Читать книгу Zwanzig Fässer westwärts - Thomas Staack - Страница 7

Viertes Kapitel
Meinungen

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„Das darf nicht wahr sein!“, murmelte Martin launisch. Er saß auf dem Kutschbock und lenkte das Gespann die Straße entlang. Lucas hockte neben ihm, während Sokrates auf der Ladefläche neben den Fässern ein Nickerchen hielt und zufrieden schnarchte. Den Wagen und die Pferde hatten sie unberührt unter den Bäumen wiedergefunden und sogleich ihren Weg nach Falkenberg fortgesetzt.

Lucas sah Martin fragend an, Martin deutete mit dem Kopf nach hinten.

„Dieser Hund läuft uns schon den ganzen Tag nach. Das ist alles deine Schuld!“

Abwehrend hob Lucas die Hände. „Was kann ich dafür?“

„Du hast ihn gefüttert!“

„Ja und?“

„Er hat nicht nur den Knochen, sondern auch einen Narren an dir gefressen.“

„Hätte ich ihm lieber dich zum Fraß vorwerfen sollen?“

„Lenk nicht vom Thema ab!“

Lucas verzog das Gesicht. „Ich dachte, das ist das Thema. Ich konnte doch nicht ahnen, dass er uns folgen würde, noch dazu so hartnäckig. Ich bin schließlich kein Hellseher.“

„Selbstverständlich hättest du es voraussehen können.“ Martin grunzte unwirsch. „Man füttert keine fremden Tiere, das weiß jeder. Jetzt unternimm etwas! Der Hund geht mir auf die Nerven und macht die Pferde nervös.“

„Kannst du nicht schneller fahren?“, fragte Lucas hoffnungsvoll.

„Nein, kann ich nicht. Es würde auch nicht helfen, ich habe es vorhin schon versucht. Das ist ein ungewöhnlich schnelles und zähes Tier.“

Lucas kratzte sich die roten Bartstoppeln und legte die Stirn in Falten. Er drehte sich um und betrachtete den großen Hund, der in einiger Entfernung hinter dem Wagengespann lief und immer noch den Knochen im Maul trug.

„Was sollen wir deiner Meinung nach machen?“

„Ho, ho!“, rief Martin und zog an den Zügeln, bis die Pferde zum Stehen kamen. Streng sah er seinem Freund in die Augen. „Nicht wir, sondern du! Du wirst diesen Hund los und zwar sofort! Mir ist egal, wie du es anstellst. Die Hauptsache ist, dass er verschwindet. Ich stehe nicht auf große Hunde und der da hinten ist besonders groß und besonders unheimlich.“

„Verstehe“, seufzte Lucas und sprang vom Wagen. Der Hund kam rasch näher. Lucas schüttelte den Kopf und ging ihm ein paar Schritte entgegen. Als das Tier ihn erblickte, rannte es auf ihn zu, dann stoppte es und ließ den Knochen vor seine Füße fallen. Es setzte sich auf die Hinterpfoten und bellte kurz. Lucas musste lächeln und hob beschwichtigend die Hände.

„Hallo, also...äh...hör mal. Warum folgst du uns? Wir können dich wirklich nicht gebrauchen. Du solltest zu deinen Herren zurückkehren. Geh, geh zurück!“

Er vollzog eine wegwerfende Handbewegung. Doch der Hund blieb unbeeindruckt sitzen und wedelte mit dem Schwanz. Hechelnd spannte er die ausgeprägten Muskeln. Nachdenklich legte Lucas den Kopf schief, einen Zeigefinger auf den Mund und betrachtete den Hund eingehend. Sein kurzes braunes Fell wies schwarze Streifen auf, die ein deutliches Muster auf seinen Rücken zeichneten. Er hatte spitze Ohren, eine flache Schnauze und gewaltige Zähne im Maul, aus dem gerade die Zunge heraushing. Gebannt blickte Lucas in wachsamen Augen, in denen er sich selbst spiegelte und die in einem tiefen Blau schimmerten, das ihm noch nie bei einem Tier aufgefallen war.

Auch der Hund legte den Kopf schief und winselte, als wollte er Lucas' Verhalten nachahmen. Lucas musste lachen. Ratlos schüttelte er sich und faltete die Hände hinter dem Kopf.

„Was soll ich nur mit dir anfangen? Ich habe doch gar keine Verwendung für einen Hund.“

Abrupt erhob sich das Tier und bellte lautstark. In einer einzigen fließenden Bewegung sprang es Lucas an. Die Wucht des Aufpralls schleuderte ihn zu Boden, schmerzhaft landete er auf dem Rücken, während der Hund die Pfoten auf seine Schultern stellte und ihn niederdrückte.

Lucas brach der Schweiß aus. Er fürchtete, der Hund würde ihm im nächsten Moment die Kehle durchbeißen. Innerlich verfluchte er sich, dass er nichts von Hunden verstand und die Gefahr nicht vorausgesehen hatte. Das große Tier öffnete das Maul, seine Reißzähne blitzten im Sonnenlicht. Dickflüssiger Speichel tropfte auf Lucas' Brust. Dann schnellte eine lange Zunge hervor und leckte ihm das Gesicht. Langsam, ganz langsam zeichnete sich ein Lächeln in Lucas' Mienenspiel. Die riesige Zunge, die immer und immer wieder über sein Gesicht streichelte, löste bei ihm nicht nur einen Juckreiz, sondern auch ungeahnte Glücksgefühle aus.

„Ah, das kitzelt!“, rief er. Überrascht stellte er fest, dass er unbewusst begonnen hatte, den Hund mit beiden Händen hinter den Ohren zu kraulen. Dem Vierbeiner gefiel das sichtlich. Er legte den Kopf in den Nacken und grunzte zufrieden. Lucas war überwältigt und kraulte auch noch den Hals und den Rücken des Tieres.

„Gefällt dir das?“, fragte er amüsiert. „Aber sicher gefällt dir das!“

Nun machte es sich der Hund vollends auf Lucas gemütlich und legte den gesamten Körper auf dessen Brust.

Lucas keuchte. „Meine Güte, bist du ein schwerer Junge!“

Stöhnend schob er den Hundekörper auf die Seite und stand auf.

„Komm!“, sagte er begeistert. „Komm mit mir!“

Träge erhob sich das Tier und beobachtete ihn. Lucas ging zurück zum Wagen und kletterte auf den Kutschbock, der Hund folgte ihm bedächtig.

„Komm!“, rief Lucas erneut und klopfte sich auf den Oberschenkel. Unschlüssig musterte ihn das Tier, während Martin wortlos den Mund auf und zu klappte. Doch bevor er einen Einwand erheben konnte, ging der Hund einige Schritte rückwärts und sprang mit einem gewaltigen Satz auf Lucas' Schoß, der durch den Schwung beinahe zur Seite kippte.

„Braver Junge, sehr gut gemacht!“, lobte er und streichelte den Rücken des Vierbeiners.

Inzwischen stand Martins Mund weit offen. Ungläubig sah er von Lucas zum Hund und zurück.

„Das kann nicht wahr sein!“, stieß er mühsam hervor. „Das kann auch nicht dein Ernst sein! Hast du mich nicht verstanden?“

Lucas grinste und überhörte die Frage. „Das ist Martin, ein guter Freund von mir.“

„Nicht mehr lange!“

Der Hund blickte Martin in die Augen und hielt die Schnauze dicht vor seine Nase. Er beschnüffelte ihn ausgiebig, dann leckte er sein Gesicht ab.

Lucas musste lachen, Martin hingegen zog angewidert die Mundwinkel hoch, wischte sich den Speichel aus dem Gesicht und trieb griesgrämig die Pferde an.

Und während sich der Wagen wieder in Bewegung setzte, war noch immer das selige Schnarchen des Runenmeisters zu hören.


„Ich fasse es immer noch nicht, dass du dieses Tier mitgenommen hast!“ Entnervt rollte Martin mit den Augen.

„Aus, aus!“, rief Lucas verzweifelt. „Lass ihn los, Hund!“

Aus dem hinteren Bereich des Wagens war ein Röcheln zu hören, das von Sokrates stammte. Kaum war der Runenmeister aus seinem Tiefschlaf erwacht, hatte der Hund bösartig geknurrt, ihn niedergeworfen und seine Fänge um Sokrates' Kehle gelegt.

„Lass ihn in Ruhe! Wir brauchen ihn noch!“ Lucas kratzte sich am Kopf. „Obwohl...wenn ich es mir recht überlege...brauchen wir ihn wirklich?“

„Lucas!“, schrie ihn Martin an. „Ruf diesen Hund zurück!“

„Ich versuche es doch.“ Er kramte in der Ausrüstung der Kopfgeldjäger herum. „Ah, hier.“

Einer Tasche entnahm er einen üppigen Rinderknochen und hielt ihn dem Tier vor die Schnauze.

„Schau mal, etwas Leckeres für dich,“ säuselte er und zog den großen Hund an der Schulter zurück.

Vergnügt jaulte das Tier, ließ von Sokrates ab und schnappte sich den Knochen. Seine Kiefer zermalmten ihn in wenigen Zügen. Schwerfällig richtete sich Sokrates auf, rang nach Luft und rieb sich den geröteten Hals.

„Bei allen Gottheiten“, krächzte er. „Was ist das für eine Höllenbestie? Beinahe hätte sie mich umgebracht. Schickt sie fort!“

Martin nickte. „Ganz meine Meinung.“

„Das kommt nicht in Frage!“ Unbeirrt schüttelte Lucas den Kopf. „Der Hund muss sich nur ein bisschen an uns gewöhnen. Bestimmt wollte er nur spielen.“

Er klopfte dem Tier auf den Rücken und warf Sokrates einen missbilligenden Blick zu. „Offensichtlich mag er keine Schwarzmagier. Das kann ich ihm nicht verübeln.“

Nachdenklich massierte Martin seine Schläfen. „Das wiederum macht ihn mir sympathisch. Vielleicht sollten wir ihn doch behalten. Außerdem weiß ich, was für ein unerträglicher Dickkopf du sein kannst, wenn es darum geht, deinen Willen durchzusetzen. Darunter mussten schon deine Eltern leiden. Wenn du den Hund unbedingt dabei haben willst, dann soll es so sein.“

Er setzte Lucas die Faust auf die Brust. „Aber du bist für ihn verantwortlich! Pass gefälligst auf, dass er uns nicht allen im Schlaf die Kehle durchbeißt!“

Sokrates erhob die Armen zum Himmel. „Die Götter mögen uns gnädig sein!“

Belustigt rieb sich Lucas das Kinn. „Ich sollte ihm einen Namen geben.“

„Höllenbestie“, schlug Sokrates vor.

„Menschenfresser?“, warf Martin spöttisch ein.

Lucas wiegelte ab. „Unsinn.“

Er dachte angestrengt nach. „Flohfänger vielleicht? Wie gefällt dir das?“

Der Vierbeiner knurrte angsteinflößend.

„Gut, gut“, meinte Lucas. „Das ist kein schöner Name, ich gebe es zu.“

Er kratzte sich am Hinterkopf. „Staubteufel?“

Erneut knurrte das Tier und fletschte die Zähne so bedrohlich, dass Martin und Sokrates ein Stück von ihm wegrückten.

Lucas hingegen nickte verständnisvoll. „Auch nicht besser. Namen waren nie meine Stärke, musst du wissen. Ich kann sie mir nicht einmal merken. Mein Großvater Fritz war ganz anders. Er hatte ein überragendes Namensgedächtnis und konnte sich an Menschen erinnern, die...“

Ein freudiges Bellen des Hundes unterbrach ihn.

„Was ist?“ Lucas war verstört. „Magst du etwa den Namen Fritz?“

Das Tier kläffte zweimal. Es klang zufrieden.

„Gern“, stimmte Lucas zu und grinste breit. „Dann werde ich dich Fritz nennen. Das kann ich mir gut merken und mein seliger Großvater wird wohl nichts dagegen haben, vermute ich. Beschweren kann er sich jedenfalls nicht mehr.“

Liebevoll streichelte er das Tier im Nacken.

„Jetzt suchen sich Tiere ihre Namen schon selber aus!“ Martin zog eine Augenbraue hoch. „Du kannst einen Hund doch nicht Fritz nennen!“

„Warum nicht?“, fragte Lucas ungläubig.

„Das ist ein Name für Menschen, nicht für Tiere.“

„Und man darf Tieren keine menschlichen Namen geben?“

„Nein, auf keinen Fall.“

Lucas lächelte schief. „Warum hat dann der Bauer in unserem Heimatdorf eines seiner Schafe Martin genannt?“

„Das...war...etwas anderes....“ Martins Gesicht färbte sich rot. „Vergiss es einfach! Nenn diesen Hund, wie du willst!“

„Du trägst den Namen eines Schafs?“, fragte Sokrates nach. „In meinem Land ist das eine große Ehre, insbesondere wenn man nach einem Pferd oder einem Rind benannt wird, dann...“

„Halt die Klappe!“ schrie ihn Martin an. Er und Lucas warfen sich amüsierte Blicke zu, während sich Sokrates schmollend auf die Fässer setzte und die Hände auf das Kinn stützte.


Zwanzig Fässer westwärts

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