Читать книгу Der Palast des Poseidon - Thomas Thiemeyer - Страница 15
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Athen, drei Tage später …
Die Hitze in der Innenstadt war drückend. Die Flaggen vor dem Polytechnikum hingen schlaff herunter. Kein Lufthauch war zu spüren. Die Sonne ließ die Luft flimmern. Selbst die Tauben, die sonst den Platz zwischen der technischen Universität und dem Archäologischen Nationalmuseum bevölkerten, hatten sich in den Schatten zurückgezogen und warteten auf die kühleren Nachmittagsstunden.
In den Räumen der Fakultät für Nautik und Marinetechnik war es noch halbwegs erträglich. Das dicke Gemäuer hatte die angenehme Eigenschaft, Wärme zu speichern und sie nur langsam weiterzugeben. So fror man nicht, wenn man nachts noch arbeiten musste, und hatte es tagsüber, wenn die Sonne Athen in einen Glutofen verwandelte, angenehm kühl.
Prof. Dr. Christos Papastratos, Dekan der Fakultät, war gerade damit beschäftigt, die Vorlesungsunterlagen für den morgigen Tag zusammenzustellen, als es an die Tür klopfte.
»Ja, bitte?«
Im Türrahmen erschien der Kopf seines Assistenten, eines jungen Burschen mit strubbeligen Haaren. »Professor?«
»Ah, du bist’s, Gregorios. Was gibt es?«
»Draußen stehen ein paar Besucher, die unbedingt zu Ihnen wollen.«
»Die sollen sich vorne einen Termin geben lassen. In den Sprechstunden, montags und mittwochs ab sechzehn Uhr.«
»Sie sagen aber, sie hätten es eilig. Sie haben gesagt, sie hätten Referenzen, und dass Sie sie bestimmt vorlassen würden, wenn Sie wüssten, um was es geht.«
Der Professor seufzte. »Können die Leute denn keine Termine mehr machen, so wie früher?« Er fuhr sich durchs Haar. »Heutzutage hat jeder es immerzu eilig. Alles muss schnell, schnell, schnell gehen. Kein Wunder, dass dabei die Qualität auf der Strecke bleibt. Was sind das überhaupt für Leute?«
»Ich glaube, es sind Deutsche«, sagte Gregorios. »Sie haben einen sehr merkwürdigen Akzent. Sie sind überhaupt sehr merkwürdig.«
»Deutsche? Haben sie gesagt, was sie wollen?«
Der Junge schüttelte den Kopf.
Papastratos rückte seinen Stuhl zurück und stand auf. »Na gut. Maximal eine Viertelstunde. Mehr Zeit habe ich wirklich nicht. Führ sie herein!« Er klappte seinen Ordner zu und stellte ihn ins Regal zurück. Kaum hatte er sich wieder umgedreht, als ein hochgewachsener Mann mit langem Mantel, Zylinder und schwarzem Spazierstock den Raum betrat. Der Knauf des Stabes hatte die Form eines goldenen Löwenkopfes.
In seinem Gefolge befanden sich eine dunkelhäutige Frau und zwei Jugendliche – ein Mädchen, gekleidet in ein elegantes hellblaues Kleid, und ein Junge in Tweedhosen, weißem Hemd und Schiebermütze. Zwischen ihren Beinen lief – Professor Papastratos senkte die Brille – ein Kiwi. Das kleine Geschöpf nutzte den Schatten, um sich fortzubewegen, wobei seine hornigen Zehen auf dem Marmor klappernde Geräusche erzeugten. Der Dekan vergaß seinen Mund zu schließen. Merkwürdig, hatte Gregorios sie genannt, doch das war bei Weitem untertrieben.
»Professor Papastratos«, sagte der hochgewachsene Mann und kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. »Sie ahnen gar nicht, wie sehr ich mich freue, Sie kennenzulernen. Man hat Sie uns wärmstens empfohlen. Genau genommen sind Sie unsere letzte Hoffnung.« Das Griechisch des Mannes war ein wenig unbeholfen, aber gut verständlich. Offenbar ein Mann von Bildung.
»Das klingt ja sehr geheimnisvoll«, bemerkte Papastratos. »Was kann ich für Sie tun?«
»Zuerst einmal möchte ich mich vorstellen. Mein Name ist Humboldt. Carl Friedrich von Humboldt. Dies sind meine Begleiter: Eliza Molina, Charlotte Riethmüller und Oskar Wegener.«
Der Professor lupfte eine Augenbraue. »Humboldt? Wie der berühmte Naturforscher?«
»Alexander von Humboldt war mein Vater«, entgegnete der Mann.
»Ganz erstaunlich«, sagte der Dekan. Er bezweifelte, dass dieser Mann tatsächlich ein Nachkomme des berühmten Weltreisenden war, aber er wollte sich gern anhören, was den Mann zu ihm führte. »Welch eine Ehre, Sie hier begrüßen zu dürfen. Sind Sie auch Forscher?«
»In der Tat. Allerdings habe ich dem Universitätsbetrieb in jüngster Zeit den Rücken gekehrt, um meine Fähigkeiten in den Dienst der Wirtschaft zu stellen. Ich bin, wenn Sie so wollen, ein Privatermittler für ungewöhnliche Phänomene. Und genau in dieser Mission bin ich zurzeit unterwegs. Sagt Ihnen der Name Nikomedes etwas? Stavros Nikomedes?«
»Natürlich«, entgegnete Papastratos. »Jeder in Athen kennt die Familie. Sie ist eine der ältesten und respektabelsten Reederfamilien in dieser Stadt. Stavros ist der Juniorchef, habe ich recht?«
»Genau in dieser Funktion war er bei mir. Es geht um die verschwundenen Schiffe.«
Jetzt wusste Papastratos, woher der Wind wehte. Natürlich hatte er die Geschichten gehört. Gerüchte von riesigen Seeungeheuern und mysteriösen Angriffen. Und jetzt kam dieser Humboldt damit ausgerechnet zu ihm.
»Haben Sie davon gehört?«
»Natürlich«, erwiderte Papastratos. »In den Kneipen wird viel darüber spekuliert. Wildes Seemannsgarn, das kann ich Ihnen erzählen. Ich wüsste aber nicht, wie ich Ihnen weiterhelfen könnte. Vielleicht versuchen Sie es mal bei der Schifffahrtsbehörde.«
Humboldt seufzte. »Da waren wir schon. Ebenso beim marinebiologischen Institut der Universität. Wir sind von Pontius zu Pilatus gelaufen, aber niemand glaubt an die Geschichte vom Seeungeheuer. Alle gehen davon aus, dass die Schiffsunglücke irgendwelche natürlichen Ursachen haben. Seebeben, Stürme, Alkoholismus, die Liste ist lang. Um ehrlich zu sein, ich habe mir so etwas gedacht, ich wollte nur erst alle Fakten beisammenhaben, ehe ich mir ein abschließendes Urteil bilde. Es gibt da allerdings eine Sache, die mich aufhorchen ließ. Vor etwa zehn Jahren schien schon einmal ein Unglück passiert zu sein. Eine Katastrophe, die erstaunliche Ähnlichkeit mit den jüngsten Fällen hat und die bis heute nicht aufgeklärt wurde. Wissen Sie etwas darüber?«
Papastratos faltete die Hände, schwieg aber.
»Herr Dekan, bitte. Was wissen Sie über einen Mann namens Livanos? Man sagte mir, Sie wären derjenige, der ihm am nächsten stand. Ein Spezialist, sozusagen. Man sagte mir, wenn ich etwas über ihn in Erfahrung bringen wolle, wären Sie der richtige Ansprechpartner.«
Der Professor blickte auf. »Livanos«, sagte er. »Das ist ein Name, den ich seit einer langen Zeit nicht mehr gehört habe. Einer sehr langen Zeit …«
Die Augen des Forschers weiteten sich hoffnungsvoll. »Dann können Sie uns also weiterhelfen?«
Papastratos versank in Schweigen. Einerseits war er mit Arbeit eingedeckt, andererseits ließ der Name Livanos alte Erinnerungen wach werden.
Er überlegte einen Augenblick, dann stand er auf. »Bitte entschuldigen Sie mich einen kurzen Moment.« Er öffnete die Tür und verließ das Zimmer. Als er seinen Assistenten sah, winkte er ihn zu sich. »Gregorios, ich will, dass du für heute alle Termine absagst. Ich möchte nicht gestört werden.«
»Aber Ihr Treffen mit dem Direktor um zwei …?«
»Ich sagte alle. Besorge uns ein paar Tassen Tee und etwas Gebäck, und zwar schnell, wenn ich bitten darf.« Er klatschte in die Hände und beobachtete, wie sein Assistent davoneilte, dann drehte er sich um und kehrte zu seinen Gästen zurück.
Der Forscher hatte in der Zwischenzeit einen kleinen grauen Kasten hervorgeholt und ihn auf den Tisch gestellt. Papastratos blieb in der halb geöffneten Tür stehen.
»Was ist denn das?«
»Eine Übersetzungsmaschine«, erklärte Humboldt. »Sie wird unsere Unterhaltung erleichtern und gleichzeitig dafür sorgen, dass wir nicht belauscht werden. Möchten Sie sie einmal ausprobieren?«