Читать книгу Ein halbes Jahr Amerika - Tiffany Anders - Страница 5
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ОглавлениеAm nächsten Morgen, wurde ich durch klopfen und rufen von Boris geweckt. Ich schaute auf mein Handy und erschrak ein wenig, da wir schon 8. 41 Uhr hatten. Eigentlich wollten wir schon um halb 8 Uhr aufstehen, aber wir hatten beide unsere Wecker nicht gehört. Ich sagte Boris er soll reinkommen und fragte ihn warum er uns nicht schon früher geweckt hat. Aber Boris und Lydia hatten auch verschlafen. Somit saßen wir erst um kurz nach 9 Uhr beim Frühstück zusammen.
Nach einem kurzen Frühstück machten wir uns auf dem Weg zum Strand. Als wir dort ankamen standen schon unzählige Busse bereit, die die Flüchtlinge abtransportieren sollten. Der Kommandeur mit dem Thorben am Tag zuvor gesprochen hat, stand am ersten Bus und wollte gerade anfangen die ersten einsteigen zu lassen. Er freute sich Thorben zu sehen, er dachte schon wir hätten es uns anders überlegt. Er machte mit Thorben ab, das wir uns die Leute rausfischen. Die würden denn noch einmal extra registriert werden, dass sie mit zu uns gehen.
Der Kommandeur war ein großer, breiter, sehr durchtrainierter Marine Soldat mit einem Haarschnitt, der absolut perfekt geschnitten war. Er war schon älter, war aber durch und durch Soldat. Der erste Eindruck machte mir Angst. Er schien sehr korrekt zu sein und keine Fehler zu zulassen. Doch er war zu uns wirklich sehr freundlich. Bei seinen Untergebenen sah es anders aus. Die bekamen kurze und deutliche Anweisungen, die sie gefälligst ordnungsgemäß auszuführen hatten.
Es war ein Tisch aufgestellt auf dem ein Computer stand, mit einem Kasten auf dem Fingerabdrücke gescannt werden. Jeder Flüchtling musste noch einmal seinen Namen sagen und seine Abdrücke abgeben. Nach ungefähr 15 Minuten war ein etwa 10 jähriger Junge an der Reihe. Er schien irgendwie ganz allein zu sein und Thorben fragte den Kommandeur, wo seine Eltern waren. Der Kommandeur sagte, das der Junge eins von 23 Kindern unter 15 Jahren sei, das ganz alleine hier angekommen war. Mein Magen zog sich zusammen und ich schaute Thorben hilfesuchend an. Thorben nickte mir zu und sagte dem Kommandeur, das wir, wenn es möglich wäre auch die Kinder mitnehmen möchten. In das Gespräch mischte sich ein Mann ein. Er stellte sich als ein Mitarbeiter des Jugendamtes vor. Er erklärte uns, dass es leider nicht möglich wäre, da die Kinder in die Obhut des Jugendamtes genommen werden. Ich fing an mit dem Mann zu diskutieren, dass diese Kinder ja zu meinem Volk gehören und was wir für die Kinder in den USA taten. Er schaute mich an und fragte ungläubig, ob ich Frau Berg sei. Ich war total verdutzt, das er meinen Namen kannte und er erzählte mir, dass unsere Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen weit über Texas hinaus bekannt wäre. Das wir auch mit extrem schwierigen Kindern zurechtkommen würden und das sich die Jugendheime und Ämter um einen Platz bei uns in den Ferien reißen würden. Er entschuldigte sich und ging telefonieren. Nach 10 Minuten kam er wieder und wollte meinen Ausweis sehen. Ich gab ihn ihm und er sagte seinem Gesprächspartner am Telefon, das ich wirklich Die Frau Berg bin. Er telefonierte noch einen Augenblick und sagte dann seinen 4 Kollegen, dass ich die Kinder mitnehmen dürfe. Die Unterlagen der Kinder würden an das Jugendamt in unserer Gemeinde übergeben werden. Er war bereit sich noch vor Ort um die Kinder zu kümmern bis alle Kinder durch waren und wir eine Möglichkeit gefunden hatten, die Kinder von dort weg zu bringen.
Boris fing an zu telefonieren, um einen Bus organisieren. Leider dauerte es fast 2 Stunden bis er ein Busunternehmen gefunden hatte, das noch einen Bus zu Verfügung hatte und auch nach Texas fahren würde. In der Zwischenzeit rief ich Franky und Claire an. Ich erzählte ihnen, das wir 23 Kinder im Alter von 4-15 Jahren mitbringen würden und bat sie schon einmal
Bungalows für die Kinder fertig zu machen. Franky erzählte, das sich schon einige unserer Freunde auf der Ranch eingefunden hätten, nachdem sie von der Flucht erfahren hatten. Sie wollten alle helfen. Justin, einer unser Ferienbetreuer war auch dabei. Wir hatten, als wir mit den Ferienkindern anfingen, mehrere Betreuer eingestellt und Justin, ein junger Mann der damals gerade sein Studium abgeschlossen hatte, war von Anfang an mit dabei. Er hatte sich schon gedacht, dass wir wenn es möglich ist, verwaiste Kinder mitbringen würden. Ich bat ihn zu versuchen, noch weitere Betreuer zu organisieren. Er sollte versuchen, Samanta zu erreichen. Samanta war auch seid Anfang an dabei und die Kinder liebten sie. Sie spielte Abends immer am Lagerfeuer Gitarre und sang dazu. Sie war zwar durch und durch ein Hippie und dazu noch Veganerin, aber wir kamen super mit ihr klar. Sie wollte eigentlich nach Europa in den Urlaub, aber ich hoffte, dass wir Glück hatten und sie sich doch noch in den USA befand und sie arbeiten konnte. Justin und die anderen versprachen ihr Möglichstes zu tun.
Ich war sehr stolz auf unsere Freunde. Mich überkam ein Glücksgefühl, das ich schon ewig nicht mehr verspürt hatte, es war einfach toll solche Freunde zu haben. Franky, Claire und Justin waren zwar unsere Angestellten, aber sie sind auch welche von unseren besten Freunden.
Ich ging wieder zurück zu Thorben und dem Kommandeur. Mittlerweile waren schon 2 Stunden vergangen, aber Thorben hatte noch niemanden von unseren Bekannten entdeckt. Mehrere Busse waren schon voll besetzt abgefahren und einige schon wieder leer zurück. Wir hatten aber immer noch Hoffnung. Es waren noch so viele Menschen am Strand. Nicht nur viele Flüchtlinge, da waren Polizisten, Soldaten, Ärzte oder Bürger die versuchten, die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen. Nur bei dem Kommandeur war es etwas ruhiger. Die Flüchtlinge wurden durch einen Schlauch aus Gitterzäunen zum Tisch des Kommandeurs geleitet. Da wurden sie noch einmal registriert und dann sofort in den bereitgestellten Bus gebracht. Mit jedem Bus wurden 2 Soldaten mitgeschickt, um Fluchtversuche zu vermeiden. Die Kinder wurden gleich raus genommen und an den Herren und seine Kollegen vom Jugendamt übergeben.
Ich unterhielt mich mit Boris, Thorben und Lydia, als neben uns am Tisch, ein Mädchen das ungefähr so alt wie Bjarne war, ihren Namen sagte. Ich drehte mich zu ihr um und fragte sie, ob sie Andreas Groth kennt. Andreas Groth hatte ich vor über 20 Jahren auf der Beerdigung eines Freundes kennengelernt und wir hatten uns angefreundet. Der Kontakt hatte sich aber nachdem ich ein paar Orte weitergezogen war, hauptsächlich auf Facebook beschränkt. Neben der Lütten tauchte eine Frau auf, sie kam mir bekannt vor, aber sie war total dreckig, ihre Kleidung zerrissen, ihre schulterlangen offenbar braunen Haare waren total verfilzt und fettig und sie sah völlig fertig und verheult aus. Das ist mein Mann, sagte sie. Jetzt erkannte ich sie wieder, es war Andreas damalige Freundin Nicole, die er vor ein paar Jahren geheiratet hat. Ich fragte sie, ob er nicht mit sei. Sie erklärte mir unter Tränen, das sie ihn und die große Tochter, nach dem Sturm in der letzten Nacht auf See nicht wieder gefunden haben. Andreas sei mit Gina auf Deck gegangen, da sie sich übergeben musste. Als der Sturm sich gelegt hatte, wurden sie gleich von der Küstenwache an den Strand gebracht. Seid sie am Strand waren hatten sie Andreas und Gina gesucht, aber bei den vielen Menschen nicht gefunden. Thorben fragte den Kommandeur, ob Andreas oder Gina Groth schon durchgekommen wären. Der schaute kurz nach und konnte zu unserer Erleichterung feststellen, dass sie noch nicht mit durch waren. Wir sagten ihm, dass Nicole und ihre Tochter schon einmal auf unsere Liste kommen. Wir erklärten Nicole kurz was nun passieren würde. Sie fing an zu weinen und fiel mir vor Erleichterung um den Hals. Lydia fuhr mit den Beiden in den Ort, um ihnen frische Kleidung und etwas zu essen zu kaufen und das die Beiden sich duschen konnten.
Ein paar Minuten später nahm der Kommandeur einen dringenden Funkspruch entgegen. 200 Kilometer nördlich war noch ein Schiff auf den Weg an die Küste. Es wurde abgefangen und in unsere Richtung gelotst. Auf dem Schiff sollten sich noch einmal um die 2500 Menschen befinden. Der Kommandeur gab Befehle und ein großer Strandabschnitt wurde neu abgezäunt. Dann wurde ein Toilettencontainer auf den Abschnitt des Strandes gefahren. Da noch niemand sagen konnte, ob das Schiff das nun auf dem Weg war, Strahlungen ausgesetzt war. Ein paar Minuten bevor das Schiff an dem Küstenabschnitt eintraf, zogen sich einige der Soldaten und Ärzte Vollschutzanzüge an. Eine Waschanlage wurde zu dem Abschnitt gebracht und aufgebaut. Es war eine Waschanlage für Strahlungsopfer. Die Boote die von der Küstenwache an das Schiff ranfuhren, waren mit Leuten besetzt die auch solche Anzüge trugen. Der Kommandeur hatte ein Fernglas und schaute zu dem Schiff das jetzt in Sichtweite war. Die Boote der Küstenwache legten am Schiff an und die Besatzungen gingen an Bord. Sie hatten mehrere Geigerzähler dabei und gaben nach ca 30 Minuten Entwarnung, das die Strahlung zwar erhöht, aber noch völlig unbedenklich sei. Wir waren erleichtert.
Der Kommandeur meinte, dass sie alle bis auf das neue Schiff bis zum Einbruch der Nacht abgearbeitet haben wollten. Die Menschen von dem neuen Schiff würden sie nur notversorgen und am nächsten Tag bei Sonnenaufgang weiter machen. Wir hatten großen Hunger, aber wollten die restlichen Menschen die noch in den Bus steigen würden abwarten. Und uns hinsetzen und vor den Menschen etwas Essen wollten wir nicht. Der Kommandeur meinte, er würde locker 5 Tage ohne etwas zu essen auskommen, nur Wasser ist extrem wichtig. Lydia kam zurück und wir machten ab, dass sie schon zurück fährt. Nicole und Vanessa fuhren bei ihr mit und der Bus mit den Kindern fuhr ihnen hinterher.
So langsam lichteten sich die Menschenmassen und wir hielten Ausschau, ob wir wenigstens Andreas entdecken konnten. Leider fanden wir ihn und Gina nicht. Ich meinte, dass es ja vielleicht sein kann, dass er bei dem Sturm über Bord gegangen ist. Thorben wollte das nicht hören, denn schließlich war Andreas bei der Marine, der geht nicht über Bord.
Und dann entdeckte Thorben einen entfernten Bekannten, unseren ehemaligen Hausarzt und wir entschlossen uns ihn und seine Frau auch mit zu nehmen. Sie waren beide Ärzte und Ärzte kann man immer gebrauchen.
Ein Soldat kam zum Kommandeur und fragte, was jetzt mit denen passiert, die Ärger gemacht haben. Thorben und ich wurden hellhörig. Wenn Rene auf einem dieser Schiffe war, denn war er bei der Gruppe die Ärger gemacht hat, aus welchem Grund auch immer. Ich fragte den Kommandeur wie viele Ärger gemacht hätten und er sagte, es wären 15 Männer, eine Jugendliche und ein Kind von 10 Jahren. Nachdem alle Flüchtlinge der ersten 4 Schiffe mit den Bussen abgefahren waren, gingen wir zu einem Container, der provisorisch als Gefängniszelle diente. Dort standen 2 Soldaten mit Gewehren vor der Tür und salutierten vor dem Kommandeur. Sie berichteten dem Kommandeur, wie es zu den Festnahmen gekommen war. Ein Mann war als die Küstenwache die Menschen von dem 2 Schiff geleiten wollte, mit seiner jugendlichen Tochter an Deck. Er weigerte sich aber, das Schiff zu verlassen und wurde, genau wie seine Tochter handgreiflich. Schnell mischten sich auch andere in das Geschehen mit ein und es brach in eine kleine Schlägerei aus, die aber ziemlich schnell unter Kontrolle war. Thorben und ich wussten sofort, das es Andreas gewesen sein musste, der den Aufstand angezettelt hat. Der Kommandeur ließ den Container öffnen und den Mann der die Schlägerei in Gange gebracht hatte zu sich bringen. Als der Mann in der Tür stand schrie ich auf und sprang ihm an den Hals, es war tatsächlich Andreas. Die Soldaten hatten sich etwas erschrocken und ich sah aus meinem rechten Augenwinkel in einen Gewehrlauf. Der Kommandeur gab sofort den Befehl, die Waffen zu senken. Andreas hatte sich auch ein wenig erschrocken und schaute ziemlich verdutzt drein, als er mich erkannte. Er fragte mich schon nach ein paar Sekunden nach Nicole und ich sagte ihm, dass sie auf dem Weg zur Ranch war. Der Kommandeur befahl den Soldaten ihm die Handschellen abzunehmen und seine Tochter zu holen. Thorben fragte, ob er mit kommen dürfte um zu sehen, ob er noch jemanden kannte. Natürlich, meinte der Kommandeur, und die Beiden Soldaten gingen mit Thorben in den Container. Ich fragte, den Kommandeur gerade, was mit dem 10 jährigen Kind passieren würde, ob wir es und die Familie mitnehmen dürften. Der Kommandeur sagte, er würde sich über jeden Einzelnen freuen, den wir mitnehmen würden, allerdings müsste erst einmal geklärt werden, ob jemand Anzeige wegen Körperverletzung stellt. Auch Andreas müsste sich verantworten. Gina kam aus dem Container und fragte ihren Vater sofort nach ihrer Mutter und der kleinen Schwester. Andreas erklärte ihr alles und Gina schaute mich an und sagte, dass sie mich nicht wieder erkannt hätte. Geht mir genauso, erwiderte ich, das letzte Mal als ich dich gesehen habe, warst Du 4. Sie war groß geworden , schlank, mit dunkelblondem etwas mehr als schulterlangen Haar. Ihr ründlich, kindliches Gesicht, hatte sie aber immer noch.
Mich packte jemand an der rechten Schulter, ich drehe mich um und vor mir stand Rene und grinste mich an. Mir schossen die Tränen in die Augen und ich musste zum ersten Mal an diesem Tag weinen. Ich hätte schon den ganzen Tag wirklich heulen können, dieses Elend war einfach unerträglich. Rene nahm mich in den Arm und meinte, dass er sich nicht erinnern kann, das ich so nah am Wasser gebaut bin. Ich nannte ihn einen Blödmann, obwohl er mir ein kleines Lächeln entlockt hatte. Rene war etwas größer als Thorben und hatte volles braunes Haar. Er hatte etwas mehr als einen Dreitagebart im Gesicht, den er sich sicher, sobald er ein Rasierer und einen Spiegel hatte abnehmen würde. Ich hatte ihn höchstens mal mit einem kleinen Schnauzbart, doch nie mit einem Vollbart gesehen. Renes Tochter Ylva war bei Thorben auf dem Arm und schlief, sie war völlig erschöpft und bekam nichts mehr mit. Ylva war so alt wie Bjarne. Sie war ein normal gebautes 10 jähriges Mädchen, nicht dick oder dünn. Ihre weißblonden Haare waren ganz akkurat bis auf die Höhe ihres Kinns geschnitten. Thorben hatte auch Tränen in den Augen, aber wir waren total glücklich. Als die Sonne gerade unterging fuhren Boris, Andreas und Gina und die Beiden Ärzte Richtung Texas. Thorben und ich wollten noch das nächste Schiff abwarten und Rene wollte bei Thorben bleiben. So fuhren wir in den Ort und Rene und Ylva bezogen Lydia und Boris Zimmer im Hotel.