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Her mit dem Garten Eden!
ОглавлениеDas Paradies ist ein Ort, wo Früchte in Hülle und Fülle wachsen, wo Milch und Honig fließen, wo Vögel singen, Blumen blühen und Grillen zirpen. Im Paradies gibt es Fisch und Wild im Überfluss. Das Wasser ist klar, und die Luft ist rein. Im Paradies wird unser Vieh nicht gequält und die Menschen sind glücklich. Paradies bedeutet die Abwesenheit von Hölle. Zum Paradies gehören Bäume. Viele Bäume. Viele unterschiedliche Bäume. Die wichtigsten Bäume sind jene, die Früchte tragen, die nahrhaft sind und die wir gut verwerten können. Wenn wir uns von den Bäumen unserer Paradiese nähren, wird die Mühsal des Ackerns mehr und mehr überflüssig werden. Die Arbeit der Landwirte wird in der Hauptsache aus Ernte bestehen.
Wem das zu sehr nach Utopie klingt, dem kann ich versichern: Die Natur und die menschliche Tatkraft machen solche Paradiese möglich. Schlaue Konzepte für ihre Umsetzung sind vorhanden und im Gegensatz zur industrialisierten Landwirtschaft meist seit alters her sehr bewährt. Im weiteren Verlauf dieses Buches werde ich die Permakultur, den Waldgarten, einige Agroforstsysteme und die Feld-Baum-Wirtschaft vorstellen und ausgiebig auf sie eingehen. Egal ob Mensch, Pflanze, Tier oder unbelebter Stein, unsere gemeinsame Reise durch das Meer der Zeit kennt nur eine Richtung: die Zukunft. Dennoch tun wir gut daran zu versuchen, aus vergangenen Zeiten zu lernen und das Erlernte mit der Gegenwart in Verbindung zu setzen. Nur so können wir die Zukunft mit all ihren Ungewissheiten so gestalten, dass sie irgendwann tatsächlich unseren Ideen und Wünschen entspricht.
An selbst gepflanzten Bäumen können wir den Wahrheitsgehalt dieser Binsenweisheit besonders gut erkennen. Als meine Frau und ich vor rund zwanzig Jahren in das Fachwerkhaus einzogen, das unser Zuhause werden sollte, war unser Innenhof an heißen Sommertagen ein unangenehmer Ort ohne Schatten. In den ersten Jahren nach unserem Einzug pflanzte ich dort drei exotische Bäume, die eigentlich im Mittelmeerraum, beziehungsweise in China beheimatet sind: eine Feige, eine Schwarze Maulbeere und eine Kaki. Im klimatisch begünstigten Rheintal gedeihen sie ohne Probleme. Heute ist der Hof während der heißen Sommer der vergangenen Jahre, als die Temperaturen teilweise auf über vierzig Grad Celsius stiegen, eine kühle Stätte mit köstlichem Schatten, der die Temperaturen im ganzen Haus bis in den ersten Stock hinein positiv beeinflusst und im erträglichen Rahmen hält. Zusätzlich erhalten wir leckere Südfrüchte in rauen Mengen frei Haus, und sogar ein wenig Brennholz haben die braven Bäume schon geliefert. Ich stutze immer mal wieder an ihnen herum, damit sie nicht alles überwuchern. Vor zwanzig Jahren habe ich mir die Menschheitserfahrung zunutze gemacht, dass das Pflanzen von Obstbäumen eine positive Wette auf die Zukunft ist, und bin mit dieser Wette sehr gut gefahren.
Wer an Bäume denkt, dessen Gedanken landen schnell beim Wald. Dummerweise kommen Obstbäume in unserem gängigen Konzept von einem mitteleuropäischen Wald nicht wirklich vor. Wir kennen entweder die Nadelholzmonokultur oder den sogenannten »gesunden Mischwald« mit vielen Laubbäumen und vielleicht auch noch den Auwald entlang unserer Bäche und Flüsse. Von Letzterem sind in ganz Mitteleuropa noch ganze 300 Quadratkilometer vorhanden, von denen wiederum lediglich sechzig Quadratkilometer als naturnah bezeichnet werden können. Wer sich ein wenig besser in der Materie auskennt, dem fällt auch noch der Niederwald, der Hutewald und der Lohwald ein. Im Niederwald, der bei uns im Rheintal durchaus noch anzutreffen ist, werden meist Rotbuchen in fünfzehn- bis zwanzigjährigem Umtrieb auf den Stock zurückgeschnitten, um ihr Holz als Brennmaterial nutzen zu können. Im Lohwald tat man dasselbe mit Eichen, um an ihre Rinde, die Lohe, zu kommen, die man zum Gerben benötigte. An diese Wirtschaftsweise erinnern heute meist nur noch Ortsnamen, wie etwa Lohmühle oder Lohfeld. Der Hutewald oder Hütewald schließlich wurde als Weide für das Vieh genutzt. Rinder, Schafe, Ziegen, Pferde, Esel, Schweine – sie alle fanden, je nach Jahreszeit und örtlicher Gegebenheit, im Hutewald ihr Futter. Wer sich hingegen für Apfel- oder Walnusswälder interessiert, der muss bis nach Zentralasien reisen, wo es in Kirgisistan oder Kasachstan noch Restbestände davon gibt.
Heutzutage sehen wir in einem Wald im Wesentlichen einen Lieferanten des begehrten Rohstoffs Holz. Man pflanzt Bäume mit wirtschaftlich attraktivem Holz, wartet eine Weile, bis sie halbwegs ausgewachsen sind und sägt sie dann wieder ab. Dieser Prozess dauert bei Buchen oder Eichen 150 bis 200 Jahre. Bei Kiefern oder Fichten geht es schneller. Sie sind schon nach rund siebzig Jahren reif für den Hieb. Zeit ist bekanntlich Geld, und daher haben wir massenweise Nadelbäume gepflanzt. Dem untergeordnet ist der Wald auch Erholungsort für gestresste Städter, Tummelplatz für Waidmänner (zu denen ich mich selber zähle) und Waidfrauen, Revier für Steinpilz, Pfifferling und Co., Touristenmagnet und so weiter. Hauptsächlich geht es bei den heutigen Wäldern aber um Holz, also um tote Bäume. In unseren Paradiesen hingegen richten wir den Blick zuerst auf den Wert lebendiger Bäume und erst dann auf die Holznutzung. Ein Walnussbaum liefert hundert Jahre lang wertvolle Nüsse, die wir selbst essen oder auch zu Geld machen können. Wenn man ihn am Ende seines Lebens schließlich umhackt, ist sein Holz wesentlich wertvoller als jenes von Fichte, Kiefer oder Lärche. Gleiches gilt für den Apfelbaum, den Birnbaum, die Esskastanie, oder die Eberesche.
Doch nicht nur die Wahl der Baumarten, sondern auch die Form unserer zukünftigen Wälder ist von entscheidender Bedeutung. Um die richtige Bepflanzung für unser Paradies zu finden, müssen wir unseren Blick weit in die Vergangenheit richten.
Aufschluss kann die Form der Urwälder nach dem Ende der letzten Eiszeit geben und die Frage nach den stabilsten Waldsystemen im Verlauf der Jahrtausende. Forscher sind sich heute einig, dass insbesondere eine große Artenvielfalt der entscheidende Faktor für die Stabilität von Ökosystemen ist. Bei dieser Diskussion prallen bei uns in Mitteleuropa zwei verschiedene ökologische Sichtweisen aufeinander. Die erste nennt sich »Klimaxvegetationstheorie«, die andere »Megaherbivorenhypothese«. Die Verfechter der Theorie einer Klimaxvegetation gehen davon aus, dass die Rotbuche, die höchste heimische Baumart, mit ihrem dichten Laubwerk im Laufe der Zeit alle anderen Bäume überragt, ihnen das Licht wegnimmt und sie absterben lässt. Am Ende entstehen dann geschlossene Buchenurwälder. Abiotische Faktoren, wie etwa Feuer oder Stürme, reißen immer wieder Lücken in den dichten Buchenbestand. In diesen Lücken können sich zunächst andere Baumarten ausbreiten, bis sie am Ende wieder von den Buchen totgewuchert werden.1
Vertreter der Megaherbivorenhypothese, wie etwa der Holländer Frans Vera halten dem entgegen, dass die großen Pflanzenfresser, wie etwa Wisent, Wildpferd, Mammut, Hirsch und Auerochse durch ihr Fressverhalten dafür gesorgt haben, dass sich die dichten Buchenwälder gar nicht erst bilden konnten. Man habe es damals vielmehr mit offenen Wäldern zu tun gehabt, in denen Eichen und Hainbuchen die dominanten Baumarten darstellten. Pollenanalysen der Zeit vor etwa 500 Jahren zeigen allerdings, dass damals nur wenige Gräser geblüht haben. Was auf den ersten Blick die Theorie von der Klimaxvegetation zu stärken scheint, wird von Frans Vera mit dem Argument gekontert, dass die damaligen Herden der Megaherbivoren so groß waren, dass das meiste Gras bereits abgeweidet wurde, ehe es in die Blüte gehen konnte. Erst die Ausbreitung des Menschen habe die Größe der Herden durch Jagd und Lebensraumkonkurrenz dermaßen reduziert, dass sich ein dichter Teppich von licht- und artenarmen Buchenwäldern bilden konnte.2 Buchenurwälder, die wir heute etwa in den Karpaten und – in winzigen Gebieten – selbst in Deutschland noch vorfinden, wären demnach also bereits Ausdruck einer vom Menschen verursachten Überformung unserer Landschaften. Im Mittelalter traten erneut große Herden von Megaherbivoren auf. Diese Grasfresser waren zwar vom Menschen domestiziert, gaben der Landschaft aber in etwa ihre ursprüngliche vielgestaltige Form und damit auch ihren Artenreichtum zurück.
Welche Waldform als »echter Urwald« zu bezeichnen wäre, ist abseits der wissenschaftlichen Diskussion erst einmal egal. Solange man unter einem Wald etwas anderes versteht, als reine Baumplantagen, haben alle Waldformen ihren Reiz und Sinn und ihre Schönheit. Die wunderbaren Buchenhochwälder abzuholzen, nur um an deren Stelle hochprofitable Obstwälder anzulegen, wäre ganz bestimmt der falsche Weg. Bei Nadelholzmonokulturen sollte man die Sache allerdings schon etwas differenzierter sehen. Sicherlich haben beispielsweise auch die lichten Kiefernforste Brandenburgs ihre ökologische Berechtigung. Die Kiefer gilt unter Forstmenschen nach wie vor als Brot- und Butterbaum. Heute sind sie dort allerdings übertrieben großflächig angelegt und sollten wenigstens zum Teil umgenutzt werden. In Brandenburg machen sie mit 750 000 Hektar insgesamt rund siebzig Prozent der Waldflächen aus. Im Frühjahr 2020 besuchte ich zusammen mit meiner Frau und unserem Hund ein befreundetes Pärchen, das sich vor Jahren irgendwo in den Weiten des niederen Fläming im südlichen Brandenburg niedergelassen hatte. Die Region ist ein Gebiet von deprimierender Eintönigkeit.
Neben Kiefernmonokulturen sieht man bis zum Horizont nur Getreidefelder, Maisschläge und Windparks. Immerhin gibt es entlang der Straßen schöne Alleen und auch entlang der Feldsäume entdeckt der Reisende eine Menge noch recht junger Baumreihen, die ein wenig Struktur in die Monotonie bringen. Auch hören wir den Kuckuck rufen. Im heimischen Siebengebirge ist der Brutparasit seit etwa zehn Jahren, wie so viele andere Vogelarten, verstummt, obwohl unsere Landschaft entlang der Rheinschiene viel reicher strukturiert ist. Trotz Kuckucksruf ist die dünnbesiedelte, brandenburgische Wildnis aber eine agrarische und forstliche Wüstenei. Das Anwesen unserer Freunde gleicht daher einer kleinen Oase, in der die Kinder zwischen Hühnern, Bienenstöcken, Obstbäumen und Gemüsekulturen herumtollen dürfen. Mit dem Auto unternehmen wir Streifzüge durch den Fläming und bekommen sehr eindringlich einen der ökologischen Schwachpunkte der Kiefernforste vor Augen geführt: Sie brennen sehr gut. In der Nähe von Jüterborg sind 2019, im zweiten Jahr der großen Dürre, rund 750 Hektar Kiefernforst den Flammen zum Opfer gefallen. Verkohlte Stümpfe, wohin das Auge blickt. Die meisten Stämme sind mit schwerem Gerät bereits entfernt worden. Ich frage mich, was aus ihnen geworden ist und stoße bei meinen Recherchen zu dem Thema auf ein Dokument der Deutschen Energie-Agentur (dena):
»Zusammenfassend bietet die Mitverbrennung holzartiger Biomasse in Kohlekraftwerken eine Option, relativ schnell den Anteil erneuerbarer Energien im Energiesystem zu erhöhen, international nachhaltige Biomassemärkte und dafür erforderliche Infrastrukturen zu etablieren sowie einen zusätzlichen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.«3
Im November 2016 titelte die Süddeutsche Zeitung zum Thema Erneuerbare Energie: »Kohlekraftwerke gieren nach Holz.« Mir wird klar, dass der mühsam gelöschte Waldbrand von Jüterborg höchstwahrscheinlich in den Feuerräumen der Lausitzer Braunkohlekraftwerke zu Ende gebracht wurde und man den Menschen diesen Wahnsinn auch noch als »Klimaschutz« verkauft. – Zynismus pur, der die Forstleute aber nicht anficht. Sie haben bereits begonnen, munter neue Kiefern auf die abgefackelten Gebiete zu pflanzen. Zurück auf dem Anwesen unserer Freunde, sind wir uns einig in unserem Entsetzen über die deutsche Forstwirtschaft, die ideenarmer kaum sein könnte. Das Problem der artenarmen Fichtenmonokulturen hingegen, die bis vor Kurzem noch rund ein Viertel unserer gesamtdeutschen Waldfläche bedeckten, erledigt sich dank Dürre und Borkenkäfer ja gerade von selbst.
Auch der Paradiesgarten unserer Freunde war, als sie ihn übernahmen, in Teilen ein finsterer Tann. Zu DDR-Zeiten – »Ostzeiten«, wie man hier sagt – schien der Vorbesitzer des Grundstücks billig oder umsonst an eine größere Anzahl von Fichtensetzlingen gekommen zu sein, die er allesamt dicht an dicht rund um sein Haus auspflanzte. Mit der Motorsäge hatten unsere Freunde bereits für ein wenig Licht gesorgt. Dennoch standen die meisten der Bäume noch immer dicht an dicht, als ich sie 2018 besuchte. Jetzt, zwei Jahre später, stehen die etwa fünf oder sechs Meter hohen Stämmchen zwar immer noch an Ort und Stelle, sind aber samt und sonders abgestorben. Apfelbäume, die vorher von den aufrecht gestorbenen Soldaten der Fichtenarmee um ein Haar erdrückt worden wären, stehen hingegen, kaum dass sie wieder Licht bekommen, in schönster Blüte.
Diese Obstblüte inmitten dürrer Stämme, die nur noch für den Kamin taugen, empfand ich als Sinnbild der Hoffnung: Genau so etwas brauchen wir, und zwar flächendeckend. Durch den Tod der Nadelholzmonokulturen bietet sich die einmalige Chance, die ersten offenen, reichstrukturierten Wälder anzulegen. In denen soll eine Weidehaltung wieder stattfinden können, und dort sollten vor allem viele hochwertige Äpfel, Birnen, Kirschen, Pflaumen, Beeren, Kastanien und Nüsse gedeihen, als Nahrungsgrundlage für Mensch, Vieh und Wildtier. Die Flächen dafür, den Anfang zu wagen, liegen öd und leer vor uns. Wir müssen nur zugreifen. Dann können wir die Paradiese der Zukunft Wirklichkeit werden lassen. Viel von dem, was heute ein leergeräumter Kahlschlag ist, befindet sich in öffentlicher Hand und ist augenscheinlich erbärmlich verwaltet. Denn tatsächlich verlieren wir Steuerzahler viel Geld durch diese Rodungen. Die Preise für Fichtenholz sind derart im Keller, dass der Einschlag mehr kostet, als der Verkauf der Holzmassen an Ertrag abwirft. Es liegt also an jedem Einzelnen von uns, bei Politik und Verwaltung ein vielfältigeres Verständnis einzufordern, von dem was Wald ist und was Wald für uns und unsere Mitgeschöpfe leisten soll. In einem zweiten Schritt muss es darum gehen, die extrem artenarmen Agrarsteppen umzunutzen. Wir benötigen Lebensmittel aus stabilen Ökosystemen, die zuverlässig funktionieren und Pestizide oder Antibiotika einfach nicht nötig haben.
In der Schöpfungsgeschichte vertreibt Gott Eva und Adam, die ersten Menschen aus dem Paradies, weil Eva – von der Schlange verleitet – in die Frucht der Erkenntnis beißt. Theologen gehen heute davon aus, dass der entsprechende Text aus der Genesis bereits um 600 vor unserer Zeitrechnung entstanden sein könnte. Gut 2 500 Jahre später brauchen wir die Schlange wieder, um dazu verleitet zu werden, ein zweites Mal herzhaft in diesen besonderen Apfel zu beißen. Wir werden die Erkenntnis erlangen, dass eine Rückkehr ins Paradies möglich ist.