Читать книгу Tick Tack Fuck. #echthartezeiten - Tom Limes - Страница 9

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3 Ver-datet?

Während des Unterrichts wanderten Xavers Augen immer wieder zu Charly, die am anderen Ende der Klasse saß. Wenn sich ihre Blicke trafen, lächelte sie ihm eine Gänsehaut auf den ganzen Körper.

Wieso war es für ihn nur so schwer, sie anzusprechen? Warum bekam er in ihrer Gegenwart nicht hin, was ihm zu Hause vor dem Spiegel so gut gelang? Er wartete auf den Beginn der großen Pause, denn da wollte er einen neuen Versuch starten.

Als es gongte, war er bereit. Er würde zu Charly schlendern, sich lässig auf ihren Tisch setzen und sie dann fragen, ob sie mit ihm ins Kino gehen wolle. Das hatte er schließlich schon einmal geschafft. Also, das mit dem Verabreden. Das Treffen war dann leider eine andere Sache gewesen.

»Hey, Xaver, es ist Pause!«, rief Leo.

»Ich komme gleich.«

Die Klasse leerte sich und Xaver lauerte auf den richtigen Moment, um seinen nächsten Vorstoß zu wagen.

Charly tippte Nachrichten in ihr Smartphone, doch bevor Xaver loslegen konnte, schlenderte Klassenpfosten Piet, der Meister des geistigen Tiefflugs, auf sie zu. »Hey, Charly … machst du Überstunden oder was?« Er ließ mit einem kurzen Stirnrunzeln die auf den zurückgegelten blonden Haaren ruhende Sonnenbrille auf seine Nase herunterrutschen.

»Sorry!«, antwortete Charly, sprang auf und küsste Piet. Auf den Mund.

Zack. Plan gescheitert.

Kurz darauf saß außer Xaver nur noch Florian Jazinsky im Klassenraum, der sehr geschäftig in seinem Rucksack kramte. Flo suchte immer irgendwas in seinem Rucksack, wenn die Pause begann. Meistens brauchte er so lange, dass darüber bereits die nächste Stunde anfing. Und natürlich wussten alle, dass er nur deshalb nicht rauswollte, weil er dann dort ganz alleine rumstehen würde.

Flo war überhaupt ein komischer Typ. In seinen Klamotten aus irgendwelchen Secondhandshops sah er regelmäßig so aus, als sei er gerade auf dem Weg zu einem Job in der Geisterbahn.

Ne, auf die Gesellschaft hatte Xaver jetzt auch keinen Bock. Also raffte er sich auf und schlurfte nach draußen. Passend zum alten Schulgebäude des Immanuel-Kant-Gymnasiums, hatte auch der Pausenhof den Charme eines Gefängnishofs. Keine Verstecke, keine Bäume oder Sträucher, es war einfach nur grau und öde. Er peilte den üblichen Treffpunkt seiner Freunde an und versuchte, auf dem Weg seinen Automatenkaffee vor den kreischenden Unterstufenschülern zu retten. Ihnen gehörte das Zentrum des Hofs, während alle älteren Schüler und die stets aufmerksame Pausenaufsicht sich an den Rändern des Platzes verteilten.

»Hey, Casanova, komm zu uns«, rief Noah. Breit grinsend, stand er mit Leo und Lasse zusammen.

Xaver ging zu ihnen und überlegte, was genau bei Noah die Assoziation mit dem italienischen Oberrammler hervorgerufen haben könnte.

Drei Augenpaare blickten ihn gespannt an. »Und? Ge-datet?«

»Was meinst du?«

Die Gruppe lachte.

»Was wohl? Hast du Charly klargemacht?« Zur Unterstreichung ihrer Worte ließen alle drei ihre Hüften von hinten nach vorne schnellen. Xaver schoss einen wütenden Blick zu Leo, der unschuldig lächelnd die Schultern hob.

»Du bist manchmal so ein Penner!«

Lasse grinste. »Bleib mal locker. Gib dich doch nicht mit dieser dummen Tussi ab.«

»Hast was Besseres verdient!«, stimmte Leo zu.

»Die wird bestimmt gerade auf dem Schulklo vom Nächsten gepoppt«, vermutete Lasse gewohnt ungefiltert.

»Haltet einfach euer Maul«, raunte Xaver. »Euer dummes Gelaber interessiert mich nicht. Ich will so was nicht mehr hören! Charly ist kein Flittchen.«

»Xaver, jetzt mal im Ernst«, sagte Noah, der von dem Trio noch den meisten Grips hatte. »Jedes Mal wenn du im Charly-Fieber bist, macht die halbe Oberstufe sich über dich lustig. Wir sagen dir wenigstens, was wir davon halten, statt hinter deinem Rücken zu lästern.«

»Oh danke, ihr seid so gut zu mir«, blaffte Xaver wütend. Ständig zogen ihn seine Kumpels wegen Charly auf und das nervte tierisch. Also drehte er sich einfach um und rauschte ab, zurück zum Schulgebäude.

Er wusste ja, dass seine Chancen bei Charly ziemlich knapp über dem Nullpunkt lagen. Auch rein optisch. Sein Körperbau war eher schlaksig und man musste schon suchen, bis man so was wie einen Bizeps fand. Er war zwar recht groß und durchaus tageslichttauglich, aber das machte ihn noch nicht automatisch zum Traumtypen der Jahrgangsstufe.

Charly dagegen … na ja, Charly war eben Charly. Und sie hatte quasi freie Auswahl, denn jeder wollte mit ihr zusammen sein.

Trotzdem mussten seine drei »tollen« Freunde ihn nicht ständig daran erinnern, was für ein hoffnungsloser Fall er war.

In Klassenraum war Flo immer noch alleine und nach wie vor halb im Rucksack verschwunden. Xaver setzte sich und wartete mit düsterer Mine auf den Gong zur nächsten Stunde. Hier still zu sitzen, war definitiv die bessere Wahl, als unten von seinen Freunden ausgelacht zu werden.

Der Gong beendete erst die Pause, dann die Stille in den Fluren. Xaver blickte stur vor sich auf seinen Tisch. Das Letzte, was er jetzt brauchte, war, von irgendwem vollgequatscht zu werden. Seine Klassenkameraden schienen das zu verstehen und ließen ihn in Ruhe. Da schob sich eine löchrige Jeans in sein Blickfeld. Toni, seine frühere Sandkastenfreundin, hatte sich auf seinen Tisch gesetzt.

»Was ’n los mit dir?« Sie strich sich ihre langen braunen Haare aus dem Gesicht und lächelte ihn fragend an.

Xaver seufzte tief. »Nix.«

»Sieht man.« Toni schwieg für einen Moment und Xaver beobachtete interessiert, wie ihre kurz geschnittenen Nägel auf die Tischplatte trommelten.

Sie war das einzige Mädchen in seiner Klasse, das nie Nagellack trug, fiel ihm da auf.

»Stress mit deiner …«, Toni malte Anführungszeichen in die Luft, »… Gang?«

»Ach, was weißt du denn schon? Lass mich einfach in Ruhe.«

»Puh, ›Xaver, the lonely wolf‹, ja? Wie du meinst.« Sie stand auf und ging zu ihrem Tisch.

Mit einem Stöhnen ließ Xaver die Stirn auf sein Pult sinken. So verliefen seine Gespräche mit Toni in letzter Zeit dauernd. Früher waren sie unzertrennlich gewesen, aber seit gut zwei Jahren hatten sie sich kaum noch etwas zu sagen. Seine Mom bezeichnete das immer als so eine »Phase«, aber Xaver war sich da nicht so sicher. Es hatte sich zuletzt eher noch weiter zugespitzt.

Zugegeben, wahrscheinlich lag die aktuelle Eiszeit zwischen ihm und Toni auch an seiner Laune. Er war im Moment ständig unzufrieden, genervt oder enttäuscht, manchmal auch alles zusammen. Warum konnten sie ihn nicht einfach alle in Ruhe lassen? Also alle bis auf Charly. Irgendwann käme er dann Arm in Arm mit ihr in die Schule, sie würden sich während der Schulstunden anschmachten und jede Freistunde knutschend auf dem Schulhof verbringen.

Er würde es den anderen zeigen.

Zur nächsten großen Pause entschied er sich für eine weitere Schweigeviertelstunde in der Gesellschaft von Rucksack-Flo. Die Stille half Xaver, seine Gedanken zu sortieren. Es gab weiterhin ein Ziel und das hieß Charly. Er würde sie ansprechen. Gleich nach der Schule und er würde dieses Mal nicht wieder warten, bis Piet seine Chance bekäme. Sobald er diesen Entschluss gefasst hatte, notierte er auf einem Zettel Phrasen und Satzteile, die er zu ihr sagen könnte.

Als es zum Ende der sechsten Stunde gongte, hatte er seine Tasche schon gepackt und den auswendig gelernten Spickzettel in die Hosentasche gestopft. Er stand auf und schlenderte in Richtung Charly. Noch drei Schritte, zwei, eins, null, minus eins, Tempo verzögern, gaaanz langsam umdrehen. Nachdenklich dreinschauen. Sprechen.

»Ach, Charly …« Pause. »Mir fällt gerade auf …« Nächster nachdenklicher Blick, dieses Mal in die Ferne. »… dass ich heute noch nichts vorhabe.« Pause. »Sollen wir vielleicht was zusammen machen?«

Kopf schräg, souveräner Frageblick wieder in Richtung Charly. Es lief. Xaver hatte es geschafft. Er hatte sie angesprochen und es war perfekt. Die Aufregung ließ den Puls in seinen Ohren pochen, es war schwer, noch die Geräusche der Umgebung zu hören. Nun bewegte sie die pinkfarbenen Lippen, doch er konnte nichts verstehen, das Pochen übertönte ihre Stimme.

»Äh, bitte was?«, fragte Xaver, als er sich etwas beruhigt hatte.

»Ja. Guter Plan. So um drei?«

»O-kay, das passt«, presste er mühsam hervor. »Ich ruf dich später an.«

Jetzt nur noch lässig winken und langsam federnd Richtung Klassentür gehen. Treppe runter, Schulhof. Ausatmen.

Verdammt, ich habe es geschafft, dachte Xaver. Ich habe mit ihr gesprochen und es nicht verkackt. Sie hat JA gesagt und alle, ich betone a-l-l-e anderen haben es mitbekommen. Wow, was für ein geiler Tag! Scheiße, Noah hatte recht. Er war der große Casanova!

Um zwei rief er Charly an und sie vereinbarten, sich in einer der unzähligen amerikanischen Kaffeebuden, die es in der Kölner Innenstadt gab, zu treffen und danach ins Kino zu gehen.

Eine hässliche Stimme in Xavers Kopf warnte, dass sein letzter erbärmlicher Date-Versuch mit Charly auch so gestartet hatte und danach alles schiefgelaufen war, aber egal! Heute hatte er eine neue Chance. Und dieses Mal würde es perfekt klappen.

Er war natürlich zu früh am Treffpunkt und ihm war schlecht vor Nervosität. Suchend blickte er sich nach dem besten Platz für das Date mit seiner Traumfrau um. Mit einem Cappuccino in der Hand steuerte er eine etwas abseits gelegene, leicht dämmrige Ecke an und ließ sich dort in einen Ledersessel fallen. Mechanisch griff er nach seinem Handy in der Jackentasche. Es war nicht zu finden. Hektisch klopfte er alle Taschen ab, aber es war weg. Scheiße, hatte er es auf der Arbeitsplatte in der Küche liegen lassen?

Um drei hatte er die zweite Tasse geleert. Seine Handflächen waren nass und die Finger zittrig. Ob es am Kaffee lag oder an der Tatsache, dass Charly gleich kommen würde, ließ sich nicht klären und war auch egal.

Er wartete und sein Blick pendelte zwischen Eingangstür und Uhr. Das tat er noch sehr oft, denn Charly kam und kam nicht. Nicht um halb vier und auch nicht um vier. Um halb fünf stand Xaver auf und ging. Wo war sie nur? Hoffentlich war ihr nichts passiert. Er fuhr mit dem Rad, so schnell er konnte, nach Hause, um sein Handy zu checken.

Issy und seine Mutter begrüßten ihn, doch er steuerte nur stumm auf sein Handy zu, starrte auf das Display und lief damit nach oben. Eine Sprachnachricht. Von Charly.

Sorry, äh, Xaver. Ach, ich hoffe, du hörst das jetzt noch rechtzeitig … Mir ist da nämlich was Superdoofes passiert. Tut mir total leid, aber ich habe voll einen anderen Termin vergessen. Mann ey, ich wäre so gerne mit dir in die Stadt gegangen. Etwas knallte, vermutlich eine Kaugummiblase Sorry, nicht böse sein, ja? Küsschen!

Xaver fühlte sich wie betäubt. Hätte er doch nur sein Handy dabeigehabt. Er hörte die Nachricht ein weiteres Mal. Sie war exakt drei Minuten vor dem verabredeten Zeitpunkt gesendet worden.

Da kam eine weitere Sprachnachricht, dieses Mal von Leo: Hey, Xaver! Kevin ist ein Arsch, lass dich nicht von diesem bekackten Foto fertigmachen. Ist doch egal, dass er den Zettel gefunden hat. Hauptsache, du hattest dein Date mit Charly. Und dazu: Kompliment, hätte ich echt nicht mit gerechnet! Meld dich mal schnell und berichte, wie es war. Er lachte anzüglich. Und sorry wegen heute Morgen. War ziemlich dumm von mir, es Noah und Lasse zu erzählen.

Ein Date bekommen. Einen Scheiß hab ich! Und alle haben es mitbekommen. Schlimmer ging es eigentlich nicht.

Aber was für ein Foto meinte Leo? Wenn Kevin etwas postete, konnte es nichts Gutes bedeuten. Er war Xavers Zwangs-Sitznachbar in der Schule und absoluter Profi darin, andere bloßzustellen oder lächerlich zu machen.

Xaver öffnete den Klassenchat und scrollte durch die Nachrichten, ohne sie zu lesen, bis er an einem Foto hängen blieb. Abgebildet war ein Blatt aus einem Collegeblock. Auf ihm standen jede Menge gekritzelter, teilweise durchgestrichener oder eingekreister Wörter und Sätze. Xaver musste nicht lesen, was draufstand. Es waren die Notizen, die er gemacht hatte, als er überlegt hatte, wie er Charly nach Schulschluss ansprechen könnte. Der Zettel musste aus seiner Tasche gefallen sein, Kevin hatte ihn gefunden und gepostet. Die Kommentare darunter troffen vor Häme, das Foto war bereits zwanzig Mal geteilt worden.

Xaver schmiss sein Handy in die Ecke und überließ sich der aufkommenden Verzweiflung.

Tick Tack Fuck. #echthartezeiten

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