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In Kölle am Ring
ОглавлениеBonn konnte an bestimmten Tagen grausig sein, aber Kölns Verkehrsdichte verursachte regelrechte Bauchschmerzen. Die Parkplatzsuche krönte das Ganze. Funk fuhr zwei Mal die Venloerstraße zwischen Friesenplatz und Innerer Kanalstraße hinauf und hinunter, bis er endlich eine Parklücke fand.
Im »Grün Eck« war um diese Zeit nicht viel los. Eines der Fenster zur Palmstraße hin war zersplittert, vor dem Eingang Ecke Friesenwall lagen Scherben. Wahrscheinlich war es hier am Wochenende wieder mal rundgegangen. In den letzten Jahren war es in der Kneipe relativ ruhig geworden. Aber ab und zu krachte es immer noch mal und dann nicht zu knapp, wie man an dem zerborstenen Fenster erkennen konnte. Die Kneipentür stand weit offen, und Qualm zog auf die Straße.
Beltel kam öfter hierher. Und zwar aus einem ganz bestimmten Grund. Sein Blick fiel sofort auf Düres, der mit sich selbst zufrieden an der Theke saß. Die Zigarette in seiner Hand war bis zum Filter runtergeraucht. Vier jüngere Typen neben ihm knobelten verbissen und laut. Die Würfel wurden energisch auf das Brett geschlagen. Zwei Männer und eine Frau saßen am linken Eckrand der Theke zusammen. Aus Gesprächsfetzen entnahm Beltel, dass die Frau heute nicht genug verdient hatte, weswegen einer der Männer sauer war. Sie versuchte, ihn auf die Wange zu küssen, was er unwirsch abwies, und erklärte mit schmeichelnder Stimme, dass das Geschäft abends eben besser sei. Dann sahen die drei misstrauisch zu den Polizisten hinüber. Düres dagegen nickte Beltel und Funk zu.
Beltel bekam Düres’ kräftigen Händedruck zu spüren, Funk wurde von dem Kölner Urgestein nur deshalb begrüßt, weil er zu Beltel gehörte. Dass Düres nichts für Bullen übrig hatte, war beiden klar. Beltel war die Ausnahme, weil er Düres vor Jahren einmal aus der Patsche geholfen hatte und der ein Mann war, der so was nicht vergaß. Aus Dankbarkeit gab er Beltel schon mal das eine oder andere Insiderwissen preis, immer vorausgesetzt, es brachte keinen Freund oder Bekannten in Schwierigkeiten. Er zog klare Grenzen: Zum Verräter wurde er deshalb nicht.
In der Zeit, in der die Deutschen im Kölner Milieu noch das Sagen hatten, war Düres ganz oben gewesen. Er war einer der Bosse im Ringviertel rund um den Friesenplatz. Wo er hinlangte, wuchs kein Gras mehr. Mit der Größe seiner Fäuste hatte er ganze Gesichtshälften eingedeckt. Wie Beltel wusste, war Düres früher mit dem Boxer Peter Müller, »de Müllers Aap« befreundet gewesen und hatte in der Jugend von der Kölner Legende boxen gelernt.
Mittlerweile hatten Ausländer die Deutschen an den Rand gedrängt. Das Milieu wurde immer härter. Schusswaffen hatten zu Düres’ Zeiten noch kaum eine Rolle gespielt. Düres hatte Beltel gegenüber einmal erwähnt, dass die Jungs vom alten Schlag sich auch nicht mit Schusswaffen hätten rausdrängen lassen. Burschen wie er und die damaligen Mitstreiter hatten ein eisernes Rückrat besessen. Sie hätten den Kölner Ring damals nicht den Ausländern kampflos überlassen. Schusswaffen hin, Schusswaffen her. Die Stadt hatte ihnen gehört. Da hätte schon eine Armee kommen müssen, um sie zu vertreiben. Es waren die jungen deutschen Möchtegernhalbweltler, die viel zu weich waren und lieber Arbeitslosenkohle bezogen, anstatt ihren Mann zu stehen.
Aber Typen wie Düres hatten ihre Schäfchen schon lange ins Trockene gebracht und schoben eine ruhige Kugel. Die ganze Szene kratzte ihn seit Jahren überhaupt nicht mehr. Mit zweiundsechzig hatte er nicht mehr den Ehrgeiz, weiter mitzumischen. Hier noch mal was maggeln, da noch mal einen leichten Euro verdienen, das war’s. Er genoss es, nicht mehr im Rampenlicht des Milieus zu stehen.
Allerdings hatte sich Düres dem Trinken verschrieben und er hatte auch jetzt einen sitzen. Er verbrachte viel zu viel Zeit hier in der Kneipe. Offenbar verführte ihn ein langweiliger Lebensabend zum Trinken, dabei war viel Vitalität auf der Strecke geblieben.
»Manni, alter Jung, schön dich zo sinn«, sagte er ein wenig lallend. »Setze mir uns ahn de Desch, da is et jet ruhijer.«
Die Knobelbrüder hatten eine Runde beendet. Drei von ihnen grölten und der Verlierer bestellte vier Bier. Düres wollte den Polizisten ein Bier ausgeben, aber Beltel und Funk bestanden auf Cola. Uwe, der Wirt, brachte die Getränke.
»Wat führt üsch Ermittler zo mer? Widde in Saache Mord ungerwääs?«, wollte Düres wissen, nachdem sie an einem Tisch Platz genommen hatten, von dem aus man aus dem eingeschlagenen Fenster nach draußen sehen konnte. Zwischen zwei Spielautomaten waren ungefähr vier Quadratmeter der Wand mit FC-Fahne und Geißbock bespannt.
Beltel hatte seine Probleme mit dem Kölschen Dialekt, und Funk ging es garantiert nicht besser. »Düres, du hast es hier mit zwei Nichtkölnern zu tun. Deshalb muss ich dich bitten auf Deutsch umzustellen.«
Düres grinste: »Wenn et sinn muss. Ich spreche mit jedem, solang et kinne Düsseldorfer is.« Er wandte sich an Uwe hinter der Theke. »Uwe läch ens jät Kölsches op, so dat die zwei he eh Jefühl fü uns Sproch krieje.« Einen Moment später ertönte das Lied »In Kölle am Ring« und die Typen an der Theke stimmten lautstark mit ein.
Ehrerbietig lauschte Beltel einer der Nationalhymnen von Düres. »Du kanntest doch diesen Karl Nirbach? Der ist ermordet worden. Erschossen, mit einem Präzisionsgewehr. Nachts im Wald«, kam Beltel auf sein Anliegen zu sprechen.
»Den Nirbach? Ja, den kannte ich. Hab ich dir am Telefon schon jesaat. Aber ich hab ziemlich lang nix mehr von ihm jehört. Der hat sich von Köln abjeseilt. War wahrscheinlich besser für ihn. Allzu viele Freunde hatte er nicht.« Düres’ rheinisches Hochdeutsch war einigermaßen verständlich, aber das alkoholbedingte Lallen war jetzt etwas deutlicher und letztendlich passte die kölsche Mundart besser zu ihm. »Der Typ kam höchstens ab und zu noch mal auf eine Party. Ansonsten hat man den hier nicht mehr jesehen.«
»Keine Geschäfte mehr hier in Köln?«
»Net da isch wüss«, Düres lächelte. »Tschuldijung die Herren, nicht das ich wüsste.«
»Kannst du dich mal umhören?«
»Du weißt, wo meine Jrenzen sin. Ich bin kein Spitzel.«
Beltel nickte. »Weiß ich, Düres. Es geht mir ja nur darum, ob Nirbach hier in Köln noch gelegentlich was laufen hatte.«
»De Wiener Rudi kann isch mal fraren. Der war früher beim Nirbach em Puff mitbeteilich. Die zwei han viel Jeschäfte jemacht.«
Beltel nickte. »Außerdem interessiere ich mich für Herrmann Klötsch, Nirbachs rechte Hand und falls du was über Viola Nirbach weißt …«
Eine schwarzhaarige Frau in hochhackigen Schuhen kam von der Damentoilette. Düres drehte sich zu ihr um und gab ihr ein Zeichen, worauf sie zu ihnen an den Tisch stöckelte. »Hi«, begrüßte sie Beltel und Funk freundlich lächelnd. Sie war um die fünfunddreißig, zehn Jahre früher hätte sie an Misswahlen teilnehmen können. Sie legte einen Arm auf Düres Schulter.
»Kommissar Beltel und sein Kollege«, stellte Düres seine Besucher vor.
»Melanie«, sagte die Frau charmant. Dann stöckelte sie weiter Richtung Theke und zog dabei nicht nur Beltels und Funks Blicke auf sich.
Düres ruhte einen Moment in sich und man konnte ihm das Glück anmerken, das diese Frau ihm gab. »Nach Herrmann Klötsch hatste jefracht?«, wandte er sich wieder an Beltel. »Der Klötsch, dem Nirbach seine rechte Hand? Der war der Lakai. Ist lange her, da hatte ich mal mit dem ein Problem. War aber schnell gelöst. Der wusste immer, mit wem er et machen kann und mit wem nit. Der konnte jut Frauen verprüjeln. Viel mehr hatte der nicht drauf. Un die Viola, die is Ukrainerin. Die hat am Anfang edelmäßig für den Karl Geld verdient, später hat sie dann den Puff für ihn geleitet. Die war knallhart. Extrem hinter der Kohle her. Hab ich von Mädchen jehört, die da gearbeitet haben. Der Bruder von der hat sich früher hier rumgetrieben und is jetz irgendwo in Hamburg im Geschäft.«
»In Hamburg im Geschäft?«, hakte Funk nach.
Düres tat sich sichtlich schwer, diesem, ihm unbekannten, Kripomann Auskunft zu geben. »Ukrainer. Hier hat er klein anjefangen, hat Kontakte aufjebaut und dann ist er zu den Jroßen nach Hamburg befördert worden«, erklärte er gelangweilt.
»Du meinst Russen und so?«, fragte Beltel.
»Russen, Ukrainer, Albaner, die mache die jroßen Jeschäfte da oben und auch hier in Köln. Der Bruder von der Viola hängt da mit drin.«
Viola Nirbachs Bruder hatte Kontakte zur Mafia? War da ein Ansatz? Vielleicht hatte Nirbach zu diesen Typen geschäftliche Kontakte gepflegt?, ging es Beltel durch den Kopf.
Ein Mann guckte von der Straße durch das kaputtgeschlagene Fenster. Beltel nickte in seine Richtung. »Hat hier wohl vor Kurzem mal wieder geknallt?«
Düres antwortete nicht, sondern erhob sich und ging Richtung Theke, nachdem der Mann in die Kneipe gekommen war. Seine Haltung strahlte etwas Drohendes aus. Auch Uwe, der Wirt, schoss hinter dem Tresen hervor. »Du hast hier Hausverbot«, blaffte Uwe den Mann an.
Alle Anwesenden blickten hinüber.
»Ich han doch ja nit aanjefange«, versuchte der Mann zu erklären. »Un wullt doch nur froore, ob ich ming Jack widder han kann.«
Uwe ging hinter die Theke und bückte sich. Düres blieb vor dem Mann stehen. Mit seinen zweiundsechzig Jahren war er immer noch eine eindrucksvolle Person, die offenbar trotz Alkoholkonsums die Situation im Griff hatte. Der Wirt kramte unter der Theke eine Lederjacke hervor und hielt sie dem Mann hin.
Der betrachtete die Jacke. »Da iss jo e Loch drin.«
»Die Scheibe ist auch kaputt!«, brüllte Uwe. »Verpiss dich jetzt.«
Der Mann zögerte kurz, dann tat er, wie ihm geheißen. Am Ausgang drehte er sich noch einmal um: »Dreckslade!«, rief er, bevor er endgültig verschwand.
Lächelnd kam Düres an den Tisch zurück.
»Der hat dat Fenster auf ’em Jewissen. Samstagabend hat et hier en bisschen jeknallt. Kommt immer mal wieder vor. Vor allem wenn die Thekenmannschaft jespielt hat und danach de Schabau jut fließt. Un jetz beschwert der Jeck sich über sing Jack.«
Beltel und Funk lächelten. »Gut, Düres, wir müssen mal wieder, du hast meine Nummer.«
»Wie jesacht, Manni, zu weit kann ich mich nit aus dem Fenster lehnen, aber ich hör mich mal um, und dann ruf dich an.«
Zum Abschied bekam diesmal auch Funk Düres bärenstarken Händedruck zu spüren.