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TIMM

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Natürlich war mir schlecht heute früh. Natürlich habe ich nicht geschlafen. Und natürlich war ich so nervös am Start, als hätte ich noch nie auf einem SUP gestanden und müsste einen Tsunami abreiten.

An der tschechischen Grenze wartet ein Fotograf der lokalen Zeitung auf uns. In gewöhnlichen Situationen vermutlich ein angenehmer Typ, hier jemand, der mir mit seiner Lahmarschigkeit und fordernden Art – »Der Frühnebel ist ja jetzt weg!« – extrem auf die Nerven geht. Einer von diesen Männern, die ihren Fotoapparat mehr lieben als Menschen. Auch Philipp geht das alles viel zu langsam. Wir wollen los, es ist schon Viertel nach sechs.

»Noch ein bisschen nach rechts, weiter hoch, bitte«, dirigiert uns der Fotograf. »Das Brett mal über den Kopf heben!« Philipp stöhnt: »Hier ist überall Entenscheiße«, sagt er in seinen weißen Turnschuhen und versucht, den grünen Klecksen auszuweichen. »Das sieht man auf dem Foto nicht«, sagt der Fotograf und bestätigt meine Einschätzung.

Bevor es losgeht, umarmen Philipp und ich uns wie Kriegskameraden, die eine Schlacht zu schlagen haben. Er läuft mit seinem Ziehwagen einen kleinen Hügel hoch und überquert die grüne, tschechisch-deutsche Grenze. Ich setze mein SUP behutsam auf den Fluss, schnalle den Rucksack fest, stoße mich mit dem Paddel vom Ufer ab und werde sofort von der Strömung erfasst. Für die ersten 200 Meter paddele ich im Knien; noch traue ich der Elbe nicht. Überall blubbert sie, Strudel bilden sich quer über den Fluss, und die Strömung hat eine Kraft, dass ich Philipp sofort einhole.

Der Anfang einer langen Reise ist so intensiv, dass sich jedes Detail ins Gedächtnis brennt. Der ganze Fluss liegt vor mir, all die vielen Kilometer, die teils unberührte Natur. So viele Geschichten warten auf uns.

Jetzt, ein paar Wochen später am Schreibtisch sitzend, wünsche ich mich genau an diesen Ort und diese Zeit zurück. Ich würde das Abenteuer so gerne noch einmal erleben – dieses Mal viel entspannter, mit dem Wissen von heute. Immer wieder frage ich mich: Habe ich die Zeit auf dem Wasser genügend genossen? Geht das überhaupt? Kann man sein Leben voll ausschöpfen? Oder geht das nur im Nachhinein, weil sich im Hier und Jetzt immer auch Ängste dazugesellen?

Auf der rechten Seite fallen Sandsteinklippen steil in die Elbe ab, ihre Zinnen prangen über den Wipfeln wie versteinerte Finger eines riesigen Untiers aus der Kreidezeit. Links weiden Schafe, dahinter Kühe. Sie schauen gelangweilt auf das vorbeigleitende Männlein mit Stab. Ein kleiner Hafen zieht vorbei, ein paar Motorboote warten darauf, dass Corona endlich vorbei ist und Ausflüge wieder in Biergärten enden dürfen. Ein erster Elbkahn kommt mir entgegen, seine Bugwellen nehme ich lieber im Knien.


Philipp präpariert seinen Laufwagen, ich mein Brett. Es kann losgehen!


Durchs Elbsandsteingebirge. Der winzige Punkt unter der Brücke, das bin ich: Timm.

Noch bin ich vorsichtig auf dieser Tour, spüre jedes Zipperlein meines Körpers. Die Sehnen in den Handgelenken ziehen, mein Rücken ächzt nach den ersten zwei, drei Stunden, meine Füße schlafen ein und schmerzen trotzdem.

Wie am Anfang jeder Reise kommt die Angst hoch, ob ich für die Torturen gewappnet bin. Doch im Moment trägt mich der Strom mit fast acht Stundenkilometern an der grandiosen Landschaft vorbei.

Bei diesen Bedingungen schaffe ich die 800 Kilometer locker, denke ich noch, als sich das erste Lüftchen erhebt. Auf dieser Tour habe ich vor zwei Dingen Angst: Nazis und Gegenwind. Zweiterer schlägt mir ab Pirna voll ins Gesicht, in Böen von 30 bis 40 Stundenkilometern drückt er das Oberflächenwasser nach hinten und halbiert meine Anfangsgeschwindigkeit.

Irgendwo winken mir Menschen vom Ufer zu. Erst als ich näherkomme, erkenne ich unsere PR-Frauen Claudia und Kathleen. Sie kümmern sich um Pressekontakte, Social Media und die Spendenkampagne. Ich lande an, stapfe ein paar Schritte durch dicken Elbschlick und umarme die beiden – trotz Corona. Irgendwie konnte ich nicht anders. Einen Fotografen der DPA begrüße ich mit der Faust, beantworte die üblichen Fragen – woher, wie lange, wofür und warum. Journalismus ist so öde geworden, denke ich. Ein bestimmtes System mit dem immer gleichen Codex hat sich im Lauf der Jahre bewährt, alle schreiben im gleichen Korsett und nutzen die üblichen Floskeln in dem Wissen, dass sie nichts falsch machen können. Die Medienlandschaft besteht zum größten Teil aus einem weichgespülten Einheitsbrei.

Endlich kommt Philipp. Er hat schon dreißig Kilometer in den Knochen, mehr als ich je in meinem Leben am Stück gelaufen bin. Wir umarmen uns wieder – sind beide froh, dass der andere bis hierher ohne erkennbare Schäden durchgehalten hat.

Cäptn Clepto hat Getränke, Brötchen sowie ein paar Snacks besorgt und liebevoll am Steg aufgebaut. Der Typ könnte unsere Lebensversicherung für diese Tour werden: dauernd gut drauf, aufmerksam, stets zu Diensten, ohne sich wie ein Diener zu geben.

Drei Paddler überholen mich, einer kennt mich sogar. Sie machen Corona-Urlaub in Deutschland, fahren ein paar Tage die Elbe runter und schauen, wie weit sie kommen. Sie übernachten im Zelt, hatten heute Nacht Besuch von einem Hirsch und erzählen Horrorgeschichten von verunglückten SUPern.

Bringen mich diese Informationen weiter? Ändern sie etwas an meiner Tour? Warum erzählen mir diese Menschen nichts von kulturellen Highlights, besonders hübschen Dörfern oder großartigen Naturschauspielen? Der Alarmismus hat sich dank unserer Medienlandschaft schlimmer verbreitet, als es ein Virus je könnte – und zwar in den Köpfen.

Die letzten Kilometer ziehen sich entsetzlich. Der Wind hat noch einmal aufgefrischt. Ich muss ständig an Philipp denken. Ich schaue auf mein Handy, um seinen Live-Standort zu sichten, und sehe, dass er fast gleichauf ist, knapp zwei Kilometer hinter mir. Wie mag es ihm gehen nach mittlerweile mehr als 50 Kilometern?

Laufschuh gegen SUP

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