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Polizeipräsidium Südosthessen

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Als die beiden das Präsidium betraten, kam gerade Rüdiger Salzmann um die Ecke. „Und? Habt ihr schon eine Vermutung, was passiert sein könnte?“

„Das nicht, aber ich habe eine Überraschung für dich: Bei dem Toten im Park handelt es sich um den verschwundenen Klaus Zenker, unseren verdächtigen Lehrer“, unterrichtete Adi den Kollegen. „Die Spusi hat bei dem Toten seine Brieftasche mit seinem Pass gefunden. Deshalb haben wir ihn auch nicht zu Hause angetroffen. Die arme Joggerin ist direkt in ihn reingerannt und hat dabei den Schock ihres Lebens bekommen. Jetzt warten wir auf die Ergebnisse der Gerichtsmedizin, ob es ein Suizid war oder ob eventuell Fremdverschulden vorliegt.“

Rüdiger nickte beifällig. „Der Lehrer ist schuldig und jetzt hat er aus Angst vor der Strafe die Konsequenzen gezogen und sich aufgehängt. Somit müssen wir nur noch das Mädchen finden und der Fall ist gelöst. Das nenne ich mal schnelle und effektive Polizeiarbeit.“


Inzwischen hatten Adi und Sina die Joggerin ein weiteres Mal vernommen. Durch ihre Aussage konnten sie den möglichen Todeszeitpunkt genauer eingrenzen und sie konnten ausschließen, dass die Joggerin mit dem Tod des Lehrers in irgendeiner Verbindung stand.

Eine junge Beamtin informierte Hessberger, dass sich eine Frau Zenker am Empfang gemeldet hätte. „Ich habe sie in den Vernehmungsraum gesetzt. Und eine Kanne Kaffee steht auch schon bereit.“

Als Hessberger den Raum betrat, blickte ihn ein Augenpaar angstvoll an. „Was ist mit meinem Mann los?“, brach es ohne weitere Einleitung aus ihr heraus. „Er hat garantiert nichts mit der Sache zu tun, wegen der Sie ihn beschuldigen. Gestern Nachmittag bat er mich, mit den Kindern zu meinen Eltern zu fahren, aber ich konnte nicht dort bleiben. Als ich heute Morgen zurückkam, sagte mir eine Nachbarin, dass sie gestern die Polizei bei uns gesehen hätte. Und mein Mann ist spurlos verschwunden. An sein Handy geht er auch nicht.“

Hessberger schluckte. Das waren genau die Momente, die er überhaupt nicht mochte.

„Leider muss ich Ihnen mitteilen“, setzte er sachte und mit warmer Stimme an, „dass Ihr Mann tot ist. Wahrscheinlich hat er sich in der Nacht das Leben genommen. Es tut mir wirklich sehr leid, Frau Zenker.“

„Was?“ Die Frau starrte ihn mit aufgerissenen Augen an.

„Wo? Wo ist er gefunden worden?“

„Im Leonhard-Eißnert-Park. Eine Joggerin hat ihn heute Morgen gefunden.“

Frau Zenker schlug die Hände vor ihr Gesicht. Schluchzen schüttelte ihren Körper. Plötzlich sprang sie auf.

„Das ist alles Ihre Schuld!“, schrie sie Adi ins Gesicht. „Wenn Sie ihn nicht beschuldigt hätten, wäre es niemals dazu gekommen!“ Tränen liefen ihre Wangen herunter. Grußlos verließ sie den Raum und schlug die Tür mit großer Wucht hinter sich zu.

„Was war denn das für ein Auftritt?“, fragte Salzmann, der sie gerade noch um die Ecke laufen sah. „Die hat man ja durch das ganze Revier schreien hören. Wahrscheinlich war es der Schmerz über den Tod ihres Mannes. Aber vielleicht auch die Erkenntnis, dass er ein ganz anderer Mensch war als der, für den er sich ausgegeben hat.“

Adi schüttelte den Kopf. „Nein, Rüdiger, ich glaube immer noch, dass du falsch liegst. Unsere Ermittlungen sollten jetzt nicht einseitig laufen, nur weil du glaubst, der Fall sei schon gelöst.“

Salzmann sah ihn fassungslos an. „Dir ist einfach nicht zu helfen. Kannst du dich nicht mal freuen, dass es auch unkomplizierte Fälle gibt?“ Er machte eine wegwerfende Geste und ließ Hessberger stehen.

Zu gerne hätte Adi ihm zugestimmt, aber irgendwie konnte er nicht an die Schuld des Lehrers glauben. Kopfschüttelnd ging er zurück an seinen Arbeitsplatz.


Mittags saßen Sina Fröhlich und Adi Hessberger am einzigen Tisch im kahlen, grauen Vernehmungsraum. Ihnen gegenüber hatte Rainer Schumann Platz genommen. Dem Abteilungsleiter einer Bank wurde vorgeworfen, mehrere Millionen Euro veruntreut zu haben, indem er das Geld von verschiedenen Konten auf sein privates Konto umgeleitet hatte.

Normalerweise waren sie nicht für diese Art von Verbrechen zuständig, doch Hessberger hatte sich mit einem Kollegen aus einem anderen Kommissariat über aktuelle Fälle ausgetauscht. Dabei hatte der Kollege ihn um Hilfe gebeten. Sie kamen mit dem Verdächtigen keinen Schritt weiter, obwohl die Beweise gegen ihn erdrückend waren. Deshalb sollte Adis Abteilung dem Beschuldigten noch mal auf den Zahn fühlen. Schumann hatte immer wieder beteuert, unschuldig zu sein und nichts mit der Veruntreuung zu tun zu haben.

Adi übernahm sofort die Gesprächsführung. „Herr Schumann, erzählen Sie bitte die Geschichte aus Ihrer Sicht noch einmal von Anfang an. Wenn Sie wollen, dass wir Ihnen helfen, brauchen wir jede noch so kleine Information.“

Zunächst stotterte Schumann ein wenig, aber dann fing er sich. „Ich saß an meinem Schreibtisch und prüfte die Abrechnungen des Tages. Als Abteilungsleiter einer mittelständischen Bank gehört das Controlling zu meinen Hauptaufgaben. Dann kam dieser Anruf. Sie glauben nicht, wie oft ich meiner Assistentin schon gesagt habe, dass ich bei so komplexen Sachen nicht gestört werden will. Zwecklos! Ich schaute aufs Display. Oberster Stock! Vorstand! Wenn die sich mal dazu herablassen, unten bei uns anzurufen, dann muss es wirklich wichtig sein. Ich ging ran und wurde hinaufzitiert. Unverzüglich! Ei, ei, ei, das musste ja ganz dringend sein. Ich fuhr also mit einem flauen Gefühl im Magen mit dem Fahrstuhl bis in den 13. Stock, und als ich nach einem kurzen Klopfen den Raum betrat, wusste ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Dr. Schröder begrüßte mich mit eisiger Miene. ‚Sie wissen, warum Sie hier sind, Schumann?‘, raunzte er mich an. Ich war nur in der Lage, den Kopf zu schütteln. ,Haben Sie geerbt, oder wie sind Sie sonst zu so viel Geld gekommen?‘, fragte er mich. Ich sagte: ‚Ich weiß nicht, was Sie meinen. Auf meinem Konto geht doch nur das monatliche Gehalt ein, und das war‘s.‘ Wortlos reichte mir Schröder einen Auszug. Das war zweifelsohne mein Konto. Der Name und die Kontonummer stimmten überein, auch die letzten Abbuchungen. Aber als ich den Habensaldo sah, verschwammen mir auf einmal die Zahlen vor den Augen. Ich spürte, wie mir fürchterlich schlecht wurde, meine Beine knickten weg und dann verlor ich komplett die Fassung.“

„Und Sie können sich wirklich nicht erklären, wie das Geld auf Ihr Konto gekommen ist?“ Adi Hessberger schüttelte ungläubig den Kopf.

„Herr Schumann“, schaltete sich Sina Fröhlich ein. „Es ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass der Bank ein paar Millionen Euro fehlen und der Gesamtbetrag des verschwundenen Geldes sich auf Ihrem privaten Konto wiederfindet. Als Vertrauensperson des Bankvorstands haben Sie die Vollmachten und vor allem die Möglichkeiten, solche Transaktionen durchzuführen. Damit handelt es sich um Untreue nach § 266 StGB: Wer die ihm eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, missbraucht und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. Dazu müssen Sie sich noch nicht einmal bereichert haben. Die Strafandrohung gilt übrigens für jede einzelne Ihrer Transaktionen. Erschwerend kommt hinzu, dass wir auf Ihrem privaten Laufwerk Abrechnungen von Pferdewetten, Online-Poker und weiteren Glücksspielen gefunden haben. Das deutet unserer Meinung nach darauf hin, dass es eventuell Spielschulden gibt, die Sie nicht ausgleichen können.“

Trotz Sinas anklagender Worte blieb Schumann ruhig. „Glauben Sie tatsächlich, dass ich es schaffe, unbemerkt Gelder von verschiedenen Konten zu transferieren und im Anschluss so bescheuert bin, das Geld auf mein eigenes Girokonto zu überweisen? Außerdem mache ich mir überhaupt nichts aus Glückspielen. Ich spiele noch nicht einmal Lotto. Das Einzige, was ich mit Spielen zu tun habe, sind die Spiele des OFC. Die schaue ich mir live oder im Internet an.“


„Lasst uns beim Essen weitermachen!“, schlug Adi den Kollegen vor. „Wollen wir auf einen Happen in die Käsmühl gehen? Ich hätte richtig Lust auf einen Wirtshaus-Fladen, was meint ihr?“

Als sie dort ankamen, erwischten sie nur mit Glück noch einen freien Tisch. Während des Essens diskutierten sie erneut über den Lehrer, der nicht wirklich dem Bild eines Verbrechers entsprach.

Danach unterhielten sie sich noch eine Weile über den OFC, denn Adi konnte einfach nicht aufhören, über seinen Lieblingsverein zu sprechen. „Bin echt gespannt, wie unsere Neuzugänge einschlagen. Das Präsidium hat wirklich alles getan, um endlich Erfolg zu haben. Sogar den Firat haben sie zurückgeholt. Das wird spannend, denn der Junge kann zwar gut kicken, aber er polarisiert die Fans. Viele haben ihm sein Auftreten beim Spiel gegen Bayern Alzenau sehr übel genommen. Jetzt muss er einfach zeigen, dass er sich im OFC-Trikot zerreißt.“

Sina wirkte sichtlich genervt: „Können wir vielleicht mal das Thema wechseln? Ihr dümpelt jetzt seit Jahren in der vierten Liga rum und du tust echt so, als bestünde eine Chance, aufzusteigen. Ich geh mal kurz für kleine Mädchen, in der Zeit könnt ihr ja den OFC retten.“

Adi schaute ihr erstaunt hinterher, doch Rüdiger hatte die Zeichen der Zeit erkannt und wechselte das Thema. „Sag mal, Adi, hast du eigentlich wieder mal was von Clarissa gehört? Ist sie immer noch in der geschlossenen Anstalt? Du müsstest es doch eigentlich wissen, du hast ihr doch mal ziemlich nahegestanden.“

Die beiden hatten nicht bemerkt, dass Sina an der Garderobe direkt hinter ihrem Tisch stehen geblieben war. Sie konnte sich auf das Gehörte keinen Reim machen, aber ihr Argwohn war geweckt. Was hatte es mit Adi und dieser Clarissa auf sich?

Als sie sich einige Minuten später wieder setzte, wollte das Gespräch nicht mehr richtig in Gang kommen. In Sinas Kopf kreisten die Gedanken wie eine Achterbahn. Hatte Adi am Ende etwas mit dieser Clarissa gehabt, während sie selbst zwischen Leben und Tod schwebte? Sie schaffte es gerade noch zu sagen: „Ich geh nur mal kurz an die frische Luft.“ Als sie außer Sichtweite war, rannte sie los in den angrenzenden Wald hinein. Auf dem Boden vor ihr lag ein Stock. Sie hob ihn auf und drosch mit verzerrten Gesichtszügen wie wild auf die umliegenden Büsche ein, bis sie sich einigermaßen beruhigt hatte …


„Wir müssen reden!“ Sina stürmte im lang gezogenen Flur des Präsidiums auf Rüdiger Salzmann zu und stellte ihn zur Rede.

„Was ist da gelaufen zwischen Clarissa und Adi?“, brüllte sie ihm ins Gesicht. Ihre Augen funkelten.

Salzmann wich einen Schritt zurück, bis er mit dem Rücken an der Wand stand. Trotzdem versuchte er, cool zu bleiben, was ihm nicht gelang. „Ich … ich, äh …. ich glaube, die beiden haben sich einfach gut verstanden, aber … aber am einfachsten wäre es, du … du fragst sie beziehungsweise Adi persönlich.“

Mit einer blitzschnellen Bewegung entwand er sich Sinas Zugriff und verschwand in seinem Büro.

„Das ist es!“, murmelte Sina. „Ich frage einfach Clarissa, was in dieser Zeit passiert ist. Adi muss es ja überhaupt nicht mitbekommen.“ Jetzt musste sie nur noch herausfinden, ob Clarissa bereit war, mit ihr zu reden.


Steffi Gerber versuchte vorsichtig, ihre Augen zu öffnen, aber die Lider waren schwer wie Blei. Sie hatte rasende Kopfschmerzen und spürte eine unangenehme Kälte, die ihren ganzen Körper umfing. Durch einen kleinen Spalt blinzelnd, konnte sie den Grund erkennen: Sie hatte nichts an. Verzweifelt versuchte sie, sich an irgendetwas zu erinnern, aber es gelang ihr nicht. Plötzlich hörte sie Schritte. Jemand kam langsam auf sie zu und eine Hand berührte ihre Schulter.

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