Читать книгу Abseits - Thorsten Fiedler - Страница 11
DREI Montag, 27.01.2020, 08.30 Uhr, Polizeipräsidium
ОглавлениеLars Mühlbauer war 24 Jahre alt, fast zwei Meter groß und wog etwa 110 Kilogramm. Der Kriminalkommissar war der neue Kollege, der die Abteilung entlasten sollte und den alle sehnlichst erwartet hatten. Er war vor ein paar Wochen aus Hamburg nach Offenbach gezogen. Mühlbauer war leider kein Kickers-, aber immerhin St.-Pauli-Fan. Diese Mannschaft konnte Hessberger gut leiden, sie war genauso ein Kultclub wie sein OFC. Was Adi weniger gefiel, war, dass Mühlbauer sehr gut aussah und immer wieder Sina musterte.
Adi stellte den Neuen dem Team vor und ging dann sogleich zum Du über, wie es seit jeher im Präsidium üblich war: „Lars, du hast das große Vergnügen, sofort an unserer Morgenbesprechung teilzunehmen, damit du dich möglichst rasch eingewöhnen kannst.“
Alle nahmen im Besprechungszimmer Platz und Sina übernahm es, Lars über die aktuellen Fälle und Ermittlungsergebnisse zu informieren. Sie diskutierten den Fall des Lehrers und seinen mutmaßlichen Selbstmord durch Erhängen sehr ausführlich.
Adi wartete immer noch auf die Ergebnisse der Gerichtsmedizin. „Ich bin hundert Prozent der Meinung, dass es sich um Selbstmord handelt. Es gibt keinerlei Hinweise auf Fremdverschulden. Der Tatort, das Seil und auch die Art, wie er am Baum hing, das alles vermittelt das typische Bild eines Selbstmörders. Und es scheint mir auch deshalb logisch, weil ich nicht ernsthaft an seine Schuld glauben kann. Klar, wir haben bei ihm die Nacktfotos gefunden. Wir müssen feststellen, wie die auf seinen Rechner kamen. Vielleicht hat er sie ja nur im Unterricht konfisziert, auf einem USB-Stick oder so. Wie seht ihr die Sache? Aus meiner Sicht konnte er nicht mit dem Makel leben, als Sexualtäter beschuldigt zu werden, zumal er ja genau wusste, dass er nicht in diese schmutzige Angelegenheit verwickelt war.“ Seine Kollegen nickten zustimmend. „Eine abschließende Bewertung des Falls können wir allerdings erst vornehmen, wenn die Obduktion vorliegt. Deshalb gilt: Erste Priorität liegt darauf, schnellstmöglich die verschwundene Steffi Gerber zu finden. Wie sieht es denn eigentlich mit ihrem Umfeld aus?“
„Die junge Frau wohnt alleine“, berichtete Salzmann. „Sie hat keinen Freund.“
„Schade, er hätte uns bei einer Vernehmung vielleicht noch ein paar pikante Details liefern können.“
„Richtig. Auch von ihren Eltern werden wir nichts erfahren, sie sind vor zwei Jahren ums Leben gekommen. Und Geschwister hat Frau Gerber auch nicht.“
Adi beauftragte Lars, den neuen Kollegen, Freunde und Freundinnen des Mädchens zu befragen und alle Möglichkeiten des Presseapparats auszuschöpfen. „Ich möchte, dass Radiosender und Zeitungen uns bei der Suche helfen. Wir werden Belohnungen ausloben für jeden sachdienlichen Hinweis. Die Technikabteilung soll versuchen, das Handy zu orten.“
Sina wollte noch einmal von Frau zu Frau mit der Gattin des Toten sprechen. Rüdiger Salzmann bot sich an, die Sichtung des Computers zu übernehmen, den sie in der Wohnung gefunden hatten.
Danach ging es um den Fall des Abteilungsleiters der Bank, dem die Beamten keine hohe Priorität einräumten, da die Beweislage ziemlich eindeutig schien.
Zudem kamen noch einige ältere Fälle, die auf den Schreibtischen der Beamten lagen, zur Sprache. Die neue Luxusresidenz namens „Seerosenweiher“ hatte vor einigen Monaten gebrannt und es gab Hinweise auf Brandstiftung. Ein anderer Vorfall, der Hessberger intensiv beschäftigte, hatte sich vor einem halben Jahr ereignet. Im Oktober 2019 hatte ein Telefon- und Computerausfall das Polizeipräsidium in Offenbach lahmgelegt. Die Zentrale war nur über Handys zu erreichen gewesen und Notrufe mussten auf die Leitstelle in Frankfurt umgeleitet werden. Erst am Abend war die Anlage wieder einsatzfähig gewesen. Hessberger hatte ernsthafte Bedenken, dass es vielleicht jemand auf die polizeilichen Daten abgesehen hatte. Die Anlage war zwar inzwischen mehrfach ohne Ergebnis überprüft worden, doch er war nicht der Typ, der an Zufälle glaubte.
Alle diese Fälle spiegelten den normalen Polizeialltag wider, ganz im Gegensatz zu den krassen Vorfällen, die das komplette Polizeipräsidium Südosthessen zuvor monatelang in Atem gehalten hatten.
Auch wenn das große Prickeln fehlte, das sich nur bei wirklich außergewöhnlichen Verbrechen einstellen wollte, gingen sämtliche Kollegen des Teams mit Feuereifer an die Arbeit, insbesondere die bislang erfolglose Suche nach Steffi Gerber bereitete ihnen Kopfzerbrechen und hinterließ ein flaues Gefühl im Magen.