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Am nächsten Tag …

Oskar erwachte mit schmerzenden Gliedern. Er schlug die Augen auf und sah, dass der Morgen bereits angebrochen war. Die aufgehende Sonne sandte erste zaghafte Strahlen durch die Scheiben und zauberte einen warmen Fleck auf sein Bett. Von draußen drang Vogelgezwitscher zu ihm herein.

Er richtete sich auf und streckte die Arme. Trotz seines gestrigen Abenteuers hatte er tief und fest geschlafen. Das dicke Federbett und die Ruhe im Haus des Forschers hatten ihm gutgetan. Herzhaft gähnend schwang er die Beine aus dem Bett und fing dann an, sich zu untersuchen. Die Blessuren hielten sich in Grenzen. Ein paar blaue Flecke und Prellungen, das war alles. In ein paar Tagen würde er davon nichts mehr spüren. Einzig die Stelle im Gesicht, wo Behringer ihn mit der Faust erwischt hatte, tat ziemlich weh. Er tastete mit den Fingern darüber und spürte, dass sie etwas angeschwollen war. Wahrscheinlich hatte sich dort ein hübsches Veilchen gebildet.

Oskar vergaß für einen Moment seine Schmerzen, als er draußen das Klappern von Hufen hörte, die langsam näher kamen. In das Schnauben der Pferde mischten sich die Stimmen von Männern. Neugierig sprang er aus dem Bett und öffnete das Fenster.

In der Auffahrt stand eine Droschke, die von zwei Pferden gezogen wurde. Zwei Herren in grauen Anzügen stiegen aus dem Wagen. Beide waren schlank und drahtig und wirkten irgendwie südländisch. Der eine war ein Mann von vielleicht fünfundfünfzig oder sechzig Jahren. Seine Haut war wettergegerbt und sein silbergraues Haar kurz geschnitten. Sein Bart war struppig und wild, was ihn wie einen Seeräuber aussehen ließ. Der andere war deutlich jünger und besser gekleidet. Er trug einen gut sitzenden Anzug, Manschetten und Krawatte sowie einen modernen Zylinder. Beide rauchten. Als die Haustür aufging, nahmen sie ihre Glimmstängel aus dem Mund und zertraten sie im Kies.

Oskar sah, wie Carl Friedrich von Humboldt die beiden Männer begrüßte. Verglichen mit ihnen, war er von beinahe riesenhaftem Wuchs. Mit seinem indischen Sherwani und seinem chinesischen Zopf wirkte er sehr exotisch. Doch trotz seines exzentrischen Äußeren war er ein Mann von Ehre und höflichem Auftreten.

»Guten Morgen«, hörte Oskar ihn sagen.

»Herr von Humboldt?«, fragte der gut gekleidete Mann.

»Wer will das wissen?«

»Mein Name ist Stavros Nikomedes.« Der jüngere Mann trat auf Humboldt zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Dies ist mein Kapitän, Dimitrios Vogiatzis. Ich bin Reeder. Ich würde gerne in einer geschäftlichen Angelegenheit mit Ihnen sprechen.«

Humboldt musterte die beiden, dann ergriff er Nikomedes’ Hand und schüttelte sie. »Geschäftlich? Das ist natürlich etwas anderes. Ich hatte vermutet, Sie seien von der Presse. Dieser Reporter Fritz Ferdinand wird allmählich lästig. Bitte verzeihen Sie meine Zurückhaltung. Treten Sie doch näher. Haben Sie Gepäck?«

»Ist alles in unserem Hotelzimmer.«

»Schön. Dann wollen wir hineingehen. Bitte folgen Sie mir.« Oskar beobachtete, wie Humboldt die beiden Männer ins Haus geleitete und die Tür schloss.

Erleichtert lehnte er sich zurück. Einen Moment lang hatte er geglaubt, die beiden seien von der Gendarmerie und wegen der Schlägerei von gestern Abend gekommen. Doch die Sache schien nichts mit ihm zu tun zu haben. Trotzdem wollte er natürlich wissen, was da unten vor sich ging. Er eilte zum Waschbecken, wusch sein Gesicht, putzte die Zähne und kämmte sorgfältig seine Haare. Er war gerade in Hemd und Hose geschlüpft, als es klopfte.

»Herein!«

Die Tür öffnete sich und Charlottes hübsches Gesicht erschien im Rahmen. Ein Sonnenstrahl fiel durch das Fenster und ließ ihr blondes Haar golden glänzen. »Guten Morgen«, sagte sie. »Gut geschlafen?«

Er hielt den Waschlappen an seine Wange gepresst, in der Hoffnung, sie würde die Blessuren nicht bemerken.

»Klar, und du?«

Als sie ihn sah, schwand ihr Lächeln. Mit einer schnellen Bewegung trat sie in sein Zimmer und schloss die Tür. Sie baute sich vor ihm auf und blickte ihn an. Ihre Lippen wurden schmal, wie immer, wenn er etwas ausgefressen hatte. Innerlich stöhnte er. Wie hatte er nur glauben können, unbemerkt davonzukommen?

»Du siehst ja furchtbar aus. Was ist geschehen?«

»Ein kleiner Unfall.«

»Unfall? Dass ich nicht lache!«

»Klar. Was denn sonst?«, erwiderte er halbherzig.

»Ich weiß, dass du gestern ausgebüchst bist. Ich habe dich gesehen, wie du über die Mauer gestiegen bist.«

»Ja und? Ich musste mir noch ein wenig die Beine vertreten. Als ich zurückkam, war es schon dunkel. Ich wollte nicht das ganze Haus aufwecken und habe darum kein Licht gemacht. Unten in der Halle bin ich erst mal gegen einen der Pfosten gerannt und dann ist mir auch noch –«

»Du hast dich geprügelt«, schnitt Charlotte ihm das Wort ab. Sie trat auf ihn zu, nahm den Lappen weg und betrachtete seine Blessuren. Kopfschüttelnd sagte sie: »Du bist wieder in deiner alten Gegend gewesen. Habe ich dir nicht schon hunderttausend Mal gesagt, dass du das nicht tun sollst?«

Oskar überlegte kurz, ob er alles leugnen sollte, kam aber zu dem Schluss, dass Charlotte zu clever war, um sich von ihm an der Nase herumführen zu lassen. Er seufzte. »Na schön, ich habe meine Freunde getroffen, na und? Ich musste ihnen doch sagen, wo ich bin und dass es mir gut geht. Ich habe mich seit Ewigkeiten nicht bei ihnen blicken lassen. Stell dir vor, die haben geglaubt, ich sei tot!«

»So wie du aussiehst, hat nicht mehr viel dazu gefehlt. Was ist passiert?«

»Ärger mit einem Geldverleiher, ist doch egal. Ich habe ihm Geld geschuldet und es zurückgezahlt. Wir sind jetzt quitt. Ende der Geschichte.«

»Und das soll ich dir glauben? Bei dem Veilchen, das du kassiert hast? Ach, was mische ich mich da ein! Du hörst ja doch nicht auf mich. Aber eines kann ich dir sagen: Wenn mein Onkel dich so sieht, schmeißt er dich raus, und zwar achtkantig. Vergiss nicht, er hat dir verboten, dich mit diesen Leuten zu treffen.«

»Du verstehst das nicht«, sagte Oskar. »Meine Freunde sind wie meine Familie. Ich kann nicht von heute auf morgen ein neues Leben beginnen und so tun, als sei davor nichts gewesen. Ich musste sie einfach wiedersehen. Tut mir leid, wenn ich deinen Ansprüchen nicht genüge …«

Charlotte sah einen Moment wütend auf ihn herab, dann wurde ihr Ausdruck sanfter. »Ich hab’s nicht so gemeint. Ich mach mir nur einfach Sorgen.«

Irrte er sich oder huschte da ein roter Schimmer über ihre Wangen?

In dem Moment schien sie es selbst zu bemerken und änderte ihre Haltung sofort. »Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir jetzt ein Problem haben«, sagte sie. »Mein Onkel will, dass wir uns beide unten einfinden. Er hat Besuch bekommen und möchte, dass wir seine Gäste kennenlernen. Was mache ich nur mit dir …?« Sie blickte sich um, dann rief sie: »Ich habe eine Idee! Warte hier, ich bin gleich zurück.«

Sie verschwand und lief einen Stock höher in ihr Zimmer. Oskar konnte hören, wie sie in irgendwelchen Schubladen herumwühlte. Der Gedanke, dass sie so besorgt um ihn war, erzeugte ein warmes Gefühl in seinem Bauch. Er hatte dieses Gefühl schon seit Peru, aber es nie so richtig zugelassen. Doch seit sie wieder daheim waren, war es stärker geworden.

Charlotte kam zurück und schloss die Tür. »So«, sagte sie. »Setz dich da ans Licht. Ich muss dich ein bisschen zurechtmachen.«

Oskar blickte misstrauisch auf das Täschchen in Charlottes Händen. »Schminksachen?«, fragte er.

»Abdeckpuder, ganz genau. Wir müssen etwas gegen dein Veilchen unternehmen.« Sie reichte ihm einen Handspiegel. Was Oskar darin erblickte, ließ ihn erschrocken zusammenfahren. Seine ganze linke Wange war blau. Es sah aus, als wäre er in einen Blaubeerkuchen gefallen. Erschrocken ließ er sich auf den Stuhl fallen. Vielleicht sollte er den Forscher doch mal darum bitten, einen Spiegel über dem Waschbecken anzubringen.

Ohne Vorwarnung fing Charlotte an, ihn mit Pinseln und Wattebäuschen zu bearbeiten. Früher hätte er eine solche Prozedur nicht ums Verrecken über sich ergehen lassen, aber er sah ein, dass es diesmal nicht anders ging. Nach einer Weile fand er sogar Spaß daran. Charlotte war ausgesprochen geschickt und er genoss es, ihr so nahe zu sein. Ein leichter Duft nach Lavendel umschmeichelte seine Nase. War das ihr Parfüm oder roch sie einfach so gut?

Er hätte gerne irgendetwas Charmantes gesagt, doch ihm fiel nichts ein. Es war doch komisch, dass er sich in ihrer Gegenwart immer befangen fühlte. Dabei hatte er bei den Mädchen in seiner alten Gegend einen Ruf als richtiger Casanova. Vielleicht lag es daran, dass Charlotte ihn so gut durchschaute. Mit ihr war jedenfalls alles anders.

Etwa fünf Minuten später war sie fertig. »So müsste es gehen, glaube ich.« Sie reichte ihm den Spiegel. Oskar drehte seinen Kopf. Die Nichte des Forschers hatte wirklich gute Arbeit geleistet. Außer der leichten Schwellung war kaum noch etwas zu sehen. Die Hautfarbe und der Übergang waren perfekt gelungen. Er wollte sie loben, doch sie klappte den Spiegel zu und steckte ihn zurück in ihre Tasche. »Keine Zeit jetzt«, sagte sie. »Humboldt wartet schon auf uns. Schuhe an und dann nichts wie runter!«

Der Palast des Poseidon

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