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Kapitel 1: Der Alltag

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Ein dumpfer Schlag ertönte, als der Wecker auf den Teppich knallte und ihn aus dem Schlaf riss. Tom lag schweißgebadet in seinem Bett und starrte völlig außer Atem auf die weiße Decke über ihm. Die Erinnerungen an seinen intensiven Traum verschwammen schon in dem Moment, als er seine Augen öffnete. Er versuchte, sich an das zu erinnern, was er gerade eben noch durchlebt hatte, doch je mehr er sich bemühte, sich die Einzelheiten seines Traums ins Gedächtnis zu rufen, desto weiter entglitt er ihm. Tom wusste bald nur noch, dass ihm alles so völlig real vorgekommen war.

Erschöpft drehte er sich zur Seite, um den Wecker, den er wohl im Schlaf heruntergeworfen hatte, zu betrachten. 7:30 Uhr zeigte dieser an. Tatsächlich war es wirklich schon wieder Zeit für ihn aufzustehen, doch er fühlte sich müde und ausgezehrt. Ein Gefühl, dass Tom nur allzu gut kannte, doch dieses Mal schien es schlimmer als sonst zu sein. Er konnte die Augen kaum offenhalten, weswegen er kurz überlegte, ob er nicht einfach liegenbleiben sollte. Tom besann sich jedoch schnell eines Besseren. Da er bereits die letzten Unterrichtsstunden verpasst hatte, obwohl die Prüfungen bereits kurz bevorstanden, wäre es wohl keine gute Idee, noch mehr Stunden zu verpassen. Also quälte er sich aus seinem warmen Bett und streckte seine müden Glieder, während er laut gähnte, um anschließend seinen Computer anzuschalten. Die aufgehende Sonne schimmerte schon leicht durch die schweren, von Staub bedeckten, dunkelblauen Vorhänge, als er diese zur Seite zog. Er öffnete seine Balkontür und trat auf den etwa ein mal drei Meter „großen“ Balkon hinaus. Die kühle Morgenluft, die ihm entgegenschwappte, weckte die ersten Lebensgeister in ihm. Der Himmel war wolkenlos und die ersten Sonnenstrahlen trafen auf sein Gesicht. Er schloss seine Augen, genoss die sanfte Wärme auf seiner Haut und atmete ein paar Mal tief ein. Als die kühle Luft seine Lungen flutete, schien die Müdigkeit Stück für Stück von ihm abzufallen. Es wird ein schöner Frühlingstag werden, dachte er sich, als er den Blick über die umliegenden Gebäude streifen ließ. Einfache mehrstöckige Reihenhäuser umgaben das Studentenwohnheim, in dem er mittlerweile seit fast drei Jahren wohnte. Es war sehr ruhig, wie meistens hier draußen in dem kleinen Vorort. Ein Auto fuhr gerade aus der Garage gegenüber, während einige Studenten sich schon auf dem Weg zur Bushaltestelle befanden. Auf der anderen Straßenseite ging eine ältere Frau mit ihrem Hund in Richtung des kleinen Parks, den Tom von seinem Balkon aus sehen konnte. Mehr war hier im Moment nicht los.

Meistens mochte er die Ruhe hier. Es gab niemanden, der ihn störte, niemanden, der etwas von ihm wollte, niemanden, der ihn verletzen konnte. Doch gleichzeitig hasste ein Teil von ihm diese Stille. Dann, wenn er sich in ihr einsam und verlassen fühlte, dann, wenn er sich nichts sehnlicher wünschte, als jemanden mit dem er reden konnte, jemanden, der einfach nur bei ihm war. Als er so auf dem Balkon stand, kamen schon wieder erste unheilvolle Gedanken in ihm hoch. Er schüttelte sich kurz, um diese Gedanken schnell wieder zu verdrängen, wie er es meistens versuchte. Anschließend drehte er sich um und begab sich zurück in seine kleine Ein-Zimmer-Wohnung.

Erst jetzt wurde Tom bewusst, wie stickig die Luft hier drin gewesen war, weshalb er die Tür weit offenstehen ließ. Er begab sich direkt in sein kleines Bad, ließ kaltes Wasser über seine Hände laufen und klatschte es sich auf Stirn und Wangen. Daraufhin betrachtete er sich im Spiegel. Er sah in ein hageres Gesicht, umrahmt von langen schwarzen Haaren, die leicht gelockt auf seinen Schultern ruhten. Die geröteten, matten stahlblauen Augen seines Spiegelbildes blickten müde zurück und wurden dabei von riesigen dunklen Augenrändern umrahmt, die er schon hatte, solange er denken konnte. Sie waren wohl hauptsächlich durch das Zusammenspiel von langen Nächten vor dem PC und den immer häufiger werdenden, Schlafstörungen entstanden und im Laufe der Jahre einfach immer weiter gewachsen. Ein dichter, dunkler Bart umrahmte sein Kinn. Nicht gerade das Gesicht eines klassischen BWL-Studenten, dachte er sich, als er sich so im Spiegel betrachtete. Nachdem er seinen Schlafanzug ausgezogen hatte, begab Tom sich in seine kleine Duschzelle.

Genau das, was ich jetzt brauche, ging es ihm durch den Kopf, als das kühle Wasser der Dusche über seinen Körper rann, was dazu führte, dass in ihm weitere Lebensgeister geweckt wurden. Nach ein paar Minuten stellte er die Dusche wieder ab und nahm das Handtuch, um sich abzutrocknen. Als er fertig war, betrachtete er sich noch einmal kurz im Spiegel. Seinen Augenrändern konnte das kalte Wasser nichts anhaben und noch während er die Dusche abgestellt hatte, kehrte die Müdigkeit wieder zurück in seine Glieder. Er schnappte sich seine Jeans und sein T-Shirt, welche noch vom Vortag auf dem Boden im Bad lagen und streifte sie sich über. Im Vorbeigehen nahm er noch schnell die letzte Scheibe Brot, sowie ein sauberes Messer aus seiner kleinen Küchenzeile mit an den Schreibtisch.

Dieser war immer mehr zum Mittelpunkt seines Lebens geworden. Sein Computer, mittlerweile längst hochgefahren, schien schon beinahe sehnsüchtig auf ihn zu warten. Tom legte das Brot auf einen noch recht brauchbar aussehenden Teller und bestrich es mit der schon offen bereitstehenden Nutella-Creme. Der Schreibtisch glich eher einem Schlachtfeld als einem Arbeitsplatz. Etliche gebrauchte Teller und Gläser stapelten sich auf der einen Seite, während auf der anderen leere Tüten Chips sowie haufenweise Wurstverpackungen und Pizzakartons lagen. Überall verstreut tummelten sich Zettel und Geschirrtücher, sowie Ordner und Blöcke. All das ließ die Umrisse des Schreibtischs mittlerweile nur noch vage erahnen. Er nahm einen großen Bissen von dem Brot und machte sich daran, wie jeden Morgen, einige Internetseiten und Foren zu durchstöbern. Viel Neues gab es nicht zu entdecken, während er sein Frühstück beiläufig hinunterschlang. Kein Wunder, war er doch erst vor dreieinhalb Stunden ins Bett gegangen. Vorher konnte er noch keinen Schlaf finden. Obwohl er nichts Interessantes entdeckte, verging die Zeit wie im Fluge und Tom erschrak, als er wieder auf die Uhr sah.

Scheiße! Schon so spät? Er zwang den letzten Bissen vom Brot hinunter, um sich dann auf die Suche nach seinem Rucksack zu machen. Ein kurzer Blick hinein verriet ihm, dass der Ordner für Recht, dem ersten Fach, das heute auf dem Programm stand, noch fehlte. Hektisch überflog er das Chaos in seinem Zimmer und suchte nach dem besagten Ordner, jedoch ohne Erfolg. Er muss doch hier irgendwo sein, dachte er, als er zum zweiten Mal seinen Schreibtisch durchwühlte. Verdammt ich habe doch keine Zeit mehr. Ein verzweifelter Blick auf seine Uhr bestätigte ihn. Dann fiel ihm der Ordnerberg hinter seinem Bett ein. Da muss er sein, sagte er zu sich mit etwas Zuversicht. Tatsächlich fand er ihn eingeklemmt zwischen Bettkante und Zimmerwand. Schnell packte er ihn ein, nahm seine Jacke, die über dem Stuhl hing und eilte nach draußen.

Bereits als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, hatte ihn die Müdigkeit wieder vollends gepackt. Er fühlte sich sogar noch ausgezehrter als zuvor. Missmutig sah er den Gang entlang, an dessen Ende er sich befand. Zu beiden Seiten gingen jeweils sieben gleiche orangefarbene Türen ab, die zu ähnlichen Wohnungen wie seiner eigenen führten. Das mit dem Bus wird verdammt knapp, dachte Tom, während er schnellen Schrittes an den Türen vorbeieilte und anschließend die düstere Betontreppe hinunterrannte. Während er die Stufen hinuntersprang, kramte er seinen MP3-Player aus der Jackentasche hervor und stöpselte ihn an. Der tiefe Bass der Musik beruhigte ihn ein wenig. Es war fast so, als würde er sich damit von der Welt um ihn herum abschotten. Er ging an zwei Mitbewohnern vorbei, die sich gerade an den Briefkästen zufällig getroffen hatten und jetzt etwas Smalltalk hielten. Er beachtete sie nicht weiter und verließ schnellen Schrittes das Wohnheim.

Draußen angekommen schlug ihm wieder die kühle Morgenluft entgegen. Allerdings schaffte sie es nicht, erneut ihre erfrischende Wirkung zu entfalten. Als er auf die Straße einbog, sah er gerade noch den Bus vor seinen Augen davonfahren. Ach verdammt, nicht schon wieder, fluchte er leise vor sich hin. Er blieb kurz stehen, um seine Möglichkeiten durchzugehen. Die erste bestand darin, hier auf den nächsten Bus zu warten, welcher in etwa fünfzehn Minuten kommen sollte. Die zweite war zu laufen, was allerding noch etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen würde als das Warten auf den Bus. Pünktlich würde er es allerdings so oder so nicht mehr schaffen. Die dritte Möglichkeit, die ihm blieb, schien für ihn im Moment auch die verlockendste zu sein. Er könnte einfach wieder nach oben gehen, um den versäumten Schlaf nachzuholen. Ein inneres Zwiegespräch begann. Auf den Bus warte ich sicher nicht ... Ach jetzt noch einmal hinlegen, das wäre einfach super … Aber du hast schon zu oft eine Stunde verpasst … Ich krieg doch eh wieder kaum was mit, so müde wie ich bin ... Nur noch ein paar Wochen bis zu den Prüfungen … Die habe ich davor auch so geschafft … Was, wenn ich dieses Mal durchfalle?

Irgendwie schaffte es am Ende die Stimme, die zur Universität gehen wollte, sich durchzusetzen. Also machte er sich zu Fuß auf in Richtung Campus. Allerdings hatte er es nun nicht mehr allzu eilig. Er ging an der leeren Haltestelle vorbei und bog dann kurz darauf in ein Waldstück ein. Die Musik dröhnte aus seinen Kopfhörern. Nur ein paar Fahrradfahrer rasten an ihm vorbei, die er allerdings kaum zur Kenntnis nahm. Zu Beginn seines Studiums war Tom gerne den Weg durch den Wald gelaufen. Er war dafür sogar oftmals etwas früher aufgestanden. Das Laufen hatte ihn immer irgendwie beruhigt, er fühlte sich danach meistens wacher und lebendiger. Jedoch verflog diese Wirkung recht schnell, weshalb er begann, immer öfter mit dem Bus zu fahren, oder, wie jetzt, sich komplett von der Außenwelt abzuschotten. So nahm er weder den kleinen Weiher wahr, an dem er früher öfter eine Pause eingelegt hatte, noch die Lichtung, welche durch das Licht der Morgensonne ein beinahe märchenhaftes Ambiente bot. Auf dem Campus waren nur noch vereinzelt Menschen unterwegs. Einige von ihnen hatten es eilig, sie waren wohl genau wie Tom zu spät dran. Andere flanierten an dem künstlich angelegten Teich entlang und beobachteten die junge Entenfamilie, die sich hier eingenistet hatte.

Kurz vor dem Hörsaal gingen ihm einmal mehr unzählige Fragen durch den Kopf. Wie würde der Professor reagieren, wenn er so spät auftauchte? Würde er auf ihn aufmerksam machen, ihn vor allen bloßstellen? Was würden seine Kommolitonen dann von ihm denken? Würde ihn überhaupt irgendwer bemerken oder bliebe er, wie immer, unsichtbar? Mit leicht zittrigen Händen umklammerte er die Türklinke, drückte sie nach unten und schob die schwere Tür auf.

Es war letzteres Szenario, welches eintreten sollte. Niemand registrierte, dass er gerade den Raum betreten hatte. Halb erleichtert, halb enttäuscht, suchte er sich einen Platz am Rand. Da der Hörsaal nicht mal zu einem Drittel gefüllt war, fiel ihm das nicht allzu schwer. Tom ging gemütlich die Stufen hinunter, setzte sich auf einen unbequemen Stuhl und breitete seine Unterlagen vor sich aus. Wie es schien, war der Professor noch nicht allzu weit gekommen. Er versuchte mit einzusteigen und dessen monotonem Vortrag zu folgen, jedoch fiel es ihm schwer, aufmerksam zu bleiben, weshalb sein Blick bald begann, durch den Hörsaal zu schweifen. Er erkannte viele Gesichter wieder, die ihm in den letzten drei Jahren vertraut geworden waren. Da war der junge Mann vor ihm, wie immer in ein schickes Hemd gekleidet, der die Angewohnheit hatte jede Stunde mindestens zweimal sein Handy auf den Boden zu werfen. Der kurzsichtige Junge in der ersten Reihe, der eine dicke Lupe brauchte, um überhaupt etwas von dem lesen zu können, was an der Tafel stand. Das hochnäsige Mädchen, das jede Stunde versuchte, mit klugen Kommentaren Eindruck beim Professor zu schinden.

Sein Blick streifte weiter umher, bis sein Herz einen großen Sprung machte. Sein Blick ruhte nun auf einer hübschen, zierlichen jungen Frau mit gelockten blonden Haaren nur ein paar Reihen vor ihm. Sie hatte ihren Kopf zu ihrer Banknachbarin gedreht und versuchte gerade mit mäßigem Erfolg ein Lachen zu unterdrücken. Sie war ihm schon am ersten Tag ins Auge gestochen. Jedes Mal, wenn er sie sah, begann sein Herz wie wild zu rasen, gleichzeitig schnürte sich alles in ihm zusammen. Er hatte bis jetzt noch nie den Mut aufbringen können, sie anzusprechen, obwohl er sich nichts sehnlicher gewünscht hätte. Was soll ich denn zu ihr sagen? Würde sie mich überhaupt mögen? Über was sollen wir uns denn unterhalten? Ich kann ja sowieso kein Gespräch führen. Was soll eine wie sie schon von mir wollen? Tausendfach waren ihm diese Gedanken schon durch den Kopf gegangen, nie war es ihm gelungen, sie zum Schweigen bringen. So blieb er sich auch heute wieder treu und schwärmte aus sicherer Entfernung von dem hübschen Mädchen. Es kostete ihn einige Mühe seinen Blick wieder von ihr abzuwenden, damit er dem Professor bei seinem einschläfernden Monolog über Gesellschaftsrecht weiter folgen konnte.

Die Zeit schien still zu stehen, als wollte die Stunde niemals zu Ende gehen. Immer wieder huschte sein Blick hinüber zu der jungen Frau und er fragte sich dabei, ob er es denn jemals schaffen würde, sie anzusprechen. Kurz vor dem Ende der Stunde vibrierte sein Handy. Es war eine Nachricht von Martin, einem Kommilitonen. Einer der wenigen, mit dem er überhaupt Kontakt hatte. Ich schaff es heute nicht zur Mathestunde, schrieb er. Also würde er die nächste Stunde auch wieder allein dasitzen, wie so oft. Er stieß einen leisen Seufzer aus. Bald darauf ging die erste Stunde dann doch endlich zu Ende.

Ein Großteil der Studenten stand auf und verließ den Raum, während andere in Scharen hereinströmten, um der Mathestunde beizuwohnen. Völlig in Gedanken schaute er den Leuten zu, welche die Treppe hinaufgingen, bis sein Blick den seiner Angebeteten traf. Er sah ihr direkt in ihre wunderschönen, dunkelblauen Augen. Sein Herz schien für einen Moment stehen zu bleiben, nur um dann wie wild zu rasen. Sie blickte zurück. Sah sie gerade wirklich ihn an? Auf ihrem Mund schien sogar ein leichtes Lächeln zu erscheinen. Sofort richtete er seinen Blick auf die Unterlagen, welche vor ihm lagen. Er spürte Hitze in sich aufsteigen. Hat sie mich gerade wirklich angelächelt?, fragte er sich. Was für ein wundervolles Lächeln. War das eben nur ein Zufall, oder hatte es etwas zu bedeuten? Da er jedoch nichts weiter machte, als panisch die Bank vor sich anzustarren, würde er es vermutlich nie erfahren. Wieder einmal hasste er sich selbst für seine Feigheit.

Auch die nächste Stunde schien sich für ihn geradezu endlos zu ziehen, ohne dass er auch nur irgendetwas von dem Stoff mitbekam, den der Professor ihnen zu vermitteln versuchte. Seine Gedanken drehten sich immer wieder im Kreis. Er begann einmal mehr, sich selbst innerlich zu zerfleischen. Mittlerweile war es ihm vollkommen egal, ob er noch irgendetwas von dem Stoff mitbekam oder nicht. Es war ihm fast schon egal, ob er die Prüfungen überhaupt schaffte. Wofür soll das alles hier denn überhaupt gut sein, fragte er sich. Wieso bin ich eigentlich immer noch hier, das hat doch alles überhaupt keinen Sinn, so wie der Rest meines Lebens. Immer mehr versank er in seine düstere Gedankenwelt.

Als die Stunde beendet war, stöpselte Tom seine Kopfhörer wieder ein, in der Hoffnung, auf andere Gedanken zu kommen. Er verließ den Hörsaal, ohne irgendjemanden um ihn herum auch nur wahrzunehmen. Alles um Tom hüllte sich in einen undurchdringlichen Schleier. Hat sich ja mal wieder gelohnt hierher zu kommen, ging ihm durch den Kopf, während er durch die Tür des Hörsaals ins Freie trat.

Obwohl er nur noch ein paar Minuten hätte warten müssen, ging er an der Bushaltestelle vorbei. Er hatte keine große Lust, in einen überfüllten Bus einzusteigen, in dem nur haufenweise Menschen waren, die ihn ja sowieso nicht beachteten. Also nahm er denselben Weg zurück, auf dem er schon hergekommen war.

In seinem Zimmer angekommen warf Tom erst einmal seine Tasche in die Ecke, schaltete den Computer wieder ein und holte sein Handy heraus. Er hatte eine neue Nachricht erhalten. Diesmal von Chris, einem der wenigen Freunde, die Tom überhaupt hatte. Er kannte ihn schon von Kindheitstagen an. Er war wohl der Einzige, mit dem er sich wirklich gut unterhalten konnte.

„Hey, wir gehen heute Abend in die Stadt was trinken. Lust mitzukommen?“ stand in der Nachricht. Also geht er heute mit Lucy, seiner Verlobten, in einen Club und will, dass ich mitkomme. Tom war hin- und her gerissen. Einerseits hatte er schon Lust, wieder mal etwas mit Chris zu unternehmen. Immerhin war er schon fast drei Wochen nicht mehr mit ihm unterwegs gewesen. Auf der anderen Seite konnte er Clubs und Discos nicht ausstehen. Er fühlte sich dort unwohl, hatte immer das Gefühl einfach nicht dorthin zu passen, nie dazuzugehören. In Gedanken ging er schon einmal mögliche Ausreden durch. Ich muss noch eine Menge lernen. Das glaubt er mir eh niemals, musste er schmunzeln. Chris kannte ihn zu gut, als dass er Lernen als Ausrede zählen lassen würde. Mir geht’s heute nicht besonders gut vielleicht, dachte er, oder ich habe schon etwas anderes vor. Nur was sollte ich da sagen, ihm fiel spontan absolut nichts Glaubwürdiges ein.

Er beschloss, sich später zu entscheiden und suchte in seinem Kühlschrank nach etwas Essbarem. Er fand noch eine offene Packung Würstchen, die er mit an seinen Schreibtisch nahm. Er machte sich gar nicht erst die Mühe, sie warm zu machen, sondern aß sie direkt aus der Verpackung. Endlich saß er wieder an seinem PC. Dort vergaß er für eine Weile alles um sich herum. Der Bildschirm vertrieb alle Gedanken daran, wie klein und elend er sich in seinem Leben fühlte. Er startete sein Onlinerollenspiel, sammelte eine Weile Materialien für den morgen anstehenden Raid und stöberte noch etwas in den Foren herum, bis sein Handy erneut vibrierte. Es war Chris, der immer noch auf eine Antwort wartete. Tom sah auf die Uhr. Verdammt, ist es wirklich schon so spät? Er hatte gar nicht mitbekommen, dass er schon wieder so lange vor seinem Rechner gesessen hatte. Wieder hielt er innerlich Zwiesprache. Ich hasse Discos. Aber immerhin sind Chris und Lucy dabei. Trotzdem wird es mir sicher keinen Spaß machen. Ich verrotte noch hier drin, wenn ich nicht mitgehe. Ich bin so verdammt müde. Es dauerte eine Weile, bis sich eine Seite in ihm durchsetzen konnte.

„Alles klar ich bin dabei, wann geht’s los?“, schrieb Tom zurück. Am Ende hatte er sich doch tatsächlich dazu durchringen können, heute wieder einmal mit den seinen Freunden wegzugehen. „Um acht bei mir. Bier ist schon kaltgestellt“, kam die baldige Antwort von Chris. In Tom stieg langsam die Anspannung, wie immer, wenn er unter Leute gehen sollte. Doch dieses Mal fühlte es sich irgendwie anders an als sonst.

Die Reise Beginnt (Die Drei-Welten-Saga: 1)

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