Читать книгу Regionalentwicklung - Tobias Chilla - Страница 18
1.4Normative Zugänge:
Wie entwickelt man Regionen ?
ОглавлениеIn diesem Kapitel haben wir uns bisher vor allem mit der analytischen und konzeptionellen Dimension der Regionalentwicklung beschäftigt. Der Begriff Regionalentwicklung geht aber darüber hinaus, da er neben der analytischen Sicht auch einen normativen Gehalt umfasst. Während die analytische Sicht danach fragt, warum sich Regionen in welcher Weise entwickelt haben, so fragt die normative Sicht danach, was getan werden kann bzw. sollte, damit sich Regionen zukünftig ‚besser‘ entwickeln können – und dieses ‚besser‘ wird sehr unterschiedlich definiert (z. B. aus Perspektive einer Naturschützerin oder eines Bürgermeisters einer Abwanderungsgemeinde). Auf diese hochgradig politischen Fragen gibt es also keine einfachen Antworten: In der regionalen Dynamik kommen zahllose Einflussfaktoren zusammen, deren Einzeleffektive und additiven Konsequenzen kaum zu messen sind. Noch schwieriger ist es, den Einsatz von Instrumenten der Regionalentwicklung so zu organisieren, dass das gewünschte Ergebnis auch erreicht wird. Nicht jede rechtliche Vorschrift wird umgesetzt, manches Förderprogramm führt zu so genannten Mitnahmeeffekten (d. h. Maßnahmen würden ohnehin durchgeführt, die Fördermittel, die dafür zur Verfügung stehen, dann einfach ‚mitgenommen‘), manche Marketingmaßnahme verhallt ungehört. Aber selbst wenn die Maßnahmen als solche greifen, so führt dies nicht immer zu gewünschten Effekten der Regionalentwicklung. Wenn beispielsweise einzelne Gemeinden in einer Abwanderungsregion stark auf Neubaugebiete und familienfreundliche Infrastrukturen setzen und hierbei auch Fördergelder von übergeordneten Ebenen abrufen – dann mag das Zuwanderungsplus zeitweise positiv für die Schulauslastung und das örtliche Einkommensteuer-Aufkommen sein, auch wenn zugleich die Kosten für die Infrastruktur steigen, wie z. B. für Straßen und Kanäle. Auf regionaler Ebene kann dies allerdings ein Null-Summen-Spiel sein, indem die benachbarten Gemeinden eine verschärfte demographische Problematik verspüren und ihrerseits Strukturhilfen einfordern. Die Gretchenfrage lautet vor diesem Hintergrund, wie viel steuerndes Eingreifen in regionale Entwicklung sinnvoll ist, und auf welcher räumlichen Ebene anzusetzen ist – im konkreten Beispiel der Baugebietsausweisungen stehen die Bauleitplanung der einzelnen Gemeinde, interkommunale Zusammenarbeit und die regionalplanerische Koordinierung als Optionen zur Verfügung.
Ein anderes prominentes Beispiel sind wirtschaftspolitische Entscheidungen: Bei drohenden Unternehmenskonkursen wird häufig diskutiert, ob die drohenden sozialen Auswirkungen in bestimmten Regionen nicht Anlass sind, um mittels staatlicher Intervention ‚das Schlimmste‘ zu verhindern. Im Falle des Baukonzerns Holzmann wurde dies 1999 bejaht, der Konzern ging 2002 dennoch in Konkurs; im Falle der Drogeriemarktkette Schlecker wurde dies 2012 verneint und der Konkurs griff unmittelbar; im Falle des Automobilherstellers Opel wurden staatliche Stützungen 2009 ebenfalls verneint, und das Unternehmen hat sich aus eigener Kraft stabilisiert. In jedem Fall ging die Entscheidung über öffentliche Unterstützung mit sehr kontroversen und hochrangigen Debatten in Medien und Politik einher. Auch hier stellt sich die Frage nach der Rolle der öffentlichen Hand.
An dieser Stelle blenden wir bewusst aus, welches die konkreten Ziele von normativer Regionalentwicklung jeweils sind: Ob es um wirtschaftliches Prosperieren geht, um soziale Ausgewogenheit, ökologische Stabilität, eine landschaftsgerechte Entwicklung – das bleibt hier zunächst offen. Auf diese Fragen kommen wir bei den Handlungsfeldern zurück (s. Kap. 3).
Unabhängig von konkreten Zielen kann man zwei Grundperspektiven auf die Entwicklung von Regionen unterscheiden – das Gleichgewichtspostulat und die Polarisierungsthese. Diese Perspektiven werden häufig in wirtschaftspolitischen Debatten in Bezug genommen, aber sie gehen weit darüber hinaus.