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3. Sachnormverweisung als Ausnahme
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a) Art. 4 behandelt die Sachnormverweisung als Ausnahme; es ergeben sich mehrere Fallgruppen, die insgesamt einen bedeutenden Anwendungsbereich haben.
Art. 4 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 lässt den Grundsatz der Gesamtverweisung nur gelten, sofern dies dem Sinn der Verweisung nicht widerspricht. Diese Ausnahme wird eng ausgelegt; mit dem „Sinn der Verweisung“ ist nicht gemeint, dass immer schon dann eine Sachnormverweisung vorliegt, wenn die deutsche Kollisionsnorm irgendeinen Sinn hat, also bestimmte Interessen verfolgt. Das wäre immer der Fall, weil jede Anknüpfung einen Schwerpunkt bestimmen soll. Vielmehr muss ein qualifizierter Sinn der deutschen Kollisionsnorm gegen eine Gesamtverweisung sprechen.
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aa) Eindeutig ist dies der Fall, wenn ausdrücklich die Sachvorschriften einer verwiesenen Rechtsordnung für anwendbar erklärt werden (Rn 366).
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bb) Dem Sinn der Verweisung widerspricht es aber auch, wenn bei einer alternativen Anknüpfung der Begünstigungszweck (qualifizierter Sinn) vereitelt würde. Dabei ist nach zutreffender Ansicht nicht allein auf den kollisionsrechtlichen Zweck abzustellen, mehrere Rechtsordnungen berührter Staaten bereitzustellen. Der materielle Zweck, einem bestimmten Rechtsverhältnis zur Wirksamkeit zu verhelfen, wird nur durch die vordringende Ansicht[65] verwirklicht, die eine alternative Verweisung zwar auch als Sachnormverweisung wertet, jedoch einer Weiterverweisung oder Rückverweisung folgt, soweit sich dadurch der Kreis alternativ anwendbarer Rechtsordnungen erweitert. Hingegen darf der renvoi das Spektrum anwendbarer Rechtsordnungen nicht verengen.
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Ausweichklauseln sind hingegen immer Sachnormverweisungen. Wo die Kollisionsnorm zur Erreichung von Einzelfallgerechtigkeit die Abweichung von der typisierten primären Anknüpfung erlaubt, geschieht dies, um eine andere – im Einzelfall angemessenere – materielle Rechtsordnung einzubringen, nicht aber, um dem fremden IPR die Verweisung zu überlassen.
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cc) Wird ein Rechtsverhältnis im deutschen IPR akzessorisch an ein anderes angeknüpft (zB die Leistungskondiktion im internationalen Bereicherungsrecht an das Statut der Leistungsbeziehung, Art. 38 Abs. 1; Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO), so wird damit der Zweck verfolgt, den einheitlichen Lebenssachverhalt auch rechtlich einheitlich abzuwickeln. Diesem wiederum qualifizierten Sinn widerspräche es, durch einen renvoi die akzessorisch verbundenen Teile zu zerreißen; es findet also für das Hauptstatut zwar durchaus eine Gesamtverweisung statt, soweit sie dort vorgesehen ist (also nicht beim Vertragsstatut). Die Sachnormen des Hauptstatuts gelten aber auch für die akzessorisch angeknüpfte Thematik.
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Das gilt nicht, wenn nur eine technische Akzessorietät der Anknüpfungsregeln vorliegt, so vor allem im Internationalen Familienrecht, wo Art. 14 Abs. 1 die Musterverweisung für andere familienrechtliche Statuten bedeutet. Hier geht es nur um dieselben Kriterien der Anknüpfungsleiter, nicht aber um eine volle Harmonisierung des im Ergebnis anzuwendenden Rechts; das zeigt sich schon daran, dass der Gesetzgeber in Art. 14 und 15 (vgl auch Art. 17 Abs. 1 aF) unterschiedliche Einsatzzeitpunkte verwendet.
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dd) Grundsätzlich widerspricht es auch bei einer Anknüpfung an die engste Verbindung dem Sinn der Verweisung, wenn man diese als Gesamtverweisung verstehen wollte. Wenn das deutsche Recht sich darum bemüht, durch eine Abwägung von Einzelumständen das sachnächste Recht zu ermitteln, kann es sich das Ergebnis nicht durch eine (womöglich technische) Anknüpfung des fremden IPR aus der Hand nehmen lassen.
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Das setzt aber voraus, dass die Anknüpfung an die engste Verbindung die primäre Anknüpfung des Gegenstandes im deutschen IPR ist. Handelt es sich hingegen um eine subsidiäre Anknüpfung einer unteren Stufe, so gibt das deutsche IPR damit zu erkennen, dass die Suche nach der hilfsweise engsten Verbindung nur eine Notlösung ist, die nicht beanspruchen kann, einen besonderen qualifizierten Sinn zu verwirklichen.
Art. 14 Abs. 1 Nr 3 knüpft auf fünfter Stufe an die gemeinsame engste Verbindung der Ehegatten an. Alle vorangehenden Stufen werden von abstrakten Anknüpfungskriterien bestimmt und sprechen unstreitig Gesamtverweisungen aus; Art. 14 Abs. 1 Nr 3 ist daher nicht eine von besonderem Sinn geprägte Sachnormverweisung, sondern eine äußerst hilfsweise Lösung, die erst recht Gesamtverweisung ist.[66]
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b) Schreibt die Verweisungsnorm ausdrücklich die Anwendung von Sachvorschriften vor, so ist ein renvoi ausgeschlossen. Dies kommt in drei Fallgruppen vor:
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aa) Können die Parteien das anwendbare Recht wählen (Rechtswahl), so erlaubt dies nur eine Wahl von Sachvorschriften, nicht aber eine Verweisung auf Kollisionsnormen (Art. 4 Abs. 2). Diese Einschränkung wäre nicht zwingend geboten; Rechtswahl soll vor allem Anpassung an die Rechtsverhältnisse bestimmter Rechtsordnungen erlauben; in der jeweils gewählten Rechtsordnung würde ein Gericht jedoch zuerst immer sein IPR und nicht seine eigenen Sachvorschriften auf den Fall anwenden.
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bb) Manche Kollisionsnormen sind ausdrücklich einzeln als Sachnormverweisungen bezeichnet.
Art. 12 verweist für den Schutz des anderen Vertragsteils gegen Beschränkungen der Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit auf die Sachvorschriften, Art. 11 Abs. 1 spricht von Formvorschriften im Recht eines Staates – was nur Sachvorschriften sein können. Art. 23 unterstellt Zustimmungserfordernisse dem Recht des Staates, dem das Kind angehört, was im Sinne einer Verweisung auf Sachvorschriften auszulegen ist.
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cc) Verbreitet sind Sachnormverweisungen in völkervertraglichen Kollisionsnormen. Wird zwischen Vertragsstaaten eine Anknüpfung vereinbart, so bedeutet dies eine einverständliche Wertung, dass die dadurch gefundene Rechtsordnung dem Sachverhalt angemessen ist; diese gemeinsame Wertung soll nicht durch die – wieder divergierenden – nationalen Kollisionsnormen gestört werden.
Art. 1 Haager Testamentsformübereinkommen beruft das innerstaatliche Recht; ebenso Art. 4 Abs. 1 Haager Unterhaltsstatutübereinkommen 1973; noch deutlicher Art. 12 Haager Unterhaltsstatutprotokoll 2007: „Ausschluss der Rückverweisung“.
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dd) Als Sachnormverweisungen sind grundsätzlich auch die Kollisionsnormen des EuIPR konzipiert. Schon Art. 15 EVÜ schloss den renvoi aus, Art. 20 Rom I-VO folgt dem, ebenso Art. 24 Rom II-VO (Rn 373), Art. 11 Rom III-VO und Art. 32 EU-EheGüterVO und ELP-GüterVO. Hingegen folgt Art. 34 EU-ErbVO einem eingeschränkten renvoi: Führt die allgemeine gesetzliche Verweisung auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers (Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO) in einen Drittstaat, so ist dessen IPR anzuwenden, wenn es auf das Recht eines Mitgliedstaats verweist (was die Annahme dieser Quasi-Rückverweisung impliziert) oder auf das Recht eines weiteren Drittstaates, der sein eigenes Recht anwenden würde. Dies ist ein nicht ganz gelungener Versuch, einen renvoi unter Ausschluss der zweiten Weiterverweisung anzuordnen: Spricht der erste Drittstaat eine Sachnormverweisung in den zweiten Drittstaat aus, so wäre es systematisch richtig, das IPR des Drittstaates nicht anzuwenden.
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c) Ob Verweisungen für außervertragliche Schuldverhältnisse Gesamtverweisungen oder Sachnormverweisungen aussprechen, war jedenfalls bis zur Kodifikation dieses Bereichs 1999 unklar. Der BGH hatte in seiner grundlegenden Entscheidung zur Auflockerung der Tatortregel im Deliktsstatut offen gelassen, ob die Tatortregel selbst eine Gesamtverweisung ausspricht.[67] Seit der Regelung des IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse in Art. 38 ff ohne einen ausdrücklichen Ausschluss der Gesamtverweisung (wie ihn für das vertragliche Schuldrecht Art. 35 aF vorsah) wird Art. 4 Abs. 1 auf die Grundsatzanknüpfungen im Bereicherungs-, GoA- und Deliktsstatut angewendet (Art. 38 Abs. 2, 3; Art. 39 Abs. 1; Art. 40 Abs. 1[68], 2).
Bedeutsam wurde das vor dem 11.9.2009 vor allem, wenn am Ort eines Straßenverkehrsunfalls das Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht[69] galt, das primär an die Fahrzeugregistrierung anknüpft.
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Sachnormverweisungen sprechen hingegen die akzessorischen Anknüpfungen aus (Art. 38 Abs. 1; Art. 39 Abs. 2); eine nachträgliche Rechtswahl bestimmt ebenfalls die Sachnormen. Sachnormverweisungen ergeben sich auch, wenn nach Art. 41 wegen einer wesentlich engeren Verbindung von den Grundsatzanknüpfungen abgewichen wird.
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Art. 24 Rom II-VO behandelt hingegen alle Verweisungen für außervertragliche Schuldverhältnisse als Sachnormverweisungen.