Читать книгу Drachensonne - Thomas Strehl - Страница 36

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Der Goon führte sie immer weiter durch die bizarre Felslandschaft.

Sie hatten sich nach Osten gewandt, das heißt, sie verließen ihren eigentlichen Weg Richtung Kandelar, und obwohl Talkien das überhaupt nicht gefiel, wusste er, dass ihm keine andere Wahl blieb. Das Schicksal seines jungen Begleiters lag nun nicht mehr in seinen Händen, der Jäger musste, ob er wollte oder nicht, dem Goon vertrauen.

Ihr junger Führer blieb ab und zu stehen und blickte sich um, nur um sich zu vergewissern, dass Talkien ihm noch folgte. Die Kapuze seines Umhangs hatte er nicht mehr aufgesetzt, und der Jäger konnte das Gesicht ihres Retters näher betrachten.

Von dem Jungen, der das Dorf verlassen musste, war nicht mehr viel zu erkennen. Mykiels Züge waren härter geworden, männlicher, außerdem umgab ein Schnauz- und Kinnbart seinen Mund, den nun ein zynisches Lächeln umspielte. Offenbar gefiel es dem Goon, dass Leute, die ihn einst mit Schimpf und Schande davonjagten, nun auf seine Hilfe angewiesen waren.

Swon stöhnte zum wiederholten Male, und Talkien drängte seinen Schimmel zu schnellerem Schritt.

»Wie weit ist es noch?«, fragte er den Führenden, als sie beinahe gleichauf waren.

»Nicht mehr weit«, antwortete der Goon und führte sie um einen weiteren Felsen.

Talkien musste sich eingestehen, dass es selbst für ihn, einen erfahrenen Jäger, schwierig war, sich in dieser Steineinöde zu orientieren.

Die riesigen Steinbrocken, die überall im Weg lagen, waren mit Sicherheit alle anders geformt, und doch sahen sie fast gleich aus.

Wieder umrundeten sie einen davon und blieben schließlich vor einem weiteren, dem bisher größten von allen, stehen.

Der Goon bückte sich, griff in eine Nische des Felsens, und augenblicklich geriet der Felsboden vor ihnen in Bewegung.

Ein Teil davon klappte weg und gab einen Weg in eine unterirdische Höhle frei.

Der Schimmel Talkiens scheute auf Grund der seltsamen Begebenheit, doch der Jäger hatte sein Reittier schnell wieder im Griff.

»Folgt mir«, sagte der Goon und wies in das Dunkel vor ihnen.

Der Jäger runzelte die Stirn und bewegte sich nicht. Mykiel spürte die Unsicherheit des Mannes. »Es geht nicht sehr steil bergab«, erklärte er. »Und der Gang und die Höhle sind groß und hoch genug für die Pferde.«

Dann verschwand er, und Talkien blieb wieder nichts anderes übrig, als die Tiere anzutreiben und dem Jungen zu folgen. Er hasste es, so passiv zu sein, abhängig von anderen, und nicht seine eigenen Entscheidungen treffen zu können, doch es gab keine andere Möglichkeit.

Selbst wenn all dies eine Falle war, so musste er das Risiko eingehen, weil Swon ohne Hilfe den nächsten Tag nicht erleben würde.

Vorsichtig setzte der Schimmel einen Huf vor den anderen, langsam, tastend, doch Talkien erkannte bald, dass der Goon recht hatte. Es war wirklich kein Problem für die Tiere, dem steinigen Weg in die Höhle zu folgen.

Mykiel stand an der rechten Seite des breiten Steinpfades und winkte den Jäger und die Tiere vorbei. Dann griff er wieder in eine Felsnische, und die steinerne Klappe verschloss die Höhle erneut.

Das Licht der Sonnen verschwand, doch der Gang wurde von Fackeln erleuchtet, und der Goon drängte sich im flackernden Licht an den Tieren vorbei, um die Führung zu übernehmen.

Wieder blieb Talkien nichts anderes übrig, als dem Jungen wortlos zu folgen.

Der Weg führte immer weiter in die Tiefe, wurde breiter, sodass der Schimmel und der Rotbraune nebeneinander laufen konnten.

Der Jäger überlegte seit Antritt ihrer Reise, wer oder was sie hier erwarten würde, wohin sie der Goon führte und ob Swon wirklich noch zu helfen war.

Ein Seitenblick zeigte ihm, dass sein Begleiter reglos über dem Pferderücken hing. Selbst das letzte Stöhnen schien eine Ewigkeit her zu sein.

Hoffentlich kommen wir noch rechtzeitig, dachte der Jäger. Er würde es sich niemals verzeihen, wenn der Junge starb. Schließlich hatte man ihn in seine Obhut gegeben, und auch, wenn Swon freiwillig die Reise mit ihm angetreten war, so fühlte sich Talkien doch für alles, was passiert war, verantwortlich.

Der Jäger trieb den Schimmel an, und das Pferd, das sich mittlerweile an den steinigen Untergrund gewöhnt hatte und trittsicherer wurde, beschleunigte seinen Schritt.

Wieder machte der Pfad einen Linksknick, und Talkien fragte sich schon, ob diese Reise ins Innere der Erde nie ein Ende haben würde, als sich vor ihnen eine große Höhle auftat.

Eine Höhle, die jemand bewohnte, wie man zweifelsfrei auf den ersten Blick erkennen konnte.

Ein Feuer brannte in der Mitte des Raumes, und obwohl er einen Durchmesser von beinahe dreißig Pferdelängen hatte, war kaum mehr Platz vorhanden, so vollgestopft mit tausenderlei Sachen war er.

Regale mit dicken staubigen Büchern, Tiegel, Tassen, Töpfe, Säcke, Kisten, Flaschen, Tierfelle und Häute, alles stand und lag wahllos in der Gegend herum.

Dazwischen immer wieder Tische und Stühle, und Talkien versuchte, im Licht des Feuers zu erkennen, wer diese Dinge hier angehäuft hatte, doch so sehr er seine Augen auch anstrengte, er konnte niemanden erkennen.

»Die Pferde könnt ihr hier festmachen«, sagte der Goon und deutete auf eine Ecke, in der ein wenig Platz war. Etwas Stroh, wo immer es in dieser unwirtlichen Gegend auch herkommen mochte, lag hier, und einige Decken deuteten auf ein Nachtlager hin.

Talkien lenkte sein Tier an die Felswand, sprang ab, raffte die Zügel und hob Swon vorsichtig vom Rücken des Rotbraunen.

Das Gesicht des Jungen war schweißbedeckt, sein Haar nass und verklebt, die Haut weiß, fast elfenbeinfarben und seltsam kalt, als wäre schon alles Leben aus ihr gewichen.

»Swon«, flüsterte der Jäger, doch der Junge hing schlaff in seinen Armen und zeigte keine Reaktion.

»Er kann dich nicht mehr hören«, sagte der Goon, der unbemerkt an seine Seite getreten war. »Zu viel Zeit ist vergangen. Das Gift ist schon zu tief in ihm.«

Talkien verzweifelte. »Dann müssen wir endlich etwas tun«, herrschte er den Jungen an.

»Deshalb sind wir hier.« Der Goon drehte sich im Kreis, als suche er etwas.

»Fizz!«, rief er dann. »Hör auf mit dem Versteckspiel. Ich brauche deine Hilfe.«

Nichts geschah. »Fizz«, versuchte es der Junge noch einmal. »Komm schon, wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.« Er deutete auf Swon. »Bodayn, Fizz. Bodayn.«

Wieder vergingen einige Sekunden. Talkiens Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Er wollte, dass endlich etwas passierte, wollte nicht länger tatenlos herumstehen und zusehen, wie sein Begleiter starb.

Es fehlte nicht mehr viel, und er würde dem Goon an die Kehle springen. Er hatte sie hierher geschleppt. Also war es auch seine Schuld, wenn Swon hier starb.

Schon ballte der Jäger die Fäuste, um sich den Jungen vorzunehmen, als plötzlich ein Rascheln in einer Ecke der Höhle erklang.

»Bodayn«, hörte man eine hohe Fistelstimme. »Bodayn. Schlimme Viecher. Wirklich schlimme Dinger. Keine netten Zeitgenossen.« Und dann trat ein kleines, runzeliges Männlein hinter einer großen Truhe hervor.

Er ging Talkien nur bis zur Brust, war aber ungefähr doppelt so breit. Ein rotes Hemd verbarg nur mit Mühe einen kugelrunden Bauch, eine grüne, viel zu kurze Hose endete unter dem Knie, die Füße steckten in langen, spitzen, nach oben gebogenen Lederschuhen. Eine runde, ebenfalls grüne Mütze saß auf einem haarlosen Schädel, kleine, blaue Schweinsäuglein und eine dicke Nase hatten Mühe, durch den strubbligen weißen Vollbart hindurch zu gelangen.

An einem breiten Gürtel hingen einige Säckchen, und in den großen Händen des Mannes befanden sich weitere.

»Hab euch kommen gehört«, fistelte das Männchen. »Schon alles zusammengepackt.« Er watschelte zu einem großen Tisch hinüber, auf dem Felle und einige Päckchen standen, und räumte ihn mit einer fahrigen Handbewegung leer.

»Leg deinen Freund hierher«, sagte der Kleine, doch der überraschte Talkien rührte sich erst, als ihm der Goon zunickte.

»Mach schon«, drängte der Junge.

Der Jäger trug die schlaffe Gestalt Swons zum Tisch und bettete ihn vorsichtig darauf.

Sofort begann das Männlein damit, den Leblosen abzutasten.

»Keine Sekunde zu früh«, murmelte er. Dann förderte er ein langes Messer zutage, und ehe Talkien reagieren konnte, schnitt er dem Jungen mit unglaublicher Geschicklichkeit und Schnelligkeit das Hemd vom Leib.

Dann tauchte er seine Hände in einen Topf und bestrich Swons Hals und Brust mit einer lilafarbenen, stinkenden Paste.

»Ich hoffe, du weißt, was du tust, Fremder«, sagte der Jäger. Ein drohender Unterton lag in seiner Stimme. »Wenn dem Jungen etwas passiert, werde ich dich dafür zur Rechenschaft ziehen.«

Der Kleine ließ sich nicht einschüchtern. Er grinste Talkien schelmisch an. »Ich kann sofort aufhören, wenn dir nicht passt, was ich tue«, sagte er. »Nur dann wird dein Freund mit absoluter Sicherheit sterben.«

Talkien wollte etwas antworten, doch der Goon packte ihn am Arm und zog ihn vom Tisch weg.

»Wir sollten Fizz in Ruhe arbeiten lassen«, sagte er und nickte zur Feuerstelle hinüber. »Wie wäre es in der Zwischenzeit mit ein wenig Suppe und etwas Tee?«

Talkien rührte sich nicht.

»Du kannst nicht helfen«, sagte der Goon. »Also sieh zu, dass wenigstens du bei Kräften bleibst.«

»Und dieser kleine Kerl ...«

».. weiß genau, was zu tun ist«, beendete Mykiel.

Der Jäger sah den Goon an. »Und was macht dich da so sicher?«

»Mir ging es schlechter als Swon, als Fizz mich in der Einöde fand«, erklärte der Junge. »Dein Begleiter ist nicht der Erste, der Bekanntschaft mit dem Gift macht, und er wird sicherlich auch nicht der Letzte sein, der nur dank der Hilfe von Fizz am Leben bleiben darf.«

Talkien folgte dem Jungen zur Feuerstelle und nahm dankend eine dampfende Schüssel, die Mykiel ihm reichte. Dann füllte sich der Goon selbst ein Gefäß mit der Flüssigkeit aus dem Topf, der an einem Dreibein über dem Feuer hing.

Der Blick des Jägers folgte der dünnen Rauchsäule, die zur Decke der Höhle stieg. Irgendwo da oben musste ein natürlicher Kamin sein.

Talkien ließ seinen Blick schweifen und fragte sich, ob die Höhle überhaupt natürlichen Ursprungs war, woher der ganze Plunder kam, den der Kleine hier angehäuft hatte, und was zum Kuckuck überhaupt jemand in dieser Einöde machte. Außer dass er hier und da jemandem das Leben rettete.

Er war so in Gedanken versunken, dass er nicht bemerkte, wie der Kleine seine Arbeit beendete und zu ihnen trat.

»Er wird es schaffen«, sagte er und zog schnuppernd die Luft ein. »Noch Suppe da?«

Der Goon, der sich auf einem Schemel niedergelassen hatte, sprang auf, füllte eine Holzschüssel mit der Flüssigkeit und reichte sie dem Mann. Er rückte einen Stuhl zurecht und ließ den Dicken darauf Platz nehmen. »Bitte, Meister«, sagte er, und Talkien runzelte auf Grund dieser Anrede die Stirn.

Meister?, fragte er sich. Dieser schrullige kleine Kerl sollte ein Meister sein? Aber in was?

Okay, er schien sich mit der Heilkunst auszukennen, doch allein dies machte aus niemandem einen Meister.

Dazu gehörte das Wissen in allen fünf großen Gebieten, darunter dem des Kampfes, und wie ein Krieger sah der Zwerg beim besten Willen nicht aus.

Der Kleine schlürfte hörbar seine Suppe und unterbrach mit diesem Geräusch Talkiens Überlegungen.

»Seid Ihr sicher, dass mein Freund überlebt?«, fragte der Jäger. Er hatte bewusst den höflichen Ton gewählt. Sein erster Zorn war verraucht, und wenn der Goon dem Mann so viel Ehre erwies, konnte es nicht schlecht sein, wenn er als Besucher Gleiches tat.

Die Äuglein des Kleinen blitzten ihn an. »Natürlich bin ich sicher«, sagte er. »Ich irre mich nie.«

Er warf den Teller hinter sich, als er ihn geleert hatte, und sprang auf. »Aber wie könnt Ihr mir Glauben schenken, wenn Ihr nicht einmal wisst, mit wem Ihr es zu tun habt? Verzeiht, aber in der allgemeinen Aufregung habe ich die Etikette etwas vernachlässigt.« Er sprang auf, ging auf Talkien zu und reichte ihm seine riesige Pranke, die viel zu groß für den kleinen Körper war. »Darf ich mich vorstellen: Ich heiße Fizz Fedronida, doch die meisten kennen mich nur als Fizz, den Großen.«

»Den Großen?«, flüsterte der Jäger verwundert, doch er ergriff die dargebotene Hand und schüttelte sie, überrascht, wie viel Kraft in dem Kleinen steckte.

»Talkien, ein Jäger aus Talan«, stellte er sich vor.

»Ein Sangapao«, murmelte der Kleine. »Dachte ich’s mir doch.«

Der Zwerg schaffte es aufs Neue, seinen Gast zu überraschen. »Ihr kennt Sangapao?«, fragte Talkien.

»Natürlich. Jeder Alte kennt die Geschichte des großen Krieges und damit auch die Bewahrer der Flamme.«

Der Jäger zuckte zusammen. »Ich ... Wir ...«, stotterte er.

Fizz Fedronida winkte ab. »Das Feuer ist erloschen, die letzte Flamme gestohlen«, sagte er. »Ich weiß Bescheid.«

»Aber ...«

Der Zwerg lächelte wieder. »Es gibt nur wenig, das meinen Ohren verborgen bleibt«, sagte er. »Außerdem schwatzen es die Zanthen vom Himmel, und die habt ihr selbst damit beauftragt, wenn ich mich nicht irre.«

»Dann wisst Ihr auch von Gradoon.«

Die Miene des Kleinen wurde finster. »Ich hoffte, nie wieder von ihm und seiner Bande zu hören«, sagte er rätselhaft.

Er ignorierte Talkiens nächste Frage und wandte sich stattdessen an den Goon. »Packe unsere Sachen«, entschied er. »Wir werden eine Reise machen.«

»Eine Reise?«, fragte der Jäger. »Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz.«

Der Kleine achtete nicht auf Talkien, sondern begann damit, Sachen aus einem Regal, überwiegend Töpfe und kleine geschnürte Pakete, in einen großen Sack zu packen.

»Wir werden euch auf eurem Weg begleiten«, entschied der Kleine, und etwas in seinem Ton machte Talkien klar, dass Widerrede zwecklos war. »Euer Begleiter fällt für die weitere Verfolgung aus, also bekommt Ihr für euer Unterfangen zwei neue Helfer.«

Er wuselte durch die Höhle, auf der Suche nach weiteren verstreuten Gegenständen, und füllte die Tasche immer weiter.

»Was wird aus Swon?«, fragte der Jäger.

»Er wird bald erwachen«, antwortete der Kleine. »Es wird ihm gut gehen, doch er wird einige Tage Pause brauchen, um wieder zu Kräften zu kommen.« Er sah Talkien an. »Zeit, die wir nicht haben«, stellte er fest. »Also bleibt er hier und bewacht meine Sachen und diese bescheidene Bleibe, bis ich selbst zurückkehre.«

Er beugte sich über eine Kiste. »Ach, hier hast du dich versteckt«, murmelte er und steckte ein weiteres, seltsames Ding in den Sack.

»Ihr redet von Eile«, sagte Talkien. »Und Ihr scheint über unser Auftauchen und den Namen Gradoon nicht überrascht zu sein.“ Seine Stimme nahm wieder einen etwas schärferen Ton an. »Verzeiht mir, aber in meinen Ohren klingt das alles sehr seltsam. Wer sagt mir, dass Ihr nicht mit den schwarzen Lords unter einer Decke steckt?«

Der Alte hielt in seinen Bemühungen inne und sah den Jäger an. Er schien nicht böse über die Verdächtigungen zu sein, er lächelte sogar. »Überlegt einmal«, sagte er. »Nichts wäre doch einfacher gewesen, als euch den Bodayn zu überlassen.« Er tippte sich an die Stirn. »Warum sollte mein Schüler sein Leben riskieren, um euch zu retten, wenn wir euch gleich danach wieder ins Verderben schleifen wollen?«

Talkien nickte. »Trotzdem verwundert Ihr mich. Was treibt Ihr in dieser Einöde und woher kennt Ihr Gradoon?«

Das runzelige Gesicht des Alten nahm einen harten Ausdruck an. »Sagen wir, die schwarzen Lords und ich haben noch eine Rechnung offen«, sagte er dann. »Und ich bin nicht überrascht über euer Auftauchen, weil ich genau aus solch einem Grund hier bin. Drücken wir es so aus: Man hat mich hier Station beziehen lassen, um einzugreifen, wenn das Böse erneut den Weg nach Karma´neah findet.« Er zog den Sack mit einem Ruck zu und warf ihn sich über den Rücken. »Uff«, stöhnte er und torkelte drei Schritte rückwärts. Dann ließ er den Beutel fallen. »Ich glaube, das ist deine Aufgabe, Mykiel«, beschloss er dann.

Talkien konnte den Ausführungen des Alten nicht folgen.

»Woher wusstet Ihr, dass das Böse wiederkehrt?«

»Das Böse kann nie ganz besiegt werden«, sagte der Kleine. »Früher oder später musste es so weit kommen.« Er zuckte die Achseln. »Und doch kommt es aus einer unerwarteten Richtung. Eigentlich hatte ich die finsteren Schwingungen aus Kandelar empfangen.«

»Aus der roten Stadt?«

Fizz Fedronida nickte. »Schon lange spielen sich dort Dinge ab, die mir nicht gefallen. Und beinahe genau so lange wollte ich nachsehen, was dort nicht stimmt.« Er hüstelte. »Nun ja, ich denke, nun ist der Moment gekommen.«

»Dann reisen wir nicht gemeinsam«, stellte der Jäger fest. »Mein Auftrag ist es, den Schwarzen zu verfolgen und die Flamme zurückzubringen. Und wenn Kandelar nicht auf dem Weg des Unheimlichen liegt, werde auch ich nicht dort hingehen.«

Fizz Fedronida lief auf seinen kurzen Beinen überraschend schnell auf den Jäger zu und baute sich vor ihm auf. »Ihr werdet mit uns gehen«, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Erstens, weil Gradoon Kandelar mit Sicherheit einen Besuch abstattet, und zum anderen, weil Ihr ohne mich keine Chance habt, das Drachenfeuer zurück zu bekommen.« Er sah den Mann herausfordernd an. »Was werdet Ihr tun, wenn Ihr Gradoon gegenübersteht? Werdet Ihr ihn bitten, euch die Flamme wiederzugeben?«

»Ich werde sie ihm im Kampf entreißen«, sagte der Jäger heroisch.

»Ihr wollt gegen einen schwarzen Lord kämpfen?«, fragte der Kleine amüsiert. »Ihr seid ein noch größerer Narr, als ich dachte.«

Talkiens Hand fuhr zum Schwert, doch sofort trat der Goon zwischen die Streitenden.

»Bleibt ruhig«, sagte er. »Und vertraut meinem Meister.«

»Meister, Meister«, äffte Talkien. »Wie will denn der Knirps die Flamme zurück bekommen?«

»Sagen wir, er hat seine Möglichkeiten«, sagte Mykiel geheimnisvoll. »Ich kann euch nur noch einmal bitten: Vertraut ihm. Er weiß, was er tut.«

Plötzlich hörten sie ein Stöhnen, und Sekunden später drang Swons Stimme an ihre Ohren. »Wo ... wo bin ich?«

Fizz eilte zum Tisch. »In Sicherheit, mein Junge«, sagte er und betastete Brust und Arme Swons.

Der Sangapao richtete sich vorsichtig auf. »Oh«, stöhnte er und griff sich an den Kopf. »Hab ich einen Brummschädel.«

»Das vergeht«, beruhigte ihn Fizz. »Schon in drei, vier Tagen wirst du ganz der Alte sein.«

Swon sah sich um, sein Blick suchte Talkien, und er atmete auf, als der Jäger zu ihm an den Tisch trat. »Wie geht es dir?«

Swon nickte. »Ich schätze, ganz gut.« Er beobachtete Mykiel, der den Sack, den der Alte gefüllt hatte, zu den Pferden trug. Dann kam auch er zu dem erwachten Jungen herüber. »Alles in Ordnung?«

»Dank dir«, murmelte Swon und schaffte ein Lächeln. »Ohne dich wären wir ...« Er verstummte, blickte stattdessen den Jäger an. »Ich fürchte, nun hat der Schwarze einen noch größeren Vorsprung«, sagte er dann. »Wir sollten so schnell wie möglich weiter.«

Er rutschte vom Tisch, doch seine Beine sackten ihm weg, und er wäre zu Boden gefallen, wenn Mykiel ihn nicht aufgefangen hätte.

»Du wirst nirgendwo hingehen«, sagte er. »Für dich ist die Reise hier erst einmal zu Ende.« Er nickte Fizz zu. »Mein Meister und ich werden den Jäger begleiten. Du bleibst und ruhst dich aus.«

»Aber ...«

Talkien sah in das erschöpfte Gesicht seines Helfers und stoppte Swons Satz mit einer Handbewegung.

»Kein Aber«, sagte er. »Es wird so geschehen, wie der Goon es sagt.«

»Sein Name ist Mykiel«, protestierte Swon. Sie verdanktem dem Jungen ihr Leben, und er wollte, das auch der Jäger ihn achtungsvoll behandelte. Ganz gleich, was vor Jahren im Dorf geschehen war.

Doch Mykiel winkte ab. »Lass nur, Swon«, sagte der Ausgestoßene. »Ich habe mich mittlerweile so daran gewöhnt, dass ich es fast als zweiten Vornamen betrachte.«

Swon setzte sich zurück auf den Tisch und nahm dankend einen Teller Suppe entgegen, den Fizz ihm reichte.

Seine Hände zitterten stark, und er hatte Mühe, das Holzgefäß an seine Lippen zu führen, ohne alles zu verschütten.

Er war schwach, daran gab es nichts zu beschönigen, außerdem tanzten nach jeder Bewegung, die er machte, bunte Schatten vor seinen Augen, und wenn er den Kopf schnell bewegte, wurde ihm schwindelig.

Die Männer hatten recht, er brauchte Ruhe.

Und außerdem hatten die letzten Tage gezeigt, dass er sich nicht besonders zum Helden eignete. Eigentlich war er gar nicht böse, dass das Abenteuer hier für ihn endete. Auch wenn es ihm nicht gefiel, das sich Talkien dann in Begleitung Fremder befand.

»Woher kommt ihr und was treibt ihr in dieser Höhle?«, fragte er.

Fedronida ging gar nicht auf seine Frage ein. »Die Höhle beinhaltet alles, was du zum Leben brauchst«, sagte der Kleine. »Essen und Trinken im Überfluss. Und solange du es nicht willst, gelangt auch niemand hinein.«

Er zeigte Swon Gefäße, in denen Lebensmittel und Trinkwasser zu finden war.

»Warte also einfach hier, bis wir zurückkommen.«

Dann, ohne ein weiteres Wort, wandte er sich an den Jäger. »Es ist besser, wenn wir sofort aufbrechen«, sagte er und ein letztes Mal an Swon gewandt: »Wir werden deinen Rotbraunen mitnehmen.«

Der Junge nickte stumm.

Dann blieb ihm nur noch übrig zuzusehen, wie der Goon das Pferd belud und dem Kleinen beim Aufsteigen half.

Swon bemerkte, das Talkien neben ihn getreten war. »Alles in Ordnung?«, fragte er.

Swon nickte zögernd. »Ich ...«

Der Jäger schien die Gedanken des Jungen zu lesen. »Mir passt meine neue Gesellschaft auch nicht«, flüsterte er. »Mit dir würde ich mich sicherer fühlen. Schließlich sind wir eingespielt.«

Der Junge wusste nicht, ob der Jäger es ernst meinte oder ob er ihn nur aufmuntern wollte. Er spürte einen Kloß im Hals und räusperte sich.

»Viel Glück«, sagte er mit einem Kratzen in der Stimme. Dann umarmte er den Jäger.

»Danke, Junge». Talkien wandte sich schnell ab und lief zu seinem Schimmel. Mit einem kraftvollen Satz sprang er auf und ritt Fizz Fedronida hinterher.

Der Goon winkte Swon noch einmal aufmunternd zu, dann lief er den Pferden voran den Weg entlang und öffnete das Steintor.

Helles Sonnenlicht empfing sie, als sie aus der unterirdischen Höhle ins Freie ritten, und augenblicklich brach ihnen der Schweiß aus.

»Mach’s gut, Swon«, flüsterte der Jäger, als der Goon das Tor hinter ihnen schloss. »Hoffentlich sehen wir uns bald wieder.«

Dann folgte er dem merkwürdigen Alten und dem ausgestoßenen Sangapao nach Westen.

Nach Kandelar, der roten Stadt.

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