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ОглавлениеEinleitung: Über die Nachfolge
Ich kann mir kaum etwas Spannenderes und Schöneres vorstellen, als Jesus nachzufolgen. Ich dachte, das ist ein toller erster Satz für dieses Buch. Und es stimmt. Meistens. Nun ja, wenn ich ehrlich bin, dann könnte ich auch schreiben: Manchmal frustriert es mich total, Jesus nachzufolgen. Das ist kein so motivierender erster Satz für dieses Buch. Aber auch das stimmt. Manchmal. Jesus nachzufolgen ist auf alle Fälle spannend, aufregend und verändernd.
Nachfolge heißt: ganz folgen
Jesus folgen hat erstmal nichts zu tun mit Heiligung oder Jesus ähnlicher werden oder gar so werden wie Jesus. Nachfolgen heißt bei Jesus erstmal, dass die Jünger dahin gehen, wo Jesus auch ist. Ganz, so, wie sie sind, sollten sie ihm damals folgen. Alles stehen und liegen lassen. Arbeit, Familie, Vermögen – alles erstmal egal. Jesus hat Priorität. Da merke ich sofort, dass sich alles in mir zusammenzieht, ich anfange zu argumentieren, dass die heutige Situation anders ist (und das ist sie ja auch) und dass Jesus sicher nicht möchte, dass ich Frau und Kinder sitzen lasse (will er auch nicht). Und ich merke, wie spannungsgeladen das Thema Nachfolge ist. Dass es dabei nicht um eine theoretische Diskussion geht, sondern um mein praktisches Leben und zwar mit allem, was dazu gehört. Und es geht nicht um schnelle Antworten, sondern um ein Ringen auf allen Ebenen. Nachfolge ist ein ganzheitlicher Prozess, der alle Lebensbereiche einschließt, also nicht nur den Sonntagsgottesdienst und den Hauskreis, sondern vor allem Familie, Freunde und Arbeit. Nachfolge lässt sich nicht reduzieren auf Stille Zeit (wir finden keine Bibelstelle, dass Nachfolge sich darüber definiert, wie oft und regelmäßig und intensiv du Bibel liest oder sogar betest), sondern umfasst unser ganzes Leben und uns als ganzen Menschen (Geist, Seele und Leib). Dabei sind wir von einer bestimmten Kultur geprägt und leben in einem konkreten gesellschaftlichen Umfeld. Nachfolge hat auch damit zu tun und hinterlässt da, wo wir gehen, unsichtbare Fußabdrücke, die zu erkennen geben, wem wir nachfolgen und wie sich dies in unserem Leben und bei unseren Mitmenschen auswirkt.
Nachfolge heißt: handeln
Karl Liebknecht war ein feuriger Kämpfer für den Sozialismus am Anfang des 20. Jahrhunderts und einer der Gründer der Kommunistischen Partei, der 1919 aufgrund dieses Einsatzes zusammen mit Rosa Luxemburg umgebracht wurde. Oft traf Karl Liebknecht sich mit Studenten und linken Genossen zu Diskussionen, um seine Thesen und Visionen mit anderen zu teilen. Seine Anhänger besuchten ihn auch zuhause und als Liebknecht einmal mit einigen von ihnen spazieren ging, nahm er seinen Sohn mit. Karl Liebknecht setzte ihn sich auf seine Schultern, während er redete. Er kam so ins Erzählen und Diskutieren, dass er seinen Sohn ganz vergaß. Sie sprachen hitzig über Gleichheit, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit und Liebknecht bemerkte nicht, dass sein Sohn dringend auf die Toilette musste und wild gestikulierte. Schließlich geschah es, sein Sohn pinkelte Liebknecht buchstäblich ins Genick. Der wurde daraufhin so zornig, dass er den Jungen vor den Augen seiner Zuhörer verprügelte.
Wir sollten aufpassen, dass es uns als Christen und Gemeinden nicht genauso ergeht. Dass wir bei all dem, was uns wichtig ist, worüber wir engagiert diskutieren, wofür wir Zeit und Geld investieren, nicht das praktische Handeln vergessen. Ich merke, wie leicht es mir fällt, Missstände anzuprangern und spannende Diskussionen zu führen – und wie schwer, das Diskutierte im Alltag zu leben. Veränderung beginnt mit Erkenntnis, mit einer Bewusstseinserweiterung (Römer 12,2) und führt dann zu verändertem Handeln (Matthäus 5–7). Denken und Handeln sind beide wichtig und gehören zusammen, sollen und können nicht getrennt werden.
Nachfolge heißt: Leben im Paradox
In der Nachfolge kommt es immer wieder zu Problemen. Probleme, die für mich kaum überwindbar sind. Ich möchte als Nachfolger Jesu radikal leben, alles verlassen, Wunder erleben und die Herrlichkeit Gottes soll täglich in ihrer ganzen Fülle über mich ergossen werden (natürlich bleibe ich dabei demütig, erwähne das höchstens ganz nebenbei). Gleichzeitig möchte ich ein sehr guter Ehemann und Vater sein. Immer da sein, kreativ und motivierend, ein Vorbild für die eigene Familie. Denn ich weiß: Das Reich Gottes beginnt in der Familie. Als Familienvater biete ich meinen Kindern, was sie brauchen, erziehe sie nach christlichen Maßstäben zu selbstständigen Persönlichkeiten. Da kollidiert dann leider freiwilliger Verzicht mit dem Wunsch nach Markenklamotten, und auch ich möchte mir ab und zu etwas gönnen (ein Apple-Notebook zum Beispiel), bekomme aber ein schlechtes Gewissen, wenn ich an die Millionen hungernder Kinder denke (dass diese Gedanken ausgerechnet im Computerladen verschwunden sind, muss ein Zeichen sein!).
Was tun? Das Paradox der christlichen Nachfolge liegt manchmal wie Blei über meinem Leben und doch weiß ich, dass dies eine kreative Spannung ist, die ich auf Erden niemals auflösen werde. Jesus sagt seinen Nachfolgern, dass das Reich Gottes auf dieser Erde mit ihm begonnen hat, aber noch nicht vollendet ist. Nachfolge heißt ein Leben im Jetzt und Noch-nicht. Ein Leben voller Spannungen, im Paradox des Glaubens. Ein Leben zwischen der vollkommenen Erlösung Christi und der Sündhaftigkeit unseres eigenen Lebens. Ein Leben zwischen heiligen Momenten und zerstörendem Egoismus. Zwischen heilender Gemeinschaft und heillosem Streit. Nachfolge zwischen dem Geschenk des Glaubens und dem Leben dieses Glaubens in unserem Alltag.
Jesus hat diese Spannung selbst in sich getragen, indem er ganz Gott und ganz Mensch war. Wir sind nur Menschen und das macht es manchmal schwierig. Aber wir sind auch Erlöste. Erlöste, die mit beiden Beinen in der Wirklichkeit dieser Welt stehen.
Worum es eigentlich geht
Wer für diese Spannungen schnelle Antworten und platte Wahrheiten erwartet, der wird mit Sicherheit enttäuscht werden. In diesem Buch soll zum Nachdenken angeregt, sollen Impulse gegeben und auch mal kritisch nachgefragt werden. Es geht dabei nicht darum, jemanden persönlich, eine Gemeindeform oder gar einen bestimmten Frömmigkeitsstil in ein schlechtes Licht zu rücken. Sondern es geht darum, Einseitigkeiten aufzudecken und zu hinterfragen. Dabei nehme ich mich selbst in die Pflicht, meine eigene Glaubensgeschichte, meine Suche nach Spiritualität und Gottesbegegnung und mein Verhältnis zu der Kultur und Gesellschaft, in der ich lebe. Dabei geht es immer um die Frage der Nachfolge, zum einen persönlich, aber auch als Gemeinde und Kirche. Dass ich dabei nicht neutral bin oder die Wahrheit für mich gepachtet habe, versteht sich von selbst. Diese verschiedenen Texte sollen im besten biblischen Sinne prophetisch sein, zur Nachfolge ermutigen und ermahnen. Sie sollen Mut machen, diesem Jesus zu vertrauen, und zum Ärgernis werden, wo wir mehr zum Pharisäertum neigen als zum Jüngersein. Ich selbst stehe zumindest in dieser Gefahr. Auf alle Fälle sollen sie inspirieren, diesem Jesus alles zuzutrauen, und zu einer ganzheitlichen Nachfolge herausfordern.
Was zu erwarten ist
Dabei ist dieses Buch in vier Bereiche aufgeteilt. Diese Einteilung ist nicht streng dogmatisch, sondern dynamisch zu verstehen. Nachfolge hat verschiedene Facetten, die sich immer wieder überschneiden und ergänzen. Zu Beginn geht es um die Herausforderung des Glaubens – auch auf die Schwächeren in der Gesellschaft zu sehen, sich nicht nur im eigenen Mikrokosmos um sich selbst zu drehen, sondern den Kopf zu heben und die Verantwortung für seinen Nächsten wahrzunehmen. Im zweiten Teil sehen wir uns das Evangelium des Anstoßes näher an: Nachfolge bedeutet auch, sich hinterfragen zu lassen, nicht nur mit dem frommen Mainstream zu schwimmen, sondern die eigene Prägung und das eigene Verhalten kritisch zu betrachten. Danach dreht sich alles um die Gesellschaft, in der wir leben. Wer beeinflusst eigentlich wen? Wir Christen die Gesellschaft oder doch eher umgekehrt? Im letzten Teil des Buches geht es dann um den Jesus, dem wir nachfolgen. Wie sieht unser Jesusbild aus? Woher kommt das eigentlich? Wie sehen und erleben wir ihn und was können wir von Jesus erwarten und lernen? Dieser Jesus, der so vielfältig ist, sanftmütig, scharfzüngig, mitfühlend, ehrlich, herausfordernd, voller Liebe, ermutigend und geduldig.
Ich folge ihm schon eine ganze Weile nach und habe darüber in den letzten paar Jahren immer wieder kleinere Texte, Kolumnen oder Kurzgeschichten geschrieben. Manche wurden schon veröffentlicht (im »dennoch«-Magazin), andere habe ich erst jetzt geschrieben. Jeder Beitrag steht für sich und doch ergeben sie gemeinsam ein Ganzes.
Jesus immer wieder neu zu begegnen, sich neu hinterfragen zu lassen und das Ergebnis im Leben umzusetzen, das wünsche ich mir und dir beim Lesen dieses Buches. In diesem Sinne hoffe ich auf ein anregendes Lesen!
Tobias Faix, Marburg