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Kapitel 2

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Und plötzlich stehe ich mit meiner Tochter in diesem wunderschönen, romantischen Wald. Die Vögel zwitschern und der Himmel strahlt, fast wie im Märchen! Es war einfach unglaublich, im wahrsten Sinne des Wortes zauberhaft!«

Mara überlegte, ob sie vielleicht unter den Tisch kriechen sollte, so wie früher als kleines Kind. Damals hatte sie eine Menge Zeit unter dem Tisch zugebracht. Wenn man das Tischtuch komplett auseinandergefaltet hatte, war man sich wie in einem Zelt vorgekommen. Am schönsten war es immer mit der weinroten Tischdecke gewesen, weil es so toll aussah, wenn das Licht da durchgeschienen hatte …

»… und dann war da noch dieser Hirsch, nicht wahr, Mara? Ich bin mir sicher, das war kein normaler Hirsch, ganz sicher nicht, oder Maraschatz? Das kann doch kein normaler Hirsch gewesen sein, so, wie der zu uns rüber geschaut hat, nicht wahr? Mara

Mara schreckte hoch. »Nein, nein, sicher nicht. Vermute ich mal. Ich weiß nicht.«

Mama warf ihr einen seltsamen Blick zu. Gar nicht verärgert, wie Mara erwartet hätte, sondern enttäuscht. Mara konnte allerdings schnell nachvollziehen, woher das kam. Ihre Mutter hatte zum ersten Mal etwas tatsächlich Unglaubliches erlebt – nicht nur, dass es warm wurde, wenn man jemandem die Hand auflegte, oder das Schwindelgefühl, nachdem man sich eine Stunde zum »Dönggg« einer Klangschale hin und her gewiegt hatte – nein, das war nichts gewesen, was man sich hinterher schönreden musste. Das war ein reales Erlebnis, das man sehen, fühlen, riechen und schmecken konnte. Und dazu kam noch, dass Mama nicht allein gewesen war. Sie hatte eine Zeugin: Mara. Und die sollte jetzt gefälligst aussagen und ihre Mutter freisprechen von jeglichem Blabla-Verdacht.

Dem Professor hingegen war immer noch die Überraschung ins Gesicht geschrieben wie eine Schlagzeile. Aber er blieb still.

Was hatte Mara für eine Wahl? Eben. Also sagte sie leise: »Ja, ich hab’s auch gesehen. War wirklich schön. Und der Hirsch war auch echt komisch.«

Mama grinste zufrieden und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Sehen Sie? Das ist der Beweis für mein starkes Band zu den arkanen Urkräften: Ich habe eine transzendentale Reise gemacht und sogar meine Tochter mit in diese Erfahrung eingeschlossen.«

»Sie haben …?« Professor Weissinger schaute zwischen Mama und Mara hin und her.

Letztere konnte nur gequält lächeln und dazu leise nicken. Ja, genau: Mama war der festen Überzeugung, sie habe sich selbst und Mara für fünf Minuten in einen Märchenwald versetzt. Und für die Tatsache, dass sie weder an einen Wald gedacht noch sich sonst wie konzentriert hatte, gab es folgende Erklärung: »Der Schlüssel ist, dass ich mich bisher wohl zu sehr verkrampft habe und es einfach zu sehr wollte. Doch die Erdmutter lässt sich nicht gerne drängen, sondern entscheidet selbst, wem sie die Türe der Erkenntnis öffnet. Was denken Sie denn, was es wohl mit dem Hirsch auf sich hatte, Herr Weissinger?«

»Mit dem Hirsch«, wiederholte der Professor langsam und Mara vermutete, dass er seine Festplatte nun nach irgendwelchen passenden Infos über Hirsche durchforstete.

Mara beneidete Professor Weissinger für sein umfassendes Wissen. Es ermöglichte ihm, zu jedem Thema irgendetwas halbwegs Passendes vorzutragen – eine Fähigkeit, die Mara so gar nicht besaß.

»Nun, der Hirsch ist in jedem Fall ein äußerst symbolträchtiges Tier«, dozierte der Professor nun los, um von seiner Überraschung abzulenken. »Er steht in verschiedenen Mythen und Religionen für die Wiedergeburt. Ansonsten finden wir ihn zum Beispiel im griechischen Aktaios-Mythos über einen Halbgott in Hirschgestalt, in der Sage von König Artus, und in der germanischen Mythologie gibt es unter anderem Eikthyrnir, den Hirsch auf dem Dach der Valhöll

»Sie meinen Walhalla?«, fragte Maras Mutter dazwischen.

»Nein, mit Verlaub, ich meine Valhöll. Zur Walhalla wurde die ›Halle der in der Schlacht Gefallenen‹ erst vor zweihundertfünfzig Jahren grundlos eingedeutscht und somit …«

»Ähm«, räusperte sich Mara und hob kaum merklich ihre beiden Zeigefinger Richtung Schläfe.

»… äh … somit zurück zum Hirsch«, fuhr der Professor mit seinem Vortrag fort. »In seiner alten, gemeingermanischen Form ›Herut‹ ist er aller Wahrscheinlichkeit nach sogar der Namenspatron eines ganzen germanischen Stammes: der Cherusker. Ach ja, und Siegfried der Drachentöter wurde verschiedenen Versionen der Sage nach von einer Hirschkuh aufgezogen. Aber Siegfried hat mit der ganzen Sache ja wohl eher gar nichts zu tun, nicht wahr? Hahaha … hm.«

Einen Moment lang war es still am Tisch. Dann erinnerte sich der Professor wieder an die Frage von vorhin. »Also, um auf Ihre Frage zurückzukommen, Frau Lorbeer, was der Hirsch wohl zu bedeuten hat: Ich habe keine Ahnung. Vielleicht war es einfach nur ein Hirsch?«

Da lachte Mama ihr Mag-ja-sein-aber-ich-weiß-es-besser-Lachen, das Mara so gar nicht an ihr mochte, und schüttelte den Kopf. »Nein, nein, Herr Weissinger, wenn Sie dieses erhabene Tier auch gesehen hätten, dann würden Sie so nicht sprechen.«

Wie gerne hätte Mara ihr jetzt serviert, dass der Professor den Hirsch in der Tat gesehen hatte, und das sogar ein paar Stunden vor ihr … Oh Mann.

Der Rest des Abendessens verlief erstaunlich entspannt, denn Professor Weissinger schaffte es letztlich doch recht elegant, zu seinem Herzensprojekt überzuleiten: dem originalgetreuen Nachbau eines Wikingerschiffs am Tegernsee. Ihm und seinen Mitstreitern war zwar im vorigen Jahr das Geld ausgegangen, aber jetzt hatte dann doch noch der Freistaat Bayern eingegriffen und man war zuversichtlich, dass das Boot in ein paar Monaten vom Stapel laufen konnte. Seine Augen leuchteten begeistert, als er von den Schiffen erzählte, die aufgrund ihrer flachen Bauweise direkt bis ans Ufer fahren konnten, wo man sie dann mit vereinten Kräften an Land zog. Mara konnte sich gut vorstellen, wie Professor Weissinger mit wild flatterndem Bart Kommandos brüllte, während seine Studenten versuchten, ein tonnenschweres Wikingerschiff an den Strand zu zerren.


Als Mara nach dem Dessert – Bayrische Creme mit Waldbeeren – die Schüsseln in die Küche trug, merkte sie aber, dass Mama noch irgendwas vorhatte. Mara versuchte, sich gar nicht erst vorzustellen, was es wohl sein würde, aus Angst, vielleicht richtig zu tippen. Im Fernsehen hieß es nämlich nach solchen Abenden immer: »Wollen Sie noch mit reinkommen, auf einen Kaffee?« Die Hauptdarsteller setzten sich dann aufs Sofa, Musik setzte ein und die Kamera schwenkte auf den brennenden Kamin, den vorher irgendjemand mit einem Schlüssel für die Wohnung vorsorglich angezündet haben musste.

Aber in ihrem Fall waren die beiden ja erstens schon drin, zweitens gab es hier nur lösliches Pulver CappuccinoArt und drittens würde Mara den ganzen Abend lang zwischen den beiden sitzen und darauf achten, dass keiner plötzlich einen brennenden Kamin reinschleppte, verdammt noch mal!

Verwundert von ihren eigenen Gedanken horchte Mara kurz in sich hinein, um herauszufinden, was genau eigentlich ihr Problem war. Erst hatte sie das Treffen selbst eingefädelt und jetzt hätte sie die beiden am liebsten in getrennte Zimmer gesperrt. Schnell stellte Mara fest, dass sie darauf keine zufriedenstellende Antwort hatte. Sie fand es nun mal gleichzeitig irgendwie gut und irgendwie blöd und jetzt gerade fühlte es sich eben eher blöd an. Hm… Schließlich zuckte sie mental mit den Achseln und beschloss, das Ganze einfach auf die Pubertät zu schieben. Warum sollte diese praktische Ausrede nur den Erwachsenen zur Verfügung stehen? Eben.

Entschlossen, nun jegliche Annäherungen von Mama und Professor Weissinger, wenn nötig gewaltsam, zu unterbinden, stapfte Mara wieder ins Wohnzimmer zurück und ihr erster Blick fiel auf das Sofa. Es war leer. Die beiden saßen immer noch brav am Tisch, durch selbigen getrennt. Na wenigstens …

Außerdem sprach Mama gerade wieder von irgendeinem Wicca-Kram und Professor Weissinger wirkte, als würde er gleich durchs geschlossene Fenster springen und laut schreiend davonlaufen.

»… und da dachte ich mir, wo Sie doch so offen sind für spirituelle Themen jenseits wissenschaftlicher Trampelpfade, könnten Sie uns vielleicht dorthin begleiten«, beendete Mama gerade ihren letzten Satz und Mara wusste sofort, was Sache war. Mama hatte Professor Weissinger gerade eingeladen, mit ihnen zu dem Rückführungsseminar von Dr. Thurisaz zu fahren!

Mama, du weißt ja gar nicht, was du mir damit gerade für einen Gefallen getan hast, grinste Mara in sich hinein. Sofort machte sie einen kleinen Schritt rückwärts, damit Mama sie nicht direkt sehen konnte, und nickte dem Professor so heftig zu, dass sie fast mit dem Kinn auf den Boden beziehungsweise mit dem Schädel an die Decke stieß.

Als Mama sich umdrehte, um zu sehen, was ihre Tochter hinter ihrem Rücken für Faxen machte, nutzte der Professor die Chance für eine stumme Antwort. Um noch energischer den Kopf zu schütteln, hätte er dafür hin und her laufen müssen.

Verstand er denn nicht? Er wusste doch, dass Mara die geheimnisvollen Verse des Feuerbringers auf dem Infoblatt über das Seminar entdeckt hatte! Sie hatte sowieso schon ein mulmiges Gefühl dabei gehabt, dort mit Mama allein hinzufahren. Denn inzwischen konnte sie sich gar nicht mehr vorstellen, ohne Professor Weissinger ein weiteres Abenteuer durchzustehen. Sie brauchte ihn doch! Wusste er das denn nicht?

Da Mara ihm vor ihrer Mutter ja nicht direkt sagen konnte, warum sie die Idee so großartig fand, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm ein paar versteckte Hinweise zu geben. Und wenn das nichts half, würde sie ihn eben so weit in die Grütze reiten, dass er gar nicht anders konnte.

»Ich finde die Idee total super, Herr Professor! Wir werden bestimmt eine Menge lernen …«

Verstehen Sie doch: Lernen! Wie: Rausfinden!, dachte Mara.

»Das mag ja alles sein, aber ich kann leider meine Studis nicht vernachlässigen«, schüttelkopfte Professor Weissinger zurück.

»Aber diese tolle Gelegenheit dürfen wir uns doch nicht entgehen lassen!«, sprach Mara eindringlich auf ihn ein.

Verstehen Sie mich doch!

»Sind Sie nicht auch gespannt, was uns dort erwartet?«

Bitte raff es! Raff es bitte!

Eine Pause entstand. Der Professor seufzte. Schließlich sah er Mara an, nickte und Maras Herz machte einen Sprung: YES.

»Oh, das ist ja ganz wunderbar! Glauben Sie mir, Sie werden es nicht bereuen«, sagte Mama. »Meine Wicca-Freundinnen sind ganz wunderbare und spirituelle Wesen.«

Mara sah, wie bei »spirituelle Wesen« etwas im Blick des Professors zerbrach, als hätte jemand seine Kontaktlinsen zersungen.

Da sehen Sie mal, was ich alles schon durchgemacht habe, dachte sie und musste grinsen.

Als Mama hinausging, um für sie zwei Tassen CappuccinoArt zu holen, schlug sich der Professor mit der flachen Hand gegen die Stirn und zog dann die Finger sehr langsam über das Gesicht nach unten, wobei er seine Wangen zu einer seltsamen Grimasse zerdrückte. Als er Mara mit trüben Augen ansah, musste sie richtig lachen. Er nahm es also auch mit Humor. Sehr gut, das würde helfen.

»Ich hab’s doch verstanden, Mara Lorbeer, danke für die vielen subtilen Hinweise. Aber ich musste mich erst einmal innerlich damit abfinden, mehrere Tage mit spirituellen Wesen verbringen zu müssen.«

»Ach, zusammen wird es vielleicht sogar ganz lustig. Meine Mutter ist ja auch dabei und mit der verstehen Sie sich doch ganz gut, oder nicht?«, fragte Mara lauernder, als sie beabsichtigt hatte.

»Aber ja, deine Mutter ist mir nach wie vor sehr sympathisch. Ich glaube, sie ist einfach nur auf der Suche nach Antworten und sondiert dafür den falschen Ort. Wenn ich das mal so ausdrücken darf.«

»Papa hat das Sondieren halt so genervt, dass er irgendwann weggegangen ist«, sagte Mara und beeilte sich hinterherzuwerfen: »Also, nicht dass Sie jetzt denken …«

»Keine Sorge, Mara, ich verstehe dich genau richtig. Aber was ich nicht verstehe, ist, warum du deine Mutter mit in eine Vision genommen hast. So gesehen hast du ja noch mal Glück gehabt, dass sie denkt, sie hätte es irgendwie selbst bewerkstelligt. Andererseits …«

»Andererseits ist es seitdem schlimmer denn je«, seufzte Mara. »Sie sitzt stundenlang da drüben vor ihrer Schale mit den Focus Stones™ und … fokust rum.«

Der Professor folgte Maras Blick hinüber in die Ecke, wo die schief getöpferte Schale mit den großen Flusskieseln stand, und nickte. »Lass mich raten, seitdem hat sie es aber nicht noch mal geschafft, sich in den Wald zu versetzen. Oder hast du etwa …«

»Nein, nein, hab ich nicht, ehrlich! Nur das eine Mal!« Natürlich hatte Mara schon darüber nachgedacht, ob sie ihrer Mutter den Gefallen noch einmal tun sollte. Aber es sprachen so viele Gründe dagegen, dass sie mit dem Zählen gar nicht hinterherkam. Außerdem hatte sie damit sowieso das letzte Quäntchen von Lokis Göttergeschenk verbraucht. Mara konnte gar nicht sagen, ob sie es mit ihren eigenen Kräften überhaupt hinbekommen würde. Am Ende reichte es vielleicht gerade so für die Reise dorthin, aber nicht mehr für die Rückfahrkarte. Bloß nicht!

Mama betrat das Wohnzimmer, in den Händen hielt sie zwei Kaffeetassen. »Bitte entschuldigen Sie den etwas labbrigen Kaffee-Ersatz, das ist mir furchtbar unangenehm. Aber ich habe leider vergessen, heute mal wieder echtes Pulver zu kaufen. Ich weiß natürlich, dass das vom energetischen Standpunkt her grundfalsch ist, aber ich habe mich irgendwann an dieses lösliche Chemiezeugs gewöhnt. Ich denk mir dann immer: Ein Laster darf ich mir doch vielleicht gönnen.« Sie lachte und Mara versuchte, ihre Mutter mit den Augen des Professors zu sehen.

Kann schon sein, dass Mama trotz ihres Wicca-Zeugs ganz okay rüberkommt, dachte sie. Auf jeden Fall stand ihr das Lachen besser als der sparsame Spitzmund …

Mara und der Feuerbringer

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