Читать книгу Lasst uns Paradiese pflanzen! - Timm Koch - Страница 8

Apfelbäume

Оглавление

Zu Beginn der 1980er-Jahre erwarb mein Vater in seinem Sehnsuchtsland Irland ein Stück Land, das direkt an der rauen Atlantikküste liegt. Dort grast eine kleine Herde Rinder, und außerdem kann man hier sehr gut fischen. Vor einiger Zeit habe ich begonnen, dort Apfelbäume zu pflanzen. Der Ort ist sehr windig. Windgeschwindigkeiten der Stärke sechs bis sieben auf der Beaufortskala sind alltäglich, Orkanstärken keine Seltenheit. Bäume sind selten und haben es hier schwer. In der Nachbarschaft steht die Ruine eines steinernen Hauses, in deren Nähe eine alte Ulme wegen des ewigen Sturms komplett horizontal gewachsen ist. Windschur nennt man das. Auch meine Apfelbäume haben ein schweres Leben. Durch die Nähe zum Meer hat die Luft einen hohen Salzgehalt. Der lässt nicht nur sämtliches Metall schnell korrodieren, sondern sorgt auch dafür, dass die Blätter und jungen Triebspitzen austrocknen und absterben. Auch der Apfelkrebs macht den Bäumen zu schaffen. Das ist eine Pilzkrankheit, die im feuchten Seeklima besonders leichtes Spiel hat. Anfangs brachte ich Apfelbäume aus Deutschland nach Irland. Später setzte ich auf irische Sorten, die besser an das Klima angepasst sind. Ich kaufte die Bäumchen entweder auf dem Wochenmarkt, der jeden Samstagmorgen im nächsten Städtchen stattfindet, oder fuhr den langen Weg nach Kealkill zu einer Baumschule mit dem schönen Namen »Future Forests«, die von enthusiastischen Hippies geführt wird und sich durch eine der größten Sammlungen verschiedener Apfelbaumsorten Irlands auszeichnet – ein Pfund, mit dem sie wuchern kann. Sie haben lustige Namen, wie »Irish Peach« (Irischer Pfirsich) oder »Bloody Butcher« (Blutiger Schlächter).


Der Boden auf unserem Land ist karg und felsig. Für mich ist es mühsam, dort Pflanzlöcher zu graben und für die Apfelbäume dort Wurzeln zu schlagen. Ohne den Windschutz von Felsen, Hecken oder dem Farmhaus haben die Bäume keine Chance. In manchen Jahren erfriert die Blüte, dann wieder reißt ein Orkan die unreifen Früchte von den Trieben. Wenn es das nicht ist, sind es die Krähen, die sich über die Früchte hermachen und manchmal wohl auch liebe Mitmenschen, die sich selbst zur Ernte einladen, wenn die Farm verlassen daliegt, weil gerade keiner aus unserer Familie dort Urlaub macht. Dennoch, manchmal komme ich in den Genuss, in einen dieser Äpfel zu beißen, und dann ist das für mich der leckerste Apfel der Welt.

Der Apfelbaum zählt zu den Rosengewächsen und stammt ursprünglich aus dem Tian-Shan-Gebirge in Zentralasien. In Kasachstan etwa existieren noch rund 11 000 Hektar Apfelurwälder. Die Wildäpfel finden in dieser Gegend auf einer Höhe zwischen 700 und 1 500 Metern über dem Meeresspiegel ideale Wachstumsbedingungen und weisen die weltweit höchste genetische Vielfalt auf. Almaty, mit rund zwei Millionen Einwohnern die größte Stadt Kasachstans, hieß früher Alma-Ata, was aus dem Kasachischen übersetzt »Vater der Äpfel« bedeutet. Die unglaublich artenreichen Obsturwälder, in denen auch wilde Pflaumen, Kirschen, Birnen, Aprikosen und Walnüsse wachsen, sind in ihrem Bestand bedroht. Während der Ära der Sowjetunion ließ Stalin bereits die Axt an die wilden Apfelbäume legen, um die Wälder durch Plantagen zu ersetzen. Heute ist Überweidung ein Problem. Durch die chronischen Versorgungsengpässe zu Sowjetzeiten begünstigt, hat sich in der ländlichen Bevölkerung eine subsistente Nutzung der Obstwälder etabliert. Zur Erntezeit nimmt man das Vieh mit auf die Waldweide, was zur Folge hat, dass es die jungen Apfelsetzlinge frisst und damit die natürliche Verjüngung der Wälder behindert. Hieraus lässt sich die Lehre ziehen, dass man den Obstwald nur zyklisch als Weide nutzen sollte, wenn man auf Naturverjüngung setzen will. Die wilden Apfelbäume können ein Alter von bis zu dreihundert Jahren erreichen und bis zu dreißig Meter hoch werden. Amerikanische Wissenschaftler fanden in den 1990er-Jahren heraus, dass alle unsere Kultursorten auf die wilden Äpfel des Tian-Shan-Gebirges zurückgehen. Da Äpfel nicht selbstfruchtend sind, sondern immer einen Partner brauchen, um sich zu vermehren, sind sie genetisch äußerst vielseitig. Der sehr heterogene Apfelurwald, in dem kein Apfelgewächs dem anderen gleicht, spiegelt sich hierzulande in der Sortenvielfalt.: Allein für Deutschland gehen Pomologen von über 800 verschiedenen Sorten aus. Für Europa rechnet man mit bis zu 20 000 Sorten. Für die Verbreitung der wilden Äpfel spielen Bären eine wichtige Rolle, denn die Apfelsamen passieren das Verdauungssystem der gefräßigen Raubtiere, ohne Schaden zu nehmen. Am liebsten fressen sie leckere, reife Früchte, was eine positive Auslese zur Folge hat. Auf Wanderschaft nehmen sie die Samen mit auf die Reise und scheiden sie dann stets mit einer ordentlichen Startdüngung wieder aus. Die größte Verbreitung erfuhr der Apfelbaum natürlich durch uns Menschen. Anfangs gelangten die Früchte des Tian-Shan über die Seidenstraße nach Europa und wurden hier weitergezüchtet.4 Von Europa aus gelangte der Apfelbaum auf dem Seeweg in die neue Welt und nach Australien. Bei modernen Züchtungen wird, außer auf den Geschmack und gute Lagerfähigkeit, vor allem Wert auf Resistenz gegen Krankheiten gelegt, wie etwa dem Apfelschorf, der von einem Pilz mit dem Namen Venturia inaequalis verursacht wird. Die Weltapfelproduktion lag im Jahr 2018 bei rund 86 Millionen Tonnen.5 Mit rund vierzig Millionen Tonnen jährlicher Ernte ist China der größte Produzent, gefolgt von den USA mit rund fünf Millionen Tonnen und Polen, das im Jahr 2019 auf vier Millionen Tonnen kam. Aufgrund von Spätfrösten, Dürren und anderen meist klimatisch bedingten Faktoren, unterliegen die Erntemengen großen Schwankungen.

Apfelbäume sind in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Wie jeder weiß, spielen Bienen eine wichtige Rolle in der Bestäubung ihrer Blüten. Es gibt Imker, die kommerzielle Bestäuberdienste in Apfelplantagen anbieten. Apfelbauern zahlen fünfzig Euro und mehr pro Bienenvolk, das während der Blüte in ihren Pflanzungen aufgestellt wird. Auch das Holz des Apfelbaums ist von außerordentlicher Güte. Es ist rötlich braun und weist viele verschiedene Nuancen und Spielarten in seiner Maserung auf. Zugleich ist es sehr hart. Von Pilzen kann es rasch zersetzt werden und sollte deshalb nicht im Außenbereich verwendet werden, gegen Insekten hingegen ist es fast immun. Wegen seiner geringen Verfügbarkeit ist Apfelholz sehr teuer, ein Kubikmeter Schnittholz wird mit bis zu 2 500 Euro gehandelt.6 Während es heute vor allem beim Bau edler Möbel Verwendung findet, nahm man es früher auch für Weinpressen oder Werkzeugstiele. Auf Streuobstwiesen werden Apfelbäume meist etwa achtzig bis hundert Jahre alt. In dieser Zeit entwickeln sie Stämme mit einem Durchmesser von fünfzig Zentimetern und mehr.

In der Nähe von Oberpleis, auf der dem Rhein abgewandten Seite des Siebengebirges, gibt es die Baumschule Neuenfels, wo ich schon so manchen Apfelbaum für meine verschiedenen Pflanzprojekte gekauft habe. Der Inhaber Wolfgang Neuenfels ist ein sehr freundlicher Mensch mit großem Fachwissen. Er war es auch, der mich eines Nachmittags im frühen März mitnahm auf seinen lehmigen Acker und mir die Technik zeigte, mit der man ein Edelreis auf eine Unterlage pfropft. Edelreiser nennt man kurze, vitale Zweige, die im Januar vom Mutterbaum der jeweiligen Sorte geschnitten und bis zu ihrem Einsatz im März in einem Eimer voll Sand aufbewahrt werden. Es gibt verschiedene Methoden der Veredelung. Bei der sogenannten Geißfußveredelung etwa spitzt man den Edelreis ein wenig an, schiebt die Stelle unter die aufgeschlitzte Rinde der sogenannten Unterlage, bindet das Ganze mit einem Gummiband fest zusammen, versiegelt es mit Baumwachs, damit die Feuchtigkeit nicht entweichen kann und hofft, dass es anwächst.

Apfelbäume werden also in der Regel vegetativ durch Transplan­tation, also eine Art Klonung, vermehrt. Ausgangspunkt ist in der Regel ein Baum, der durch freie Abblüte, also eine dem Zufall überlassene Bestäubung, entstanden ist und dessen Früchte und Wuchseigenschaften den Züchter überzeugt haben. Dieses Exemplar bekommt einen Sortennamen verpasst – zum Beispiel Boskop – und wird dann der Urvater aller Apfelbäume dieser Sorte. Ein Sortenzulassungsverfahren dauert heute etwa zwanzig Jahre.

Mich beschäftigt zudem, dass das teure und edle Apfelholz als Motiv bei Pflanzungen so gut wie keine Rolle spielt. Die schnellwüchsige Fichte gilt, wie bereits erwähnt, ab einem Alter von siebzig Jahren als reif für den Hieb. Sie »produziert« in dieser Zeit zwar mehr Holz als der Apfelbaum. Dafür ist ihr Holz billig und sie wirft im Gegensatz zum Apfelbaum während ihres gesamten Wachstums keinen Ertrag ab. Besitzer von Streuobstwiesen sind meistens allein auf das Obst fixiert. Große Mengen edlen Apfelholzes landen eher als Brennholz im Ofen anstatt in der Werkstatt eines Möbeltischlers. Der Heizwert ist zwar auch nicht zu verachten, aber das Holz ist zum Verbrennen natürlich viel zu schade. Ich frage Wolfgang Neuenfels, ob er Apfelhochstämme mit einem Kronenansatz von etwa fünf Metern für möglich hält. »Ja«, antwortet er. »Das ginge bestimmt. Danach wird die Sache aber wahrscheinlich etwas instabil.« Fünf Meter astreines, teures Stammholz von edelster Qualität klingen für mich nach einer lohnenswerten Überlegung, wenn es darum geht, in Europa Obstkulturwälder anzupflanzen. Der Fachmann spricht hier von »Superhochstämmen«. Man bräuchte für die Ernte dann einfach höhere Leitern, beziehungsweise Hebebühnen, oder ganz einfach schwindelfreie Spezialisten, die gut klettern können. Ob der Wert des Holzes den Mehraufwand lohnt, ist erst einmal nebensächlich, weil derjenige, der den Superhochstamm pflanzt, die Holzernte sowieso nicht mehr erleben dürfte. Bäume zu pflanzen bedeutet ja fast immer, Werte zu schaffen, von denen auch die Nachwelt etwas hat. Bei der Geschwindigkeit, mit der das Land heutzutage unter den Füßen der Ungeborenen verscherbelt wird, ist das ein nicht zu vernachlässigender Faktor.

Lasst uns Paradiese pflanzen!

Подняться наверх