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Zweites Kapitel
Über Stock und Stein

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Am nächsten Morgen kurz vor Sonnenaufgang trafen sich Martin und Lucas vor dem Gasthaus Zum schwarzen Eber. Martin zog seinen Freund in die Schatten des Eingangs. „Bereit zum Aufbruch?“

Tief durchatmend nickte Lucas. „Sicher. Ich habe mich schweren Herzens von Juliana verabschiedet. Es gefällt mir nicht, sie so lange nicht zu sehen.“

Ihm fiel auf, dass Martin erneut den schwarzen Umhang mit allerlei Ausbeulungen trug.

„Was zur Hölle“, fragte er amüsiert, „hast du bloß unter diesem Umhang? Deinen Reiseproviant?“

Nervös kratzte sich Martin im Nacken. „Fast. Jedenfalls alles, was ich unterwegs benötige.“

Lucas runzelte die Stirn, verkniff sich aber eine weitere Stichelei.

Sie schwiegen, bis sie den Stall für die Fuhrwerke erreichten. Er war an das Westtor der Stadt gebaut und bot reichlich Platz für die Handelswagen der Kaufleute. Zu seiner Beruhigung stellte Lucas fest, dass ihr Auftraggeber bereits vor den Stallungen auf sie wartete. Erasmus hatte alles vorbereitet. Er stand neben einem massiven vierrädrigen Wagen, auf dessen Ladefläche eine Vielzahl von großen Fässern getürmt und mit Seilen befestigt war. Die Pferde waren schon angespannt. Unruhig traten die zwei große schwarze Hengste mit breiten Hufen auf der Stelle und schnaubten durch ihre Nüstern.

„Nur zwei“, raunte Lucas in Martins Ohr. „Mit denen müsste ich fertig werden.“

Der Händler begrüßte die beiden überschwänglich und schüttelte ihre Hände. „Guten Morgen! Guten Morgen! Das hier ist mein Fuhrwerk. Sind es nicht prächtige Tiere?“

Martin umrundete die nervösen Hengste, sah ihnen in die Mäuler und zurrte am Geschirr. „Es sind kräftige Pferde, aber sie scheinen mir etwas wild zu sein. Hoffentlich werden sie die Reise überstehen.“

„Natürlich werden sie das! Sie sind zäh und ausdauernd!“, ergänzte Erasmus. „Sie sind aus meiner eigenen Zucht.“

An Lucas gewandt, fügte er hinzu: „Wollt ihr euch nicht auch von der Güte meiner Hengste überzeugen?“

„Nicht nötig.“ Lucas strich sich mit der Hand über seine roten Bartstoppeln. „Ich vertraue der Meinung meines Partners.“

„Ah, ihr habt recht.“ Der Kaufmann rieb sich die Hände. „Vertrauen ist unter Geschäftsleuten unerlässlich. Nun zu euren Anweisungen, damit ihr rasch aufbrechen könnt. Die zwanzig Fässer mit meinem Rum gehen in den Hafen von Falkenberg. Mein Käufer ist Kapitän Scharfzahn. Er betreibt ein Handelshaus im Hafen, wird die Ware mit seinen Leuten entgegen nehmen und weiter verschiffen. Fragt im Hafen nach ihm und liefert die Fässer dort ab.“

„Und die Entlohnung?“, wollte Lucas wissen.

„Kein Problem. Kapitän Scharfzahn wird euch den Erhalt der Ware quittieren. Dann fahrt ihr zu meinem Unterhändler Sewolt im Kaufmannsviertel und lasst euch von ihm bezahlen. So ist es vereinbart. Hier ist eure Anzahlung.“

Er drückte Lucas einen prall gefüllten Lederbeutel in die Hand. Wortlos warf Lucas den Beutel Martin zu, der ihn verdutzt auffing.

„Wollt ihr etwa nicht nachzählen?“, bemerkte der Händler verblüfft.

„Nein.“

Martin blinzelte. „Nicht?“

„Nein“, brummte Lucas durch die Zähne. „Selbstverständlich nicht, Herr Erasmus. Wir vertrauen euch voll und ganz. Schließlich überlasst ihr uns euer Gespann und die Ware. Da ist es nur fair, dass wir euer Vertrauen erwidern.“

„Das gefällt mir!“, rief der Händler zufrieden. „Ich wünsche euch eine gute Reise!“

Lucas nahm auf dem Kutschbock Platz, Martin setzte sich neben ihn, ergriff die Zügel und zog behutsam daran. Unwillig wieherten die Hengste, bäumten sich auf und traten scheu auf der Stelle.

„Die Pferde müssen sich erst beruhigen, bevor wir losfahren können“, sagte Martin zu Lucas.

„Das sehe ich“, meinte Lucas ungeduldig. „Vielleicht klappt es hiermit.“

Aus den Augenwinkeln sah Martin, wie Lucas aufstand, eine Peitsche nahm, die seitlich am Kutschbock angebracht war, und sie in hohem Bogen über den Kopf schwang.

„Nicht!“, schrie Martin schockiert. „Mach das nicht!“

Doch es war zu spät. Ohrenbetäubend knallte die Peitsche in der Luft. Das plötzliche Geräusch erschreckte die Zugpferde und ließ sie aus dem Stand lospreschen. Mit einem solchen Ruck setzte sich der Wagen in Bewegung, dass Martin verdutzt die Zügel freigab. Lucas riss es von den Beinen, er purzelte nach hinten und prallte schmerzhaft gegen die vertäuten Fässer. In hohem Bogen segelte die Peitsche durch die Luft und landete im Sand, während das Gespann in halsbrecherischem Tempo um eine Straßenecke und durch das Stadttor hinaus jagte.

Hustend blieb Erasmus im aufgewirbelten Staub zurück. Er trat vor, sammelte die Peitsche vom Boden auf und betrachtete sie nachdenklich.

„Möge eure Reise gut und so ereignislos wie möglich sein, meine Herren - in unser aller Interesse.“

Mit dem verschlagenen Lächeln eines Fuchses sah er der Staubwolke nach, die rasch in der Ferne verschwand.


„Die Zügel, die Zügel!“ schrie Martin panisch. „Wo sind die Zügel?“

Der Wagen donnerte über die Brücke des Stadtgrabens und schepperte anschließend über die Große Straße des Westens. Sie verlief quer durch das Hohe Fürstentum Falkenstein, von Ost nach West, und verband das Herzogtum Eberbach mit der Hauptstadt Falkenberg an der fernen Westküste. Lucas seufzte, denn ihm schoss nochmals der Gedanke durch den Kopf, dass ihm eine sehr weite Reise bevorstand und er Ostwall und vor allem Juliana für eine lange Zeit vermissen würde – ein Umstand, den er irgendwie verdrängen musste. Rasch schüttelte er den Gedanken ab und konzentrierte sich wieder auf sein Vorhaben.

„Hast du sie?“ Martins Stimme überschlug sich.

„Glaubst du, ich würde hier noch herumkriechen, wenn ich sie hätte?“, stöhnte Lucas.

Er krabbelte auf der Achse des Wagens zwischen den beiden Pferden entlang, die noch immer mit hoher Geschwindigkeit über die Straße preschten. Der Wagen flog beinahe hinter ihnen her, während es in den Fässer beständig gluckerte. Stück für Stück kroch Lucas vorwärts, die Zügel vor Augen. Er streckte die rechte Hand aus und berührte sie mit den Fingerspitzen. Da erschütterte ein dumpfer Schlag das Gespann. Das linke Vorderrad hob kurz ab und krachte wieder auf die Straße. Die Fässer schlugen gegeneinander, die Halteseile knirschten und spannten sich, schienen aber noch zu halten. Martin und Lucas wurden durchgeschüttelt, Lucas verlor das Gleichgewicht und rutschte mit einem Schrei von der Achse. Mit Leibeskräften klammerte er sich an das Holz, spürte dennoch ein Schleifen und einen brennenden Schmerz am Rücken. In voller Fahrt hatte sein Körper die Straße berührt. Rasch zog er sich hoch, während Schweiß von seiner Stirn rann und in den Augen brannte, doch er schaffte es, zurück auf die Achse zu klettern. Nach Atem ringend sah er sich nach den Zügeln um. Sie lagen noch immer auf der Achse, ein gutes Stück weiter entfernt.

„Was war das?“, rief ihm Martin zu. „Das war übel!“

Lucas knurrte vor sich hin, mehr zu sich selbst als zu seinem Freund. „Woher soll ich das wissen? Ein Stein, ein Ast oder was sonst noch alles auf der Straße liegt.“

„Beeil dich, Lucas! Wer weiß, wie viele solcher Schläge der Wagen aushält!“

„Wer weiß, wie viele ich hier vorn aushalte!“

Erneut robbte er vorwärts, langsam, vorsichtig, sorgfältig, und schließlich erreichte er die Zügel. Er nahm den Lederriemen zwischen die Zähne, schob sich behutsam zurück, erklomm den Kutschbock und reichte ihn Martin.

„Ho, ho!“ rief Martin und zerrte kraftvoll an den Zügeln. Tatsächlich wurden die schwarzen Hengste langsamer und schienen sich nach und nach zu beruhigen. Martin zog etappenweise, bis die Tiere in einen lockeren Trab verfielen und ein gemütliches Tempo anschlugen.

Lucas wischte sich den Schweiß von der Stirn, rieb sich den schmerzenden Rücken und spürte kleine Löcher in seinem Hemd an den Stellen, welche die Straße berührt hatten. „Das war ganz schön knapp.“

„Allerdings!“, ereiferte sich Martin. „Unglaublich war das! Verrückt und lebensmüde! Wie konntest du nur mit der Peitsche knallen!“

Trotzig verzog Lucas die Mundwinkel. „Gut, ich gebe zu, dass es ein Fehler war. Es tut mir leid, ich dachte, wir würden auf diese Weise endlich vorankommen. Und es hat geklappt.“

„Wir hätten uns beinahe das Genick gebrochen!“, fuhr ihn Martin mit geröteten Wangen an.

„Haben wir aber nicht.“

„Aber viel hat nicht gefehlt! Du hast mehr Glück als Verstand!“

Lucas lachte und zuckte mit den Achseln. „Auf mein Glück konnte ich mich schon immer verlassen. Nimm es nicht zu ernst. Es ist doch alles gut gegangen.“

„Du hast dich überhaupt nicht geändert.“ Säuerlich sah ihn Martin von der Seite an. „Du bist leichtsinnig und waghalsig wie früher!“

„Ich dachte, deswegen magst du mich?“, entgegnete Lucas bissig. „Was soll ich sagen? Ich bin eben nicht so vorsichtig und zurückhaltend wie du.“

„Nein, du bist immer noch ein Draufgänger! Du hast nichts dazugelernt! Wir können froh sein, dass wir diesen Höllenritt überlebt haben!“

„Ich bin sehr froh, dass auch ich überlebt habe“, erklang eine Stimme aus dem hinteren Teil des Wagens.

Entsetzt fuhren die beiden Freunde herum und blickten in das bärtige Gesicht eines kleinen dicken Mannes, das verängstigt und blass wirkte.

„Der Schwarzmagier!“, schrien Martin und Lucas gleichzeitig. Abrupt zog Martin an den Zügeln. Die Pferde wieherten ungehalten und kamen zum Stehen.

Ehe der Mann sich rühren konnte, hatten sie ihm ein Schwert und einen Dolch an die Kehle gesetzt. Unterwürfig hob er die Hände.

„Ach du Schande!“, setzte Lucas hinzu. „Was zum Geier macht ihr denn hier? Wie kommt ihr auf diesen Wagen?“

„Mit Verlaub, meine Herren“, entgegnete der beleibte Mann, der mehr Haare im Gesicht als auf dem Kopf sein Eigen nennen konnte, „ich bin kein Schwarzmagier, bitte, glauben sie mir.“

„Tun wir nicht“, meinte Lucas und grinste, „aber fahrt fort. Ich hoffe nicht, dass Schwarze Magie eure Erklärung sein wird.“

„Nein, nein! Wirklich nicht! Es war ganz anders. Vielleicht haben sie mitbekommen, dass ich am gestrigen Abend…nun…äh…etwas unsanft das Gasthaus verlassen musste?“

Lucas nickte. „Etwas.“

„Etwas?“

„Etwas haben wir schon davon mitbekommen. Es war weder zu übersehen noch zu überhören. Weiter.“

„Ah…nun, ich war danach ganz erschöpft und sank in einem Stall auf das Heu nieder. Halb schlafend hörte ich, wie zwei Männer den Stall betraten und sich darüber unterhielten, dass dieser Wagen am nächsten Tag mit zwei neuen Fuhrleuten nach Falkenberg fahren sollte. Einer war dieser Kaufmann aus dem Gasthaus und...“

„Erasmus“, unterbrach ihn Martin.

„Namen wurden nicht genannt. Den einen hatte ich schon vorher mit euch gesehen, den anderen kannte ich nicht. Seiner Kleidung nach wird er wohl auch zu den reichen Kaufleuten gehören. Jedenfalls sah ich darin meine Chance. Mein Geld hatte ich verloren, deshalb versteckte ich mich hinten im Wagen unter einer Decke, um nach Falkenberg mitzufahren. Dort will ich hin.“

„Irrtum“, bemerkte Martin mit schmalen Augen. „Für euch ist hier Endstation. Ihr steigt aus.“

Die Augen des kleinen dicken Mannes weiteten sich vor Schreck. „Aber, aber, meine Herren! Ich bitte euch, ihr könnt mich doch nicht in der gefährlichen Wildnis aussetzen.“

Lucas lächelte kalt. „Was spricht dagegen?“

„Ich…äh…ich könnte umkommen. Außerdem kann ich euch von großem Nutzen sein. Wirklich, ich bin kein Schwarzmagier, wirklich nicht…wirklich nicht...“

„Das ist mir mindestens ein Wirklich zu viel, um euch zu glauben.“

„Wie heißt ihr und wo kommt ihr her?“, bedrängte ihn Martin. „Eurem Akzent nach seid ihr nicht aus Falkenstein.“

„Ich heiße Sokrates Papadopoulos und komme aus Salakis, einem fernen Land weit hinter den Schwarzen Bergen, wie ihr sie nennt.“

„Warum seid ihr über die Berge zu uns gereist?“

Der dicke Mann seufzte. „Das ist eine lange und traurige Geschichte. Wenn ihr wollt, erzähle ich sie euch von Anfang...“

„Nein, danke“, unterbrach ihn Lucas ungeduldig, „ein anderes Mal vielleicht.“

„Oder besser nie“, knurrte Martin. „Wenn ihr kein Schwarzmagier seid, wie ihr behauptet, wovon ich aber überzeugt bin, was seid ihr dann?“

„Ein Runenmeister.“

„Was für ein Meister? Was soll das sein?“

„Ich bin ein Handwerker“, versuchte der kleine Mann zu erklären, „ein Künstler. Runenmeister scheinen bei euch nicht bekannt zu sein. Wir schreiben magische Runen auf Gegenstände und verleihen ihnen dadurch eine Zauber.“

„Also doch ein Schwarzmagier!“, entfuhr es Martin.

„Nein, nein, wirklich nicht!“, rief Sokrates schwitzend. „Glaubt mir doch, ich kann euch sehr nützlich sein!“

„Danke, kein Interesse.“ Martin presste die Lippen zusammen. „Ihr könntet ebenso gut sehr gefährlich sein. Auf das Risiko verzichten wir lieber. Außerdem scheint ihr nicht zu wissen, dass Zauberei in Falkenstein seit langer Zeit verboten ist, seit der Hohe Fürst den Zirkel der Zauberer aufgelöst hat. Also, hütet eure Zunge oder man wird sie euch stutzen.“

„Verboten?“ Sokrates geriet leicht in Panik. „Wie kann man Magie verbieten? Das ist ungeheuerlich, barbarisch geradezu!“

„Nennt es, wie ihr wollt“, gab Martin barsch zurück, „aber steigt ab und macht euch davon!“

„Wartet, so wartet doch! Bitte setzt mich hier nicht aus! Nicht hier, ihr könntet mich doch nur ein Stück mitnehmen…vielleicht…bis zum nächsten Gasthaus oder Dorf, an dem ihr vorbei kommt. Das würde mir schon helfen, ich würde mich auch erkenntlich zeigen.“

„Wie?“ Nachdenklich knete Lucas seine Oberlippe. „Wie wollt ihr euch erkenntlich zeigen?“

„Hiermit zum Beispiel.“ Der bärtige Mann aus dem fernen Land Salakis kramte in seiner Manteltasche und holte einen schwarzen Stein hervor, in den ein einzelnes Symbol gemeißelt war. „Das ist eine Rune des Feuers. Ihr könnt sie zum Beispiel jeden Abend benutzen, um ein Lagerfeuer zu entfachen.“

„Jeden Abend? Bei Wind und Wetter?“

„Ja, sie ist sehr zuverlässig und ihre Magie ist langlebig.“

Martin winkte ab. „Vergesst es. Das ist Teufelszeug! Hier wird nicht gefeilscht! Runter vom Wagen!“

Lucas hob einen Zeigefinger. „Ich hätte daran Interesse.“

„Was?“ Mit großen Augen glotzte Martin Lucas an. „Einen Moment!“

Er sprang vom Kutschbock, packte seinen Freund am Kragen und nahm ihn ein Stück zu Seite.

„Bist Du übergeschnappt? Was soll das? Was willst du mit dem Hexenwerk?“

Gier funkelte in Lucas' Augen. „Wir könnten noch ein bisschen Geld nebenbei verdienen. Runensteine sollen selten und sehr wertvoll sein. Ich habe noch nie einen gesehen, aber schon viel darüber gehört. Wir könnten den Stein in Falkenberg teuer verkaufen.“

„Ach ja?“ Martin war genervt. „Wertvoll? Das mag sein, aber bestimmt auch gefährlich.“

Er verzog das Gesicht und deutete mit dem Finger auf Sokrates. „Genau wie sein Besitzer. Willst du ihn tatsächlich mitnehmen? Der komische Geselle könnte uns im Schlaf erdolchen oder uns Schlimmeres antun mit seinem magischen Firlefanz.“

„Martin, beruhige dich“, sagte Lucas und lächelte milde. „Schau ihn dir genau an. Hälst du ihn wirklich für gefährlich? Denk an gestern Abend, an diese Szene in der Kneipe. Der Mann ist an Harmlosigkeit nicht zu überbieten. Ihn gegen Geld mitzunehmen, halte ich für ein gutes zweites Geschäft.“

„Das ist Zauberkram! Wenn wir mit dem Runenstein erwischt werden, hängen wir am nächsten Baum!“

„Und? Das Wagnis gehe ich fast jeden Tag ein. Was glaubst du, was geschieht, wenn ich bei einem Einbruch erwischt werde? Außerdem sieht das Ding wie ein ganz normaler Stein aus. Wer weiß schon, dass er verzaubert ist? Eine wertvolle Rune für eine kurze Fahrt zum nächsten Gasthaus sollten wir uns nicht entgehen lassen.“

Martin starrte ihn an. In stetem Wechsel huschten seine Augen von Lucas zu Sokrates und wieder zurück. Beinahe konnte Lucas die Gedanken durch seinen Kopf schwirren hören und unschwer erraten, womit sie sich beschäftigten.

„Ach, zum Teufel noch eins!“, rief Martin schließlich. „Von mir aus! Er kann mitfahren, aber nur bis zum nächsten Gasthaus. Kein Radumdrehung weiter!“

„Danke, ich danke euch!“, entfuhr es Sokrates. Schwerfällig hüpfte er vom Wagen und wollte Martins Hand ergreifen. Doch Martin verschränkte abweisend die Arme vor der Brust. Statt dessen ergriff der Runenmeister Lucas' rechte Hand und schüttelte sie kräftig durch. „Ich seid sehr gütig.“

„Nicht ohne Gegenleistung.“ Fordernd streckte ihm Lucas die freie Hand entgegen.

Sokrates aber rümpfte die Nase und zog sich wieder auf den Wagen zurück. „Noch nicht, meine Herren! Die Rune ist zu wertvoll, um sie als Vorschuss herzugeben. Wenn ihr mich zum Gasthaus gebracht habt, sollt ihr sie haben.“

„Darauf könnt ihr euch verlassen“, knurrte Martin. „Wenn ihr sie dann nicht herausrückt, werde ich mit meinem Schwert nachhelfen.“

Drohend wandte er sich an Lucas. „Ich hoffe für dich, dass wir mit dem Kerl keine unangenehmen Überraschungen erleben. Das Ganze könnte ein Geschäft zu viel sein.“

Er schob Lucas auf das Gespann zu, doch sein Freund drückte seinen Arm zur Seite.

„Warte! Bei der Gelegenheit können wir uns gleich einmal ansehen, ob wir keinem Schwindel aufgesessen sind.“

„Was meinst du?“, fragte Martin verwirrt.

Lucas klopfte gegen ein Rumfass. „Nun, wer weiß, was wirklich in diesen Fässern ist? Am besten wir sehen nach, bevor wir weit von Ostwall entfernt sind, damit die Fahrt nicht umsonst ist. Komm, pack mit an!“

Unter Sokrates' neugierigen Blicken lösten sie die Halteseile und hievten ein Fass vom Wagen. Lucas zog den Holzstopfen aus dem Loch des Fasses, sah hinein und roch daran.

„Es riecht wie Rum.“

Er steckte einen Zeigefinger durch das Loch, zog ihn wieder heraus und leckte ihn ab.

„Es schmeckt auch wie Rum.“

Martin probierte ebenfalls ihre Ware. „Eindeutig Rum, ziemlich guter sogar. Es scheint mir, als ob Erasmus zurecht stolz auf seinen Wintertraum ist.“

„Darf ich auch davon kosten?“ Genüsslich fuhr sich Sokrates mit der Zunge über die Lippen. „In meiner Heimat legen wir viel Wert auf einen köstlichen Trunk, vor allem ist Salakis für seine Weine bekannt.“

„Auf keine Fall!“, bestimmte Martin. „Wer weiß, was du mit deinen Händen anrichten kannst, Schwarzmagier! Womöglich geht unsere kostbare Ware in Flammen auf!“

Mürrisch folgte er Lucas, der mit einem Kopfschütteln zurück auf den Kutschbock kletterte und die Pferde antrieb, während Sokrates' enttäuschter Blick auf ihnen ruhte.

Zwanzig Fässer westwärts

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