Читать книгу Laufschuh gegen SUP - Timm Kruse, Philipp Jordan - Страница 10

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SCHMILKA, AN DER TSCHECHISCHEN GRENZE.

WIESO, WESHALB, WARUM, MANCHMAL LÄUFT ES DUMM.

PHILIPP

Ich sitze gerade auf meinem Bett und befinde mich in Schmilka, nahe der tschechischen Grenze – mein Hotelbett ist buchstäblich nur einen Steinwurf entfernt, sofern man durch Hotelwände schmeißen kann und besser schmeißt als ich. Morgen geht es endlich los. Das große Abenteuer. Zu zweit die Elbe runter. Aber wieso um alles in der Welt kommt man auf die Idee, noch einmal mit einem Ziehwagen einen Fluss entlang zu laufen? Und war das überhaupt meine Idee?

Vor einem Jahr kam mein Buch #Fatboysrun – Wie mich das Laufen jeden Tag aufs Neue rettet heraus. Coronabedingt fiel die Leipziger Buchmesse ins Wasser – keine Lesungen, keine Buchpromo, kein Blitzlicht, keine kreischenden Groupies, kein Stage Diving, nix, nada. Stattdessen hat mir der Verlag Timm Kruse geschickt, der mich für seinen Podcast Meilen und Zeilen zu meinem Buch interviewen wollte.

Drei Jahre waren vergangen, seitdem ich zwei Wochen lang jeden Tag den Rhein aufwärts mehr als eine Marathondistanz gelaufen bin. In der Zwischenzeit bin ich wieder fett geworden, oder wenigstens habe ich für einen Langstreckenläufer ordentlich Speck auf den Rippen angesammelt. Ich lief zwar noch ab und zu, aber lange nicht mehr mit der Regelmäßigkeit, lange nicht mehr mit demselben Enthusiasmus, den ich drei Jahre vorher an den Tag gelegt hatte.

Und dann passierte es. Timm fragte mich mitten im Podcast, ob ich nicht Bock hätte, mit ihm zusammen noch mal einen Fluss zu bereisen. Ich wieder zu Fuß, und er eben stehend auf einem Surfbrett. Mit Paddel. Sie kennen das ja vielleicht aus dem Urlaub, man sieht sie oft auf Badeseen, diese Menschen, die aus dem vielleicht coolsten Sportgerät des Planeten, das eigentlich für Action, Freiheit und unendliche Lockerheit steht, den wohl uncoolsten Sport der Sportgeschichte gemacht haben – SUPen.

Und jetzt die Elbe? Von der tschechischen Grenze bis ans Meer? Und ich Depp hör mich sagen: »Ja, warum nicht? Muss mal gucken.«

Eine Frage und eine Antwort, die – und ich übertreibe nicht – mein Leben komplett verändern sollte, zumindest im darauffolgenden Jahr. Zwei Wochen später dann die Mail vom Lektor, das Buch sei durchgewinkt worden. Wenn wir irgendwann im Frühling das Abenteuer starten könnten, ginge das Buch irgendwann im August in Druck.

Was? Wie? Das ging jetzt aber verdammt schnell. Ein Blick vom Computerschirm nach unten auf meine fette Wampe und wieder zurück. Oha. Auf was haste dich da eingelassen? »Ja, warum nicht?«, murmle ich laut vor mich hin. Eigentlich gäbe es da einen reich gedeckten Tisch mit genügend Gründen, warum nicht. Ich war zu dem Zeitpunkt besser geeignet, ein Buch über Sumoringen zu schreiben als über ein Laufabenteuer. Ich konnte kaum fünf Kilometer laufen, ohne keuchend fast zu kollabieren. Aber vier Wochen täglich eine Distanz nah am Marathon?

Mir saß die Angst im Nacken, aber je länger ich drüber nachdachte, desto mehr Bock hatte ich. Doch gleichzeitig stieg auch die Furcht, der Respekt, die Achtung vor so einer Strecke. Eigentlich bin ich ja der Typ, der andere überrollt. Derjenige, der andere mitzieht, überredet, ja geradezu manipuliert, Dinge zu tun, die sie eigentlich überhaupt nicht tun wollen. Und jetzt war ich auf der anderen Seite, Timm hatte meine Rolle übernommen, und da fing es an. Das Laufen wurde wieder Teil meines Alltags. 113,6 Kilogramm wog ich, und ich war nicht mal schwanger zu der Zeit, einfach nur unglaublich fett. Anfangs lief ich im Watscheltempo drei Kilometer mit einer Gehpause. Dann steigerte ich mich auf fünf Kilometer. Die Pfunde purzelten, und die Kilometer häuften sich.


Die »Elbdorados«, das sind wir: Timm, Cäptn Clepto und Philipp (von links).

Aus kurzen Runden von acht Kilometern entwickelte sich die regelmäßige Zehner-Runde. Ich durchbrach die 110-Kilogramm-Schallmauer, danach fielen die 100 Kilogramm, und praktisch im Vorbeigehen ließ ich mein Gewicht vom letzten Rheinabenteuer auch hinter mir. Inzwischen kann ich auch wieder viel laufen, und mein Monatspensum liegt bei knapp die 300 Kilometern.

Es lässt sich schwer in Worte fassen, wie viele Glücksmomente mir diese Transformation geschenkt hat. Ich könnte manchmal heulen aus tiefer Dankbarkeit. Im Gegensatz zu Timm bin ich kein spiritueller Mensch. Er glaubte einer alten Frau aufs Wort, als sie ihm erzählte, sie würde sich nur von Sonnenlicht ernähren. Er war Chauffeur für einen Guru in Indien. Ich hätte die alte Frau wahrscheinlich still und heimlich ausgelacht, den Guru als narzisstischen Betrüger abgestempelt und ihm ein Taxi gerufen. Ich bin also so spirituell wie eine Eieruhr … und das schon auf fast unsympathische Weise.

Aber in diesem Jahr, das nun hinter mir liegt, habe ich doch etwas festgestellt. Ich will es nicht direkt spirituell nennen, aber es fühlt sich doch wie eine höhere Erkenntnis an. Ich habe wieder gemerkt, dass das wahre Glück in uns liegt. Dass der Komfort und das, was wir Luxus nennen, oft pures Gift sein kann. Das kalte Glas Cola nach einem langen Lauf durch die Hitze schmeckt so gut, das kriegen Sie mit einem Champagner im edelsten Golfclub nie hin. Die harte Bank am Wegesrand, auf die man sich verschwitzt nach 30 Kilometern setzt, ist so viel angenehmer als der teuerste (und meinetwegen mit Nashornleder überzogene) Massagesessel der Welt. Und schwitzend durch die Natur laufen ist bestimmt das höchste, was ein Mensch erreichen kann. Da gehören wir hin, laufend in den Wald. Da fühle ich mich eins mit jedem Vogel, der da vor sich hin zwitschert. Im Grunde bin ich schon jetzt der große Gewinner dieser Challenge, weil ich gewichtsmäßig der größte Loser war.

Und das alles verdanke ich ja doch zu großen Teilen Timm. Diesem Typen, den ich ja eigentlich gar nicht kenne. Und doch verbindet uns etwas. Wir haben inzwischen beide unglaublich viel Lust auf dieses Abenteuer. Wir haben beide dasselbe Ziel: gemeinsam die Elbe hinunter. Von der tschechischen Grenze bis nach Cuxhaven an der Nordsee. Gegen und mit unseren Körpern den Kilometern trotzen. Gegen und mit der Natur diesen Fluss bezwingen, dem nichts egaler sein könnte, ob wir es bis ans Meer schaffen. Ich habe inzwischen sein Buch gelesen, das von seinem Paddeltrip auf dem Jakobsweg (Sie haben sich nicht verlesen!) erzählt. Jetzt habe ich noch mehr Lust auf unser Abenteuer.

Und just liege ich in Schmilka in einer malerischen Schlucht, nur wenige Meter neben einem alten Mühlrad, auf meinem Bett und freue mich nach dieser langen Zeit, morgen früh endlich starten zu können. Die letzten Tage waren hektisch. Ich schlafe unruhiger. Ich freue mich so sehr, mir meinen Ziehwagen umzuschnallen und endlich loszulaufen. Warm werden. Schwitzen. Nur noch einen Fuß vor den anderen setzen zu müssen. Dann wird aller Stress von mir abfallen. Es wird sehr anstrengend werden, es wird schmerzen, aber das macht alles so viel einfacher. Nur einen Fuß vor den anderen. Links, rechts, links, rechts. 800 Kilometer lang. Wenn doch nur alles im Leben so einfach wäre.

TIMM

Schon die Anfahrt ist eine Katastrophe; so sollte ein Abenteuer nicht beginnen: Kurz vor der tschechischen Grenze fliegt uns das Getriebe um die Ohren. Unter der Motorhaube gellt ein kurzer, schriller Todesschrei auf, es folgt ein entsetzliches Röcheln, irgendein Metallteil löst sich und klimpert die Landstraße runter, der fünfte Gang streikt, und schließlich blockiert die gesamte Maschine. Und das verrückterweise 300 Meter vor unserem Hotel, im tiefsten Sachsen.

Als wir dem Mann vom ADAC erzählen, dass das Gefährt 35 Jahre alt ist und 330.000 Kilometer runter hat, zieht der gelbe Engel die Brauen hoch, sagt unerklärlicherweise »Nü«, fährt die Rampe seines Abschleppwagens aus und zieht die drei Tonnen auf Rädern hoch auf die Ladefläche.

Famoser Ausblick an der tschechischen Grenze bei miesem Wetter. Hier hat die Elbe noch eine ordentliche Strömung.

Ursprünglich war das Wohnmobil als Begleitfahrzeug für unsere Tour gedacht, als Fahrer soll uns Cäptn Clepto dienen – ein Hamburger Urgestein und Original: lang, dünn, um die 50 Jahre alt und von viel Lebenserfahrung gezeichnet, gesprächig und vom Gemütstyp her Stoiker, mit Hufeneisenbart, Antifa-Sticker, St. Pauli-Schal und Kapitänsmütze à la Jack Sparrow. Mit anderen Worten: genau der richtige Mann für so eine Tour; den bringt nichts aus der Ruhe, der findet in den elendsten Situationen noch einen abstrusen Spruch und versteht sich und das Leben als lustiges Kunstwerk, das jeden Tag gefeiert werden sollte. Sein optisches Vorbild scheint Gonzo aus der Sesamstraße zu sein; vielleicht ist es aber auch Lucky Luke mit dem Grashalm im Mund.

Dass der Cäptn jetzt in einem ADAC-Clubmobil sitzt, noch dazu einem Opel, passt so wenig zusammen wie der HSV und erfolgreicher Fußball. »Da sind wir ja in unserem Elb-Dorado angekommen«, grunzt er und wirft dem Vectra einen verächtlichen Blick zu. Im normalen Leben bewegt er sich in einem mit bunten Graffiti überzogenen Ford Transit im Hamburger Hafenstraßen-Stil. Als das Wohnmobil noch rollte, hatten wir nach fünf langen Stunden von Hamburg nach Dresden Philipp vom Bahnhof abgeholt. Wir haben bestimmt schon hundert Mal gefacetimed, unzählige Sprachnachrichten und Mails verschickt, und doch war ich überrascht, wie anders er in Natura wirkt. Fast ein bisschen schüchtern, gar nicht so draufgängerisch wie am Telefon. Ich bin extrem erleichtert, dass er mir auch bei unserer ersten Begegnung richtig sympathisch ist – fast noch sympathischer als auf dem Bildschirm.

In einem früheren Gespräch hatte er mir gesagt, dass er sehr harmoniebedürftig sei; und genau das strahlt er aus. Etwas Liebes, Wahrhaftiges. Als Tier wäre er ein Bär – vielleicht ein Tanzbär, mit Glatze und Dreitagebart. Auf seinen Armen prangen Comic-Tattoos, Zeichnungen seiner Kinder. Warum er pinkfarbene Socken und eine gelbe Brille trägt, frage ich ihn später mal.

Schon nach den ersten Sätzen wusste ich: Der Typ ist genauso irre wie ich selbst. Endlich einer, der unkonventionell denkt, der ungezügelt ist, undressiert, Locken im Kopf. Dessen Grenzen anders verlaufen, als bei den meisten Menschen in unserer Gesellschaft. Einer, der ein Künstlerleben führt, ohne ständig einen auf Künstler zu machen; ohne besonders sein zu müssen – denn er ist ja schon besonders. Der aufblüht, wenn er die ausgelatschten Pfade verlässt. Der raus muss, um wieder zu sich selbst zu finden, wenn er sich vor lauter Überzivilisation verloren hat.

Wahrscheinlich hat er seine Mischung aus freiem Künstlerleben und gesellschaftlicher Norm gefunden, um glücklich zu sein. Denn glücklich wirkt er. Und nur darum geht’s im Leben.

Am späten Nachmittag trudelt unser Fotograf Jonas mit dem E-Bike ein, im Anhänger sein Sohn Lijus und eine riesige Tasche voller Equipment. Jonas ist die halbe Strecke von Dresden ohne Akku durch den Regen gefahren und sieht nicht so aus, als hätten er und sein Sohn dabei sonderlich viel Spaß gehabt. Jonas ist schwer einzuschätzen, hält Menschen erst einmal auf Distanz und wartet ab. Genau wie sein Sohn ist er niemand, der anderen sofort vertraut oder der sich grundlos öffnet. Aber das wird schon kommen. Vielleicht ist es gut, wenn wenigstens einer von uns introvertiert ist, und nicht jedem sofort seine Lebensgeschichte aufs Ohr drückt.

Abends stehen wir vier am Ufer und schauen auf die Elbe direkt an der tschechischen Grenze. Jonas macht ein paar Bilder, der Cäptn schüttet einen Schluck Bier in den Fluss, um die Götter zu besänftigen, Philipp unterhält sich mit allen, und keiner hört zu. Und ich? Ich habe ein flaues Gefühl im Magen und weiß nicht, ob diese Reise gut enden wird. Aber das kenne ich schon von mir. Mein Optimismus verlässt mich zuverlässig, wenn ich auf dem Startblock stehe.

Irgendwann gehen wir langsam zurück ins historische Schmilka mit den Fachwerkhäusern und wohl gepflegten Vorgärten. Ich stelle mir kurz vor, in diesem schweigsamen Dorf zu Hause zu sein, und schaudere.

Der ADAC schleppt mein Wohnmobil ab – Getriebeschaden.

Laufschuh gegen SUP

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