Читать книгу Drachensonne - Thomas Strehl - Страница 10

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Er konnte nicht mit Gewissheit sagen, wie lange er geschlafen hatte. Ein Blick durch das kleine runde Fenster des Zimmers sagte ihm nur, dass es draußen hell war.

Aber ob er nur eine halbe Stunde geschlafen hatte und es immer noch Tag war oder ob er eine Ewigkeit geruht hatte und es schon wieder hell war, wusste er nicht.

Er reckte sich vorsichtig, bewegte auch die verletzte Schulter und wunderte sich, wie gut es ihm ging.

Die Salben und Tinkturen seiner Mutter Fay waren schon immer eine Klasse für sich.

Dann richtete er sich auf, und als auch das Schwindelgefühl in seinem Kopf ausblieb, fühlte er sich kräftig genug, um aufzustehen.

Er schlüpfte in ein frisches, hellbraunes Hemd und eine Hose aus dunkelbraunem Leinen. Dann zog er die Stiefel über seine Füße und versuchte die ersten Schritte durch den Raum.

Gut, er war noch ein wenig wackelig auf den Beinen und würde heute und wahrscheinlich auch morgen noch keine Bäume ausreißen können, doch wenn er daran dachte, wie er sich vor seinem Schlaf gefühlt hatte, so war dies ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Tag und Nacht, hallte es in seinem Kopf wider. Tag und Nacht.

Er musste unbedingt herausfinden, wie lange er geschlafen und was der Volksrat entschieden hatte.

Er schlug den Vorhang zur Seite und betrat den zweiten Raum der kleinen Hütte.

Seine Mutter, die gedankenverloren vor dem großen Esstisch saß, erschrak so sehr, dass sie beinahe das kleine Gefäß aus den Händen verlor, in das sie eine Salbe abfüllte.

Sie sprang sofort auf, als sie ihren Sohn sah, zog einen der beiden Stühle heran und deutete darauf.

»Setz dich, mein Junge«, forderte sie ihn auf. »Wie geht es dir? Du hättest noch nicht aufstehen sollen.«

Jonaas wehrte ihren Wortschwall mit erhobenen Händen ab.

»Mir geht es gut«, sagte er. »Jedenfalls besser als vor meinem kleinen Schläfchen.« Er blickte seine Mutter an. »Und ich hoffe, dass es nur ein kurzes Nickerchen war, denn ich muss zur Versammlung.«

Er sah, wie seine Mutter den Kopf zur Seite neigte, und fügte ein: »Man braucht mich dort» hinzu.

Seine Mutter trat zu ihm, nahm seine Hand und zog ihn wortlos zum Stuhl. An ihrem ganzen Verhalten erkannte er, dass es keinen Grund zur Eile mehr gab.

»Wie lange habe ich geschlafen?«, fragte er leise.

»Den Abend, die Nacht und den ganzen heutigen Morgen. Es ist Mittag, mein Junge.«

»Und die Versammlung?«

»Längst vorbei.« Jonaas fiel enttäuscht auf den Stuhl.

»Und was wird jetzt passieren?«

Seine Mutter nahm ebenfalls wieder Platz, jedoch nur, um eine Sekunde später erneut aufzuspringen. Sie lief zum kleinen Herdfeuer in einer Ecke des Raumes und nahm einen tiefen Holzteller aus einem Regal. Dann füllte sie eine dampfende, zähflüssige Suppe aus einem Topf, der über der Flamme köchelte, hinein.

»Iss etwas«, sagte sie ausweichend. »Das bringt dir rasch deine Kraft zurück, du wirst sehen.«

Sie stellte die Suppe vor Jonaas auf den Tisch, reichte ihm einen Löffel, doch der Junge legte ihn nur neben dem Teller ab.

»Ich habe keinen Hunger«, sagte er. »Ich will wissen, was nun passieren wird. Was hat die Ratsversammlung beschlossen?«

Seine Mutter sah ihn über den dampfenden Teller hinweg an.

»Es ist bereits etwas passiert«, sagte sie. »Nachdem Sonka der Versammlung von den Vorkommnissen berichtet hatte, hat das Dorf beschlossen, Boten ins Land hinauszuschicken, um Unterstützung bei den anderen Völkern zu erbitten.«

Jonaas' Kopf schmerzte wieder, und er rieb sich die Schläfen, um klar denken zu können. »Was bringen Boten, die dem Schwarzen hinterherlaufen?«, fragte er höhnisch. »Der Lord hat einen riesigen Vorsprung.«

Fay nickte. »Du hast recht, wenn du sagst, dass Gradoon uns um einiges voraus ist, und doch hat Sonka eine Möglichkeit gefunden, wie er den Vorsprung wettmachen kann.« Sie räusperte sich. »Er hat die Zanthen um Hilfe gebeten, und die Gefiederten haben sofort zugestimmt. Auch sie kennen die Bedeutung des Feuers.«

Die Zanthen. Jonaas hatte überhaupt nicht mehr an die kleinen Vögel gedacht, die der Sprache mächtig waren. Normalerweise waren sie ein lustiges Volk, stets zu Späßen und Neckereien aufgelegt, doch nun schienen sie sich in der Tat als nützlich zu erweisen.

Jonaas dachte daran, wie oft einer dieser geschwätzigen Vögel ihn veralbert hatte, und erkannte ein großes Problem.

»Es gibt nicht viele Leute, die der Geschichte eines Zanthen glauben werden«, gab er zu bedenken.

Wieder nickte Fay. »Vielleicht haben wir das Glück, dass trotzdem jemand dem schwarzen Lord auflauern wird. Oder dass er merkt, dass man auf ihn achtet und er so versteckt reist, dass er nur langsam vorankommt. Langsam genug, dass Talkien und Swon ihn stellen können.«

Jonaas runzelte die Stirn. »Talkien und Swon?«, fragte er ungläubig.

Er wusste nicht, was er erwartet hatte, doch diese beiden als Antwort auf den schwarzen Lord schienen ihm etwas zu wenig.

Seine Mutter blickte ihn ernst an. »Die Versammlung hat beschlossen, den Jäger und seinen Helfer auf die Spur Gradoons zu setzen. Sie sagen: Wenn jemand den Lord aufspürt, dann sie.«

Und obwohl Jonaas den Jäger nicht leiden konnte, konnte er nicht abstreiten, dass Talkien ein begnadeter Fährtenleser war. Wer konnte der Spur also besser folgen als der erfahrene Jäger?

Und doch war der Junge mit der Entwicklung der Dinge nicht einverstanden.

»Was ist mit mir?«, fragte er. »Werde ich mit ihnen gehen? Schließlich weiß ich als Einziger genau, wie der schwarze Lord aussieht.«

Seine Mutter schob ihm erneut den Teller hin. »Iss erst einmal, bevor die Suppe kalt wird«, sagte sie, und Jonaas wusste, dass sie ihn nur ablenken wollte. Wahrscheinlich würde ihm die Entscheidung des Rates nicht gefallen.

»Was ist mit mir?«, fragte er noch einmal.

Seine Mutter blickte an ihm vorbei. »Sie sind bereits fort«, sagte sie leise. »Sie sind heute Morgen aufgebrochen.«

»Aber ...« Jonaas war fassungslos.

»Der Rat hat beschlossen, dass die Wichtigkeit der Aktion keinen Aufschub duldet. Man konnte und wollte nicht warten, bis du erwachst.«

»Du hättest mich wecken müssen«, fuhr Jonaas seine Mutter barsch an.

»Und dann?«, fragte sie ruhig. »Du bist verletzt. Ich glaube nicht, dass du in der Lage bist, tagelang im Sattel zu sitzen, um eine Spur zu verfolgen oder sogar zu kämpfen, wenn es denn so weit kommt.«

Der Junge ließ keinen Einwand zu. »Ich bin derjenige, der die Flamme verloren hat. Also muss man mir die Chance geben, sie dem Dorf wiederzubringen.«

Seine Mutter runzelte die Stirn. »Das hier ist schon lange kein persönlicher Rachefeldzug mehr«, fertigte sie ihren Sohn ab. »Es geht nicht um persönliche Eitelkeit und darum, wer hier wem was weggenommen hat. Wenn die alten Geschichten stimmen, und jeder hier glaubt das, dann hängt das Schicksal der ganzen Welt von unseren Entscheidungen ab.«

Jonaas war nicht aufzuhalten. »Klasse«, sagte er unwirsch. »Und wir schicken plapperndes Geflügel und Talkien und Swon, na, herzlichen Glückwunsch.«

Seine Mutter reagierte nicht auf seinen Ausbruch. Sie ging zum Herd und begann damit, den Inhalt des Topfes umzurühren.

»Ich werde allein gehen«, beschloss Jonaas. »Ich packe meine Sachen und werde auf eigene Faust den schwarzen Lord unschädlich machen.«

Seine Mutter rührte ruhig weiter. Sie drehte sich nicht einmal um, als sie den nächsten Satz sagte: »Man wird dich nicht fortlassen«, murmelte sie. »Nur Männer können mit Aufgaben außerhalb des Dorfes betraut werden.«

Jonaas war wie vor den Kopf geschlagen. Erst jetzt begriff er die persönlichen Ausmaße dieses ganzen Dramas. Er hatte die Prüfung nicht bestanden und war damit in den Augen der Dorfbewohner weiterhin ein Kind.

»Toll!«, rief er aufgebracht. »Aber Swon geht mit. Der ist nur ein Jahr älter als ich.«

»Aber er ist ein Mann, und Talkien hat sich für ihn stark gemacht.«

Etwas in der Stimme seiner Mutter ließ ihn aufhorchen. »Talkien«, sagte der Junge. »Daher weht der Wind. Der Jäger wollte mich nicht dabei haben.«

Plötzlich war Jonaas einiges klar. Talkien hatte ihn aus einem unbekannten Grund noch nie leiden können.

Seit Jonaas' frühester Kindheit waren sie immer wieder aneinandergeraten. Dem Jäger war der Junge mit dem fremden Aussehen ein Dorn im Auge gewesen.

Einmal hatte er sogar verlangt, dass man Jonaas aus der Dorfgemeinschaft ausschließen sollte, und auch, dass der Blonde mit Tyk und Kalil zusammen die heilige Prüfung ablegen sollte, hatte dem Jäger nicht gepasst. Er hatte sogar versucht, einen Beschluss des Rates zu erwirken, dass Jonaas nicht zugelassen wurde.

»Er ist anders als wir«, hatte er am Abend, bevor die drei in den Berg geschlossen wurden, gesagt. »Er kann und darf nicht behandelt werden wie ein Sangapao.«

Doch die anderen Dorfbewohner und der Rat der Ältesten hatten die Bedenken des Jägers fortgewischt, und Jonaas war ein Hüter der Flammen geworden.

Und nun das.

Die Ereignisse in der Höhle schienen Talkien recht zu geben, bestätigten das Urteil des Jägers.

Also war es nur klar für ihn, den Jungen nicht mit auf die Verfolgung zu nehmen.

Jonaas sagte nichts mehr. Stattdessen nahm er den Löffel und rührte ein bisschen in der Suppe. Schließlich führte er das Esswerkzeug doch zum Mund.

Die Flüssigkeit war noch warm, und erst jetzt bemerkte er, wie hungrig er war. Seit dem Kampf gegen den schwarzen Lord hatte er nichts mehr gegessen.

Sein Magen knurrte zur Antwort auf seine Gedanken, und es dauerte nicht lange, bis Jonaas schweigend den ersten Teller geleert hatte.

Seine Mutter sprach ebenfalls nicht, lächelte nur, als sie das Gefäß erneut füllte und vor den Jungen stellte.

Noch einmal leerte Jonaas den Teller in Rekordgeschwindigkeit.

Ein Gefühl der Wärme breitete sich in ihm aus.

Er wusste nicht, welche Kräuter seine Mutter in die Suppe gemischt hatte, doch sie schmeckte ausgezeichnet, und es waren wohl auch einige Blätter dabei, die seinem geschundenen Körper zu einer schnelleren Regeneration verhalfen.

Die Frau lächelte immer noch, als Jonaas sich mit dem Ärmel seines Hemdes den Mund abwischte und den Teller in die Mitte des Tisches schob.

»Noch etwas?«, fragte Fay.

Jonaas hielt sich den Bauch. »Dann platze ich«, sagte er.

Er stand auf und schritt durchs Zimmer. Eine plötzliche Unruhe hatte ihn befallen, und jetzt, da seine Verletzungen nicht mehr all zu wehtaten und sein Körper frisch gestärkt war, meldete sich ein riesiger Tatendrang.

»Ich werde Gradoon finden«, sagte er. »Und wenn es das Letzte ist, was ich tue.«

Er drehte sich um und wollte in seine Kammer gehen, doch seine Mutter stellte sich ihm in den Weg.

»Das kann und darf ich nicht zulassen«, sagte sie.

»Du hast keine Wahl«, sagte Jonaas, und es tat ihm leid, dass er so mit seiner Mutter redete, doch sein Entschluss zu gehen stand fest.

»Ich bin auch nicht entscheidend«, sagte die Frau. »Die Ältesten und Talkien haben damit gerechnet, dass du so reagierst. Und sie sehen darin eine Gefährdung ihrer Pläne. Also haben sie dich unter Arrest gestellt. Unser Haus und die Stallungen stehen unter Bewachung, und das ganze Dorf wird durch Patrouillen geschützt. Talkien sagte zum Rat, du hättest bereits genug angerichtet, und offenbar hat sich Sonka seiner Meinung angeschlossen.«

»Aber das ist unfair.«

Fay nickte. »Und doch musst du dich, wie jeder andere auch, der Entscheidung des Rates unterordnen.«

»Pah.« Jonaas hieb mit der Faust auf den Tisch. »Also bin ich ein Gefangener in diesem Haus.«

»Wenn du es so ausdrücken möchtest«, murmelte seine Mutter.

Auch an ihr war die Entscheidung des Rates nicht spurlos vorüber gegangen. »Ich sage eher: Hier bist du in Sicherheit.«

»Dann ist das ganze Dorf gegen mich?«

Seine Mutter schüttelte den Kopf. »Niemand ist direkt gegen dich, niemand macht dir einen offenen Vorwurf, und doch ...« Sie suchte nach den richtigen Worten. “Und doch ist dein Name mit dem Verschwinden des Feuers und der ganzen Unruhe, die sich in unserem friedlichen Dorf breitgemacht hat, eng verbunden.«

Jonaas schwieg. Er wich seiner Mutter aus, trat durch den Vorhang in seine Kammer und ließ sich aufs Bett fallen. Die Schmerzwelle, die von seiner Schulter angefangen durch seinen ganzen Körper rollte, ignorierte er.

Gefangen, dachte er. Das ist nicht fair.

Schließlich hätte wahrscheinlich niemand im Dorf einer Attacke des schwarzen Lords und seiner Panther standhalten können. Nicht einmal der große Talkien.

Der Junge starrte zur Decke.

Ich werde nicht tatenlos hier herumsitzen, dachte er. Und mir in Ruhe angucken, wie andere für mich den Kopf hinhalten.

Doch vorläufig konnte er nichts tun. Wenigstens in dieser Hinsicht hatte seine Mutter recht.

Er starrte zur Decke, zerbrach sich den Kopf und suchte nach einer Lösung.

Drachensonne

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