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1.2.4Diskursive Regionalisierung
ОглавлениеSchließlich ist es offensichtlich, dass Regionsbezüge sich nicht zwingend aus wirtschaftlichen, landschaftlichen, kulturellen o. a. Argumenten ergeben. Vielmehr werden diese Argumente in politischen und gesellschaftlichen Debatten verhandelt, und dies häufig konflikthaft – und einige setzen sich eher durch als andere. In der wissenschaftlichen Debatte vertritt daher der Konstruktivismus die Ansicht, dass jedwede Regionsabgrenzung gesellschaftlich und diskursiv entstanden sei, mithin jede Region also in diesem Sinne konstruiert sei (Werlen 2007, s. u.). Das trifft dann auch auf administrative Regionen zu, die letztlich von durch die Bevölkerung legitimierten Politikern festgelegt und mitunter verändert wurden. Auch die Abgrenzung mittels funktionaler Indikatoren, wie oben geschildert, ist aus dieser Perspektive als (Re-)Konstruktion anzusehen – in dem Fall durch die jeweiligen Institutionen, Wissenschaftler, Planer usw.
Allerdings ist auch aus Sicht der angewandten Regionalentwicklung der Gedanke, dass Regionen positioniert und vermarktet werden, nichts Ungewöhnliches. Im Tourismus und im Standortmarketing geht es explizit darum, gute Label zu finden, diese bekannt zu machen und bestimmten Assoziationen zu verbinden (Steinecke 2013).
Das Beispiel Rothenburg illustriert, dass inhaltliche Verständnisse von Regionen konkurrieren können und ausgehandelt werden. In der Praxis ebenfalls umstritten und eng damit verbunden sind die räumlichen Zuschnitte. Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte Makroregion Alpen, die seit 2013 etabliert wird. Diese Makroregion ist zugleich ein Beispiel dafür, dass Regionen nicht immer der inneren räumlichen Gliederung von Nationalstaaten dienen, sondern auch staatenübergreifend und großräumiger angelegt sein können. Im politischen Prozess stehen sich insbesondere die Alpenkonvention und die EUSALP (EU Strategy for the Alpine Region) gegenüber, wie die Makroregion abgekürzt wird.
Beispiel: Rothenburg ob der Tauber und die Metropolregion Nürnberg
Ein instruktives Beispiel findet sich in einer politischen Auseinandersetzung in Rothenburg ob der Tauber, wo über die Vereinbarkeit von regionalem Zugehörigkeitsdiskurs gestritten wurde:
„Bereits zum zweiten Mal hat am 26. Mai der Rothenburger Stadtrat über das Schicksal der beiden Hinweisschilder auf die Europäische Metropolregion Nürnberg (EMN) an den touristischen Tafeln an der Bundesautobahn A7 bei Rothenburg entscheiden müssen. Am 27. Januar 2011 wurde im Rat mit 14 zu 10 Stimmen entschieden, die bereits angebrachten Schilder wieder abmontieren zu lassen. Anlass war ein Antrag der SPD-Stadtratsfraktion, die die touristische ‚Marke‘ Rothenburg durch die Zusatzschilder verwässert sieht.
Aufgrund der heftigen Reaktionen aus Wirtschaft und Medien – aber auch aus der Bevölkerung – stellten Edith Hümmer und Dieter Seiferlein von den Bündnisgrünen, sowie die CSU-Fraktion den Antrag, das Thema im Rat nochmals zu behandeln und den Beschluss vom 27. Januar zumindest so lange auszusetzen, bis die touristischen Hinweistafeln überarbeitet worden sind. Durch die ohnehin angedachte Neugestaltung dieser Tafeln, könnten die unmittelbar darunter angebrachten Metropolregion-Schilder etwas in den Hintergrund treten und sich das Problem so entschärfen lassen. […]
Auch der Vorsitzende des IHK-Gremiums Rothenburg ob der Tauber, Gerhard Walther, hatte sich nach der Ratsentscheidung vom Januar in einem Schreiben mit einem Plädoyer für den Verbleib der Schilder an die Stadt gewandt. Darin heißt es, dass es nicht sinnvoll sei, sich ausschließlich als Tourismusregion zu profilieren. Es sei vielmehr notwendig, auch die Attraktivität und die Bekanntheit des Wirtschaftsstandortes zu stärken. Dies werde durch das Bekenntnis zur Metropolregion erreicht.“ (Rothenburg.info/blog. 2011)
Abb. 6 Hinweisschilder an der A7 bei Rothenburg ob der Tauber (Foto: Rothenburg.Info Blog)
In jüngerer Zeit wird diskutiert, dass gerade den nicht oder nur schwach institutionalisierten Regionen eine zunehmende Bedeutung in der räumlichen Entwicklung zukommt. Bei großflächigen Planungsvorhaben, bei Metropolregionen oder bei europäischen Raumzuschnitten wird Politik häufig nicht exakt auf die Territorien der Gebietskörperschaften bezogen. Vielmehr werden ungefähre Abgrenzungen, grenzüberschreitende Perimeter und im zeitlichen Verlauf veränderbare Schwerpunkte zugrunde gelegt. Allerdings können sich solche ‚soft spaces‘ durchaus auch verfestigen und zu neuen Regionen verstetigen – die Debatte um Metropolregionen als Planungsraum zeigt dies (Allmendinger et al. 2014, 2015).
Beispiel: Alpenkonvention und Makroregion Alpen (EUSALP)
Die Alpenkonvention wurde als völkerrechtlicher Rahmenvertrag 1991 unterzeichnet und wurde in den darauffolgenden Jahren durch sog. Protokolle und Deklarationen der Mitgliedsstaaten konkretisiert. Der Schutzgedanke – vor allem im Hinblick auf den Naturraum als auch im Hinblick auf typische alpine Wirtschaftsformen – steht hierbei im Vordergrund. Abb. 7 zeigt, dass der Geltungsbereich der Alpenkonvention sich nicht auf das Territorium der Unterzeichner-Staaten erstreckt, sondern dass in den meisten Fällen nur Teilbereiche erfasst sind – hier ist also der sogenannte Vertragsraum (Anwendungsbereich der Konvention) deutlich kleiner als der Mandatsraum (Territorium der Unterzeichner). Die Abgrenzung erfolgte in den betroffenen Ländern technisch gesehen auf unterschiedliche Weise, aber zumindest implizit liegt hier das Homogenitätsprinzip zugrunde: Zum Anwendungsbereich der Alpenkonvention gehören die Gebiete, die durch alpines Relief (und meist auch einen ländlichen Charakter) gekennzeichnet sind.
Die EUSALP hingegen argumentiert inhaltlich und geographisch breiter: Inhaltlich gesehen ist der Schutzgedanke zumindest weniger deutlich, stattdessen geht es um Handlungsfelder wie Innovationsförderung und Wirtschaftswachstum, um Verkehrssysteme, auch um Naturschutz und Kulturpflege und einiges mehr. Und vor allem räumlich ist der Fokus breiter, indem nun eine ganze Reihe großer Metropolen einbezogen werden, wie z. B. München, Mailand oder Lyon. Dies hat zur Befürchtung geführt, dass der weitere räumliche Umgriff zu einer Aufweichung von Schutzfunktionen führen könne (so Bätzing 2012). Letztlich ist der politischen Diskussion um die EUSALP aber vor allem ein Regionalverständnis im Sinne des Funktionalprinzips zu entnehmen. Indem die Wasserversorgung, die Erholungsfunktion und die verkehrliche Einbindung der Metropolen der Alpen häufig in Bezug genommen werden, wird auf die Verflechtung der inneralpinen Raumfunktionen mit den umliegenden Metropolen betont. Dieses Beispiel illustriert, dass die Differenzierung von Kriterien der Regionalisierung weit mehr als eine akademische Übung ist, sondern immer hochgradig politisch.
Abb. 7 Räumlicher Umgriff von Alpenkonvention und Makroregion Alpen – Konkurrenz oder Ergänzung ?