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Kapitel 8

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Das Eichhörnchen saß vor Dr. Thurisaz auf einer Stuhllehne und musterte ihn aus dunklen Knopfaugen.

»Ja, ich weiß das sogar sehr gut. Und jetzt verschwinde!«, sagte Thurisaz gerade und klang dabei ziemlich genervt.

Das Eichhörnchen antwortete nicht, sprang von der Stuhllehne und verschwand durchs Fenster nach draußen.

Du warst das also in dem Auto vorhin, dachte Mara grimmig. Doch bevor Thurisaz etwas bemerkte, legte sie sofort wieder ihren Kopf auf die Arme und schloss die Augen.

Als sie diese ein paar Sekunden später wieder vorsichtig öffnete, erschrak sie. Denn Thurisaz sah Mara direkt an. »Schon wach, kleine Wicca?«, fragte er und lächelte.

»Sieht so aus«, antwortete Mara und lächelte nicht.

»Und? Wie war’s?«, erkundigte sich Thurisaz und schien sich seiner Sache so sicher zu sein, dass Mara nicht anders konnte.

»Geht Sie nix an.«

»Hoppla, schon gut. Du musst es nicht erzählen, wenn du nicht willst.«

»Gut.«

Thurisaz wartete einen Moment, aber da kam nichts mehr.

Schließlich winkte er ab. »Schön, wir müssen auch nicht unbedingt reden, kleines komisches Mädchen. Warten wir eben, bis die anderen aufwachen.«

Mara nickte, verschränkte die Arme, holte den mürrischsten Blick aus dem Regal, den sie finden konnte, und setzte ihn auf.

Thurisaz schüttelte erst den Kopf, fischte dann ein belegtes Brötchen aus seiner Tasche und vertiefte sich demonstrativ in eine Zeitung.

Mara musterte ihn immer noch stumm, als er ein paar Sekunden später noch mal über den Rand der Zeitung hinweg zu ihr herüberlinste. Thurisaz hielt ihrem Blick einen Moment lang stand, doch dann knickte er ein und wendete sich wieder der Zeitung zu.

»Du bist ein sehr seltsames Mädchen«, sagte er und Mara nahm es als Kompliment.

Ein paar lange Minuten passierte gar nichts und Mara nützte die Zeit, um für sich selbst ein paar Dinge zusammenzufassen und zu ordnen.

Erstens hatte sie von den drei Beten einen Tipp bekommen, irgendwas da oben auf der Nicht-wirklich-Karlsburg zu suchen. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass es etwas Gutes war, auch wenn sie das nicht wirklich begründen konnte.

Zweitens hatte Thurisaz mit dem Eichhörnchen gesprochen, das zuvor noch von zwei Raben attackiert worden war. Mara hatte auch den Raben vor der Uni nicht vergessen, der dafür gesorgt hatte, dass sie vor den Füßen des Professors zusammengeklappt war. War das auch einer der beiden gewesen? Sie konnte es beim besten Willen nicht sagen. Schließlich war sie kein Rabenfachmann. Aber wenn der Rabe ihr wohlgesinnt war, traf das vermutlich nicht auf das Eichhörnchen zu. Was wiederum dazu passte, dass dieses kleine Tierchen wohl irgendwie zu Thurisaz gehörte. Allerdings kam ihr die Vorstellung, dass ein Eichhörnchen die Welt in den Abgrund stürzen würde, im Moment etwas albern vor.

Aber genauso würde das Eichhörnchen wohl über eine vierzehnjährige Seherin denken, die von einem Schlamassel in den nächsten tappte.

Das muss ich dringend dem Professor erzählen, dachte Mara.

So langsam machten ein paar Dinge Sinn und das fühlte sich gut an. Aber wie hingen Thurisaz und dieser verdammte Vers mit dem Feuerbringer zusammen? Hm …

Sie sah sich um und bemerkte, dass alle langsam aufwachten.

Thurisaz seufzte, als wäre die Mittagspause vorbei, und legte die Zeitung und das Brötchen weg. Er zog sein Hemd zurecht und blickte zu Mara herüber: »So, Miss Dagegen, dann wollen wir doch mal hören, was die anderen so erlebt haben.«

Mara hatte damit gerechnet, dass die Wiccas von dieser Erfahrung völlig hin und weg sein würden. Schließlich waren sie immer von jeder Erfahrung hin und weg, egal, ob es eine solche war oder nicht. Das war vermutlich der gleiche Effekt, wie der mit den Steinen, Obstpyramiden oder anderen Requisiten. Man hoffte, dass etwas geschehen würde, hatte Geld dafür bezahlt und war nun wild entschlossen, etwas zu spüren. Egal, ob Verspannungen im Nacken plötzlich verflogen, man irgendwie das Gefühl hatte, klarer denken zu können, oder gerade jetzt die Sonne durch die Wolken brach – irgendetwas war immer. Das war ja auch alles nicht weiter tragisch. Nervig konnte es natürlich schon werden, aber wirklich gefährlich wurde es ja nur, wenn man zum Beispiel den Arztbesuch ersetzte durch das Tragen eines Bernsteinamuletts.

Auf jeden Fall war Mara es gewohnt, dass die Wiccas wegen sehr wenig ganz schön laut wurden. Und ausgerechnet Dr. Thurisaz hatte es nun also geschafft, dass die Wiccas wegen sehr viel ganz schön leise waren.

Eine nach der anderen war aufgewacht und bis jetzt war es seltsam still geblieben. Sogar Walburga wirkte in sich gekehrt und nachdenklich und das war eine mittlere Sensation.

Da hob auch Maras Mutter den Kopf und zum maßlosen Erstaunen ihrer Tochter sprang sie sofort auf, lief auf Mara zu und umarmte sie! Natürlich hatte Mama Mara schon oft umarmt, das war nichts Besonderes. Aber eigentlich hatte Mama nach den Seminaren immer einen Laberflash. Sie konnte stundenlang auf der Couch sitzen und reden, während Mara so tun musste, als würde sie zuhören.

Diesmal war es anders. Mama klebte förmlich an ihr und flüsterte nur einzelne Worte, die Mara leider kaum verstand. Die einzigen Begriffe, die sie aufschnappen konnte, waren Pferd, Fluss und irgendwas, das so ähnlich klang wie Dusus. Mara hatte keine Ahnung, wer oder was ein Dusus war, aber Mama würde es schon irgendwann erklären. Trotzdem seltsam …

Maras Mutter löste sich von ihrer Tochter und blickte sie an. »Willst du mir denn gar nicht erzählen, was du erlebt hast, Maraschatz?«

Was mach ich denn jetzt, was mach ich denn jetzt, raste es durch Maras Hirn, während ihre Mutter sie erwartungsvoll ansah.

Da kam ihr ausnahmsweise mal der Zufall zu Hilfe, denn nun wachte der Professor auf und machte dabei ein Geräusch, als hätte er gerade ohne Sauerstoffflasche nach Perlen getaucht.

»Houuuahhh…«, machte er und riss dabei den Kopf so ruckartig hoch, dass er mit dem Hinterkopf gegen die Wand prallte und mit dem Ellbogen eine Vase auf dem Fensterbrett bedrohlich ins Wanken brachte.

»Au, ja varreck!«, stieß Professor Weissinger überraschend bayerisch hervor, während er unbeholfen versuchte, die Vase zu stabilisieren. Es gelang ihm zwar, das Gefäß aufzufangen, aber nicht die Blumen und das Wasser.

Die Damen links und rechts neben ihm quittierten es mit einem Quietschen und der Professor hielt sich mit einer Hand den Kopf, während er mit der anderen die Blumen aufsammelte und mit recht wenig Kompositionswillen zurück in die Vase stopfte.

»Wollen Sie vielleicht Ihre Erfahrungen als Erster mit uns teilen?«, rief Dr. Thurisaz dem Professor fröhlich zu. »Offensichtlich hat das Ganze ja einigen Eindruck hinterlassen, wenn Sie nun nicht mal mehr wissen, wo bei Blumen oben und unten ist.«

Die Wiccas kicherten, der Professor nicht. Stattdessen zog er betont spitzfingerig die Blumen wieder aus der Vase, die er mit dem Stängel nach oben drapiert hatte. Dabei musterte er Thurisaz mit einem seltsamen Blick, den Mara an ihm noch nie gesehen hatte. Doch schließlich sagte er etwas und Mara verstand mal wieder kein Wort. »Ahmad ibn Fadlān ibn al-‘Abbās ibn Rāschid ibn Hammād.«

Dr. Thurisaz war anzusehen, dass er ebenso wenig wusste, wovon der Professor sprach, wie alle anderen. Aber Professor Weissinger ließ sie nicht lange warten. »Ich war Ibn Fadlān, Gesandter des Kalifen al-Muqtadir im Jahr 921 nach Christus und Verfasser des berühmten Reiseberichts zu den Wolgabulgaren und warägischen Rus. Wie auch immer Sie das gemacht haben, ich danke Ihnen für diese Erfahrung und würde jetzt gerne mein Zimmer aufsuchen, um über das Erlebte nachzudenken. Bis morgen.«

Und mit diesen Worten verließ Professor Weissinger doch glatt die Gaststube. Im Vorbeigehen warf er Mara einen kurzen Blick zu, der nichts anderes hieß als »Wir müssen reden!«.

Mara hatte sich natürlich nicht einfach so verabschieden können, wie es der Professor getan hatte. Sie musste erst einmal alle Schilderungen der Wiccas abwarten. Im Gegensatz zu den bisherigen Seminaren war es aber diesmal sogar richtig spannend zuzuhören. Eine der Wiccas musste mit den Tränen kämpfen, als sie schilderte, was sie durch die Augen eines Mädchens in Maras Alter mit ansehen musste: Man schleppte ihre Mutter – eine Wäscherin mit dem Namen Ursula Gatter – fort, um ihr den Hexenprozess zu machen.

Walburga war angeblich in eine alte, gütige Frau geschlüpft, die den Menschen mit ihrer Weisheit half, wo sie nur konnte. Sie erzählte begeistert, wie sie mit einem Häuschen auf riesigen Hühnerbeinen hinter einer jungen Frau hergerannt war, um diese zu beruhigen. Mara war zwar nicht klar, wie man jemanden beruhigen wollte, indem man ihn mit einem Haus auf Hühnerbeinen durch den Wald jagte, aber andererseits war es ihr auch ein ganz kleines bisschen egal.

Allerdings waren alle inklusive Mara sehr überrascht, als Dr. Thurisaz zu den Schilderungen nichts weiter beizutragen hatte als: »Na, dann wünsche ich Ihnen allen einen schönen Nachmittag, vielleicht gehen Sie ja noch ein bisschen spazieren, denn hier ist es wirklich ganz wunderhübsch.« Dann packte er seine Zeitung und das Pausenbrötchen in die Tasche. »Direkt am Starnberger See gibt es ein tolles Fischrestaurant. Fragen Sie doch mal vorne an der Rezeption – ich hab den Namen leider vergessen. Irgendwas mit Starnberg, See und Fisch. Bis morgen!«

»Aber, aber …«, stammelte Walburga. »Was ist denn mit der Nachbereitung?«

»Welche Nachbereitung? Davon steht nichts im Seminarprogramm, meine Liebe«, lachte Thurisaz und ließ die Verschlüsse seiner Ledertasche lautstark einschnappen.

Vor allem Maras Mutter war sichtlich enttäuscht. »Soll das heißen, Sie wollen uns nicht helfen, die Erfahrungen zu deuten?«

»Wie könnte ich«, erwiderte Dr. Thurisaz, während er in seine Jacke schlüpfte. »Ich bin hier nur das Reisebüro. Sie fahren in den Urlaub und nicht ich. Und was Sie da erleben, geht mich nichts an. Abgesehen davon habe ich, ehrlich gesagt, auch keinen blassen Schimmer, was das alles bedeutet, denn ich bin kein Geschichtsprofessor, haha! Aber ist doch schön, dass es so gut klappt. Wir sehen uns morgen wieder, bis dann!« Und weg war er.

Zurück blieb eine völlig verdutzte Wicca-Gruppe. Leise war eine hörbar enttäuschte Stimme aus der hinteren Reihe zu vernehmen. »Er hat uns nicht mal was verkauft …«

Mara war mit ihren Gedanken natürlich ganz woanders und sie war auch froh, dass Mama sie jetzt nicht löcherte, was sie denn erlebt hatte. Stattdessen führte sie ihr Weg direkt vor die Tür von Professor Weissinger. Sie klopfte und es dauerte einen Moment, bis er die Tür öffnete. Sie blickte in zwei Dinge: erstens in ein sehr nachdenkliches Gesicht und zweitens in ein sehr unordentliches Zimmer.

»Wow, wie haben Sie das denn so schnell geschafft?«, fragte Mara und suchte nach einer freien Stelle am Bettrand, auf die sie sich setzen konnte. Sie fand keine.

»Was meinst du?«, murmelte Professor Weissinger abwesend.

Er stapfte zurück zu einem Sessel, den er ans Fenster geschoben hatte, und setzte sich. Dann platzierte er den eingeschalteten Laptop wieder auf seinem Schoß.

»Na, dieses … all diese … egal, was googeln Sie denn?«, lenkte Mara mehr oder weniger geschickt ab und hatte auch noch Erfolg damit.

»Ich google nicht, Mara, ich recherchiere. Und ehrlich gesagt, lassen meine Erkenntnisse keinen anderen Schluss zu, als dass ich tatsächlich im Körper von Ibn Fadlān steckte und nun auch weiß, warum sein Reisebericht nicht vollständig ist. Ich hatte ja mit vielem gerechnet … aber das …«

Mara wartete, bis der Professor weitersprach. Er nahm die Brille ab und kniff sich mit Daumen und Zeigefinger in den Nasenrücken. »Es kostet mich sehr viel Überwindung, dir jetzt nicht einen ellenlangen Vortrag über Ibn Fadlān zu halten, Mara Lorbeer, und ich hoffe, du weißt das zu schätzen.«

Mara nickte nur.

»Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, bitte erinnere mich daran, wenn wir das alles durchgestanden haben, ja? Im Moment ist nur wichtig, dass wir nun wissen, dass dieser Dr. Riese keiner der üblichen Scharlatane ist. Wenngleich das natürlich keine Rückführung war – ich maße mir nicht an, mich für die Reinkarnation eines berühmten orientalischen Reiseschriftstellers zu halten. Trotzdem muss ich gestehen, dass dieser Thurisaz wohl wirklich was draufhat.«

Da war Mara allerdings anderer Meinung. »Aber was hat er denn schon groß gemacht? Wir haben doch nur den Vers gelesen und der Rest ist einfach passiert.«

»Aber Mara, woher willst du wissen, dass er nicht das Gleiche gemacht hat wie du auch, als du mich mit in deine Götterwelt genommen hast?«

Mara stockte. »Na ja, weil … weil er … weil ich nichts davon gespürt habe?«

»Um ehrlich zu sein, ich bemerke auch nichts, wenn du mich von einer Welt in die andere zerrst. Ich sehe natürlich, dass es für dich eine gewisse Anstrengung erfordert, aber spüren tu ich nix.«

»Aber der Dr. Thurisaz war doch auch nicht angestrengt! Der saß nur da!«, rief Mara so aufgeregt, dass der Professor ihr energisch zuwinkte und auf die Tür zum Gang deutete.

Er hatte recht, man konnte nie wissen.

Mara drosselte ihre Lautstärke wieder auf Verschwörungslevel. »Der hat sich nicht mal konzentriert oder so.«

»Mara, nur weil du ihm nichts angesehen hast, bedeutet das nicht, dass er nichts gemacht hat. Vielleicht ist er so mächtig, dass ihn das im Gegensatz zu dir gar keine Anstrengung kostet.«

Das saß. Ehrlich gesagt, hatte Mara diese Möglichkeit noch gar nicht in Betracht gezogen. Aber der Professor hatte recht. Wie hatte sie nur annehmen können, dass jeder, der irgendwelche Fähigkeiten hatte, dafür die Stirn in Falten legen und verkniffen aus der Wäsche schauen musste.

»Das wäre aber gar nicht gut, wenn der uns wirklich alle einfach so ausknipsen könnte, oder?«, sagte sie leise.

Der Professor seufzte. »Nein, das wäre sogar alles andere als gut. Aber jetzt erzähl doch bitte, was du erlebt hast. Konntest du rausfinden, wer du warst in dieser angeblichen Rückführung?«

»Ich war ich selbst, und ich bin überhaupt nicht rückgeführt worden«, entgegnete Mara und blickte in ein erstauntes Gesicht.

»Ich war vorher schon gespannt, aber jetzt implodiere ich fast. Komm schon, erzähl!«, bat Professor Weissinger, legte den Laptop zur Seite und sah Mara an.

Also schob Mara genug Kram zur Seite, um sich aufs Bett setzen zu können und schilderte ihm so genau wie möglich das verstörende Erlebnis mit der Totengöttin Hel und dem seltsamen Handel. Der Professor hörte schweigend zu.

Erst ganz zum Schluss schob Mara ihren Ärmel hoch und hoffte für einen Moment, dass der andauernde Schmerz auf ihrem Unterarm nur eine Erinnerung an einen bösen Traum war. Die schwarze Narbe in Form eines Rings machte diese Hoffnung zunichte.

Oh, Mist.


Mara und der Feuerbringer

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