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Efeuranken

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Mein altes Pilzrevier am Rande des Siebengebirges ist im Jahr 2020 ordentlich zusammengeschrumpft. Die Fichtenmonokulturen, in denen man 2019 noch üppig Maronenröhrlinge sammeln konnte, existieren nicht mehr. Erst kam die Dürre 2018, dann die Massenvermehrung des Borkenkäfers und dann der Harvester. Nun sind sie zu gigantischen Kahlschlägen geworden. Dazwischen sind Flecken mit Laubwald übriggeblieben und Gebiete, in denen die sterbenden Fichten noch auf den Harvester warten. Bei der Pilzsuche rieseln trockene Fichtennadeln auf mich herab – dennoch werde ich fündig und habe bald einen schönen Korb voller Steinpilze und Birkenröhrlinge zusammen. Da fällt mir am Wegesrand ein Pärchen auf, das sich an den verbliebenen Laubbäumen zu schaffen macht. Der Mann hat eine Klappsäge in der Hand und eben einen dicken Efeustrang in Kniehöhe durchtrennt. Gemeinsam versuchen sie nun, den Efeu durch brutales Reißen vom Baumstamm zu lösen. Ich gestatte mir die Frage, was die beiden da eigentlich machen würden.

»Das sehen Sie doch! Wir befreien diese Eichen vom Efeu. Der Wald hat es ’eh schon so schwer in diesen Zeiten. Da wäre es doch schade um diese schönen Eichen.«

Ich weise mit dem Finger auf die toten Fichten, die drastisch vor Augen führen, was passiert, wenn der Mensch der Meinung ist, er könne die Dinge besser regeln als die Natur. Man kann Efeu eine heimische Schlingpflanze nennen oder einen pflanzlichen Parasiten. Beides ist richtig. Efeu blüht, wenn die anderen ihre Blätter abwerfen. In der schwachen Phase der Bäume, wenn diese schutzlos ohne ihr Laub dastehen, übernimmt der Efeu die Regie. Er schlüpft mit seinem immergrünen Laub in die Lücke und holt sich das Licht der Wintersonne. Dabei ist Efeu unglaublich zäh. Hat er einen Baum einmal überwältigt, erwürgt er ihn. Das Totholz bleibt oft noch über Jahre stehen. In diesen Jahren ist Efeu im Spätherbst der letzte Lieferant von Nektar und Pollen. Auf diese Nahrung sind neben sehr vielen anderen Insektenarten auch unsere Honigbienen dringend angewiesen – und der Efeu liefert reichlich. An warmen Herbsttagen kann man ganze Schwärme von Insekten an der Efeublüte beobachten. Im Winter sind die Beeren reif und bilden eine unschätzbar wertvolle Nahrungsquelle für die überwinternden Singvögel, wie etwa Amseln. Die lieben den Efeu ohnehin, weil sie ihre Nester in den Ranken der Pflanze prima verstecken können. Auch Spinnen schätzen die Schlingpflanze, während Käfer vom Totholz profitieren. Damit ist Efeu ein wichtiges Element in unserem Ökosystem und gehört in jeden Waldgarten, auch wenn sich sein Nutzen für uns Menschen, ähnlich wie beim Apfelwickler nicht auf den ersten Blick erschließt. Man sollte ihn schätzen und wahren und nur im absoluten Ausnahmefall mit der Klappsäge attackieren.


Lasst uns Paradiese pflanzen!

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