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1.3.1Essentialistische Ansätze

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Der Essentialismus (vom Lateinischen essentia, Wesen) geht von der Grundannahme aus, Dinge verfügten über notwendige Eigenschaften, die ihr ‚Wesen‘ ausmachten. Eine Region wird im Sinne eines essentialistischen Verständnisses als eine beobachterunabhängige ‚Ganzheit‘ verstanden. Diese Ganzheit ist geprägt von einem ‚selbstständigen Eigenwesen‘, sie wird im Sinne eines ‚Superorganismus‘ gesehen. Die Herausforderung der Wissenschaft besteht demnach darin, dass diese Ganzheit „im Objekt selbst gesucht und begründet werden“ muss (Lautensach 1973 [1938]: 24). Sie muss hinter den unterschiedlichen Erscheinungsformen das ‚Wesen‘ des untersuchten Gegenstandes ausmachen. So gehen Essentialisten davon aus, jede Region habe einen Wesenskern, der sich in bestimmten wahrnehmbaren Phänomenen äußere, wie etwa Bauernhausformen, Flurformen oder Dialekten, die in der jeweiligen Region quasinatürlich prägend sind. Das eigenständige Wesen einer Region entsteht – gemäß essentialistischer Vorstellungen – durch eine spezifische wechselseitige Prägung von Kultur und Natur. Das heißt, infolge einer viele Jahrhunderte dauernden Besiedlung prägt die Natur der regionalen Kultur bestimmte Mechanismen des Umgangs mit ihr auf, wie auch diese Kultur die regionale Natur durch eine spezifische, an die Bedingungen der Natur angepasste Nutzung prägt (vgl. Knotter 2008, Kühne 2013; ausf. s. Kap. 3.3).

Das Allgäu ist als Region häufig in diesem Sinne abgegrenzt worden: Die Gründlandwirtschaft mit den charakteristischen Alpen und Käsereien, die Einöd-Höfe, aber auch die naturräumliche Prägung durch das Würmglazial sind hierfür herangezogene Kriterien, die letztlich das Typische einer Region ausmachen. Eine beispielhafte, typische Darstellung des Mainfränkischen zeigt Abb. 8.


Abb. 8 Abbildung aus dem Franken-Porträt von Conrad Scherzer (1959: 209) – dort mit der Bildunterschrift „ungestörte[s] Siedlungsbild […]Frickenhausen, mainfränkische (Steildachformen)“ (© Strähle Luftbild)

Ein essentialistisches Verständnis lässt sich anhand von „Was ist … ?“-Fragen in der Forschung erkennen: Was ist Landschaft ? Was ist Region ? Was ist ein Deutscher ? Da es gemäß der Vorstellung des Essentialismus die „Annahme der Existenz wesentlicher, also essentieller, und zufälliger, akzidenteller Eigenschaften von Dingen“ (Albert 2005: 44) gibt, besteht für die Forschung die Aufgabe, die essentiellen Eigenschaften von den zufälligen zu unterscheiden. Schließlich geht es darum herauszufinden, was ein Ding „zu dem [macht], was es ist, während die akzidentellen Eigenschaften für die Existenz des Dinges keine solche Bedeutung haben“ (Albert 2005: 44). Entsprechend dieser Logik wird den essentiellen Dingen ein hoher und den akzidentellen ein geringer Wert zugewiesen, da Letztere nicht das Wesen des Objektes bestimmen. Für eine Region essentiell werden dabei zumeist Dinge verstanden, die als Ausdruck der wechselseitigen Bedingtheit von Kultur und Natur zum Ausdruck gesehen werden: Gehöftformen, Flurformen, Streuobstwiesen. Als akzidentelle Eigenschaften einer Region hingegen werden die Ergebnisse von überregionalen – heute insbesondere globalen – Prozessen angesehen, wie Einfamilienbungalows, Gewerbegebäude mit funktionalistischer Architektur, Flughäfen, Autobahnen, gegenwärtig insbesondere Windkraftanlagen. Infolge ihrer ‚Wesenhaftigkeit‘ lässt sich – gemäß der essentialistischen Sichtweise – eine Region klar von einer anderen abgrenzen: Diese andere Region habe ihr eigenes Eigenwesen, das sie wiederum zu einem ‚Individuum‘ mache.

Essentialistische Ansätze der Regionalforschung neigen stark zu normativen und moralischen Aussagen. Eine ‚gute‘ Entwicklung ist eine Entwicklung, die das ‚Wesen‘ der Region ausmacht und berücksichtigt, ‚schlecht und zu unterlassen‘ ist jenes, was dem ‚Wesen‘ widerspricht. In der Regionalforschung wird aus essentialistischer Perspektive häufig ein Bezug auf die ‚Landschaft‘ genommen, der als ‚historisch gewachsene Kulturlandschaft‘ ein Eigenwesen zugeschrieben wird, das durch Modernisierung und Internationalisierung bedroht werde. Deren bauliche Konsequenzen ‚verschandeln‘ die ‚historisch gewachsene Kulturlandschaft‘ und ihre Errichtung muss möglichst verhindert werden (z. B. bei Quasten 1997, Wöbse 1999, Nohl 2015). Das Verhältnis der Regionalwissenschaft zu den Bewohnern einer Region ist tendenziell hierarchisch geprägt: Aufgrund der langjährigen Auseinandersetzung mit der Region hat wissenschaftliche Reflexion das ‚Wesen‘ ergründet, während die Bewohner eher als Medien einer dem ‚Wesen‘ der Region entsprechenden Entwicklung gesehen werden, sofern sie insbesondere autochthonen Ursprungs (also aus der Region stammend) sind und keine alternativen funktionalen bzw. ästhetischen Ansprüche an die Region entwickeln (z. B. den Wunsch an das Autobahnnetz angebunden zu sein). Solche Wünsche werden gelegentlich als Ignoranz oder Fehlgeleitetheit durch den globalen Kapitalismus verurteilt (siehe dazu Kühne 2008).

Im aktuellen Diskurs der Energiewende werden die ‚Vermaisung‘ und die ‚Verspargelung‘ kritisch diskutiert. Die Vermaisung bezeichnet die Veränderung einer historisch gewachsenen Kulturlandschaft – wie eben des Dauergrünlandes im Allgäu – durch den vermehrten Anbau von Mais für die Energiegewinnung in Biogasanlagen. Die Sorge um die Vermaisung ist dabei nicht (nur) auf ein besonders traditionsbewusstes Regionsbild Einzelner zurückzuführen, sondern hat mit recht handfesten Bedenken der Tourismusbranche zu tun: Die hohen Pflanzen im Sommer verstellen die Aussicht, und die umgepflügten, dunklen Felder außerhalb der Vegetationsperiode enttäuschen die Hoffnungen auf eine lieblich-grüne Hügellandschaft. Auch aus ökologischer Sicht gibt es Bedenken: der Abstand der Maispflanzen wird als zu groß angesehen. Bei Starkregenereignissen kann es dann passieren, dass wertvoller Boden weggespült wird.

Die ‚Verspargelung‘ meint die zunehmende Zahl an Windkraftanlagen in der Landschaft. Ihre Türme erinnern aufgrund ihrer Form und Farbe vor allem die politischen Gegner an Spargelstangen. Die Akzeptanz von Windkraftanlagen hängt stark davon ab, inwiefern das Landschaftsbild gestört wird. Auch darauf werden wir später ausführlich zu sprechen kommen (s. Kap. 3.3).

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