Читать книгу Die Reise Beginnt (Die Drei-Welten-Saga: 1) - Tobias Melder - Страница 7
Kapitel 3: Auf der anderen Seite
ОглавлениеTom schwitzte vor Anstrengung, doch gleichzeitig durchzog ein schauriges Frösteln seinen erschöpften Körper, als er näher an das strahlende Licht heran humpelte. Er fühlte sich ausgelaugt, als hätte er tagelang weder etwas gegessen noch getrunken. Seine Kehle war staubtrocken, er bekam kaum noch Luft und spürte, wie bei jedem seiner immer müder werdenden Herzschläge ein stechender Schmerz durch seinen Körper lief.
Als er über die Schwelle des Lichts trat, begann er, am ganzen Leib zu zittern. Jede einzelne Zelle seines Körpers schien zu vibrieren und seine Nackenhaare stellten sich ihm zu Berge. Für einen kurzen Moment hatte er das Gefühl schwerelos zu sein, ja fast zu fliegen, den Boden unter seinen Füßen spürte er nicht mehr. Dann fühlte es sich so an, als ob sich sein ganzer Körper ins Unendliche ausdehnte. Er konnte nicht mehr sagen, wo sein Körper aufhörte und verlor völlig das Gefühl für ihn, bis er ihn irgendwann garnichtmehr spürte. Doch im selben Moment wurde er auch schon wieder zusammengedrückt, wodurch die restliche Luft aus seinen Lungen gepresst wurde. Er konnte nicht mehr atmen, der Widerstand war zu groß. Tom fühlte, wie sein Verstand sich immer mehr verdunkelte. Panik ergriff ihn. Noch etwas länger und er würde ersticken. Auf einmal spürte er den Boden unter seinen Füßen wieder, wankte einen Schritt vorwärts und fiel dann der Länge nach hin. Seine Beine wollten ihn nicht mehr länger tragen. Während er auf den Boden fiel, holte er einmal tief Luft. Seine Lungen brannten, doch noch nie hatte sich ein Atemzug so gut angefühlt wie in diesem Augenblick. In seinem Magen drehte sich immer noch alles und er erbrach.
Die Augen fest verschlossen, spürte er, wie sich der Boden unter ihm verändert hatte. Wo gerade noch fester Asphalt gewesen war, spürte er, wie seine Finger nun über raue Kieselsteine fuhren, als er sie langsam über den Boden gleiten ließ. Er öffnete seine müden Augenlider einen Spalt breit, um etwas zu erkennen, allerdings war das Licht um ihn herum zu grell, weswegen er seine Augen erneut schloss. Tom nahm nur leises Stimmengewirr wahr, das Galoppieren einiger Pferde, sowie das leise Glucksen von Wasser, welches ruhig vor sich hinfloss. Das Plätschern beruhigte ihn ein wenig und sein Atem ging nun etwas langsamer. Alles schien sich immer mehr von ihm zu entfernen, nur das Rauschen des Wassers wurde stetig lauter. Er war endgültig am Ende seiner Kräfte angelangt, kurz davor, sein Bewusstsein zu verlieren, als er bemerkte, wie das Licht um ihn herum schlagartig erlosch. Mühsam versuchte er, seine Augen zu öffnen.
Nur verschwommen nahm er die Umgebung um ihn herum wahr. Langsam gewöhnten sich seine Augen an das flackernde Licht der Fackeln und Kohlebecken, die den Wegesrand säumten. Sein Verstand konnte das alles schon längst nicht mehr verarbeiten. Er wunderte sich nicht länger über all das, was geschehen war. Die Monster, die Reiter, das Licht, den Kiesweg und die Fackeln, die nun anstelle der Straße und den Laternen standen. Er fühlte sich unendlich müde und ausgelaugt, wollte einfach nur seine Augen schließen, wollte nur noch, dass es endlich vorbei war. Sein Kopf war völlig leer. Seinen Körper durchzuckte nach wie vor bei jedem Herzschlag ein stechender Schmerz. Er konnte förmlich spüren, wie seine Lebensenergie langsam aus ihm wich. Ein dumpfer Schlag neben ihm erweckte für einen kurzen Moment seine Aufmerksamkeit. Ben war neben ihm zusammengebrochen. Auch er war mit seinen Kräften am Ende. Mit Ben war auch Lucy auf den Boden gesunken. Immer noch unfähig, sich zu bewegen, kniete sie mit ausdruckslosem Gesicht im Kies und blickte starr hinaus in die Dunkelheit. Auch das nahm Tom nur am Rande wahr. Er wollte einfach nur in Frieden einschlafen.
Zwei Männer kamen herbeigeeilt. Sie trugen Tom auf ihren Schultern in ein Zelt am Rande des Weges und legten ihn auf eine harte Matratze. Nur die Augen schließen und alles war vorbei. All der Schmerz, all die Erschöpfung, all die grausamen Erinnerungen, doch irgendetwas in ihm wollte das noch nicht. So lag er noch eine Weile benommen auf dem Bett und starrte an die Zeltdecke, ohne sie bewusst wahrzunehmen, als eine alte Frau sich über ihn beugte, die Tom mit ihren streng dreinblickenden, leuchtend grünen Augen musterte. Sie sah ihm direkt in die Augen und es war fast so, als ob sie mit ihrem Blick in ihn eindringen, ja hinunter bis in die tiefsten Abgründe seiner Seele blicken könnte. Tom fühlte sich nackt und verletzlich. Er nahm nur noch die glänzenden grünen Augen sowie den ruhigen Atem der Frau wahr. Es war, als würde Tom in ihren Augen versinken, als wären sie ein smaragdgrüner Ozean, in den er einfach eintauchen konnte, der alles Geschehene von ihm wegspülte. All die Schmerzen und all das Leid. Sie drückte ihm sanft die Schulter und nickte ihm kurz lächelnd zu, woraufhin Tom langsam wieder zu sich kam. Die Schmerzen, die seinen Körper quälten, wurden ihm abrupt wieder bewusst, was dazu führte, dass er seinen Atem anhielt. Die Frau begann, sein Hemd zu zerschneiden und seine Wunde mit Arznei und Tüchern zu versorgen. Tom fühlte, wie der stechende Schmerz in seinen Gliedern nach und nach abnahm, als der Verband auf die verletzte Stelle gepresst wurde. Die alte Frau legte nun ihre Hand auf seine Stirn. Augenblicklich wurden seine Gedanken etwas klarer, sein Herzschlag ruhiger und er spürte neue Kraft in sich aufsteigen. Es war fast so, als ob sie ihm etwas ihrer eigenen Lebensenergie geschenkt hatte. Zum Abschluss flößte sie ihm noch einen warmen, bitteren Trunk ein. Er war schon kurz davor einzuschlafen, als er zwei vertraute Stimmen leise reden hörte.
„Sind wir rechtzeitig gekommen? Wird er es schaffen?“ Tom erkannte die Stimme desjenigen, der die Fragen aussprach. Es war die des Reiters, der sie gerade gerettet hatte. „Er sieht nicht gut aus“, fuhr dieser mit besorgter Stimme fort.
„Wenn er nicht zu viel seiner Magie verbraucht hat, um es bis hierher zu schaffen, hat er eine Chance“, antwortete die vertraut klingende Stimme des alten Mannes in ruhigem Tonfall. Tom war sich nun sicher, dass es dieselben Stimmen waren, die er auf der Treppe gehört hatte, kurz bevor alles begonnen hatte.
„Das hoffe ich für uns beide“, sagte der Reiter energisch. „Ich habe meine Befehle missachtet und dabei drei gute Männer verloren und du weißt, was das bedeutet.“
„Allerdings weiß ich das, und ihre Opfer werden nicht vergeblich gewesen sein, das schwöre ich dir“, antwortete der alte Mann bestimmt.
„Es ist tatsächlich alles so eingetreten, wie du es vorhergesehen hast, Meister Aren“, sprach der Reiter in ehrfürchtigem Ton weiter. Nach einer kurzen Pause fragte er den alten Mann: „Wie steht es um die anderen drei, die wir hergeholt haben?“
„Der Große hat nur leichte Wunden.“, kam die Antwort des Alten. „Das Mädchen ist körperlich gesund, steht allerdings unter Schock. Was den dritten von ihnen angeht“, es folgte eine kurze Pause. „Er hat sehr schwere Verletzungen davongetragen. Die Heiler tun alles, was in ihrer Macht steht, aber sie haben nicht viel Hoffnung.“ Die letzten Worte hallten noch leise, wie ein schwindendes Echo durch Toms Kopf, ehe er schließlich in einen tiefen, traumlosen Schlaf versank.