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Freitag, 24.01.2020, Leonhard-Eißnert-Park
ОглавлениеAls Adi den Telefonhörer auflegte, schaute er Sina mit betrübten Augen an. „Es gibt Arbeit. Wir müssen zu einem neuen Tatort.“
Eine Viertelstunde später kamen sie im Leonhard-Eißnert-Park an. Adi verschaffte sich erst einmal einen groben Überblick. Die Wege des beliebten Kletter- und Freizeitparks waren vorschriftsmäßig mit rot-weißen Plastikbändern abgesperrt. Alles wirkte ein wenig trist, die Bäume waren kahl, das welke Gras grau, die Luft dunstig. Die großen Wasserfontänen, im Sommer eine Attraktion des Geländes, waren abgestellt. Der Park und das Verkehrserziehungsgelände, auf dem Hessberger vor vielen Jahren seinen Fahrrad-Führerschein gemacht hatte, waren menschenleer, nur die Kollegen der Spurensicherung zeigten Fleiß bei der Arbeit.
„Na Jungs, was haben wir hier?“
„Ein Spaziergänger hat die Polizei benachrichtigt, weil eine Joggerin bewusstlos im Wald lag. Leider konnten wir sie nicht vernehmen, denn der herbeigerufene Rettungswagen hat sie sofort mit ins Krankenhaus genommen. Aber deswegen haben wir euch nicht gerufen. Zuerst dachten wir tatsächlich, es handelt sich nur um eine verunglückte Person, aber dann haben wir das hier gesehen.“ Er zeigte auf eine riesige Eiche. Einen halben Meter über dem Boden baumelte ein männlicher Körper.
Die Kommissare fuhren ins Ketteler-Krankenhaus, um die Aussage der Joggerin aufzunehmen. Adi wusste aus langjähriger Erfahrung, dass es wichtig war, die Zeugen so schnell wie möglich zu vernehmen.
„Ich fühle mich total unwohl in Krankenhäusern. In der Luft liegt immer ein Hauch von Desinfektionsmitteln, diesen Geruch hasse ich wie die Pest. Findest du nicht auch, dass Krankenhäuser das Gefühl von Siechtum und Tod verströmen?“ Ohne eine Antwort von Sina abzuwarten, ging Adi weiter. Sie fuhren mit dem Aufzug in den dritten Stock und ließen sich dort von einer Schwester das richtige Zimmer zeigen. Der Raum, den sie betraten, erwies sich als großzügiges, lichterfülltes Zimmer.
Die Frau lag direkt am Fenster. In ihrem Gesicht spiegelte sich Angst, ja Panik wider, zumindest war das Adis Eindruck. Die verlaufene Schminke verlieh ihr einen maskenhaften Ausdruck und unter der großen Bettdecke wirkte sie seltsam verloren.
„Wie geht es Ihnen?“, fragte er ohne Umschweife. „Sind Sie in der Lage, uns zu erzählen, was genau passiert ist?“
Wie geistesabwesend begann sie zu erzählen. Es schien, als spiele sie die Szene nach, denn sie redete, als würde sich das Ganze gerade ereignen.
„Ich jogge durch den Park, wie jeden Morgen. Ich laufe am Verkehrserziehungsgelände vorbei. Es ist ganz friedlich und still, weil es noch so früh ist. Der Mond leuchtet nur schwach durch die großen Laubbäume. Der Park liegt in einem tiefen Schlaf. Es ist neblig und kein Geräusch ist zu hören. Doch da ist plötzlich was. Ein leises Knarren, kaum hörbar, das mich stört und nicht in diesen Morgen passt. Aber ich bin in meine Gedanken vertieft. Mein Freund und ich wollen bald heiraten. Was da alles zu erledigen ist, das geht mir nicht aus dem Kopf. Auch beim Joggen. Ganz plötzlich merke ich, dass was nicht stimmt, aber da ist es schon zu spät. Da hängt jemand und ich renne voll in ihn hinein. Gegen eine Leiche! So ein grauenvoller Anblick! Ich fange an zu zittern. Am ganzen Körper. Will schreien. Aber … aber es kommt kein Ton über meine Lippen.“
Kaum hatte sie ihre Erzählung beendet, brach sie in Tränen aus. Der herbeigeeilte Arzt versuchte, sie zu beruhigen, und bat die Beamten zu gehen. Sie verabschiedeten sich, denn mehr würden sie im Augenblick wahrscheinlich sowieso nicht erfahren. Warum sollten sie die Frau weiter quälen?