Читать книгу NachtTaxi - Thorsten Amrhein - Страница 9
Kein Weihnachtstyp
Оглавление»Sind Sie ein Weihnachtstyp?«, fragt mich meine Beifahrerin. Es ist die Nacht vom ersten auf den zweiten Weihnachtsfeiertag.
»Wie meinen Sie das?«, frage ich irritiert zurück.
»Na, finden Sie die ›besinnliche‹ – man hört die Anführungszeichen deutlich in ihrer Stimme – Weihnachtszeit schön?«
»Ach so. Wenn Sie mich so fragen, kann ich mit einem klaren Nein antworten. Ich hasse Weihnachten zwar nicht, aber es ist mir doch ziemlich egal.«
»Ja?«, sie wirkt gleich viel wacher, »endlich mal jemand, der das so sieht wie ich.«
Ich nehme aus dem Augenwinkel wahr, wie die Frau anfängt mich zu mustern.
»Ich habe auch nichts weihnachtlich geschmückt«, sage ich, um keinen Zweifel an meiner Einstellung aufkommen zu lassen, »es gibt nichts Schlimmeres als diese bunten blinkenden Lichterketten in den Fenstern.«
»Hast du einen Weihnachtsbaum?«, fragt meine Passagierin weiter und geht dabei unvermittelt zum Du über.
»Nein. Dieses Jahr habe ich auch keinen Baum in meiner Wohnung stehen.«
»Wirklich?«, fragt sie immer noch etwas ungläubig, »ich habe mich nämlich mit meiner Mutter gestritten, weil ich keinen Weihnachtsbaum aufstellen wollte.«
Wohl in der Meinung, einen Seelenverwandten getroffen zu haben, fixiert sie mich immer intensiver.
»Wie gesagt, für mich ist Weihnachten nichts Besonderes, es interessiert mich einfach nicht weiter. Ich tue so, als sei ein ganz normales Wochenende«, bekräftige ich noch einmal meine Meinung.
»Die Leute nehmen das einem aber einfach nicht ab; sie glauben nicht, dass man wirklich so denkt.«
»Ja, das habe ich auch schon festgestellt.«
»Das Einzige, was mir an Weihnachten gefällt, sind die freien Tage. Wie lange arbeitest du heute denn noch?«
»Noch ungefähr drei Stunden, um 6 Uhr werde ich wahrscheinlich Schluss machen.«
»Und wie viel würdest du in der Zeit noch verdienen?«
Der Konjunktiv macht mich stutzig. Ich überlege etwas länger – gleichzeitig über den Betrag und darüber, wie es wohl weitergehen wird.
»Aber übertreib’ es nicht!«, fügt sie noch an.
Nun bin ich mir sicher, worauf sie hinaus will. Ich kann ein leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken und sage:
»Ich hoffe, dass ich noch so hundert Euro Umsatz mache.«
»Und wenn ich dir zweihundert gebe und du machst sofort Feierabend?«
Wieder zögere ich mit der Antwort: Wie komme ich aus der Nummer noch heraus, ohne meine Beifahrerin vor den Kopf zu stoßen?
»Ganz ohne Hintergedanken, nur etwas trinken und unterhalten«, versucht sie mir die Entscheidung leichter zu machen.
»So viel Geld kann ich wirklich nicht annehmen«, sage ich – froh, diesen Rettungsanker gefunden zu haben.
»So viel Geld habe ich ja auch gar nicht, aber man kann ja mal testen.«
Sie hat also erkannt, dass ich nicht will und auch eine gute Möglichkeit gefunden ihr Gesicht zu wahren: Es ist natürlich nur ein nicht ernst gemeintes Spielchen ihrerseits gewesen.
Mit etwas angekratztem Selbstwertgefühl sagt sie beim Aussteigen mehr zu sich als zu mir: »Ich bin ja auch älter als du …«