Читать книгу Laufschuh gegen SUP - Timm Kruse, Philipp Jordan - Страница 18
PHILIPP
ОглавлениеGestern war ein schöner Tag. Meißen ist eine imposante Mittelalterstadt, was sich mir erst völlig offenbart, als Timm, der Cäptn und ich nachmittags in die Innenstadt schlendern und uns an lokalen Köstlichkeiten laben. Ich kaufe mir noch ein Buch als Einschlafhilfe und schließe mich Timm und dem Cäptn an, die eine Kirche besuchen. Eigentlich habe ich so gar nichts mit Kirchen und Religion am Hut, aber in diesem Fall passt es ins Urlaubsambiente. Die beleibte Frau mit dem Mundschutz begrüßt uns freundlich. Als ich frage, ob es eine Toilette gibt, sagt sie: eigentlich nicht, aber dahinten am Ende des Ganges geradeaus. Krass, die Toilette gibt es wohl nur heute für mich, zum Glück bin ich nicht morgen gekommen. Timm und der Cäptn haben bereits Platz genommen, als ich zurückkehre. Sie sitzen mit etwas Abstand still da und tun irgendwas zwischen Innehalten und Beten. Als ich mich gesetzt habe, wackelt die Dame vor uns und sagt: »Isch will och nüsch wissen, wie viele Leute schon wegen die Masken gestorben sin, aber darüber hört ma in die Medien nadürlisch nüscht.« Ich murmele irgendwas in meine Maske, aber da hält sie schon inne, scheint den betenden Cäptn bemerkt zu haben und sagt prompt: »Oh, da will isch jetze och nisch stören«, und wackelt wieder weg. Ich überleg, ob ich ihr ein »Die sollen die Masken ja auch nicht essen!« hinterherrufen soll, aber entschließe mich dagegen und übe mich in Pietät.
Und jetzt laufe ich in aller Früh durch die Gässchen der Stadt und suche die Elbe. Ich bin euphorisch. Heute stehen wieder 50 Kilometer auf dem Programm, aber da mein alter Jugendfreund Jens mich mit dem Rad begleiten möchte, bin ich in positivstem Sinne aufgeregt. Er wird mir wohl bald entgegen geradelt kommen, und da ich ihn praktisch hinter jeder Ecke vermute, tragen mich meine Beine wie von alleine voran. Ich sehe Timm neben mir auf dem Wasser. Ich feure einen Freudenschrei in seine Richtung, und er winkt mir zu. Die Landschaft ist noch immer imposant. Ich frage mich, wie oft ich mir diese Momente im letzten Jahr ausgemalt habe. Wie viele Kilometer bin ich hierfür die immer gleichen Wege abgelaufen? Ich peitsche mich an, die Szenerie in vollen Zügen zu genießen. Obwohl meine Beine schon ordentlich gelitten haben, fühlen sie sich gut an. Nach zehn Kilometern fängt es an zu regnen, und zwar richtig. Zum Glück war ich heute nicht so doof, meine Regenjacke mit mir rumzuschleppen. Ich war heute schlau und habe mir meine Sonnenbrille eingepackt, vielleicht kann ich mich unter die stellen. Wenn einem der eigene Optimismus in den Arsch beißt. Ich merke, wie meine Füße langsam nass werden. Soll ich mich doch unterstellen? Weiter zu laufen, scheint die bessere Lösung, da ich so zumindest nicht auskühle. Als der Regen eine halbe Stunde später wieder der Sonne Platz macht, hebt sich meine Stimmung. Aber wo bleibt Jens? Je länger es dauert, umso mehr erwarte ich ihn hinter jeder Ecke.
Mein Radweg verlässt immer wieder die Elbe und führt mich durch riesige Rapsfelder. Ob es an der ehemaligen DDR liegt, dass sie hier schier endlos ihr Gelb über den Horizont ausschütten? Ich muss an Helmut Kohl denken, hatte der Dicke wohl doch recht mit seinen blühenden Landschaften. Ich lache in mich rein ob der bescheuerten Beobachtung. Da ich Kohl nicht zustimmen möchte, komme ich zu dem Schluss, dass es nur westliche Arroganz zustande bringt, zu denken, in der DDR sei alles grau und trist gewesen. In Riesa wartet der Oberbürgermeister auf uns, und ich freue mich, als ich die Dächer der Stadt am Horizont erblicke. Am Ende meines Feldwegs steht ein Mann an einer Ecke zwischen zwei Kornfeldern und scheint auf etwas zu warten. Ich suche nach einer passenden Ehefrau oder einem Hund, aber da ist nichts. Als ich an ihm vorbeiziehe, ruft er: »Coole Sache, die ihr macht, viel Erfolg!« Da ich wohl verdutzt gucke, fügt er noch ein »habe ich heute in der Zeitung gelesen« an. Ich bedanke mich und laufe grinsend weiter. Es sind diese kleinen Gesten, die einem mit 25 Kilometern in den Knochen so viel bedeuten. Ich biege auf eine wunderschöne Allee ab und habe die Elbe endlich wieder an meiner Seite. In der Ferne erkenne ich meinen getreuen Lulatsch. Er ist schon beim Kanuverein.
Nachdem wir brav Fotos mit dem Bürgermeister machen und ich mich an dem Luxusbuffet des Cäptns gestärkt habe, rollt Jens plötzlich an, der im Verkehr stecken geblieben ist. Zwei junge Sportlerinnen im Schlepptau, ziehe ich mit Jens als Radbegleitung weiter. Die Zwillinge Anna und Lena sind im Leichtathletikverein, 13 Jahre alt und unterschiedlich groß gewachsen. Ihre Statur bejaht meine Vermutung, dass sie nicht eineiig sind, und ich bohre ein wenig nach, ob sie denn auch ansonsten eher unterschiedlich sind. Sofort zählen sie auf, warum sie so gegensätzlich seien. Ehrlich gesagt überzeugt mich keins der Beispiele, aber ich finde die beiden zuckersüß und muss sofort an meine Tochter Emily denken, die ebenfalls 13 Jahre alt ist. Sie würde sich mit den beiden gut verstehen. Nach einigen Kilometern verabschieden sich die beiden wieder, und ich kann mich mit Jens unterhalten. Ich mag Jens. Er ist einer dieser Freunde von früher, die bei mir ganz oben stehen. Wir telefonieren praktisch nie, aber wenn wir uns alle Jubeljahre mal wiedersehen, macht es sofort wieder Klick. Wir unterhalten uns über die alten Zeiten, was aus ehemaligen Weggefährten so geworden ist und über das Dasein als Papa. Die Zeit vergeht wie im Flug. Ich bin ihm so dankbar dafür. Und dann ist da auch endlich diese riesige Brücke die Mühlberg, unser heutiges Ziel ankündigt. Wie es Timm heute wohl ergangen ist?