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Kapitel 4

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Sie wollten gerade die Straße überqueren, als Mara den Professor packte und mit einem Aufschrei zur Seite stieß. Im selben Moment raste ein dunkler Sportwagen mit hohem Tempo an ihnen vorbei und bremste so scharf auf dem kleinen Parkplatz, dass sich das Auto ein Stück weit um die eigene Achse drehte. Mara und der Professor hoben die Hände, um sich vor den spritzenden Kieselsteinen zu schützen.

Der Professor wollte gerade losschimpfen, als der Fahrer auch schon ausgestiegen war. Das einzig Auffällige an ihm war seine Unauffälligkeit. Der Mann war durchschnittlich groß, eher schlank, dunkelhaarig und trug Jeans mit einem dezent gestreiften Hemd über der Hose. Doch dann begann er zu sprechen und Mara war sofort klar, dass er alles andere als gewöhnlich war.

»Oh, bitte verzeihen Sie untertänigst dieses Fernsehkrimi-Bremsmanöver, aber es geht hier nach der Kurve direkt auf den Parkplatz und ich war in etwa so erschrocken wie Sie. Ihnen ist doch nichts passiert, nehme ich an?«

Schöne Stimme, dachte Mara. Und irgendwie will ich ihm gar nicht böse sein. Komisch, damit hab ich sonst nie Probleme …

Professor Weissinger schien allerdings weniger besänftigt und winkte mürrisch ab. »Alles in Ordnung, danke der Nachfrage. Aber vielleicht beachten Sie beim nächsten Mal einfach die Geschwindigkeitsbegrenzung, denn wer langsamer fährt, muss auch weniger scharf bremsen.«

»Ein guter Tipp, verblüffend in seiner Einfachheit.« Der Mann lächelte charmant über das Dach seines Autos herüber. »Aber bitte haben Sie doch ein wenig Verständnis. Dieser Wagen verführt einfach zum Rasen.« Er seufzte bewusst theatralisch und lächelte.

Erschrocken bemerkte Mara, dass sie zurücklächelte.

»Nein, dafür habe ich kein Verständnis«, antwortete Professor Weissinger. »Das Einzige, was mein Auto mit Rasen gemeinsam hat, ist die Geschwindigkeit eines ebensolchen Mähers und ich bin trotzdem immer pünktlich. Guten Tag.«

Damit drehte er sich weg und erwartete wohl, dass Mara ihm folgen würde. Das wollte sie eigentlich auch, aber etwas hielt sie davon ab. Während der Mann sich achselzuckend abwendete, um nun zwei große Taschen vom engen Rücksitz des Sportwagens zu fischen, musterte Mara das Auto genauer. Warum hatte sie das seltsame Gefühl, von dort angestarrt zu werden? Ganz offensichtlich war der Mann allein gekommen. Der Beifahrersitz war leer. Und doch … Fast war sie versucht, ihre Barriere fallen zu lassen, um mit dem Sinn einer Spákona das Auto abzusuchen. Sie entschied sich dagegen, denn schließlich wollte sie nicht vor dem Typen hier auf dem Parkplatz zusammenklappen wie vorhin.

»Mara?«, rief der Professor von der anderen Straßenseite herüber. »Wer wollte denn jetzt spazieren gehen?«

Widerwillig wendete sich Mara von dem Auto ab und folgte dem Professor über die Straße. Komisch …

»Haben Sie in dem Auto noch jemanden gesehen?«, fragte Mara, als sie den Professor eingeholt hatte.

Dieser schüttelte den Kopf. »Nein, da war niemand drin außer einem viel zu großen Motor und einem ebensolchen Ego. Wo geht’s denn lang, Fräulein Seherin?«

»Da lang, über die Brücke und den Weg entlang«, antwortete Mara und lachte. »Sie mögen den Mann nicht?«

»Nein, ich mag den Mann nicht, aber was soll’s. Ich werde nie wieder etwas mit ihm zu tun haben.«

»Da wär’ ich mir nicht so sicher.«

Der Professor brauchte einen Moment, um eins und eins zusammenzuzählen, bevor er über die zwei erschrak. »Oh nein, bitte nicht!«

»Doch, doch, dieser Mann war Dr. Thurisaz. Und ja, ich bin mir sicher«, entgegnete Mara. »Tut mir leid.«

Der Blick des Professors wurde stumpf, er atmete einmal sehr tief ein und hielt die Luft an. Erstaunt stellte Mara fest, dass er für eine lange Zeit nicht ausatmete. Sie hatten bereits die Brücke überquert und waren ein ganzes Stück den Weg entlangspaziert, als sie ihn endlich aus- und gleich darauf wieder einatmen hörte.

»Wow, das war ganz schön lang.«

»Bayerischer Meister im Langstreckenschwimmen 1969 und Bronze bei der Deutschen Meisterschaft 1970. War damals so enttäuscht vom dritten Platz, dass ich damit aufgehört habe. Aber die Pferdelunge ist mir bis heute geblieben und ich nutze sie, um mich zu beruhigen«, sagte Professor Weissinger und schnaufte noch ein paar Mal. »Vermutlich werde ich diese Taktik in der nächsten Zeit noch ein paar Mal anwenden müssen. Wie weit ist es denn noch? Spürst du schon was? Mara? … Mara?!«

Mara hörte den Professor nur noch so gedämpft, als würde er durch eine Schaumstoffmatratze rufen. Wie auf Autopilot war sie weiter den Weg hinuntergetappt und stand nun an einem der wunderlichsten Plätze, die sie jemals gesehen hatte.

Direkt vor ihr plätscherten mehrere schmale Quellen kristallklaren Wassers direkt aus dem Berg und liefen spielerisch hinunter in eine sumpfige Landschaft voll mit sattem Gras und Schilf. Der Platz war umrankt von Bäumen, die aussahen, als würden sie nicht nur ihre Wurzeln, sondern am liebsten auch ihre Äste im Wasser versenken. Mara konnte es ihnen nicht verdenken. Allerdings war das nicht das Wunderlichste an diesem Ort. Viel wunderlicher waren die unzähligen bunten Fähnchen, Bänder und Zettelchen, mit denen die Äste der umliegenden Bäume dicht geschmückt waren. Als Mara den seltsamen Baumschmuck genauer musterte, entdeckte sie außerdem mehrere Babyschnuller und andere Gegenstände des täglichen Gebrauchs: Haargummis, eine Zahnbürste und die Reste eines Sabberlätzchens mit Winnie-Puuh-Aufdruck. Aber auch das war nicht das Wunderlichste.

Das Wunderlichste war dieses Gefühl, das Mara durch die Schuhe in den Füßen kribbelte, als würde ihr jemand mit einer Handbrause direkt auf die Fußsohlen duschen.

Mara hatte so viele spannende Empfindungen, dass es ihr schwerfiel, sich auf eine zu konzentrieren. Am stärksten war erst mal das Gefühl, durch die Fußsohlen mit Energie betankt zu werden. Aber gleichzeitig spürte sie auch den Professor durch den Boden, obwohl er sich mehrere Meter weit weg befand. Und sie fühlte ganz deutlich seine Bewegungen!

Verwundert fuhr sie sich mit der flachen Hand über die Augen, um zu überprüfen, dass die wirklich geschlossen waren. Waren sie – und es fühlte sich ja auch nicht an wie sehen. Eher wie eine Art Echo. Wenn der Professor sich bewegte, berührte er den Boden und verwirbelte die Luft. Die Blätter an den Bäumen spürten diese Veränderung am Wind, die Bäume gaben das Gefühl weiter an die Erde und die Erde an Mara.

»Sie haben gerade Ihren Arm ausgestreckt«, murmelte Mara und spürte, wie die Bewegungen des Professors einfroren.

»Jetzt lassen Sie ihn langsam sinken … Sie drehen sich zu mir … ein Schritt in meine Richtung … stopp … jetzt machen Sie gar nichts mehr außer atmen … und jetzt wollen Sie mich testen.«

»Woher willst du das wissen?«, tönte die sonore Stimme des Professors zu ihr herüber und es war ein verrücktes Gefühl, die Stimme über die Ohren zu hören und gleichzeitig über die Fußsohlen zu spüren.

»Weil Sie die Luft anhalten«, antwortete Mara und grinste.

»Haha, Mara Lorbeer, du überraschst mich wirklich immer wieder«, rief der Professor und sie fühlte, dass er nun weiter auf sie zukam.

Plötzlich musste sie lachen. »Auch das hab ich gemerkt!«

Der Professor hörte auf, auf einem Bein zu hopsen, und ging artig auf zweien weiter. Als er neben Mara stand, flüsterte er ihr schalkhaft zu: »Magst du mir vielleicht erklären, wie du das anstellst, oder gefällt dir der Gedanke, einen Herrn im besten Alter dumm herumstehen zu lassen wie einen falsch bestellten Kinderteller?«

Mara überlegte. »Ich … weiß nicht so genau, wie ich das erklären soll. Aber ich spüre durch den Boden alles, was Sie tun. Und zwar noch viel genauer, als wenn ich Sie anschauen würde. Ist total abgefahren …«

Einen Moment lang war es still im Wald und nur das Plätschern der Quellen war zu hören.

»Also gut, du weißt natürlich, dass du dich gerade anhörst wie ein wandelndes Kursangebot für die Wicca-Gruppe da drüben. Also spare ich mir jegliche Häme und will nur wissen, wie du …« Professor Weissinger stoppte mitten im Satz, als er Maras verblüfftes Gesicht sah.

Sie hatte die Augen geöffnet und starrte auf einen Punkt links neben dem Professor.

»Sehen Sie das auch?«, fragte Mara.

Er folgte ihrem Blick und sah nichts, was er nicht eben auch schon gesehen hatte. »Das kommt ganz darauf an, was du mit ›das‹ meinst«, sagte er und blickte Mara seltsam an.

Mara sah drei Frauen. Sie schwebten etwa zwei Handbreit über den Bergquellen und sahen zu Mara herüber. Die linke und die rechte Frau waren in eine Art Nonnenkleid aus strahlend hellem Weiß gekleidet. Die Mittlere trug das gleiche Kleid, aber nur die linke Seite war weiß. Die rechte Hälfte war so schwarz, dass Mara fast das Gefühl hatte, hineinzufallen.

Ainpet, sprach die Erste.

Gberpet, sprach die Zweite.

Firpet, sprach die Dritte.

Und kein Laut drang über ihre Lippen.

Was mach ich denn jetzt?, dachte Mara. Soll ich antworten?

Wünsche wir kennen, sprach die Erste.

Namen wir spüren, sprach die Zweite.

Gaben wir sehen, sprach die Dritte.

Und kein Wort klang über den Weg.

Die haben mir geantwortet!, rief Mara in sich hinein. Ich hab’s gedacht und die antworten mir! Moment, dann hören die ja jetzt auch, was ich gerade denke. Mann, ist das grad wieder verwirrend …

Flüsternd wendete sie sich an den Professor. »Also, da schweben drei Frauen über den … Ach, ich Depp.« Und mit diesen Worten legte Mara dem Professor ihre Hand auf die Schulter und schloss ihn in ihre Vision mit ein.

Es kostete sie weniger Mühe als ein Wimpernschlag und Mara war klar, dass das an der geheimnisvollen Kraft aus dem Boden lag.

Gleichzeitig hörte sie den Professor erstaunt einatmen und wusste, dass er nun das Gleiche sah und hörte wie sie. Sofort fühlte sie sich sicherer und konnte nun wieder etwas klarer denken.

Warum zeigt ihr euch mir?, fragte Mara die drei schwebenden Wesen.

Nicht zeigen wir uns, sprach die Erste.

Gesehen wir werden, sprach die Zweite.

Wenn Augen gegeben, sprach die Dritte.

Und leise flüsterte nur der Fluss.

Aber bevor Mara oder der Professor irgendwelche weiteren Fragen stammeln konnten, erhoben die Frauen ihre Stimmen. Dazu streckten sie ihre Arme aus und zeigten auf den gegenüberliegenden Berg oberhalb des Hotels. Dann sprachen sie synchron, wie eine einzige Frau mit drei Kehlen.

Wo Carolus nie ward gesehn,

neun mal neun Schritte sind zu gehn,

von wo der Nornen Schatz begraben,

such Völva in der Wala Namen.

Nutze, was dir ward gegeben,

wiege mit des Wassers Streben,

willfährig wird sich’s lenken lassen,

wem gelingt danach zu fassen.


Und mit dem letzten Satz waren die drei verschwunden, hinterließen nichts als leises Plätschern und das Rauschen des Waldes.

Mara und der Feuerbringer

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