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Auf der Flucht

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Aus dem Halbdunkel stürzt ein Mann mit schräg nach oben gestrecktem Arm hervor und läuft fast vor meinen Wagen. Ich mache eine Vollbremsung und komme gerade noch rechtzeitig zum Stehen. Der Mann schlurft um die Kühlerhaube herum und steigt ein.

»Zum Glück habe ich Sie gesehen«, sage ich, »das war ganz schön knapp«. Der Mann zeigt keine Reaktion, aber mir steckt der Schreck noch in den Gliedern.

»Da haben Sie Glück gehabt, dass ich zufällig vorbeigekommen bin. Um diese nachtschlafene Zeit können Sie hier in Buchholz lange auf ein freies Taxi warten, oder haben Sie eines bestellt?«

»Nein, ich habe keines bekommen«, sagt der Mann monoton.

Ich bin irritiert: Was soll das bedeuten? Entweder er hat bestellt oder nicht. Jetzt bemerke ich erst, dass er nur im Pullover unterwegs ist und das bei fünf Grad Außentemperatur. Wir fahren zunächst schweigend Richtung Zentrum.

»Können Sie nicht das Radio anmachen?«, unterbricht mein Beifahrer die Stille. Nun bewegen wir uns mit Musik und weiterhin ohne Gespräch fort.

»Ich bin psychisch krank«, sagt mein Fahrgast plötzlich, »ich bin gerade aus der Medizinischen Hochschule ausgebrochen. Ich habe dort jemanden niedergeschlagen, der wollte mich nicht gehen lassen.« Nach kurzer Pause fügt er noch an: »Manche Leute haben ja was gegen psychisch Kranke!?« Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er mich dabei prüfend anguckt.

»Ich finde nicht, dass sie ausgegrenzt werden sollten«, sage ich sicherheitshalber.

»Ich habe fünf Polizisten auf einmal verprügelt.«

»Wirklich?«, lache ich.

»Glauben Sie mir etwa nicht?«, fragt er mit einem drohenden Unterton.

»Doch, doch«, versuche ich ihn zu beschwichtigen, »ich finde es nur gut. Das würde ich auch manchmal gern machen.«

»Wenn mir niemand etwas will, bin ich ruhig, aber sonst werde ich böse. Ich war früher einmal Boxer.«

Damit gibt er mir unmissverständlich zu verstehen, dass mir ja nicht einfallen sollte, die Polizei zu benachrichtigen. Er spricht mit etwas starrem Blick und steifer Körperhaltung immer nach vorn gewendet. Zwischendurch regt er sich bei seinen Erzählungen etwas stärker auf, woraufhin ich versuche, ihn wieder zu beruhigen.

»Ich kann nur sagen: Das wünsche ich niemandem. Psychisch krank zu sein ist das Schlimmste. Bei mir weiß ich, wodurch die Psychose ausgelöst worden ist. Ich hatte einmal einen schweren Autounfall …«

Ich denke sofort: »Aha, wohl eine körperliche Ursache, bestimmt eine Gehirnverletzung.« Aber ich habe mich getäuscht.

»Bei dem Unfall sind eine Frau und ihr kleines Kind gestorben. Ich habe das jetzt einigermaßen verarbeitet, aber manchmal muss ich noch daran denken.« Sein Gesicht verzerrt sich und er beginnt leise zu schluchzen. »Seit drei Monaten war ich jetzt in der MHH, ich musste einfach raus.«

»Geld haben Sie aber dabei?«, frage ich.

»Natürlich, ich bin nicht doof! Manche Leute denken: ›Ach, ein Psychopath‹ und man hat keine Chance mehr. Dabei habe ich Abitur und alles gemacht.«

Gegen Ende der Fahrt fragt er mich: »Bist du psychisch krank? Du bist so hemmungslos.« Er meint ›gehemmt‹ und hat offensichtlich meine Anspannung und Angst bemerkt, aber sicherlich nicht sich selbst als Ursache vermutet.

Am Steintor bezahlt er mit einem Fünfziger, den er womöglich geklaut hat, vergewissert sich noch mal, dass ich keinesfalls die Polizei rufe und verschwindet im Rotlichtviertel. Ich teile es trotzdem sofort dem Funker mit. »Na dann werde ich mal bei der MHH anrufen und fragen, ob dort jemand fehlt«, ist sein lapidarer Kommentar.

NachtTaxi

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