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Kapitel 5

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Der Professor blinzelte und sah sich um. »Kam es mir gerade nur so vor, oder …«

»Nein, ich hab’s auch gesehen«, sagte Mara. »Die Linke und die Rechte haben mir zugelächelt.« »Nur die Mittlere nicht«, vervollständigte der Professor ihren Satz.

»Ja, komisch, oder? Was das wohl zu bedeuten hat?«

Der Professor legte die Stirn in Falten, aber seine Augen blitzten geheimnisvoll. »Tja, das fragt sich der Laie sicher an mehreren Stellen in diesem wahrlich durchgeistigten Vortrag. Aber ich bin froh und, ehrlich gesagt, auch ein bisschen stolz, dass ich zum ersten Mal in unserer gemeinsamen Zeit direkt nach der Rätselstellung eine Menge Antworten parat habe. Ja, da bist du baff, nicht wahr? Um ehrlich zu sein, ich auch. Ha!« Und damit stapfte er einfach los zurück zum Hotel. Mara konnte nichts anderes tun, als hinterher zu tappen.

Der Professor war so stolz auf das, was er aus dem Auftritt der drei geheimnisvollen Frauen kombiniert hatte, dass er diesmal extralange wartete, bis er Mara davon erzählte. Mara war allerdings entschlossen, auf keinen Fall danach zu fragen. Dazu war sie viel zu stolz! Nein, Mara konnte warten und würde ihm sicher nicht den Gefallen tun, danach zu frggnn … »RAUSDAMIT!«

Der Professor blieb stehen und blickte auf seine Uhr. »Gratuliere, das waren fast acht Minuten. Ich hatte mit maximal zweieinhalb gerechnet. Das darf belohnt werden – und zwar mit Erleuchtung.« Er lehnte sich gegen einen Baum und blickte hinunter zum Flussbett, während er sprach: »Was wir gerade gesehen haben, waren die drei Beten oder auch die drei heiligen Jungfrauen. Sie lassen sich zurückführen auf den sogenannten Matronenkult des 1. bis 3. Jahrhunderts nach Christus. Und von dort noch weiter zurück mitten hinein in die …«

»Nordisch-germanische Mythologie?«, riet Mara und verkniff sich ein Augenrollen. Da sind wir also wieder.

»Exakt. Die drei Beten sind also das vorläufige Ende einer jahrtausendealten Verehrung dieser drei Frauenfiguren. Der uralte Kult ist trotz Christentum nie wirklich verschwunden, er hat sich nur immer wieder geschickt angepasst. Noch heute finden sich darum in vielen Kirchen die sogenannten drei heiligen Jungfrauen

»Wieso die sogenannten?«, fragte Mara dazwischen. »Sind die jetzt heilig oder nicht?«

Der Professor grinste. »Eine sehr kluge Frage, Mara, denn hier wird es seltsam. Keine dieser heiligen Jungfrauen wurde jemals in die offizielle kirchliche Heiligenliste aufgenommen. Und doch sind Gotteshäuser nach ihnen benannt, Bilder hängen in Kirchen, wie zum Beispiel in Sankt Alto zu Leutstetten gleich um die Ecke, Kerzen werden darunter angezündet und Menschen bitten dort um Hilfe.«

»In Kirchen?«, wollte Mara wissen. »Moment mal, das eben war doch keine Kirche, sondern …«

»… sondern eine Quelle, richtig. Die Quelle der Würm, um genau zu sein. Und hier schließt sich der Kreis zu unseren alten Naturgottheiten, Mara Lorbeer, denn die Germanen und auch die Kelten beteten nicht in Kirchen oder Tempeln, sondern an besonderen Stellen mitten in der Natur! Und mal abgesehen davon, dass keine Wände drum rum sind – wenn das da oben kein Ort des Betens und der inneren Einkehr ist, was dann?«

Mara nickte. Vermutlich gab es sogar Kirchen, in denen weniger los war als dort oben an den Quellen.

»Die Fähnchen, Bändchen und all das Zeug, das sind also alles … Opfergaben? Von Leuten von heute? Für diese … diesen jahrtausendealten Kult von den drei Frauen?«

»Ganz genau. Dies ist schon seit ewigen Zeiten ein heiliger Ort und ich glaube sogar, dass die Quelle und der steile Hang die einzigen Gründe sind, warum da noch keiner eine Kirche drüber gezimmert hat. Denn eigentlich haben sich die Christen gerne solche Heiligtümer als Bauort für ihre Gotteshäuser ausgesucht.«

»Echt jetzt? Wo denn zum Beispiel?«

»Na, zum Beispiel das Bonner Münster. Direkt unter dieser Kirche fand man gleich mehrere Bildsteine mit den drei Matronen darauf. Ach, und in Weyer hat man den Altar damals direkt auf einen umgedrehten Matronenstein gestellt. Die drei Damen starrten also jahrhundertelang in den Boden hinein, während oben die Priester auf ihnen herumspazierten. Witzig, oder?«

»Geht so, und was wollten die jetzt von mir?«, fragte Mara und legte die Stirn in Falten.

Die Stimme des Professors bebte aufgeregt. »Sie wollten dir einen Tipp geben, Mara Lorbeer. Du hast doch gehört, was sie am Ende gesungen haben, oder?«

»Na ja, irgendwas mit … Caruso?«

Der Professor lachte. »Nicht Caruso, Mara, sondern Carolus. Damit ist Karl der Große gemeint. Ich hab dir doch gesagt, dass da oben die Reste einer Burg im Boden stecken, die man fälschlicherweise Karlsburg nennt. Die drei Beten haben diesen Zweifel hiermit also bestätigt: Wo Carolus nie ward gesehn – Wo Karl nie gesehen wurde. Weil er eben nie da war!«

»Aha …«, machte Mara. »Okay, und da soll ich hingehen und irgendwas suchen? Das hab ich doch richtig verstanden, oder?«

»Ganz genau. Neun mal neun Schritte wären dann ja wohl 81. Aber von wo genau? Von Wo der Nornen Schatz begraben … Ab dieser Stelle hänge ich, ehrlich gesagt, noch ein wenig in der Luft.«

Dazu konnte Mara leider auch nicht arg viel sagen. Okay, eigentlich gar nichts. Also zuckte sie einfach nur mit den Achseln und machte dazu ein entsprechendes Keine-Ahnung-Gesicht.

Der Professor seufzte. »Tja, da ich hier im Mühlthal leider nicht die nötige Fachliteratur zur Verfügung habe, werde ich wohl oder übel im Internet wühlen müssen. Wie ich das hasse …«

»Wonach genau müssen Sie denn suchen?«, fragte Mara.

»Nun, ich vermute, dass die restlichen Zeilen der Verse auf eine lokale Sage verweisen. Aber ich habe nun mal nicht alle Fantastillionen Sagen Deutschlands abrufbereit auf der Festplatte hier oben«, sagte der Professor und tippte sich an die Stirn. Dabei fiel sein Blick auf die Uhr. »Doch wie mir scheint, wird die warten müssen. In einundzwanzig Minuten beginnt nämlich unser erstes sogenanntes Seminar. Bist du fit genug für einen kleinen Dauerlauf?«

Als die beiden das Forsthaus erreichten, nahm sie eine aufgeregte Mama in Empfang. »Wo wart ihr denn? Und warum gehst du eigentlich nie an dein Handy? Es geht los, komm, komm!«

Sie schob Mara durch die Tür und in die Gaststube mit der Aufschrift »Stüberl«. Dort vor dem offenen Kamin hatte sich schon die gesamte Wicca-Gruppe versammelt und schnatterte aufgeregt durcheinander. Als Professor Weissinger etwas zögerlich das Stüberl betrat und mit seiner sonoren Stimme einen Guten Tag wünschte, richteten sich neun Augenpaare auf ihn und es wurde schlagartig ruhig. Mara fühlte sich irgendwie an einen Western erinnert. Denn da wurde es auch immer still, wenn der Held den Saloon betrat. Hätte das Forsthaus einen Pianospieler beschäftigt – er hätte jetzt aufgehört, bayerische Weisen zu klimpern.

Erst war Mara vom Effekt des Auftritts irritiert, doch dann fiel ihr etwas auf und gleichzeitig auch ein: Professor Weissinger war natürlich der einzige männliche Teilnehmer!

Nicht, dass sich die Wiccas nun auf ihn gestürzt hätten wie hungrige Hyänen, nein, der Professor wirkte eben einfach nur wie ein Fremdkörper. Mit Bart.

Mara war nach wie vor verwundert, dass seine ironisch-professorale Selbstsicherheit in letzter Zeit öfter mal verdampfte wie Husten auf einer Herdplatte. Hatte das mit der Anwesenheit von Maras Mutter zu tun? Oder mit den Wiccas generell? Sie würde ihn das nachher mal fragen müssen und wehe es war wegen Mama! Oder Gott sei Dank? Oh Mann, da war es wieder, dieses verwirrende Blöd-Gut-Gefühl …

Walburga war natürlich sofort auf Professor Weissinger zugegnubbelt und umarmte ihn fröhlich. Wobei das Wort »umarmen« nicht wirklich zutraf, denn Walburgas Arme reichten ja kaum bis über ihre mächtige Oberweite hinaus. Um nicht unhöflich zu erscheinen, beugte sich der Professor zu ihr hinunter und ließ es geschehen. Für Mara sah es aus, als würde er in Vanillepudding versinken, und sie spielte kurz mit dem Gedanken, ihm einen Rettungsring zuzuwerfen. Da erregte etwas vor dem Fenster ihre Aufmerksamkeit.

Sie blickte hinaus in den Biergarten und wurde Zeugin eines merkwürdigen Schauspiels: Auf einem der unteren Äste des alten Kastanienbaums saß ein Eichhörnchen. Das allein wäre nichts Merkwürdiges, aber die Tatsache, dass es wütend fauchte und mit den kleinen Pfötchen Drohgebärden ausführte, war nicht gerade »typisch Eichhörnchen« …

Und nun sah Mara auch, gegen wen die Aggression gerichtet war. Denn da stürzten zwei dunkle Schatten aus dem Himmel und attackierten das kleine Nagetier mit hackenden Schnäbeln und flatternden Flügeln! Zwei wirklich verdammt große Raben pickten und schlugen wie verrückt auf das Eichhörnchen ein und wechselten dabei so geschickt ihre Positionen, dass es keine Chance hatte, zu entkommen. Überall, wo es hin ausweichen wollte, war plötzlich alles voller Rabe.

Mara überlegte nicht lange. Sie rannte aus der Gaststube, griff an der Theke eines der ausgelegten Exemplare der Münchner Abendzeitung und stürzte aus der Tür auf den Baum zu.

Ohne einen wirklichen Plan wedelte sie mit der Zeitung und rief dazu: »Hah, Haah, Haah!«, um die brutalen Vögel zu vertreiben. Womit sie nicht gerechnet hatte, war, dass die drei Streithähne sofort jegliche Kampfhandlungen einstellten und stattdessen auf das Mädchen starrten, das ihnen da brüllend entgegenrannte.

Mara blieb stehen und kam sich plötzlich saublöd vor. Jetzt spürte sie auch die Blicke der Wiccas aus den Fenstern der Gaststube wie Juckpulver im Rücken. Oh Mann.


Sie ließ die Zeitung langsam sinken. Raben und Eichhörnchen saßen immer noch auf dem Ast und blickten sie stumm an. Mara hätte schwören können, dass sich die Vögel kurz ansahen und mit den Flügeln zuckten, als wären es Achseln, bevor sie wegflatterten und irgendwo über dem Haus verschwanden. Aber das Eichhörnchen toppte dies sogar, indem es den Vögeln höhnisch hinterherwinkte. Oder war das gar kein Winken, sondern eine höchst unanständige Geste, die Mara eher vom Pausenhof kannte als aus dem Wildpark?

Obwohl, so viel Unterschied ist da vielleicht gar nicht, dachte sie kurz, während das Eichhörnchen, ohne Mara eines weiteren Blickes zu würdigen, in der Krone des Baumes verschwand. Mara war fast froh, dass es sich nicht auch noch für die Rettung bedankt hatte …

Sie musterte die Zeitung in ihrer Hand und vor ihrem geistigen Auge entstand die Schlagzeile »Weltenretterin beschützt unflätiges Eichhörnchen vor Vogelattacke«.

Dann seufzte sie kurz ihr typisches Seufzen und drehte sich mit einem Ruck um. Endlich mal wieder ein peinlicher Moment. Hurra.

An den Fenstern zur Stube taten alle ganz plötzlich so, als würden sie nur die generelle Aussicht im Allgemeinen genießen. Niemand sah Mara direkt an.

Ja nee, klar. Hab ich mich also erfolgreich zum Obst gemacht, wie schön. Liegt wohl doch in der Familie, dachte sie, als sie die Klinke der Eingangstür hinunterdrückte.

Sie sammelte einen Moment lang Kraft. Nicht, um die Tür zu öffnen, sondern, um irgendwie den unausweichlichen Blicken der versammelten Wiccas standhalten zu können.

Umso erstaunter war sie, als sie die Stube betrat und, mit Ausnahme von Professor Weissinger und Mama, keiner von ihr Notiz nahm. Mama wedelte mit der Hand, um ihrer Tochter einen Platz an einem der drei Tische zuzuweisen, und der Professor sah sie einfach nur an. Zu gerne hätte sie ihm jetzt von dem seltsamen Vorfall erzählt, aber das war im Moment unmöglich. Denn vor dem Kamin stand ein Mann in Jeans und Hemd und hatte die Arme ausgebreitet. Dr. Thurisaz.

Mara und der Feuerbringer

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