenswert erscheint. Damit nehmen Wertungen des materiellen Rechts Einfluss auf das IPR. Die Kollisionsnorm schafft aber nicht das erwünschte Ergebnis; sie erleichtert nur sein Zustandekommen, indem sie unterschiedliche Rechtsordnungen zur Verfügung stellt. Genügt der Tatbestand auch nur den Voraussetzungen einer dieser Rechtsordnungen, so soll das Rechtsverhältnis wirksam sein.

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bb) Alternative Anknüpfungen enthalten

Art. 11 Abs. 1; Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO: Die Formwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts wird begünstigt durch wahlweise Anknüpfung an das Recht des Abschlussortes oder das Recht des Geschäftsinhalts.

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Art. 1 Haager Testamentsformübereinkommen: Die Formwirksamkeit eines Testaments wird durch zahlreiche alternative Anknüpfungen begünstigt.

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im internationalen Deliktsrecht wird bei sog „Distanzdelikten“ (Auseinanderfallen von Handlungs- und Erfolgsort) der Geschädigte im Anwendungsbereich von Art. 40 begünstigt durch ein Bestimmungsrecht; er kann statt der Anknüpfung an das Recht am Ort der schädigenden Handlung das Recht am Ort des Eintritts des schädigenden Erfolgs zur Anwendung bringen (Art. 40 Abs. 1 S. 2, 3); vor 1999 handelte es sich um eine von Amts wegen auszuwählende alternative Anknüpfung. In Art. 4 Rom II-VO, der an den Erfolgsort anknüpft, ist ein Günstigkeitsprinzip nach Wahl des Geschädigten oder des Gerichts hingegen nicht mehr vorgesehen.

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b) Ein Sonderfall ist die alternative Zusatzanknüpfung.

aa) Tritt die gewünschte Rechtsfolge nicht nach dem primär anwendbaren Recht ein, so ist eine weitere Rechtsordnung berufen, die zur Wirksamkeit führen kann. Im Gegensatz zur alternativen Anknüpfung ist hier fraglich, ob die Anknüpfung erster Stufe erfolglos geprüft werden muss, um das in zweiter Stufe berufene Recht anwenden zu können. Häufig kann dies verneint werden: Wenn die Kollisionsnorm ein rechtliches Ergebnis anstrebt, kann dieses Ergebnis auch nach einer nur subsidiär-alternativ formulierten Zusatzanknüpfung festgestellt werden. Das gilt nicht, wenn das IPR an die Feststellung bzw Gestaltung eines Rechtsverhältnisses nach einer Rechtsordnung auch weitere Rechtsfolgen nach dieser Rechtsordnung knüpft (zB Art. 17 Abs. 1 S. 1 und S. 2 aF: der Scheidungsausspruch nach einem Recht bestimmt auch Scheidungsfolgen nach diesem Recht, so dass die vorgegebene Reihenfolge gewahrt werden muss).

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Von der subsidiären Anknüpfung (Rn 311 ff) unterscheidet sich diese Technik dadurch, dass die Subsidiarität nicht auf der Tatbestandsseite, sondern auf der Rechtsfolgenseite der Kollisionsnorm besteht: Subsidiäre Anknüpfungen greifen ein, wenn ein Anknüpfungsmerkmal nicht gegeben ist; alternative Zusatzanknüpfungen greifen ein, wenn ein berufenes Recht nicht zu dem gewünschten Erfolg führt.

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bb) Alternative Zusatzanknüpfungen finden sich vor allem im Kindschaftsrecht:

Art. 19 Abs. 1 S. 1 unterstellt die Abstammung eines Kindes primär dem Recht an dessen gewöhnlichem Aufenthalt; Art. 19 Abs. 1 S. 2 erlaubt auch die Bestimmung nach dem Heimatrecht des jeweiligen Elternteils, Art. 19 Abs. 1 S. 3 nach dem Ehewirkungsstatut der Mutter, wenn diese verheiratet ist (vgl dazu auch Rn 326 ff: bedingte alternative Anknüpfung). Begünstigt wird die Feststellung der Eltern-Kind-Beziehung als solche, dh das Ergebnis ist die Abstammung oder die Nicht-Abstammung. Die Rechtsfolgen aus dieser Beziehung sind unabhängig (Art. 21: immer nach dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt) von der Rechtsordnung, nach der die Beziehung begründet wurde. Deshalb kann, wie schon unter dem bis 30.6.1998 geltenden Recht, die Zusatzanknüpfung sogleich geprüft werden, ohne dass die Primäranknüpfung versagt hat.

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Art. 20 S. 1 unterstellt die Anfechtung der Abstammung primär dem Recht, nach dem die Abstammung besteht; mit der alternativen Zusatzanknüpfung an das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts (Art. 20 S. 2) wird die Abstammungswahrheit begünstigt. Man könnte nun denken, dass wegen der Primäranknüpfung an das Feststellungsstatut die Reihenfolge der in Art. 19 Abs. 1 berufenen Rechte doch eine Bedeutung erlangt; das trifft aber nicht zu, weil Art. 20 seinerseits keine Reihung vorsieht, sondern eine Anfechtung der Abstammung „in jedem Fall“ nach dem Recht des Aufenthaltsstaates erlaubt, also auch dann, wenn bei der Feststellung der Abstammung diese Anknüpfung „übergangen“ wurde.

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Art. 3 Abs. 1, 4 Abs. 2, 4 Haager Unterhaltsstatutprotokoll 2007 berufen zum Zweck der Begünstigung bestimmter Unterhaltsbedürftiger (Art. 4 Abs. 1 HUntStProt 2007) nacheinander das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsgläubigers, die lex fori und das gemeinsame Heimatrecht. Diese alternativen Zusatzanknüpfungen stehen aber in einem echten Subsidiaritätsverhältnis; mit der Auswahl des Unterhaltsstatuts sind nämlich immer weitere Rechtsfolgen, insbesondere die Bemessung des Unterhalts, verbunden.

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c) Alternative Anknüpfungen können auch mit Bedingungen versehen sein. In diesem Fall kann die angestrebte Begünstigung durch alternative Anwendung einer weiteren Rechtsordnung nur dann eintreten, wenn das Rechtsverhältnis einen besonderen Bezug zu dieser weiteren Rechtsordnung hat.

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Art. 13 Abs. 1 unterstellt die materiellen Voraussetzungen einer Eheschließung dem Heimatrecht jedes der Verlobten; Art. 13 Abs. 2 begünstigt die Eheschließungsfreiheit durch eine alternative Anknüpfung an deutsches Recht, falls eine Voraussetzung nach einem Heimatrecht fehlt. Diese alternative Anknüpfung greift aber nur unter den drei in Abs. 2 genannten Bedingungen.

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Art. 10 Rom III-VO begünstigt die Ehescheidungsfreiheit und die Gleichberechtigung im Zugang zur Ehescheidung durch Anwendung der lex fori, falls das reguläre Scheidungsstatut der Art. 5 und 8 Rom III-VO die Scheidung nicht vorsieht oder einem der Ehegatten aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit keinen gleichberechtigten Zugang zur Ehescheidung gewährt. Da sich einzelne Scheidungsfolgen (Unterhalt eingeschränkt nach Art. 5, 8 Abs. 1 lit. d HUntStProt 2007; Versorgungsausgleich nach Art. 17 Abs. 3 S. 1) nach dem Scheidungsstatut bestimmen, ist diese bedingte alternative Anknüpfung subsidiär zu handhaben; es kann also nicht dahinstehen, nach welchem Recht eine Ehe geschieden wird.

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Davon zu unterscheiden sind reine Rechtsbedingungen.

zB Art. 19 Abs. 1 S. 3, Rn 323: an ein Ehewirkungsstatut der Mutter kann nur angeknüpft werden, wenn die Mutter verheiratet ist.
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