Читать книгу Drachensonne - Thomas Strehl - Страница 20
ОглавлениеSwons Körper schmerzte.
Jede Faser tat weh, seine Glieder waren steif, seine Muskeln schrien nach einer Pause.
Doch Talkien trieb sein Pferd immer weiter nach vorn, und Swons struppiges, rotbraunes Reitpony folgte ihm.
Sie hatten, seit sie das Dorf verlassen hatten, nur einmal kurz Rast gemacht, und das auch nur, um ihre Tiere zu versorgen.
Sich selbst gestand Talkien keine Sekunde zu, verbissen hatte er sich an die Verfolgung gemacht und kannte seinem Körper gegenüber keine Gnade.
Swon verfluchte die Minute ihres Aufbruchs. Erst hatte alles nach einem Abenteuer ausgesehen, eine willkommene Abwechslung im Einerlei des Dorfalltags. Doch nun war aus dem anfänglichen Spaß bitterer Ernst geworden.
Swon dachte an seine Freunde Kalil, Tyk und Jonaas.
Immer noch war es für ihn schwer zu verstehen, dass zwei seiner Kameraden nicht mehr am Leben waren.
Getötet bei der heiligen Aufgabe, dem Bewahren des Feuers.
Der Junge dachte an seine eigene Zeit in der Höhle zurück. Er und drei weitere Jungen waren vor dreihundert Tagen von Jonaas, Kalil und Tyk abgelöst worden.
Wenn der Angriff ein Jahr früher gekommen wäre, dann wäre er nun vielleicht unter den Opfern.
Und dabei hatten sie damals genauso über die Flamme gedacht wie alle Jugendlichen, die vor ihnen mit der Aufgabe betraut worden waren.
Für sie alle war es zwar die Prüfung, an deren Ende das Erwachsenenalter stand, doch an die Geschichte, die hinter allem steckte, die Legenden, die sich um das Drachenfeuer rankten, hatten sie nicht geglaubt.
Und auch jetzt war es noch schwer, die Geschichte als Wahrheit hinzunehmen.
Gut, das Feuer war gelöscht, und der geheimnisvolle Schwarze hatte dabei sogar vor Mord nicht zurückgeschreckt.
Aber hieß das wirklich, dass von nun an ihre ganze Welt bedroht war?
Vielleicht war der Schwarze nur ein Wahnsinniger, einer der wenigen, die noch an alte Legenden glaubten.
Doch Swon brauchte nur einen Blick nach vorn zu werfen, um zu sehen, dass es gar nicht so wenige waren, die mit der Wahrheit der Geschichte lebten.
Talkien, der Jäger, aber auch die Ältesten, darunter Fraam, Swons Großvater, hatten nicht eine Sekunde an der Prophezeiung gezweifelt. Und folgerichtig zogen sie nun die Konsequenzen aus dem Erlöschen der Flamme.
Swon verscheuchte einen Moment seine Gedanken, um sich auf den Weg zu konzentrieren.
Der Pfad wurde immer schmaler, und überall hingen Äste in Kopfhöhe, die, wenn man nicht aufpasste, schmerzhafte Peitschenhiebe austeilten.
Der Junge zügelte sein Pony, um einem vermoderten Baumstumpf auszuweichen, dann trieb er es wieder an, um zu Talkien aufzuschließen.
Swon beobachtete den Jäger.
Er saß trotz der Strapazen der Reise immer noch kerzengerade im Sattel. Seine schmale drahtige Figur steckte in dunkelgrüner, enger Lederkleidung, und seine pechschwarzen Haare, die zu zwei Zöpfen geflochten waren, wurden ebenfalls durch Lederbänder gehalten.
Er trug einen kurz geschnittenen Vollbart, und die buschigen Brauen, die seine Augen beinahe verdeckten, gaben seinem Gesicht ein düsteres Aussehen.
Er sprach nie besonders viel, und einigen im Dorf war er aufgrund seiner wenig geselligen Art unsympathisch.
Auch Swon hatte anfänglich, als er vor beinahe einem Jahr Talkiens Gehilfe wurde, seine Probleme mit der stillen Art des Jägers gehabt, doch von Tag zu Tag war das Misstrauen Respekt und sogar Bewunderung gewichen.
Talkien war ein Meister seines Fachs, und nicht ein Augenblick verging, ohne dass Swon etwas Neues von ihm lernte.
Der Junge war so in Gedanken, dass er beinahe zu spät bemerkte, dass der Jäger seinen Schimmel angehalten hatte.
Talkien sah sich ein wenig um, betrachtete neugierig die kleine Lichtung, auf der sie sich befanden, und beäugte auch den schmalen Bach, der den Platz in zwei Hälften teilte.
»Wir werden ein wenig rasten«, sagte er mit seiner rauen Stimme. »Etwas essen und unsere Wasservorräte auffüllen.«
Er erwartete keine Zustimmung von Seiten des Jungen, sondern stieg ab, nahm seine Satteltaschen und ließ die Zügel des Pferdes los, damit es grasen konnte.
Leider nahm er dem Schimmel nicht den Sattel ab, was Swon darauf schließen ließ, dass die Rast nur von kurzer Dauer war.
Der Junge stieg ebenfalls ab, nahm seinen Wasserschlauch und folgte dem Jäger zum Bach.
Talkien kniete bereits vor dem Wasserlauf, streckte zwei Finger in das kühle Nass, roch und schmeckte, um schließlich zu nicken.
»Gutes Wasser«, sagte er nur, pfiff kurz, und sein Reittier kam zu ihm, um seinen Durst zu stillen. Auch der kleine Rotbraune tauchte sein Maul ins Wasser.
Die Männer füllten ihre Wasservorräte auf, dann ließen sie sich ins Gras fallen.
»Wir sind gut unterwegs«, sagte Talkien. »Haben ein schönes Stück geschafft.« Für die Verhältnisse des Jägers war das ein beachtlicher Wortschwall.
Swon wollte die ungewohnte Redseligkeit Talkiens nutzen. »Meinst du, wir haben gegenüber dem Schwarzen schon aufgeholt?«
Sie hatten die Spur verfolgt, jedenfalls hatte der Jäger es getan.
Swon hatte den Boden, die Büsche und Bäume abgesucht, doch ihm war nichts Ungewöhnliches aufgefallen.
Trotzdem wusste er, dass sie auf dem richtigen Weg waren, denn der Jäger hatte ab und zu angehalten, etwas untersucht und dann ihre Richtung korrigiert.
Talkien betrachtete den wolkenlosen Himmel, und der Junge dachte schon, dass der Mann in sein Schweigen zurückgefallen war, als der Jäger doch noch antwortete. »Die Entfernung zum Schwarzen ändert sich nicht«, murmelte er. »Die Spur, der wir folgen, ist immer gleich alt. Wir haben nicht aufgeholt, aber wir haben auch keinen Boden verloren.«
Also war der finstere Lord noch mehr als anderthalb Tagesreisen von ihnen entfernt, und Swon musste sich eingestehen, dass er diese Erkenntnis sehr beruhigend fand.
Der Rat hatte beschlossen, dass Talkien dem Unheimlichen folgen sollte, weil nur er des Spurenlesens mächtig war, und Swon als sein Gehilfe war irgendwie in diesen Schlamassel mit hineingerutscht. Schließlich waren sie ein Team.
Aber sie waren auch in erster Linie nur Jäger und keine Krieger.
Keiner vom Rat hatten ihnen richtig mitteilen können, was man eigentlich von ihnen verlangte.
Sicher, es wäre toll, wenn sie die Flamme zurück ins Dorf bringen könnten, doch keiner hatte ihnen gesagt, wie sie es anstellen sollten.
Denn freiwillig würde der Schwarze das Feuer bestimmt nicht hergeben, und einem Kampf gegen ihn und seine Bestien waren sie nicht gewachsen. Schließlich hatte Swon das tote Panthertier gesehen und er hatte nicht vor, gegen ein lebendes Exemplar anzutreten.
Nicht auszudenken, wenn sie nur hinter dem Finsteren her reisten und feststellen mussten, dass er den Magier der schwarzen Gilde aus seinem Felsengefängnis befreit hatte.
Was dann?
Swon schauderte. Ich bin dafür nicht gemacht, dachte er. Ich bin kein Held, kein Weltenretter.
Er klammerte sich an einen Strohhalm. Vielleicht brauchten sie gar nicht zu kämpfen.
Vielleicht würden sie Verbündete finden. Der Rat jedenfalls hoffte darauf.
Die Zanthen mussten aufgrund ihrer Schnelligkeit schon einige Dörfer und Völker erreicht haben, und es wartete sicherlich schon irgendwo Unterstützung auf sie.
Wahrscheinlich sogar schon in der roten Stadt.
Swon ließ seiner Fantasie freien Lauf. Er war gespannt auf Kandelar.
Er und der Jäger waren, mit Ausnahme der Händler, die mit den Seeleuten Geschäfte machten, die Sangapao, die am weitesten reisten, doch bis zur großen roten Stadt waren sie noch nie gekommen.
Seit Ewigkeiten hatte keiner ihres Volkes die einstige Hauptstadt Karma’neahs betreten.
Einst, vor dem großen Krieg, war Kandelar der Sitz des einen Königs.
Doch die rote Stadt war während der Kriege beinahe zerstört worden, und das Adelsgeschlecht war mit ihr untergegangen.
Nun regierte jedes Volk, jeder Stamm für sich, und da alles friedlich blieb, wurde der König nicht vermisst.
Trotzdem sollte es in Kandelar noch jemanden geben, der den Titel König für sich beanspruchte.
Und vielleicht hatte er ein neues Heer aufgebaut, das nun gegen den Schwarzen antreten konnte.
Mit ein bisschen Glück brauchten sie in Kandelar nur die zurückeroberte Flamme entgegenzunehmen.
»Wie lange brauchen wir noch bis Kandelar?«, fragte Swon. Er hatte eine Scheibe Brot aus seiner Tasche hervorgeholt und kaute genüsslich darauf herum.
Vögel zwitscherten, bunte Libellen sirrten über den Bach und die Blüten. Es war schwer, sich eine Bedrohung vorzustellen.
Talkien hatte sich ins Essen vertieft, ohne jedoch die Umgebung aus den Augen zu lassen.
»Zwanzig Tagesritte, vielleicht mehr«, murmelte er. »Die einzige Karte, die der Rat mir geben konnte, ist alt und nicht sehr genau.«
Swon verzog das Gesicht. Er wusste nicht, wie er eine so lange Zeit im Sattel überleben sollte.
»Und der Schwarze ist in diese Richtung unterwegs?«, fragte der Junge.
»Er will zu den Sturmfelsen«, sagte der Jäger. »Und wenn man der Karte Glauben schenken kann, dann liegt Kandelar auf seinem Weg.« Er beobachtete den Rand der Lichtung.
»Ich denke nicht, dass er in die Stadt will«, vermutete der Jäger. »Er wird sie umgehen.« Er biss noch ein Stück Obst ab. »Vielleicht ist das unsere Chance.«
Dann packte er das restliche Obst wieder in seine Tasche und sprang auf.
»Fühlst du dich gut genug, um weiter zu reiten?«, fragte Talkien.
Swon wusste, dass diese Frage nur rhetorisch war. Ein Nein würde der Jäger sowieso nicht akzeptieren.
Als Antwort erhob sich der Junge und verstaute seine Sachen auf dem Pferderücken.
Der Rotbraune wieherte protestierend, so, als hätte auch er noch keine Lust, die Reise fortzusetzen, doch auch dem Tier blieb keine Wahl.
Der Jäger sprang in den Sattel seines Schimmels, vergewisserte sich nur kurz, dass Swon ihm folgte, dann trieb er sein Tier wieder zur Eile an.
Und der Junge, dem schon beim Aufsteigen wieder alle Knochen weh taten, versuchte, eine vernünftige Position im Sattel zu erreichen, denn er ahnte, dass die nächste Rast eine Weile auf sich warten lassen würde.
Müde und kaputt ritt er der Nacht entgegen.
Und einem ungewissen Schicksal.